Charlotte Sophie Bentinck

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Charlotte Sophie Bentinck

Charlotte Sophie Gräfin von Bentinck, geborene Reichsgräfin von Aldenburg (* 5. August 1715 in Varel; † 4. Februar 1800 in Hamburg), war u. a. befreundet mit Voltaire, Friedrich dem Großen und Graf Wilhelm von Schaumburg-Lippe.

Leben

Ihr Urgroßvater war der Graf Anton Günther von Oldenburg (er bewahrte sein Land während des Dreißigjährigen Krieges vor Zerstörung), der seinen Sohn Anton, aus einer illegitimen Beziehung stammend, mit einem Adelsbrief und mit der erblichen Würde eines Reichsgrafen von Aldenburg (älteste Namensform von Oldenburg) ausstattete. Die Enkelin dieses ersten Anton war Charlotte Sophie, die im Schloss Varel aufwuchs. [1]

Im Alter von 15 Jahren lernte Charlotte Sophie Albrecht Wolfgang (1699–1748), den regierenden Landesherrn des befreundeten Kleinstaates Schaumburg-Lippe, kennen und verliebte sich in ihn.

Allerdings geriet Charlotte Sophies Vater Anton II. in finanzielle Schwierigkeiten, da Aldenburg, ein Zwergstaat unter den deutschen Kleinstaaten, der das Amt Varel, die Herrlichkeit Kniphausen und die Vogtei Jade im äußersten, immer wieder von Sturmfluten heimgesuchten Nordwesten des deutschen Reiches umfasste, nicht recht lebensfähig war. Anton II. lieh sich von dem Holländer Willem (Wilhelm) Graf von Bentinck, Herr auf Rhoon und Pendrecht, 300.000 Gulden. Diesen Gläubiger wählte Anton schließlich auch zum Ehemann seiner Tochter Charlotte Sophie. Die Heirat fand 1733 statt und war eine Zweck- und Interessenehe, die Charlotte Sophie widerstrebte. Charlotte Sophie zog daraufhin als Gräfin Bentinck mit ihrem Mann nach Den Haag, wo sie zwei Söhne gebar, aber weiterhin an dem (mittlerweile in zweiter Ehe wiederverheirateten) Albrecht Wolfgang hing. Nach dem Tod ihres Vaters, kehrte sie ohne zu ihrem Mann nach Varel zurück.

Anschließend lebte sie als eine Art Favoritin in einer kuriosen Dreierbeziehung bei Albrecht Wolfgang am Bückeburger Hof: dessen Ehefrau, Charlotte, geborene Prinzessin von Nassau-Siegen, verwitwete Fürstin von Anhalt-Köthen, war nämlich ihre Jugendfreundin. Charlotte Sophie wurde von Albrecht Wolfgang schwanger, der erste Sohn wurde 1739 geboren und trug den Namen Karl von Donop[2]. 1740 wurde sie von Graf Bentinck geschieden. 1745 wurde ein zweiter Sohn geboren, er trug den Namen Carl Wilhelm Weisbrod[3]. Im Jahr 1740 begannen Albrecht Wolfgangs Söhne Georg und Wilhelm mit ihrem Studium im holländischen Leyden. Hier lernten sie den damals schon berühmten Aufklärer kennen: Voltaire, der in Den Haag damit befasst war, den „Anti-Machiavel“, Erstlingswerk des hoffnungsvollen Kronprinzen Friedrich von Preußen, für den Druck vorzubereiten.

Als Voltaire im Dezember 1740 auf dem Rückweg aus Berlin für drei Tage den Hof in Bückeburg besucht, lernt er neben Graf Albrecht Wolfgang auch die Gräfin Bentinck kennen und erfreut sich an dem geistreichen Gespräch mit den beiden – natürlich in französisch. Diese Begegnung in dem damals schön ausgestatteten Schloss Bückeburg wird – den neueren Forschungen des Voltaire-Forschers Frédéric Deloffre zufolge – zur Keimzelle von Voltaires Roman Candide. Nach dessen Ansicht verbirgt sich hinter dem „Schloss Tonder-ten-Tronkh“ das Schloss Bückeburg, hinter Kunigunde die Gräfin Bentinck selbst („rotwangig, frisch, mollig und appetitlich“, so in Kapitel I, „die erlauchte Westfalin“ in Kapitel XXII), hinter der Titelfigur Candide der Verfasser Voltaire selbst und hinter Candides Erzieher „Pangloss“ Johann Heinrich Meister, den Hofprediger und Erzieher von Graf Albrecht Wolfgangs Sohn Wilhelm.

