Donald Stellwag

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Donald Stellwag (* 1957 in Fuchsstadt, Unterfranken) ist ein deutsches Opfer eines Justizirrtums. Der frühere Hausmeister, der vor seiner Festnahme in Lauf an der Pegnitz lebte, saß wegen eines am 19. Dezember 1991 in Nürnberg verübten Bankraubes mit Geiselnahme, der ihm angelastet wurde, acht Jahre unschuldig im Gefängnis.

Ermittlungen und Verurteilung

Nachdem am 10. April 1992 in der ZDF-Fernsehsendung Aktenzeichen XY … ungelöst ein von der Überwachungskamera am Tatort gemachtes Foto des Täters ausgestrahlt worden war, wurde Stellwag von einem Polizeibeamten, der ihn flüchtig kannte, als möglicher Verdächtiger angezeigt. Weil Stellwag dem wirklichen Täter im Gesicht und in der Statur ähnelte (beide waren sehr groß und deutlich übergewichtig), identifizierten auch die Tatzeugen Stellwag als vermeintlichen Täter, sodass er im Februar 1993 unter dringendem Tatverdacht in Untersuchungshaft genommen wurde. Ausschlaggebend für seine Verurteilung im Jahr 1995 war ein anthropologisches Identitätsgutachten des Sachverständigen Cornelius Schott. Dieser meinte, Donald Stellwag auf dem Foto anhand seiner Ohren als Täter identifizieren zu können. Trotz der Aussage von acht Personen, die bezeugen konnten, dass sich Stellwag zum Zeitpunkt der Tat etwa 350 Kilometer vom Tatort entfernt in Sachsen aufgehalten hatte, und obwohl nirgends ein Fingerabdruck von ihm zu finden war, wurde er aufgrund dieses Gutachtens zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, die er auch vollständig verbüßte. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen der Uneinsichtigkeit des Angeklagten die für das Delikt gesetzlich vorgesehene Höchststrafe von 15 Jahren gefordert.

Haftzeit und nachträglicher Freispruch

Als „Tatleugner“ wurde Donald Stellwag eine besonders strenge Form des Strafvollzugs zuteil. Die ersten sechs Jahre musste er in Einzelhaft verbringen, die Möglichkeit zu sozialen Betätigungen und Berufstätigkeit innerhalb der Haftanstalt wurde ihm verwehrt. Auch eine vorzeitige Haftentlassung auf Bewährung kam nicht in Frage, da er als Voraussetzung dafür ein Geständnis ablegen und sich mit seiner „Schuld“ identifizieren hätte müssen.

Stellwag wurde am 14. Februar 2001 aus der Haft entlassen. Der wirkliche Täter, der Stuttgarter Frank Michael G., wurde wenige Wochen später festgenommen. Zwischenzeitlich war gegen Stellwag wegen eines weiteren Bankraubes ermittelt worden, den er während der Haftzeit begangen haben soll, obwohl er die Justizvollzugsanstalt Straubing zu diesem Zeitpunkt nachweislich nicht verlassen hatte. Diese Tat wurde später dem Täter zugeordnet, der auch schon jenen Überfall begangen hatte, der irrtümlich Stellwag angelastet wurde. Frank Michael G. gestand 2001 beide Taten und wurde für mehrere Raubüberfälle zu einer Freiheitsstrafe von elfeinhalb Jahren verurteilt. Vor Gericht entschuldigte er sich öffentlich bei Stellwag und gab an, von der Verurteilung des Unschuldigen nichts gewusst zu haben.

Donald Stellwag, der von Demütigungen seitens seiner Mitgefangenen berichtete, während der Haftzeit an einem Gehirntumor litt und an Diabetes erkrankte, ist seit seiner Entlassung erwerbsunfähig. Nach seinem Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren wurde ihm eine Haftentschädigung von etwa 60.000 DM (20 DM pro Hafttag) gewährt, von denen ihm jedoch nur rund 39.000 DM ausgezahlt wurde. Der Rest wurde für die Verköstigung in der Justizvollzugsanstalt einbehalten.

Nachwirkungen des Falls

Stellwag hat als soziales Engagement seit 2001 einen Buchverleih für Strafgefangene aufgebaut. Laut eigener Angabe hat ihm vor allem das Lesen und Schreiben geholfen, die Jahre im Gefängnis ertragen zu können.

Der Fall stieß auf ein großes Medieninteresse. Über ihn wurde im April 2002 ein Dokumentarfilm im WDR-Fernsehen gesendet. Ferner wurde über den Fall in einer Dokumentation des Südwestrundfunks mit dem Titel Unschuldig im Knast ausführlich berichtet. Darin erklärt Stellwag, dass er es für skandalös hält, dass Schott nach diesen Fällen bis heute immer noch als Gutachter tätig sein darf und er dadurch, so wörtlich, „noch immer ein immenses Geld verdient, auf Kosten von Menschen die unschuldig sind“[1]. Im Mai 2005 trat Donald Stellwag zusammen mit seinem Rechtsanwalt Erich Bäckerling in der ARD-Talkshow Menschen bei Maischberger auf, am 11. Oktober 2007 wurde er zusammen mit seinem Anwalt in der Johannes B. Kerner-Show im ZDF interviewt. An der Sendung vom 14. April 2009, die unter dem Thema „Justizirrtümer und Justizopfer“ gesendet wurde, nahm er ebenfalls teil. Dort war auch der Richter anwesend, der das Fehlurteil gesprochen hatte. Dabei erklärte der Richter, dass er sich nicht entschuldigen würde, denn er habe keine Schuld auf sich geladen.

