Elmar Michel

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Elmar Michel als Zeuge während der Nürnberger Prozesse (um 1947).

Elmar Michel (* 16. Juni 1897 in Waiblingen; † 1977) war ein deutscher Staatsbeamter.

Leben

Nach dem Besuch des humanistischen Karlsgymnasiums in Stuttgart und der Teilnahme am Ersten Weltkrieg studierte Michel Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft an den Universitäten Tübingen und Berlin. 1921 promovierte er in Tübingen mit einer von Johann Heinrich Pohl betreuten Dissertation zum Doktor der Rechte. Sein zweites juristisches Staatsexamen legte er 1923 ab.[1]

1925 trat Pohl ins Reichswirtschaftsministerium ein und war in den folgenden zwanzig Jahren in diesem bzw. seiner Nachfolgebehörde, dem vereinigten Reichs- und Preußischen Wirtschaftsministerium, als Referent und Abteilungsleiter tätig. Michel konnte seine Laufbahn nach 1933 ohne Schwierigkeiten fortsetzen und wurde in den 30er Jahren bis zum Ministerialdirektor befördert. Er war Kommentator und Mitinitiator des Reichsrabattgesetzes (RabG) vom 25. November 1933, das nach seinen Worten zusammen mit dem Gesetz zum Schutz des nationalen Einzelhandels vom 12. Mai 1933 eine »Läuterung des Wettbewerbs« bewirken sowie »Entartungen« des Handels bekämpfen sollte[2]. In die NSDAP trat Michel 1940 ein.

Vom 13. Juli 1940 bis August 1944 amtierte Michel als Chef der Wirtschaftsabteilung der deutschen Militärverwaltung für das besetzte Frankreich in Paris. In dieser Eigenschaft war er unter anderem für die „Entjudung“ der französischen Wirtschaft zuständig. Nach dem Weggang von Werner Best, dessen antisemitische Maßnahmen zur Entrechtung der Juden Michel bereitwillig unterstützt hatte[3], übernahm Michel außerdem die Leitung der Verwaltungsabteilung und damit die zivile Gesamtverwaltung beim deutschen Militärbefehlshaber Frankreich.

Nach Kriegsende wurde Michel von den Alliierten interniert und sagte bei den Nürnberger Prozessen als Zeuge aus. Im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1946/47 wurde verschiedentlich aus von ihm abgezeichneten Schriftstücken und von ihm verfassten Zeitungsartikeln, u.a. im Zusammenhang mit der Rekrutierung von Fremdarbeitern, zitiert. Im Jahr 1948 wurde er entlassen und danach als „Entlasteter“ entnazifiziert, wurde allerdings 1949 vom US-amerikanischen CIC erneut verhaftet und gemäß den Londoner Statut an Frankreich ausgeliefert, wo ihm der Prozess wegen der wirtschaftlichen Ausplünderung Frankreichs gemacht werden sollte. Der Botschafter Otto Abetz war dort 1949 verurteilt worden, aber die Anklagevorbereitung in Frankreich zog sich hin, so dass Michel vorläufig in die Bundesrepublik zurückreisen durfte. Als der Prozessbeginn für März 1954 festgelegt wurde, intervenierten Michels ehemalige Untergebene in Frankreich, die nun Positionen in der Bonner Ministerialbürokratie besetzten, darunter Walter Bargatzky, beim Justizminister Thomas Dehler, beim Bundeskanzler Konrad Adenauer und dessen Staatssekretär Hans Globke, weil nunmehr auch andere Verbrechen aus der Besatzungszeit aufgerollt zu werden drohten. Auch die französischen ehemaligen Bürokraten der Vichy-Regierung hatten kein Interesse daran, ihre Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland aufzudecken. Als der Prozess auf Betreiben des französischen Innenministers Jules Moch (1893−1985) trotzdem stattfand, wurde der französische Militärstaatsanwalt vom französischen Verteidigungsministerium angewiesen, die Anklage fallen zu lassen, und der deutschen Botschaft wurde mitgeteilt, dass ein Erscheinen Michels im Prozess nicht erforderlich sei. Das Abwesenheitsverfahren endete folglich am 10. November 1954 mit einem Freispruch.[4]

