Anthemius

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Solidus des Anthemius

Flavius Procopius Anthemius (Vorlage:ELSmit; * um 420 in Konstantinopel; † 11. Juli 472 in Rom) war weströmischer Kaiser von 467 bis 472. Er war der Sohn des Heermeisters Procopius und Schwiegersohn des oströmischen Kaisers Markian (450–457).

Leben

Aufstieg zum Kaiser

Anthemius war der Enkel des gleichnamigen Prätorianerpräfekten, der um 410 faktisch die Regierungsgeschäfte für den jungen Kaiser Theodosius II. geführt hatte. Sein Vater Isidorus hatte ebenfalls höchste Ämter bekleidet. Zudem stammte er auf nicht näher bekannte Weise von Procopius ab, der seinerseits ein entfernter Verwandter der Konstantinischen Dynastie gewesen war. Anthemius stammte mithin aus einer Familie der Hocharistokratie. Selbst Heermeister, kämpfte er an der Donau gegen Goten und Hunnen und bekleidete aufgrund seiner Erfolge 455 das Consulat. Als Schwiegersohn Markians und amtierender magister militum praesentalis hatte er nach dessen Tod 457 eigentlich beste Aussichten auf die oströmische Kaiserwürde, doch setzte sich mit Hilfe des zweiten Heermeisters Aspar stattdessen Leo als neuer Herrscher durch. Dennoch blieb Anthemius weiterhin eine wichtige und prominente Figur in Konstantinopel.

Der Heerführer Ricimer, der zu dieser Zeit mächtigste Militär in Italien und faktische Regent des Westreichs, bat 466 Leo I. um die Ernennung eines eigenen Kaisers für den Westen. Leo, der 465 formal selbst die Regierung auch im weströmischen Reich übernommen hatte, da das westliche Kaisertum seit diesem Jahr vakant war, veranlasste, dass Anthemius nach Italien geschickt und dort zum Westkaiser erhoben wurde. Ricimer erhoffte sich von Ostrom dafür militärische Unterstützung; Leo konnte sich seinerseits auf diese Weise elegant eines mächtigen Rivalen entledigen. Anthemius wurde in der ersten Januarhälfte 467 noch in Konstantinopel von Leo zum Caesar erhoben und erreichte Italien im Frühjahr 467; begleitet wurde er von einem starken Heer, das Leo finanziert hatte. Am 12. April 467 wurde er vor Rom zum Augustus ausgerufen. Er knüpfte Heiratsverbindungen mit seinem oströmischen Kollegen und bemühte sich insgesamt darum, die Idee einer staatsrechtlichen Einheit beider Hälften des Imperium Romanum zu propagieren.

Der neue Westkaiser versuchte sogleich, die beiden erstrangigen militärischen Herausforderungen zu lösen, die den Rest des Römischen Reichs im Westen betrafen und zusehend destabilisierten. Dies waren zum einen die unruhigen westgotischen foederati unter Eurich (II.), die sich insbesondere in Aquitanien niedergelassen hatten. Und zum anderen (und vor allem) stellten die Vandalen in Africa eine tödliche Bedrohung für Westrom dar: Ihr rex Geiserich residierte seit 439 in Karthago und befand sich seit 455 im Krieg mit der von seinem Rivalen Ricimer kontrollierten weströmischen Regierung in Ravenna; er schnitt Italien immer wieder vom lebenswichtigen nordafrikanischen Getreide ab und störte mit seiner Flotte den Frieden. Gelang es Anthemius nicht, diese Bedrohung auszuschalten, so war seine Herrschaft zum Scheitern verurteilt.

Herrschaft

Als Herrscher nannte sich der neue Kaiser Imperator Caesar Flavius Procopius Anthemius Augustus. Seine Regierung begann zunächst hoffnungsvoll. Er besaß die Rückendeckung Leos I. und zunächst auch die Ricimers, der Anthemius’ Tochter Alypia heiratete und ein Todfeind des Vandalenherrschers Geiserich war. Ein wichtiger Kommandeur in Illyrien, der Heermeister Marcellinus, gab seine bisherige Opposition gegen die Regierung in Italien auf und leistete den Treueeid auf den neuen Kaiser.

