Desider Friedmann

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Desider Friedmann (* 24. November 1880 in Boskovice; † Oktober 1944 im KZ Auschwitz) war ein österreichischer Zionist, Rechtsanwalt und Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG).

Leben und Wirken

Friedmann studierte Rechtswissenschaften und wurde promoviert. Danach war er als niedergelassener Rechtsanwalt in Wien tätig. Er war mit Ella (* 1897), geborene Stiassni, seit Januar 1921 verheiratet und hatte mit ihr die Töchter Hedwig (* 1923) und Ernestine (* 1921).[1]

Friedmann, Mitglied im Zionistischer Landesverband für Österreich (ZLVfÖ) und zeitweise deren Vorsitzender, wurde 1921 Vizepräsident der IKG Wien.[2] Mit Friedmann wurde 1932 erstmals ein Zionist Präsident der IKG in Wien.[3] Anfang der 1930er Jahre erfolgte seine Berufung in den Staatsrat des Bundesstaates Österreich.[4]

Nach dem „Anschluss“ von Österreich an das Deutsche Reich wurde die jüdische Gemeinde Wiens am 18. März 1938 durch SS-Angehörige geschlossen und Friedmann mit seinen beiden Vizepräsidenten, Robert Stricker und dem Amtsdirektor der IKG Josef Löwenherz sowie weiteren jüdischen Funktionären verhaftet.[5] Im Zuge der Razzia waren bei der Durchsuchung der Räumlichkeiten der IKG Spendenbelege für die Vaterländische Front gefunden worden. Die Wahlkampfspenden in Höhe von 800.000 Schilling für eine Organisation, die für Eigenstaatlichkeit Österreichs eintrat, waren der Grund für die Inhaftierungen. Adolf Eichmann verlangte nach dem Quittungsfund von der IKG die Zahlung desselben Betrages. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, wurden Friedmann und weitere Präsidiumsmitglieder mit einem Prominententransport in das KZ Dachau eingeliefert.[6] Danach war Friedmann noch kurzzeitig im KZ Buchenwald inhaftiert.

Banknoten des Ghettos

Im Herbst 1942 wurde Friedmann gemeinsam mit seiner Ehefrau in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort wurde er als Mitglied des Ältestenrates am 24. November 1942 Stellvertreter des Judenältesten Jakob Edelstein und folgte in dieser Funktion dem verstorbenen Heinrich Stahl.[7] Er leitete in Theresienstadt die Bank der Jüdischen Selbstverwaltung, die eigene Banknoten herausgab.[8] Zudem war er gezwungen in dem ab Spätsommer 1944 im Ghetto gedrehten PropagandafilmTheresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ den Bankdirektor darzustellen. Vor Vertretern des Roten Kreuzes musste er Vorträge halten und sich in einem Wagen durch das Ghetto chauffieren lassen. Gemeinsam mit seiner Ehefrau wurde er im Oktober 1944 mit einem der letzten Transporte nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht.[9]

Seine beiden Töchter, die 1938 und 1939 nach Palästina emigrieren konnten, erhielten 2002 durch ein Schiedsgericht für nachrichtenlose Konten den Betrag von 47.400 Schweizer Franken von einem Schweizer Konto Desider Friedmanns zugesprochen.[1]

Am 8. Dezember 1957 wurde im 2. Bezirk der Stadt Wien auf dem Grundstück Ferdinandstrasse 23, wo sich bis zu den Novemberpogromen 1938 der Leopoldstädter Tempel befand, im Gedenken an Friedmann ein gemeindeeigenes Wohnhaus errichtet. Der Neubau wurde als „Desider-Friedmann-Hof“ eingeweiht.[10] Die Stadt Wien ehrte zudem 1990 das Gedenken an Desider Friedmann mit dem Desider-Friedmann-Platz im 1. Bezirk.

Literatur

  • Avraham Barkai, Paul R Mendes-Flohr, Steven M Lowenstein: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, C.H.Beck, 1997, ISBN 978-3-406-39706-6
  • Hans Günther Adler: Theresienstadt. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft 1941–1945 Nachwort Jeremy Adler. Wallstein, Göttingen 2005 ISBN 3-89244-694-6 (Reprint der 2. verb. Auflage Mohr-Siebeck, Tübingen 1960. 1. Aufl. ebd. 1955)
  • Claims Resolution Tribunal: Aktenzeichen: CV96-4849 betreffend das Konto des Kontoinhabers Desider Friedmann, (Inoffizielle Übersetzung des englischen Originaltextes) (pdf; 26 kB)
  • Marianne Enigl: In jedem Fall trägt der Jude die Verantwortung (Teil 2),. In: Profil, 9. Juli 2007. Ausgabe 28, 7. Juli 2007, S. 36 ff.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b CLAIMS RESOLUTION TRIBUNAL: Aktenzeichen: CV96-4849 betreffend das Konto des Kontoinhabers Desider Friedmann, (Inoffizielle Übersetzung des englischen Originaltextes) (pdf; 26 kB)
  2. Avraham Barkai, Paul R Mendes-Flohr, Steven M Lowenstein: „Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit“, C.H.Beck, 1997, ISBN 978-3-406-39706-6, S. 94
  3. Evelyn Adunka: Die Wiener Israelitische Kultusgemeinde nach 1945 und ihre heutigen Probleme (Memento vom 19. Oktober 2007 im Internet Archive), 2001
  4. Avraham Barkai, Paul R Mendes-Flohr, Steven M Lowenstein: „Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit“, C.H.Beck, 1997, ISBN 978-3-406-39706-6, S. 118
  5. Shoshana Duizend-Jensen: Jüdische Gemeinden, Vereine, Stiftungen und Fonds: „Arisierung“ und Restitution, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2004 ISBN 978-3-486-56787-8, S. 57
  6. Joachim Mehlhausen, Bruno Bettelheim: Leben lernen: Gedenken an Bruno Bettelheim, Mohr Siebeck, 1991, ISBN 978-3-16-145728-9, S. 27f.
  7. Hans Günther Adler: Theresienstadt. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft 1941–1945. Nachwort Jeremy Adler, Göttingen 2005, S. 115.
  8. Bank der Jüdischen Selbstverwaltung auf www.ghetto-theresienstadt.info
  9. Desider Friedmann auf www.ghetto-theresienstadt.info
  10. Zionistischer Landesverband Wien: Feierliche Einweihung, in: Die Stimme – Organ der allgemeinen Zionisten in Österreich, Dezember 1957, Ausgabe 104, S. 5 (pdf; 2,0 MB)