Forcing

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Erzwingung)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Forcing (deutsch auch Erzwingung oder Erzwingungsmethode) ist in der Mengenlehre eine Technik zur Konstruktion von Modellen, die hauptsächlich verwendet wird, um relative Konsistenzbeweise zu führen. Sie wurde zuerst 1963 von Paul Cohen entwickelt und verwendet, um die Unabhängigkeit des Auswahlaxioms und der Kontinuumshypothese zu beweisen. Diese Leistung ist 1966 durch die Verleihung der Fields-Medaille gewürdigt worden. Die Forcing-Methode ist von verschiedenen Mathematikern vielfach weiterentwickelt worden.

Die Grundidee der Forcing-Methode besteht darin, einem gegebenen Modell der Mengenlehre (dem Grundmodell ) eine bestimmte Menge derart hinzuzufügen, dass wieder ein Modell von ZFC entsteht (die generische Erweiterung ). Die Konstruktion verläuft so, dass in dem Grundmodell approximiert werden kann; dies ermöglicht, Eigenschaften von , wie z. B. die Ungültigkeit der Kontinuumshypothese, durch eine in dem Grundmodell definierbare Sprache auszudrücken und so nachzuweisen.

Im Folgenden sei ein abzählbares, transitives Modell von ZFC. Für die Rechtfertigung dieser Annahme siehe unten unter Forcing und relative Konsistenzbeweise.

Bedingungsmengen und generische Filter

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unter einer Bedingungsmenge versteht man ein in definiertes Tripel , wobei eine Quasiordnung auf ist, die als größtes Element besitzt. Die Elemente von heißen Bedingungen. Eine Bedingung ist stärker als eine Bedingung , falls . In der Anwendung sind die meisten Bedingungsmengen antisymmetrisch, also Halbordnungen. Für die Theorie muss dies allerdings nicht gefordert werden.

Eine Menge heißt dicht, falls

falls also für jede Bedingung eine stärkere Bedingung in existiert, bzw. konfinal in liegt. Ein Filter heißt generisch, falls er jede dichte Teilmenge aus trifft, falls also für alle dichten gilt.

Aus dem Lemma von Rasiowa-Sikorski folgt, dass für jedes ein generischer Filter existiert, der enthält. Für alle interessanten Bedingungsmengen liegt nicht in .

Mit transfiniter Rekursion wird nun die Klasse aller -Namen in definiert:

Demnach gehört die leere Menge zu , denn die rechte Bedingung ist für trivialerweise erfüllt. Weiter gehören alle mit zu den Namen, denn wegen und (M ist transitiv!) ist und der zweite Teil der Bedingung gilt, weil wir ja bereits wissen (Rekursion!), dass usw.

Die Gesamtheit der Namen bildet für eine echte Klasse.

Die generische Erweiterung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auf definiert man die zweistellige Relation durch:

Da diese Definition den Filter verwendet, ist sie im Allgemeinen nicht in durchführbar. Sei nun rekursiv definiert durch

Die generische Erweiterung wird definiert als das Bild von unter . Das Modell ist also der Mostowski-Kollaps von .

Die Forcing-Relation

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für eine Formel und definiert man nun

(lies: „ erzwingt für “),

falls für alle -generischen mit gilt:

Die Definition von verwendet den Filter , der im Allgemeinen nicht in liegt. Es zeigt sich jedoch (Definierbarkeitslemma), dass sich eine äquivalente Definition von in durchführen lässt:

ist eine definierbare Klasse in

Weitere Eigenschaften von sind:

  • Gilt und ist , so auch (Erweiterungslemma).
  • (Wahrheitslemma).

Mittels dieser Relation lassen sich also alle Eigenschaften von als Eigenschaften von auffassen. Nun kann man zeigen, dass für jede Bedingungsmenge und jeden -generischen Filter ein Modell von ZFC ist. Während grundlegende Axiome wie das Paarmengenaxiom, das Vereinigungsmengenaxiom oder die Existenz der leeren Menge direkt nachzuprüfen sind, benötigt man für die stärkeren Axiome wie das Ersetzungsschema, das Aussonderungsschema oder das Potenzmengenaxiom die Forcing-Relation.

Will man beispielsweise eine Menge nach aussondern, so ist

ein Name für die gesuchte Menge. Darüber hinaus gilt für das Modell :

  • ist transitiv;
  • ;
  • ;
  • enthält keine neuen Ordinalzahlen: ;
  • ist das kleinste transitive Modell mit und .

Antikettenbedingung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Schwierigkeit besteht bei der Betrachtung von Kardinalzahlen in : Jede Kardinalzahl in , die in liegt, ist auch dort eine Kardinalzahl. Die Umkehrung gilt allerdings im Allgemeinen nicht. Dies hat zur Folge, dass in überabzählbare Mengen in abzählbar werden können. Wählt man allerdings die Bedingungsmenge so, dass jede Antikette von in abzählbar ist („abzählbare Antiketten-Bedingung“, oft auch c.c.c. genannt nach der englischen Bezeichnung countable chain condition) so ist für jeden -generischen Filter jede Kardinalzahl auch Kardinalzahl im Sinne von .

