Benutzer:Schaengel/Hauptstadtfrage von Rheinland-Pfalz

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Hauptstadtfrage von Rheinland-Pfalz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Alle Verfassungsorgane (Landesregierung, Landtag und Verfassungsgerichtshof) richteten ihren provisorischen Sitz in Koblenz ein, der Stadt, die bis 1945 noch Hauptstadt der preußischen Rheinprovinz war. Die Landesregierung bezog das Oberpräsidium der ehemaligen Rheinprovinz, der Landtag nutzte noch bis August 1948 das Koblenzer Rathaus und richtete sich dann im Görreshaus in der Koblenzer Altstadt ein. In der ersten Zeit stellte sich niemand mehr die Frage, wann die französische Verordnung Nr. 57 erfüllt werden sollte und Mainz damit auch in der Realität Hauptstadt würde. Der Wiederaufbau und die mangelnde Versorgung mit Nahrungsmitteln war die einzige Sorge der Bevölkerung in den Anfangsjahren des neuen Landes. Der Mainzer Oberbürgermeister Emil Kraus war es schließlich, der in einer Rundfunkansprache am 7. Dezember 1948 die Hauptstadtfrage wieder auf die Tagesordnung brachte. Ministerpräsident Peter Altmeier und die französische Militärregierung kamen aber am 13. Dezember 1948 überein, dass man einen Umzug nicht überstürzen wolle.

Die Hauptstadtfrage bedurfte aber nun einer Lösung. Es begann ein Tauziehen zwischen Koblenz und Mainz, die beide ihre Eignung als Landeshauptstadt in der öffentlichen Diskussion hervorhoben, denn für beide Städte stand viel auf dem Spiel. Der Mainzer Oberbürgermeister Emil Kraus verknüpfte mit dem Hauptstadtstatus eine Rückführung der abgetrennten rechtsrheinischen Stadtteile. Auch der fortschreitende Wiederaufbau und die geschichtliche Bedeutung von Mainz unterstrich den Anspruch auf den Hauptstadtstatus. Im Sommer 1949 riss den Mainzern der Geduldsfaden und man sprach vom „Betrug an Mainz“. Der neue Mainzer Oberbürgermeister Franz Stein richtete eine Resolution an Landesregierung und Landtag, in der er auf die gebrachten Opfer verwies und eine Verlegung der Hauptstadt forderte. Die Landesregierung machte für einen Umzug den Wiederaufbau des Kurfürstlichen Schlosses zur Bedingung. Mainz weigerte sich aber das Schloss dem Land zu überlassen, wegen seiner Bedeutung für die Stadt und wegen den zu hohen Wiederaufbaukosten. Man sah in den Forderungen sogar einen Versuch, die Verlegung der Hauptstadt zu verhindern. Die Hauptstadtdiskussion war auch Thema des Mainzer Karnevals von 1950, ein Motivwagen stellte die „Tauen-Ziehen-Straße“ zwischen Mainz und Koblenz dar.

Koblenz maß der Hauptstadtfrage ebenfalls allergrößte Bedeutung zu. Die Luftangriffe auf Koblenz hinterließen wie auch in Mainz große Zerstörungen und eine große wirtschaftliche Not. Man sah im Verlust der Hauptstadtfunktion eine Degradierung zu einer „Stadt zweiten Ranges“. Am Zusammenfluss von Rhein und Mosel konnte man schließlich auf eine lange Tradition als bedeutende Stadt zurück sehen, denn die Kurfürsten von Trier hatten hier ihre Residenz und die Preußen machten Koblenz zur Provinzialhauptstadt ihrer Rheinprovinz. Diese Position wollte man nicht ohne Weiteres aufgeben. Ministerpräsident Peter Altmeier, selbst in Koblenz aufgewachsen, setzte sich von Anfang an für Mainz als Hauptstadt ein, weil er sich im Klaren war, dass der Süden des Landes, vor allem die Pfalz, nur Mainz als Landesmetropole akzeptieren würde. Er war sich aber der prekären Lage von Koblenz bewusst und setzte sich bei den Franzosen für die Stadt ein, in dem er auf die moralische Verpflichtung gegenüber Koblenz hinwies und sich für eine Ansiedlung von Landesbehörden als Entschädigung stark machte.

Für die französische Militärregierung war die Hauptstadtfrage eindeutig. In der Verordnung Nr. 57, mit der man den Befehl zur Gründung des Landes Rheinland-Pfalz gab, war Mainz als Landeshauptstadt festgelegt. Man drängte deswegen auf eine Umsetzung der Verordnung, auch um den Fortbestand des Landes zu sichern. Die Westalliierten waren sich uneinig über die Gliederung des Rheinlandes. Da die Briten nicht bereit waren, 1948 über eine Neugliederung von Nordrhein-Westfalen zu verhandeln, bestanden nun auch die Franzosen auf den Erhalt von Rheinland-Pfalz, auch weil es das einzige Land war, dass vollständig in ihrer Besatzungszone lag. Die Franzosen sahen auch eine Gefahr in den Bestrebungen der Pfalz, sich wieder von dem neuen Land zu lösen und erhofften sich, mit einer Verlegung des Regierungssitzes nach Mainz diese stoppen zu können. Der französische Gouverneur Hettier de Boislambert drängte nun Ministerpräsident Peter Altmeier in einer Besprechung am 5. Juli 1949, endlich einen Termin für den Umzug zu bestimmen, ebenso wie es der Hohe Kommissar André François-Poncet in der Unterredung vom 27. Juli 1949 tat. In einer weiteren Rede verlieh der Hohe Kommissar dem noch Nachdruck, in dem er verlauten ließ: „Durch ihre große Rolle in der Vergangenheit, als Sitz des ersten unter den Kurfürsten, als Wirkungsstätte eines Erzbischofs, am Zusammenflusse des Rheines und des Mains, ist die Stadt Mainz Wegweiser nach Osten wie nach Westen und dadurch geradezu prädestiniert, eine Landeshauptstadt zu werden. Freilich weiß ich, daß dies nicht die Meinung aller Koblenzer ist. Gegen deren Auffassung sprechen aber die Geschichte, die Geographie, die Natur, die Sorge um die Zukunft und vor allem sogar der gesunde Menschenverstand – und das sind Mächte, die sich schließlich durchsetzen!“ Ministerpräsident Peter Altmeier wies immer auf die technischen Schwierigkeiten und den Wohnraummangel hin, der einer Verlegung nach Mainz im Weg stünde. Die französische Militärverwaltung ließ in der Folgezeit bei Gesprächen mit der Landesregierung keinen Zweifel daran, dass eine Entscheidung gegen die von ihnen gewünschte Hauptstadt Mainz weitreichende Folgen haben würde.