Der große Vandalenfeldzug, den Ost- und Westrom gemeinsam und mit gewaltigem Aufwand (65.000 Pfund Gold und 700.000 Pfund Silber brachte alleine Ostrom auf, um Flotte und Armee auszurüsten) durchführten, kam zunächst gut voran; das römische Heer soll insgesamt 100.000 Mann gezählt haben (Prokopios, Bella 3,6,1). Allerdings wurde es nach anfangs deutlichen Fortschritten – so gelang zum Beispiel die Zerstörung einer vandalischen Flotte – versäumt, auf diesen Erfolgen aufzubauen. Der Feldherr Basiliskos ermöglichte es Geiserich, die ankernde römische Flotte durch Brandschiffe zu vernichten (468), so dass man gezwungen war, sich nach Sizilien zurückzuziehen, wo Marcellinus, der dort gegen die Vandalen kämpfte, kurz darauf ermordet wurde. Ein oströmisches Landheer, das von Ägypten aus Richtung Karthago marschiert war, brach angesichts dieser Katastrophen den Feldzug ab und kehrte um. Ob Basiliskos nur Pech hatte oder ob er unfähig oder gar korrupt war, wie spätere Quellen behaupten, lässt sich kaum klären (da er 475 als Usurpator auftrat, mag sein Bild im Rückblick verzerrt worden sein). Das Scheitern des Feldzugs wurde jedenfalls Anthemius angelastet, obwohl dieser an den Operationen nicht direkt beteiligt gewesen war. Nach Ansicht von Forschern wie Peter Heather besiegelte das Scheitern des Feldzugs den Untergang Westroms, das im Falle einer Rückgewinnung Nordafrikas wohl noch eine realistische Überlebenschance besessen hätte; so aber konnte Geiserich weiter von seiner Machtbasis aus Italien destabilisieren.

Die Stellung des Kaisers war nach dieser Niederlage erschüttert, und viele wandten sich offenbar enttäuscht von Anthemius ab. Vereinzelt wurde er nun als „griechischer Kaiser“ (Graecus imperator) verunglimpft und ihm damit das Römertum abgesprochen, doch wurde diese Sichtweise von der weströmischen Oberschicht nicht allgemein geteilt. Problematischer war der Umstand, dass der Kaiser gegenüber Heiden und „Häretikern“ ungewöhnliche Toleranz zeigte, so dass sogar ein (angeblicher?) Heide 470 Konsul und anschließend Stadtpräfekt wurde; Vergleichbares war in Rom seit sechs Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen. Durch diese Politik geriet Anthemius in einen immer stärkeren Gegensatz zur römischen Kirche und deren mächtigen Bischöfen Hilarius (461–468) und Simplicius (468–483). Dieser Konflikt wurde vielleicht dadurch verschärft, dass der Kaiser ungewöhnlicherweise in Rom residierte und damit den Freiraum, den die dortigen Bischöfe beanspruchten, einschränkte. Ein Grund für das Verhalten des Herrschers mag in seiner oströmischen Herkunft zu sehen sein - der Patriarch von Konstantinopel wurde von den Kaisern traditionell weitaus stärker kontrolliert als die selbstbewussten Bischöfe von Rom; der Anspruch des Augustus, über der Kirche zu stehen, wurde in Ostrom kaum in Frage gestellt und musste fast zwangsläufig zu Konflikten mit dem stadtrömischen Klerus führen.

Den Kaiser plagten nach 468 leere Kassen, und da der Sold ausblieb, begann sich seine Armee langsam aufzulösen. Anthemius gab aber zunächst nicht auf und bemühte sich nun um militärische Erfolge gegen die Westgoten, die große Teile Südgalliens kontrollierten. Dabei erhielt er angeblich Unterstützung durch (den) Riothamus, der zwar in Britannien (oder eher in Aremorica), und damit recht weit entfernt vom Kreis der möglichen Parteigänger, herrschte, ihn aber mit seiner Armee verstärkte, um den Westgotenkönig Eurich anzugreifen. Eurich war jedoch in der Lage, sowohl das Heer des Riothamus als auch die römischen Truppen, die von Anthemiolus, einem Sohn des Kaisers, kommandiert wurden, zu schlagen (470/71), nur um danach auch noch mehrere gallische Städte zu besetzen, die bislang noch in römischer Hand gewesen waren. Zudem pflegte Eurich beste Kontakte zu Ricimer, der am Scheitern des kaiserlichen Feldzugs vielleicht nicht unschuldig war.

