Global Governance

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Der Begriff Global governance ist eine Bezeichnung sowohl für ein politisches Programm als auch für ein politik- bzw. sozialwissenschaftliches Forschungsprogramm. Als politisches Programm meint Global governance die kooperative, multilaterale Gestaltung der Globalisierung. Wegweisend waren der 1987 veröffentlichte Brundtland-Bericht, das Ende des Kalten Krieges und der 1995 vorgelegte Abschlussbericht Our Global Neighbourhood der Commission on global Governance.

Komplementär zu diesen gesellschaftlichen Entwicklungen wurde in den Sozialwissenschaften Global governance als Forschungsprogramm aufgegriffen. In der Tradition des (neo)liberalen Institutionalismus, hier insbesondere der Interdependenztheorien, stehend, untersuchen die Global-Governance-Ansätze die Verdichtung der internationalen Kooperation und die Transformation des internationalen Systems, in welchem sich das anarchische System souveräner Nationalstaaten augenscheinlich zu einem Mehrebenensystem unter Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure wandelt. Die wohl früheste wirkmächtig gewordene Publikation ist Governance without Government von Czempiel und Rosenau (1992), in der versucht wurde, Autorität als „systems of rule“ (dt.: „Herrschaftssysteme“) zu modellieren, die ohne formal berechtigten und mit Gewaltmonopol ausgestatteten Akteur zum Tragen kommt.

In Abgrenzung zu Government betont der Begriff Governance die Abwesenheit einer formalen Hierarchie und hebt im weitesten Sinne auf die kollektive Regulierung von gesellschaftlichen Aktivitäten ab. Je nach Begriffsverständnis der einzelnen Autoren kann „Governance“ sowohl komplementär als auch übergeordnet zu „Government“ verstanden werden. Diese sehr weitreichende Begriffskonzeption ist ein wesentliches Argument für kritische Reflexion von Global governance. Claus Offe bezeichnete den Begriff Global governance als „empty signifier“, als bedeutungsleere Worthülle, die beliebig verwendet würde.

Als deutsche Übersetzung wurden beispielsweise Weltinnenpolitik, Weltordnungspolitik oder globale Ordnungs- und Strukturpolitik vorgeschlagen. Keine dieser Varianten hat sich jedoch durchgesetzt, so dass in der Regel die englischsprachige Bezeichnung benutzt wird.

Definition

Dirk Messner definiert den Begriff als: „Entwicklung eines Institutionen- und Regelsystems und neuer Mechanismen internationaler Kooperation, die die kontinuierliche Problembearbeitung globaler Herausforderungen und grenzüberschreitender Phänomene erlauben.“[1] Der Begriff bezeichnet demnach das Streben nach, bzw. die Gesamtheit an Institutionen, Regelsystemen und Mechanismen, mit denen unterschiedliche Akteure globale Herausforderungen diskutieren und entscheiden.

Man kann mehrere Begriffsvariationen, die unter Global governance zusammengefasst werden, unterscheiden:

1. Nach neorealistischer Sichtweise ist Global governance ein Synonym für den deutschen Begriff internationale Politik. Er beschreibt den anarchischen Zustand in der internationalen Politik, in der die Nationalstaaten handeln. Global governance grenzt sich dabei von national governance ab. In diesem Sinne dient Global governance einfach zur Beschreibung der Strukturänderungen der internationalen Politik. Es werden Akteure auf verschiedenen Ebenen untersucht und deren Koordinationsmechanismen herausgearbeitet. Global governance ist in diesem Verständnis kein normativer Begriff, der gute oder schlechte Praktiken bezeichnet. Vielmehr werden damit die Kooperationsformen verschiedener Akteure auf der internationalen Ebene wertneutral beschrieben.
2. Dieser neorealistischen Sichtweise widerspricht die institutionalistische Sichtweise, dass durch die Bildung internationaler Regime die Kooperation zwischen Staaten gefestigt, verrechtlicht und somit einer gemeinsamen globalen Steuerung zumindest angenähert werden kann.
3. Im allgemeineren sozialwissenschaftlichen Bereich bezeichnet der Begriff Global governance die Suche nach globalen Problemlösungen im Zuge der Globalisierung. In diesem Verständnis ist Global governance eher als Konzept zu verstehen, wie man globale Probleme unter Abwesenheit einer Weltregierung (Global Government) lösen kann. Dabei verbindet sich mit dem Begriff ein Streben nach Problemlösung und der Versuch, unterschiedliche Akteure in ein Netzwerk an Institutionen und Regelungen einzubeziehen, die es erlauben, den Herausforderungen der Globalisierung zu begegnen. Mit Global governance ist dabei das lösungsorientierte, dezentrale Steuern von Globalisierungsprozessen durch freiwillige Kooperation unter Abwesenheit einer Weltregierung gemeint.