1748 starbt Albrecht Wolfgang. Sein Sohn Wilhelm trat die Nachfolge an und begann das fast bankrotte Land zu sanieren. Charlotte Sophie war daraufhin gezwungen, den Hof in Bückeburg zu verlassen. Ihr hochverschuldeter Besitz Varel-Kniphausen wurde vom geschiedenen Ehemann, dem inzwischen in den Generalstaaten zu Einfluss gelangten Grafen Bentinck, unter Zwangsverwaltung gestellt. Beim Ordnen des häuslichen Erbes fiel ihr das Porträt in die Hände, das Albrecht Wolfgang „in glücklicheren Zeiten über sie geschrieben hat“: „Porträt eines bösen Mädchens“ hatte ihre Mutter darauf notiert. „Ihr Geist ist wie ein Diamant, zur einen Hälfte schlecht geschliffen, zur anderen noch im Rohzustand; doch mit dem richtigen Schliff hätte dieser Stein alle seine Artgenossen in den Schatten gestellt“, schrieb Albrecht Wolfgang darin.

Die Gräfin Bentinck brach hiernach in ein neues Leben auf. Sie ging nach Berlin, wo sie in der Nähe König Friedrichs II. lebte. Voltaire, der sich ebenfalls 1750 bis 1753 am Hof Friedrichs aufhielt, wurde sie eine Vertraute. Kontakt hatte sie auch weiterhin mit dem Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe, der häufig die preußische Metropole besuchte. 1754 musste sie nach Ende der juristischen Streitigkeiten mit ihrem geschiedenen Mann endgültig auf das väterliche Erbe zugunsten ihrer beiden ehelichen Söhne verzichten. 1757–1761 lebte sie in Wien, 1758 reiste sie nach Venedig, durch Italien, die Schweiz und schließlich nach Les Délices, den Landsitz Voltaires bei Genf (in diesem Jahre entstand sein Roman Candide). Nach einigen Jahren in Jever zog sie 1768 endgültig nach Hamburg, wo sie bis zu ihrem Tod in ihrer Wohnung am Jungfernstieg und dem Sommersitz in Eimsbüttel einen vielbesuchten Salon unterhielt.

Gräfin Bentinck besaß eine Sammlung von Münzen[4]. Friedrich von Schlichtegroll hatte dazu einen Katalog[5] erstellt. Die Abbildungen der Münzen waren von ihrem Sohn Carl Wilhelm Weisbrod gestochen worden, der ein Schüler von Johann Georg Wille gewesen war[6].

Charlotte Sophie Gräfin Bentinck und Aldenburg wird beigesetzt in der Familiengruft in der Schlosskirche zu Varel.

Schirmherrschaft

Werke und Briefe

  • Une femme des lumières. Écrits et lettres de la comtesse de Bentinck 1715-1800. Textes présentés par Anne Soprani et André Magnan. Paris: Editions CNRS 1997. (De l'Allemagne) ISBN 2-271-05055-3
  • Voltaire et sa "grande amie". Correspondance complète de Voltaire et de Mme Bentinck (1740–1778). Ed. de Frédéric Deloffre et Jacques Cormier. Oxford: Voltaire Foundation 2003. ISBN 0-7294-0815-9