Krankheit und Tod

Nach all diesen Misserfolgen wurde Anthemius 470 offenbar ernsthaft krank. Angeblich im Glauben, dass er Zauberei ausgesetzt sei, übte er Rache an verschiedenen prominenten Männern, allen voran dem hochrangigen Beamten (magister officiorum) Romanus, dem er möglicherweise mit Recht vorwarf, nach dem Kaisertum zu trachten: Wahrscheinlich hatte Anthemius ein vermeintliches oder tatsächliches Komplott aufgedeckt. Mit 6.000 Elitesoldaten, die für den Vandalenkrieg gerüstet waren, zog Ricimer daraufhin von seiner Basis Mailand aus gegen den Kaiser, doch konnte zunächst noch eine vorläufige Versöhnung ausgehandelt werden. Hinter all diesen Ereignissen stand vermutlich der Konflikt zwischen dem mächtigen Kaisermacher Ricimer und dem Augustus, der sich dem Einfluss des Heermeisters zu entziehen suchte und wohl deshalb nicht in Mailand oder Ravenna, sondern wie gesagt in Rom residierte. Der Ostkaiser Leo, der 471 seinen mächtigen Heermeister Aspar hatte ermorden lassen, soll Anthemius geraten haben, mit Ricimer genauso zu verfahren (Johannes Malalas 14,45). Der Streit eskalierte Anfang 472 erneut, woraufhin Ricimer dem Anthemius endgültig die Gefolgschaft aufkündigte und den Gegenkaiser Olybrius ausrief. Anthemius wurde offenbar anfangs von vielen Senatoren und Italikern, Ricimer von den zumeist „barbarischen“ Truppen und der um ihre Macht fürchtenden Kirche unterstützt. Im Laufe der Zeit scheinen aber viele Senatoren die Seiten gewechselt zu haben. Auch Leo entzog Anthemius nun offenbar seine Unterstützung und ließ sich von Ricimer zur Anerkennung von Olybrius bewegen. Der Konflikt endete fünf Monate später mit Ricimers Eroberung Roms sowie der Gefangennahme und anschließenden Hinrichtung des Anthemius, der noch versucht haben soll, als Bettler verkleidet zu entkommen, im Juli 472. Bemerkenswerterweise ließ ihm Ricimer ein Staatsbegräbnis zukommen. Sein Sohn Marcianus, Konsul des Jahres 469, erhob sich 479 erfolglos gegen Zenon.

Literatur

  • Henning Börm: Westrom. Von Honorius bis Justinian (= Urban-Taschenbücher. Bd. 735). Kohlhammer, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-17-023276-1, S. 107–111.
  • Gottfried Härtel: Die zeitgeschichtliche Relevanz der Novellen des Kaisers Anthemius. In: Klio. Bd. 64, 1982, S. 151–159, doi:10.1524/klio.1982.64.12.151 (zurzeit nicht erreichbar).
  • Peter Heather: Der Untergang des Römischen Weltreichs. Klett-Cotta, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-608-94082-4, S. 459–467.
  • Dirk Henning: Periclitans res Publica. Kaisertum und Eliten in der Krise des Weströmischen Reiches 454/5–493 n. Chr. (= Historia. Einzelschriften. Bd. 133). Steiner, Stuttgart 1999, ISBN 3-515-07485-6 (Zugleich: Marburg, Universität, Dissertation, 1997/1998).
  • Dirk Henning: Der erste „griechische Kaiser“. Überlegungen zum Scheitern des Procopius Anthemius im Weströmischen Reich. In: Hans-Ulrich Wiemer (Hrsg.): Staatlichkeit und politisches Handeln in der römischen Kaiserzeit (= Millennium-Studien. Bd. 10). de Gruyter, Berlin u. a. 2006, ISBN 3-11-019101-6, S. 175–186.
  • Ralph W. Mathisen: Leo, Anthemius, Zeno and extraordinary senatorial status in the late fifth century. In: Byzantinische Forschungen. Bd. 17, 1991, ISSN 0525-3306, S. 191–222.
  • John M. O'Flynn: A Greek on the Roman throne: the fate of Anthemius. In: Historia. Bd. 40, Nr. 1, 1991, S. 122–128, online.
  • Alexios G. Savvides, Benjamin Hendrickx (Hrsg.): Encyclopaedic Prosopographical Lexicon of Byzantine History and Civilization. Bd. 1: Aaron – Azarethes. Brepols Publishers, Turnhout 2007, ISBN 978-2-503-52303-3, S. 290–291.

Weblinks

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