Abgrenzung zu anderen Begriffen

Global governance bedeutet nicht Global Government (Weltregierung). Im Rahmen von Global-Governance-Prozessen behalten die Nationalstaaten ihre Souveränität, praktizieren aber Formen der freiwilligen Kooperation. Allerdings wird diese Beschränkung teilweise kritisiert, so etwa von weltföderalistisch ausgerichteten Wissenschaftlern, die unter Global governance vielmehr einen entwicklungsoffenen Prozess verstehen, der durchaus in Formen globalen Regierens münden könne.

Global governance geht über die Bedeutung des Begriffes internationale Politik hinaus, sofern man nicht das neorealistische Verständnis (s. o.) zu Grunde legt. Internationale Politik bezeichnet den politischen Bereich, in dem Staaten politische Beziehungen zueinander unterhalten. Global governance bezeichnet dagegen die Gesamtheit an Koordinationsprozessen unterschiedlicher Akteure, nicht nur staatlicher, mit denen globale Herausforderungen gemeistert und globale Chancen ergriffen werden können und grenzt sich von dem Begriff internationale Politik auch durch seine Problemlösungsorientierung ab.

Merkmale

Global governance wird durch bestimmte Handlungsweisen und Merkmale definiert:

  1. die Suche nach Lösungen länger andauernder, grenzüberschreitender Probleme (z. B. Wachstum der Weltbevölkerung),
  2. die Schaffung von neuen politischen Strukturen zur Lösung dieser Probleme (neben formellen spielen nun auch informelle Regelungen eine Rolle; dem Verhältnis von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren wird hierbei eine größere Bedeutung beigemessen),
  3. Thematisierung der Aufgabenverteilung verschiedener politischer Ebenen (Regelungsmuster staatlicher und nichtstaatlicher Akteure können auf der lokalen, nationalen, regionalen und globalen Ebene angesiedelt sein),
  4. die Suche nach politikfeldübergreifenden Ordnungsstrukturen und
  5. dynamisches, sich ständig wandelndes Konzept, das durch die Veränderung von Macht, Interessen, Werten und Ideen beeinflusst wird.

Ebenen

Die Architektur von Global governance kennt unterschiedliche Akteure auf verschiedenen Ebenen:

Ein Problem der Global governance liegt in den Nationalinteressen der souveränen Staaten. So widersprechen sich diese bezüglich der Notwendigkeit von weltumspannenden Problemlösungen häufig (beispielsweise das Streben der USA, ihre Wirtschaft nicht durch das Erfüllen des Kyoto-Protokolls zu behindern).

Global governance als akademische Disziplin

Angesichts der, wie oben dargestellt, nicht eindeutigen Verwendung des Begriffs Global governance als Konzept in der internationalen Politik haben einige Autoren vorgeschlagen, ihn nicht substantiell, sondern methodisch zu definieren. Demgemäß ist Global governance in diesem Sinne eine analytische Methode, die eine eigenständige Perspektive auf politische Vorgänge bietet, welche von derjenigen im existierenden Fach „Internationale Beziehungen“ abweichen kann[2]. Einige Universitäten, auch solche, die Studiengänge in „Internationale Beziehungen“ anbieten, haben mittlerweile eigene Global governance-Studiengänge eingerichtet.