Allgemeiner gilt: Ist in eine reguläre Kardinalzahl und hat jede Antikette in kleinere Mächtigkeit als („P erfüllt die -Antiketten-Bedingung“), so ist jede Kardinalzahl in auch Kardinalzahl in .

Forcing und relative Konsistenzbeweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Um die Widerspruchsfreiheit einer mathematischen Theorie zu zeigen, genügt es nach dem Gödelschen Vollständigkeitssatz, ein Modell anzugeben, das alle Aussagen aus erfüllt (dies entspricht dem Modell ). Da nach dem zweiten Gödelschen Unvollständigkeitssatz die Existenz eines solchen Modells für „starke“ Theorien (d. h. insbesondere für ) nicht bewiesen werden kann, muss man sich auf relative Konsistenzbeweise beschränken, sprich, die Existenz eines Modells für ZFC zusätzlich voraussetzen (dies entspricht dem Modell ). Aufgrund der Sätze von Löwenheim-Skolem und Mostowski ist es keine Einschränkung, dieses Modell als abzählbar und transitiv anzunehmen.

Dieses Verfahren liefert allerdings nur einen relativen Konsistenzbeweis innerhalb von ZFC selbst (das heißt, die Formel ist in ZFC beweisbar). Für einen streng finitistischen Beweis, der in der Angabe eines Verfahrens besteht, das den Beweis eines Widerspruchs von konkret in einen solchen von umwandelt, muss man weiter ausholen: Sei ein Widerspruchsbeweis von gegeben. Nach dem Kompaktheitssatz gibt es bereits eine endliche, widersprüchliche Teiltheorie . Da für den Beweis, dass pro Axiom nur endlich viele Axiome verwendet werden, lässt sich nun eine Theorie finden, sodass gilt:

  • Ist ein abzählbares, transitives Modell von , so gilt für ein -generisches :
  • , ist aber immer noch endlich.

Nach dem Reflexionsprinzip gibt es ein (wieder ohne Einschränkung abzählbares, transitives) Modell mit . Es gilt also in der generischen Erweiterung . Da ZFC beweist, dass ein Modell besitzt, aber widersprüchlich ist, ist ZFC selbst widersprüchlich.

Da es auf die konkret verwendeten Teilsysteme bzw. nicht ankommt, hat es sich in der Praxis durchgesetzt, von als einem Modell von ganz ZFC zu sprechen, wie wir es hier auch getan haben.

Anwendung: Unbeweisbarkeit der Kontinuumshypothese

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Kontinuumshypothese besagt, dass die Mächtigkeit der Potenzmenge der Menge der natürlichen Zahlen gleich derjenigen der ersten überabzählbaren Kardinalzahl ist. Diese Aussage ist in ZFC weder widerlegbar noch beweisbar. Ersteres hatte Kurt Gödel bereits 1939 bewiesen (siehe Konstruierbarkeitsaxiom), Letzteres hat Paul Cohen 1963 mit Hilfe der dazu von ihm entwickelten Forcing-Methode gezeigt. Es folgt eine Skizze des Beweises:

Die Potenzmenge der Menge der natürlichen Zahlen entspricht umkehrbar eindeutig der Menge der 0-1-Folgen, also der Menge der Funktionen von in die Menge , die in der Mengenlehre als bezeichnet wird. Ihre Mächtigkeit wird ebenfalls mit bezeichnet. Die kleinste überabzählbare Kardinalzahl wird mit bezeichnet, die nächstgrößere mit . Die Kontinuumshypothese besagt dann , ihre Verneinung .

Für den Beweis sei das Grundmodell ein abzählbares, transitives Modell von ZFC, in dem die Kontinuumshypothese gilt. Ziel ist es, eine generische Erweiterung zu konstruieren, in der gilt. Die Idee ist, dem Grundmodell -viele paarweise verschiedene 0-1-Folgen hinzuzufügen, sodass die Mächtigkeit von in der generischen Erweiterung mindestens beträgt. Oder anders ausgedrückt: Man braucht eine injektive Funktion von nach , die diese -vielen 0-1-Folgen „nummeriert“. Aufgrund von entspricht diese einer Funktion von nach .

Man definiert deshalb in als Bedingungsmenge die Menge der „endlichen Approximationen“ an so eine Funktion, das heißt die Menge aller partiellen Funktionen von nach mit endlichem Definitionsbereich:

Diese Menge ist geordnet durch die Obermengen-Beziehung , es gilt also genau dann , wenn durch fortgesetzt wird.

Ist dann ein -generischer Filter, so betrachtet man . Wegen ist auch und aus der Generizität von folgt:

  • ist eine totale Funktion
  • Die Komponentenfunktionen sind paarweise verschiedene Funktionen von nach

In gilt damit die Abschätzung

Mit Hilfe des Delta-Lemmas zeigt man schließlich, dass die abzählbare Antikettenbedingung erfüllt und daher in als zweite überabzählbare Kardinalzahl erhalten bleibt. Die Kontinuumshypothese ist im Modell somit verletzt.

Man hat damit gezeigt: Wenn ZFC widerspruchsfrei ist, dann kann die Kontinuumshypothese nicht in ZFC bewiesen werden.

Weitergehende Methoden

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]