Literatur

neuzeitlich

  • Katherine Goodman: Adieu Divine Comtesse. Luise Gottsched, Charlotte Sophie Gräfin Bentinck und Johann Christoph Gottsched in ihren Briefen. Königshausen & Neumann, Würzburg, 2009. ISBN 978-3-8260-4098-6, teilweise digitalisiert.
  • Antje Koolman: Die Bentincks. Eine niederländische Adelsfamilie in Nordwestdeutschland im 18. Jahrhundert. Oldenburg: Isensee 2003. (Oldenburger Forschungen. N.F., Bd. 18) ISBN 3-89598-936-3
  • Frédéric Deloffre: Die Entstehung von Voltaire's 'Candide'. Von Bückeburg bis Konstantinopel. In: Schaumburg und die Welt. Zu Schaumburgs auswärtigen Beziehungen in der Geschichte. Hrsg. von Hubert Höing. Bielefeld (u. a.) 2002, S. 143-152.
  • Hella S. Haasse: Ich widerspreche stets. Das unbändige Leben der Gräfin Bentinck. Roman. Aus dem Niederländ. von Maria Csollány. Reinbek bei Hamburg: Wunderlich 1997. ISBN 3-8052-0580-5 - Taschenbuchausgabe: Rowohlt 1999 (rororo. 22465) ISBN 3-499-22465-8
  • Das Haus Bentinck. Eine authentische Darstellung in zeitgenössischen Berichten. Hrsg.: Heimatverein Varel. Zusammenstellung: Hans-Georg Buchtmann (u. a.). Varel 1993. (Vareler Heimathefte. Heft 7) ISBN 3-924113-12-2
  • Friedrich-Wilhelm Schaer: Bentinck, Charlotte Sophie Gräfin von. In: Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg. Im Auftrag der Oldenburgischen Landschaft hrsg. von Hans Friedl (u. a.). Oldenburg 1992 S. 62–64.
  • Curd Ochwadt: Voltaire und die Grafen zu Schaumburg-Lippe. Bremen, Wolfenbüttel: Jacobi-Verlag 1977. ISBN 3-87447-230-2
  • Friedrich-Wilhelm Schaer: Charlotte Sophie Gräfin von Bentinck, Friedrich der Große und Voltaire. In: Niedersächsisches Jahrbuch. Bd. 43 (1971) S. 81–121.
  • Hermann Lübbing: Bentinck, Charlotte Sophie Gräfin von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 2, Duncker & Humblot, Berlin 1955, ISBN 3-428-00183-4, S. 57 (Digitalisat).

fremdsprachlich

  • Frédéric Deloffre, Jacques Cormier: Voltaire et sa „grande amie“: Correspondance complète de Voltaire et de Madame Bentinck (1740-1778), The Voltaire Foundation, Oxford, 2003. Die vollständige Korrespondenz Voltaires mit Mme Bentinck.
  • André Magnan: Dossier Voltaire en Prusse (1750 - 1753). Oxford: The Voltaire Foundation 1986. (Studies on Voltaire and the eighteenth century. 244) ISBN 0-7294-0340-8 (darin S. 365–398: Voltaire et la comtesse de Bentinck. Fragments biographiques [S. 367-381: Charlotte Sophie comtesse de Bentinck née d'Aldenburg])
  • Elizabeth Le Blond: Charlotte Sophie Countess Bentinck. Her life and times, 1715-1800. By her descendant Mrs. Aubrey Le Blond. 2 Volumes. London: Hutchinson 1912.
  • Hella S. Haasse: Mevrouw Bentinck of Overenigbaarheid van karakter. Een ware geschiedenis. Amsterdam: Querido 1978. ISBN 90-214-6501-9. Die Lebensgeschichte auf Grundlage des Nachlasses der geborenen Reichsgräfin von Aldenburg im Reichsarchiv der Provinz Gelderland.

Einzelnachweise

  1. Hans Friedl (Hrsg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg. Oldenburg 1992, S. 27-28. (PDF; 4,6 MB)
  2. Katherine Goodman: Adieu Divine Comtesse. ... S. 11 und Ernst Ahasverus Heinrich von Lehndorff: Dreissig Jahre am Hofe Friedrichs des Grossen, Aus den Tagebüchern des Reichsgrafen Ernst Ahasverus Heinrich von Lehndorff, Friedrich Andreas Perthes, Gotha, 1907, S. 162, (online).
  3. Katherine Goodman: Adieu Divine Comtesse. ... S. 12.
  4. Friedrich Johann Lorenz Meyer: Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg, Band 1 (1.-3.Heft), Frederik Hermann Nestler, Hamburg, 1800, S. 285ff., (online)
  5. Notice d'une collection de medailles antiques Grecques et Romaines, Michael Lindauer, München, 1815, (online), möglicherweise handelt es sich hierbei um eine Wiederauflage, siehe Friedrich von Schlichtegroll: Annalen der gesammten Numismatik, 1. Band, Baumgärtner, Leipzig, 1804, S. 102, (online) .
  6. Georg Kaspar Nagler: Neues allgemeines Künstler-Lexicon, Band 24, Schwarzenberg & Schumann, Leipzig, o.J., S. 68 (online)

Weblinks