Der rheinland-pfälzische Landtag diskutierte erstmals in der Debatte vom 29. November 1949 die Hauptstadtfrage. Der Vorschlag der CDU-Fraktion, in dem die endgültige Entscheidung wegen den noch nicht geklärten technischen Voraussetzungen vorerst noch zurückgestellt werden sollte, fand eine knappe Mehrheit von 48 zu 46 Stimmen. Der Ältestenrat und die Landesregierung wurden aber beauftragt, die Frage der räumlichen Unterbringung in Mainz zu klären. Am 26. Februar 1950 besichtigte Ministerpräsident Peter Altmeier zusammen mit Hanns Haberer und Gouverneur Hettier de Boislambert die für die Landesregierung vorgesehenen Gebäude in Mainz. Die Landesregierung bemängelte aber die für sie vorgesehenen Räumlichkeiten, außerdem war noch der Sitz des Landtages ungeklärt. Die Franzosen hingegen sahen die wohnlichen Voraussetzungen als für geschaffen an. Nach heftiger Kritik der Öffentlichkeit wegen den hohe Ansprüchen der Landesregierung, legte diese die Entscheidung über die Verlegung in die Hände des Landtages. Am 2. März 1950 sprach sich der Ältestenrat für die Verlegung der Landeshauptstadt aus. Die französische Militärverwaltung war sich bewusst, dass die Bevölkerung wegen der von Außen diktierten Gründung dem Fortbestand des Landes negativ gegenüber stand und hob daher die Verordnung Nr. 57 auf. Damit wollte man erreichen, wenn die Deutschen die Hauptstadtfrage souverän selbst entscheiden könnten, die Zustimmung zum Land Rheinland-Pfalz auch steigen würde. Nachdem das Kurfürstliche Schloss von Mainz nicht überlassen wurde, sah man nun ein Wiederaufbau des Deutschhauses vor, in dem dann der Landtag seinen Sitz einnehmen sollte.

Eine erneute Debatte des Landtages am 4. April 1950 über die endgültige Entscheidung der Hauptstadtfrage endete mit einem sensationellen Ergebnis, einem Patt von 43 zu 43 Stimmen, was eine Ablehnung der Verlegung nach Mainz bedeutete. Die Franzosen reagierten daraufhin sehr ärgerlich und machen Ministerpräsident Peter Altmeier verantwortlich, in dem sie ihm vorwarfen, sich nicht genügend für eine Verlegung nach Mainz eingesetzt zu haben. Sie erhöhten erneut den Druck auf die Landesregierung und nahmen in Koblenz und Mainz Beschlagnahmen von Wohnungen vor. Die Öffentlichkeit sah nun nach diesem Ergebnis die Entscheidung der Hauptstadtfrage auch als Entscheidung über den Fortbestand des Landes an. Der rheinland-pfälzische Landtag beschloss daher im zweiten Anlauf am 16. Mai 1950 mit einer Mehrheit von 49 zu 32 Stimmen die Verlegung des Landtages und der Landesregierung von Koblenz nach Mainz. Im Herbst/Winter 1950/1951 zogen die Ministerien nach Mainz um, im Mai 1951 folgte der Landtag und hielt seine erste Sitzung am 18. Mai 1951 im wiederaufgebauten Deutschhaus ab.[1][2]

In Koblenz, wo nach dieser Entscheidung blankes Entsetzen herrschte, verblieben aber nach Umzug von Landesregierung und Landtag viele Landesbehörden und Gerichte, so beispielsweise der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, das Oberlandesgericht und das Landeshauptarchiv Koblenz. Als Ausgleich wurde außerdem 1952 das Bundesarchiv und die Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz angesiedelt. Das Ende der Hauptstadtfrage war der Anfang der Konsolidierung des Landes und hat sicher langfristig für beide der beteiligten Städte viele Vorteile gebracht. Ein Streit über die Hauptstadtfrage ist bis heute einmalig auf Länderebene. Nur auf Bundesebene kennt man einen Hauptstadtstreit, so 1949 zwischen Bonn und Frankfurt sowie nach der Wiedervereinigung zwischen Bonn und Berlin.[3]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Der 16. Mai 1950. Mainz wird Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz. in: Landeshauptarchiv Koblenz
  2. Mainz statt Koblenz - 60 Jahre Hauptstadt in: Frankfurter Rundschau, 17. Mai 2010
  3. 60 Jahre Hauptstadtbeschluss des Landtages, Heft 47 der Schriftreihen des Landtages Rheinland-Pfalz, 2010