Von der Adenauer-Regierung erhielt Michel sofort danach den bereits angekündigten Posten eines Ministerialdirektors im Bundeswirtschaftsministerium, in dem er bis 1955 die Abteilung II (Wirtschaftsförderung, Handwerk, Handel, Gewerbe, Technik) leitete. 1956 wurde er Vorstandsvorsitzender und später Aufsichtsratsvorsitzender der Salamanderwerke in Stuttgart, der damals größten Schuhfabrik Westeuropas. Hermann Reiff zufolge galt er damit damals "als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der bundesdeutschen Wirtschaft"[5] Daneben war Michel Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels sowie Vorsitzender des Arbeitskreis für verteidigungswirtschaftliche Fragen des Deutschen Industrie- und Handelstages. Ferner war er Vorsitzender des Markenverbandes, dessen Ehrenvorsitzender er 1972 wurde, und Ehrenmitglied des Instituts der Wirtschaftsprüfer und Arbeitsgemeinschaft der Wirtschaftsprüfer und der Arbeitsgemeinschaft Außenhandel des deutschen Einzelhandels.

1967 trat Michel noch einmal öffentlich hervor als Leiter einer vom Bundestag eingesetzten und nach ihm benannten „Kommission zur Untersuchung der Wettbewerbsgleichheit von Presse, Funk/Fernsehen und Film“. Diese befasste sich mit der Frage der rundfunkpolitischen Entwicklung der Bundesrepublik und prüfte insbesondere die Frage einer Freigabe des Rundfunkmarktes für private Sender.

Michel war seit 1946 mit Wanda Fitzner verheiratet, mit der er eine Tochter hatte. Aus seiner ersten Ehe hatte er bereits eine Tochter und einen Sohn.

Schriften

  • Die behördliche Nachprüfung der Rechtmässigkeit und Verbindlichkeit von Gesetzen und Verordnungen. Im Lichte des neuen Reichsstaatsrechts, 1921.
  • Das Gaststättengesetz vom 28. April 1930 in der Fassung der Gesetze vom 3. Juli 1934, 9. Oktober 1934 und 27. September 1938 und der wichtigsten reichs- und landesrechtlichen Ausführungs- und Nebenbestimmgn, Berlin 1938. (zuerst 1930; als Michel-Kienzle 2003 in der 14. Auflage)
  • Einzelhandel und Einzelhandelsschutz, einschließlich Gaststättengewerbe, Hamburg 1937.
  • Das Rabattgesetz [Gesetz über Preisnachlässe] vom 25. November 1933 nebst Durchführungsverordnung vom 21. Februar 1934 und Nebengesetzen, München 1934.
  • Allgemeine Grundsätze der Kostenrechnung nach dem Erlaß des Reichswirtschaftsministeriums und des Ministerpräsidenten Generanll Feldmarschalls Göring vom 16. Januar 1939, Berlin 1939.
  • Bericht der Kommission zur Untersuchung der rundfunkpolitischen Entwicklung im südwestdeutschen Raum (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland), Kornwestheim 1970.

Literatur

  • Wer ist wer?, Bd. 17, 1971, S. 723.
  • Götz Aly: Rasse und Klasse. Nachforschungen zum deutschen Wesen, S.Fischer, Frankfurt/M. 2003. ISBN 978-3-10-000419-2
  • Bernhard Brunner: Der Frankreich-Komplex. Die nationalsozialistischen Verbrechen in Frankreich und die Justiz der Bundesrepublik Deutschland. Wallstein, Göttingen 2004, ISBN 3-89244-693-8.

Einzelnachweise

  1. Otto Kopp: Widerstand und Erneuerung., Seewald Verlag Stuttgart 1966, S. 199
  2. Götz Aly: Das Rabattgesetz, ein Nachruf. Berliner Zeitung vom 25. Juli 2011. Unter dem Titel Handfeste Brauchbarkeit. Das Rabattgesetz oder die Freiheit des Feilschens auch in Götz Aly (2003): Rasse und Klasse. Nachforschungen zum deutschen Wesen, S. 61-69
  3. Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft. 1903–1989. Dietz, Bonn 1996, S. 264
  4. Bernhard Brunner: Der Frankreich-Komplex., S. 111-114
  5. Hermann Reiff: Erlebtes Baden-Württemberg: Erinnerungen eines Ministerialbeamten, 1985, S. 165.