Der schwarze Kanal

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Fernsehserie

Der schwarze Kanal war eine politisch-agitatorische Sendung des DDR-Fernsehens zu Zeiten des Kalten Krieges.

Im Vorspann der Sendung lief unter anderem ein kurzer Trickfilm mit grotesk verzerrter Melodie: der Bundesadler landet auf einem Fernsehantennenwald, hüpft das Gleichgewicht suchend hin und her und stürzt kopfüber ab. Sein schwarz-weiß-rotes Brustband sollte eine nationalkonservative Gesinnung des Westfernsehens symbolisieren, der Absturz einen – durch den Kommentator der Sendung Karl-Eduard von Schnitzler vereitelten – Versuch westlicher Propagandamedien, Lügen und Halbwahrheiten zu verbreiten.

Geschichte

Die Sendung startete am 21. März 1960. Die ursprüngliche Idee wurde von der in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1958 und 1960 ausgestrahlten Reihe Die rote Optik übernommen, in der sich Thilo Koch anhand von Sendungsausschnitten mit der Fernsehpropaganda der DDR auseinandersetzte. Auch der Titel ist eine Anspielung auf diese Sendung und ist als Synonym für das westdeutsche Fernsehen gemeint. In späteren Jahren galt wegen seiner ähnlich polarisierenden Wirkung das zwischen 1969 und 1988 ausgestrahlte ZDF-Magazin mit Gerhard Löwenthal als Pendant.

Über die Beweggründe für seine „polemisch-aggressiven Hasstiraden“ äußerte sich Schnitzler zu Beginn der ersten Sendung wie folgt:

„Der Schwarze Kanal, den wir meinen, meine lieben Damen und Herren, führt Unflat und Abwässer; aber statt auf Rieselfelder zu fließen, wie es eigentlich sein müßte, ergießt er sich Tag für Tag in hunderttausende westdeutsche und Westberliner Haushalte. Es ist der Kanal, auf welchem das westdeutsche Fernsehen sein Programm ausstrahlt: Der Schwarze Kanal. Und ihm werden wir uns von heute an jeden Montag zu dieser Stunde widmen, als Kläranlage gewissermaßen.“

Karl-Eduard von Schnitzler: Der schwarze Kanal, zitiert in den Medienobservationen (vgl. Weblink)

Der schwarze Kanal wurde am 30. Oktober 1989 nach 1519 Folgen im Zuge der politischen Wende abgesetzt. Im Jahr 1992 wurde ein Ende 1991 neu produzierter „allerletzter schwarzer Kanal“ mit selbstgeschriebenen und -vorgetragenen Kommentaren von Schnitzlers vom ORB ausgestrahlt.

Konzept

Im Schwarzen Kanal wurden montagabends Ausschnitte aus dem Westfernsehen gezeigt und zumeist von Karl-Eduard von Schnitzler kommentiert, der in 1322 der 1519 Ausgaben vor der Kamera stand. Stellvertretend agierten unter anderem auch Günter Herlt, Ulrich Makosch sowie Heinz Grote, die einen weniger aggressiven Duktus pflegten. Weitere Sprecher der Sendung, die nur wenige Ausgaben kommentierten, waren Götz Förster, Volker Ott und Albert Reisz.

Intention der Sendung war es, „Multiplikatoren“ (z. B. Offiziere der NVA, denen der Konsum westlicher Fernsehsendungen untersagt war, Lehrer, Journalisten) und interessierten Bürgern ausgewählte westliche Nachrichten nebst ideologischer Interpretation zu präsentieren. Dabei wurden in propagandistischer Manier die westdeutschen Nachrichten- und Magazinsendungen ihrerseits als Propaganda des Klassenfeindes dargestellt.

Rezeption

Das Deutsche Rundfunkarchiv wirft Karl-Eduard von Schnitzler vor, durch sinnentstellende Kürzungen von Szenen und speziell geordnete Abfolgen von Ausschnitten Aussagen manipuliert zu haben.

Karl-Eduard von Schnitzler, der ursprünglich beim Nordwestdeutschen Rundfunk arbeitete, war einer der bekanntesten Kommentatoren der DDR-Medien. Er war unter dem Schmähnamen „Sudel-Ede“ bekannt.[1][2] Zumeist wurde er in respektvoll-ambivalenter Weise „Karl-Eduard“ genannt. Im sprichwörtlichen DDR-Witz wurde er auch als „Karl-Eduard von Schni-“ bezeichnet, um auszudrücken, dass noch vor der vollständigen Aussprache seines Namens der Fernseher ab- oder umgeschaltet wurde. Auch Wolf Biermann schmähte Schnitzler am 1. Dezember 1989 in seiner Ballade von den verdorbenen Greisen[3] als „Sudel-Ede“, der „im Grab noch die Würmer belügen“[4] müsse.

