Condorcet-Methode

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Condorcet-Methoden (nach Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de Condorcet) sind Vorzugswahlen, bei denen ein Kandidat zumindest dann gewinnt, wenn er jedem anderen Kandidaten im direkten Vergleich vorgezogen wird.

Jeder Wähler ordnet die Kandidaten nach Rang, wobei mehrere Kandidaten auf demselben Rang möglich sind. Bei der Auswertung werden aus den Daten der Stimmabgaben Zweikämpfe simuliert, in denen jeder Kandidat gegen jeden anderen Kandidaten antritt. Dazu wird gezählt, wie oft ein Kandidat über seinem Gegner angeordnet ist. Wer jeden dieser Kämpfe gewinnt, ist Condorcet-Sieger.

Alle Condorcet-Methoden sind sich vollkommen einig über den Gewinner, wenn jemand Condorcet-Sieger ist. Sie unterscheiden sich darin, wen sie als Gewinner festlegen, wenn es keinen Condorcet-Sieger gibt.

Die Sozialwahltheorie untersucht und vergleicht u. a. unterschiedliche Aggregationsverfahren und deren Probleme und Vorzüge.

Dabei wird die Möglichkeit von taktischem Abstimmungsverhalten der Wähler mit dem Ziel, das für einen selbst bestmögliche Wahlergebnis durchzusetzen, nicht berücksichtigt. („Zwar wäre mir Kandidat A am liebsten, aber da er keine Aussicht hat zu gewinnen, stimme ich für Kandidat B, der für mich der zweitbeste ist.“) Derartige Überlegungen können bei realen Abstimmungen nicht ausgeschlossen werden.

Definitionen

Gegeben seien eine Menge von Kandidaten K = { k1 … kn}. Jeder teilnehmende Wähler x bringt nun diese Kandidaten in eine Präferenz-Totalordnung ≤x, d. h. gibt an, welche Kandidaten er welchen anderen gegenüber bevorzugt bzw. welche er gleich einstuft.

Bevorzugung

Ein Kandidat ki wird einem Kandidaten kj gegenüber bevorzugt, falls es mehr Wähler x gibt, für die ki <x kj ist als Wähler mit kj <x ki.

Condorcet-Sieger

Wenn es einen Kandidaten gibt, der gegenüber allen anderen Kandidaten bevorzugt wird, ist dieser der Condorcet-Sieger. (Einen solchen muss es nicht notwendigerweise geben, siehe unten.)

Condorcet-Verlierer

Wenn es einen Kandidaten gibt, dem gegenüber alle anderen Kandidaten bevorzugt werden, ist dieser der Condorcet-Verlierer. (Auch diesen muss es nicht notwendigerweise geben.)

Condorcet-Kriterium

Ein Wahlverfahren (allgemein) erfüllt das Condorcet-Kriterium, wenn in den Fällen, wo es einen Condorcet-Sieger gibt, auch dieser gewählt wird.

Condorcet-Verliererkriterium

Ein Wahlverfahren (allgemein) erfüllt das Condorcet-Verliererkriterium, falls in den Fällen, in denen es einen Condorcet-Verlierer gibt, dieser sicher nicht gewählt wird.

Allgemeines Beispiel bei drei Kandidaten

Es gebe die drei Kandidaten oder Optionen A, B und C. Die Wähler müssen nun eine Präferenzliste angeben. Das Wahlergebnis sei:

Rang u v w x y z
1 A A B B C C
2 B C A C A B
3 C B C A B A

Also: u Personen wollten A lieber als B und B lieber als C, v Personen haben die Präferenzliste ACB, w Personen wollen BAC und so weiter. Dann ist A genau dann Sieger, wenn:

(I) u+v+y > w+x+z
und
(II) u+v+w > x+y+z.

Die erste Ungleichung heißt, dass A gegenüber B bevorzugt wird (denn u, v und y werten A vor B, die anderen nicht), die zweite besagt, dass A auch C schlägt.