Neben Donald Stellwag wurden noch zwei weitere Personen aufgrund von Schott-Gutachten unschuldig verurteilt, darunter eine Krankenschwester, die wegen angeblichen Scheckkartenbetrugs 1996 eine Bewährungsstrafe von einem Jahr erhalten hatte und 2000 wegen nachgewiesener Unschuld nachträglich freigesprochen wurde.[2]

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Az. 19 U 8/2007) verurteilte Cornelius Schott am 2. Oktober 2007 zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 150.000 Euro an Donald Stellwag[3]. Dabei handelte es sich um den ersten Fall in Deutschland, bei dem ein Sachverständiger für ein fehlerhaftes Gerichtsgutachten zivilrechtlich haftbar gemacht wurde.[4] Laut seiner eigenen Aussage will Stellwag mit dem Geld eine „Gesellschaft unschuldig verurteilter Opfer (GUVO)“ gründen.

Verwicklung in einen Goldraub und einen Uhren-Betrug

Nach seiner Haftentlassung war Stellwag ins Schmuck- und Uhrengeschäft eingestiegen und dabei als Geschäftsmann unter dem Pseudonym Harald Steinbach tätig.[5] Stellwag wurde vorgeworfen, sich als Informant wegen Tatbeteiligung an einem „Goldraub“ strafbar gemacht zu haben. Am 15. Dezember 2009 überfiel eine Gruppe einen Goldtransporter auf der Bundesautobahn 81. Stellwag wird vorgeworfen, einen Mitarbeiter des Beraubten ausgehorcht und dann Insiderwissen an die Täter weitergegeben zu haben.[6][7][8]

Stellwag wurde am 9. Juni 2010 festgenommen, jedoch aus gesundheitlichen Gründen noch am selben Tag wieder aus der Haft entlassen.[8][9] Das Verfahren gegen Stellwag wurde vom Landgericht Stuttgart von dem Verfahren gegen die übrigen Tatbeteiligten abgetrennt.[10] Der als einer der Täter verurteilte Rapper Xatar bezichtigte Stellwag in seinem Geständnis vor Gericht, Drahtzieher des Überfalls gewesen zu sein.[11] Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass die Goldräuber ihren entscheidenden Tipp von Donald Stellwag bekommen hatten.[12] Zu einer Verurteilung Stellwags deswegen kam es allerdings nie, da ein gerichtlich beauftragter Gutachter zu dem Ergebnis kam, dass der mehr als 200 Kilogramm wiegende und schwerkranke Stellwag dauerhaft sowohl haft- als auch verhandlungsunfähig ist.[13][14]

Seit 2015 wird erneut gegen Stellwag ermittelt, diesmal wegen Betrugs. Ein Schmuckhändler hatte einem Schweizer Geschäftsmann, gegen eine Summe von 300 000 Euro, die Lieferung von 14700 Uhrwerken versprochen. Doch die Uhrwerke kamen nie an. Der Angeklagte in jener Sache sagte aus, er habe nur seinen Namen und sein Firmenkonto für das Geschäft hergegeben, hingegen habe Donald Stellwag das alles eingefädelt. Nach Aussage des Schmuckhändlers soll es der "korpulente Nachbar" (Stellwag) des Geschäftsmanns gewesen sein, der dem Schweizer Uhrenhändler mehr als 300 000 Euro mit einem Betrugsgeschäft aus der Tasche gezogen hat. Das Geld habe Donald Stellwag in bar kassiert. Stellwag war 2015 untergetaucht und für die Staatsanwaltschaft nicht auffindbar. Er streitet über seinen Anwalt Manfred Neder jede Schuld und Beteiligung an dem Goldraub und dem Uhren-Betrug ab.[5][13][14]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. TV-Dokumentation "Unschuldig im Knast"; in: SWR - Südwestrundfunk vom 19. Oktober 2009
  2. Fachmann für Fehlurteile; in: Focus online vom 6. August 2001
  3. Urteil des OLG Frankfurt vom 2. Oktober 2007, Az. 19 U 8/07
  4. hr-online.de: Justizopfer bekommt Schmerzensgeld; in: Hessischer Rundfunk vom 2. Oktober 2007
  5. a b Ist Justizopfer Stellwag in Betrugsprozess verwickelt?; in: nordbayern.de vom 16. Juli 2015
  6. Focus, Heft 40/2010 Seite 51: Denn Blei kann folgen
  7. Das Leben, ein Gefängnis; in: Süddeutsche Zeitung Online vom 19. Juni 2010
  8. a b Donald Stellwag erneut vor Gericht; in: Süddeutsche Zeitung Online vom 16. Juli 2010
  9. Justiz-Opfer im Visier; in: neumarktonline.de vom 19. Juni 2010
  10. Wer war die treibende Kraft? - Neue Erkenntnisse im spektakulären Fall; in: nordbayern.de vom 9. September 2010
  11. Goldräuber legt Geständnis ab; in: nordbayern.de vom 9. Mai 2011
  12. Hohe Haftstrafen für Goldräuber; in: Stuttgarter Zeitung vom 22. Dezember 2011
  13. a b Donald Stellwag: Vom Justizopfer zum Betrüger?; in: Abendzeitung München vom 7. August 2015
  14. a b Ein Name wie ein Fluch; in: Süddeutsche Zeitung Online vom 7. August 2015