Die Sendung wurde zeitweise, vor allem in den 1960er und Anfang der 1970er Jahre, in einigen Bereichen als eine Art Pflichtveranstaltung betrachtet. So wurde der Inhalt des Schwarzen Kanals zum Beispiel im Politunterricht bei der Armee (NVA oder Grenztruppen) und für den Staatsbürgerkundeunterricht in der Schule verwendet. Das hing aber von den jeweiligen Lehrern und Schulen ab und war regional sehr unterschiedlich. Die Sendung wurde Dienstag früh um 11:30 Uhr wiederholt, wie alle Sendungen des jeweiligen Vorabends.

Im DDR-Bezirk Dresden und in anderen Orten, in denen kein Westempfang möglich war (umgangssprachlich „Tal der Ahnungslosen“) bot Der schwarze Kanal zwar die Möglichkeit, wenigstens Ausschnitte aus Nachrichten von ARD und ZDF zu sehen, diese waren allerdings oft stark gekürzt und aus dem Zusammenhang gerissen, sodass sie kaum als neutrale Informationsquelle dienen konnten.

Das Deutsche Rundfunkarchiv hat die Sehbeteiligungskartei der Sendung von 1965 bis 1990 archiviert. In den ersten Jahren kam Der schwarze Kanal – Wiederholungen ausgenommen – auf Quoten von meist 14 bis 25 Prozent mit großen Abweichungen einzelner Sendungen. Ende der 1970er Jahre erreichte sie kaum noch zweistellige Werte und sank kontinuierlich weiter mit durchschnittlichen Quoten um drei bis fünf Prozent bis zur Einstellung.[5]

Verbleib der Sendungen

Wie auf den Webseiten des Deutschen Rundfunkarchivs als Nachlassverwalter des DDR-Fernsehens ausgeführt ist, wurden bei Magazinsendungen wie dem Schwarzen Kanal vom DDR-Fernsehen allein die Einspielfilme, nicht aber die live gesprochenen Kommentare und Einleitungen der Moderatoren aufgezeichnet, für die aber der Schwarze Kanal aufgrund der polemischen Kommentare des Autors und Moderators Karl-Eduard von Schnitzler bis heute bekannt ist. Im Falle des Schwarzen Kanals wurden allerdings auch die Einspielfilme, die aus Ausschnitten des Westfernsehens bestanden, zumeist schon wenige Tage nach der Ausstrahlung auf von Schnitzlers eigene Anweisung hin vernichtet.

Trotzdem sind rund 350 der 1519 Folgen des Schwarzen Kanals erhalten geblieben, die von westlichen Einrichtungen während der Liveausstrahlung des DDR-Fernsehens aufgezeichnet wurden und sich heute im Besitz des Deutschen Rundfunkarchivs befinden. Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung wurden dieser Mitschnittsammlung die vollständigen schriftlichen Sendemanuskripte der Kommentare von Schnitzlers aller Sendungen des Schwarzen Kanals hinzugefügt, die heute auf den Webseiten des DRA als PDF-Dateien abgerufen werden können.

Siehe auch

Literatur

  • Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.; Red.: Hans Walter Hütter): Bilder, die lügen. Begleitbuch zur Ausstellung der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. 3. Aufl., zahlr. Ill., graph. Darst., Bouvier Verlag, Bonn 2003, ISBN 3-416-02902-X.
  • Kirsten Nähle: Der schwarze Kanal – Ein politisches Magazin des DDR-Fernsehens. Tectum-Verlag, 1.Aufl., Marburg 2005, ISBN 3-8288-8908-5
  • Karl-Eduard von Schnitzler: Der rote Kanal: armes Deutschland. Orig.-Veröff., 3. Aufl., Ed. Nautilus, Hamburg 1993, ISBN 3-89401-211-0.
  • Matthias Steinle: Vom Feindbild zum Fremdbild. Die gegenseitige Darstellung von BRD und DDR im Dokumentarfilm. Mit einem Vorwort von Marc Ferro, (Reihe CLOSE UP, Bd. 18), UVK, Konstanz 2003, ISBN 978-3-89669-421-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. „Sudel-Ede“ ist tot. In: Manager Magazin, 20. September 2001
  2. Schnitzlers Schnitzer. In: Spiegel Online, 23. April 2004
  3. Nicht Rache, nein, Rente! In: Der Spiegel. Nr. 48, 1999 (online).
  4. Wolf Biermann – Ballade von den verdorbenen Greisen
  5. Sehbeteiligungskartei (1965–1990). Publizistische Reihen Hauptabend – Der Schwarze Kanal. Deutsches Rundfunkarchiv, dra.de