Wenn zum Beispiel u = 5, v = 3, w = 2 und x, y und z jeweils = 1 wären, wäre A Sieger, denn

I: 9 > 4
(9 Leute sehen A vor B, 4 sehen B vor A) und
II: 10 > 3
(10 Leute sehen A vor C, nur 3 sehen C vor A).

Für den Fall, dass u = x = y und v = w = z = 0, ergibt sich das Condorcet-Paradoxon.

Paradoxe Eigenheiten

Es ist möglich, dass sich sowohl eine Mehrheit findet, die Kandidat A gegenüber B bevorzugt, sowie B gegenüber C als auch C gegenüber A. Dies nennt man das Condorcet-Paradoxon. Condorcet-Verteidiger führen an, dass dieser Widerspruch nicht aus einem Defekt der Wahlmethode resultiert, sondern dass Condorcet lediglich real existierende, sich verschieden zusammensetzende (und damit gar nicht so paradoxe) Mehrheiten aufzeigt.

Ein weiterer der Intuition widersprechender Aspekt ist die geringe Wichtigkeit der Erstwahl im Vergleich mit einer anderen Ranglistenmethode, Instant-Runoff-Voting. Es ist durchaus möglich, dass der Condorcet-Sieger von Niemandem auf den ersten Platz gewählt wurde.

Beispiele

100 Wähler, 3 Kandidaten
40 A > B > C
35 B > C > A
25 C > A > B
A vs B
65  35 
B vs C
75  25
C vs A
60  40

Ein Condorcet-Paradoxon: A schlägt B, B schlägt C und C schlägt A. Da der Sieg von C über A am unspektakulärsten ist, bietet sich an, diesen zu ignorieren. Wenn man das tut, ist A der Sieger.

Wenn ein Kandidat über 50 % Erstplatzierungen erhält, gewinnt dieser auch jeden Zweikampf. Wenn dem Wähler erlaubt ist, mehreren Kandidaten denselben Rang zu geben (und Condorcet-Fürsprecher treten dafür ein) und es mehrere Kandidaten mit über 50 % Erstplatzierungen gibt, kommt der Sieger aus ebendieser Gruppe mit über 50 %. Aber es ist dann nicht unbedingt der mit den meisten Erstplatzierungen, wie folgendes Beispiel zeigt:

100 Wähler, 3 Kandidaten
60 A = B > C
39 C > B > A
 1 A > C > B
A vs C
61  39
B vs C
60  40
B vs A
39   1

B gewinnt. Das liegt daran, dass Gleichplatzierungen im Prinzip wie Enthaltungen gewertet werden.

Wenn kein Kandidat über 50 % Erstplatzierungen erreicht, kann auch jemand ohne eine einzige Erstplatzierung zum Sieger werden. Ein besonders drastisches Beispiel:

100 Wähler, 4 Kandidaten
49 A > B > C > D
26 C > B > D > A
25 D > B > C > A
A vs B
49  51
A vs C
49  51
A vs D
49  51
B vs C
74  26
B vs D
75  25
C vs D
75  25

B gewinnt jedes Duell. A verliert jedes Duell.

Diese im Vergleich zu IRV sehr geringe Gewichtung der Erstplatzierungen bedeutet, dass der Wähler einem deutlich geringeren Druck ausgesetzt ist, einen Kompromiss mit guten Chancen über einen Favoriten mit schlechten Chancen zu stellen (geringer „Spoiler-Effekt“).

Verschiedene Condorcet-Methoden

Die derzeit am weitesten verbreitete Condorcet-Methode ist die Schulze-Methode. Sie wird unter anderem von der Piratenpartei Deutschland, Wikimedia, Debian, Gentoo, Software in the Public Interest (SPI) und Sender Policy Framework (SPF) benutzt.

Siehe auch

Weblinks