Kritische Rezension

Kritisch gesehen wird der Steuerungs- und Problemlösungsgedanke, der dem Projekt Global governance innewohnt. Relevante Sachverhalte werden im Sinne von Regulierungsproblemen beschrieben, die durch möglichst effiziente Steuerung beseitigt werden können. Ulrich Brand hat Global governance im Sinne eines Hegemonialdiskurses nach Foucault analysiert. Er weist darauf hin, dass die Steuerungslogik nicht nach Ursachen oder Interessenkonflikten fragt, sondern eben nur nach der effizienten Problemlösungsmöglichkeit.[3] Problematisch wird ebenfalls das Auftauchen neuer, insbesondere privater, Akteure gesehen. NGOs, Privatunternehmen, Think Tanks oder Expertengruppen sind in der Regel nicht konstitutionell verankert und daher mit einem Legitimationsdefizit behaftet. Problematisch bleibt auch die Zurechenbarkeit von Verantwortung bei Multi-Stakeholder-Ansätzen unter Einbeziehung solcher neuartigen Akteure. Auf diesen Umstand macht beispielsweise John R. Bolton aufmerksam, wenn er schreibt: „[...] the civil society idea actually suggests a 'corporativist' approach to international decision-making that is dramatically troubling for democracy because it posits 'interests' (whether NGOs or businesses) as legitimate actors along with popularly elected governments“.[4] Die von Bolton schon angedeutete Vorstellung, die Problemlösung könne am besten durch (nichtstaatliche) Expertengruppen (interests) erfolgen, wie dies bei Haas’ Epistemic communities oder auch bei Slaughters „government networks“ der Fall ist, wird auch von Shapiro kritisch gesehen, demzufolge durch Global governance „experts and enthusiasts“ begünstigt werden, die ihre jeweiligen Interessen vertreten, doch „both knowledge and passion generate perspectives that are not those of the rest of us.“[5] Andere Autoren bestreiten, dass es die im Rahmen des Global-Governance-Konzeptes postulierte Veränderung im Policy-making-Prozess überhaupt gibt. Global Government nimmt an, dass es eine Machtverschiebung vom Staat zu nichtstaatlichen Akteuren im Sinne eines Nullsummenspiels gibt. Ole Sending und Iver Neumann haben dagegen unter Rückgriff auf Foucaults Governmentality-Begriff versucht zu zeigen, dass nichtstaatliche Akteure wie NGOs von Regierungen kooptiert werden, dass also der Gewinn an Regulierungskompetenz für den nichtstaatlichen Sektor nicht automatisch einen Verlust auf der Seite des Staates bedeutet.[6]

Einzelnachweise

  1. Messner, Dirk: Globalisierung, Global governance und Perspektiven der Entwicklungszusammenarbeit, in: Franz Nuscheler (Hrsg.): Entwicklung und Frieden im 21. Jahrhundert, Bonn 2000, S. 267-294.
  2. K.Dingwerth und P.Pattberg, "Global governance as a Perspective on World Politics", (2006) Global governance Bd. 12, S. 198.
  3. Ulrich Brand: „Order and regulation: Global governance as a hegemonic discourse of international politics?“ In: Review of International Political Economy 12(1), 2005, S. 155–176.
  4. John R. Bolton: „Should We Take Global governance Seriously?“ In: Chicago Journal of International Law, Nr. 1, 2000, S. 205-222.
  5. Martin Shapiro: „Administrative Law Unbounded: Reflections on Government and Governance“ In: Indiana Journal of Global Legal Studies, 8 (2), 2001, S. 369-377
  6. Ole Jacob Sending, Iver B. Neumann: „Governance to Governmentality: Analyzing NGOs, States, and Power“, In: International Studies Quarterly, Nr. 50, 2006, S. 651–672

Siehe auch

Literatur

  • Franz Nuscheler (Hrsg.): Entwicklung und Frieden im Zeichen der Globalisierung. Bonn 2000.
  • Maria Behrens(Hrsg.): Globalisierung als politische Herausforderung. Global governance zwischen Utopie und Wirklichkeit, Wiesbaden 2005.
  • Ulrich Brand et al.: Global governance. Alternative zur neoliberalen Globalisierung? Münster 2000.
  • Petra C. Gruber (Hrsg.): Nachhaltige Entwicklung und Global governance. Verantwortung, Macht, Politik. Opladen 2008. (Mit Beiträgen von Franz Nuscheler, Dirk Messner, Sven Gareis, Tanja Brühl, Florian Huber u. a.)
  • Hans-Jürgen Burchardt: Zeitenwende. Politik nach dem Neoliberalismus. Hannover 2004.
  • Klaus Dingwerth, Philipp Pattberg: Was ist Global governance? In: Leviathan 34 (2006), S. 377–399
  • Hartmut Ihne (2007): Global governance und wissenschaftliche Politikberatung – Tendenzen und Prinzipien, Baden-Baden, ISBN 978-3-8329-2452-2.
  • Lena Partzsch: Global governance in Partnerschaft. Die EU-Initiative 'Water for Life', Baden-Baden 2007.
  • James N. Rosenau, E.-O. Czempiel (Hrsg.): Governance without Government. 2. Aufl., New York 1995.
  • Helmut Willke: Global governance. transcript. Bielefeld 2006.
  • Markus Sardison: Global governance: Vom Machtkampf zum Lernprozess. Konzeptionelle Überlegungen aus der Perspektive einer ökonomischen Ethik. Berlin 2009
  • Michael Zürn: Regieren jenseits des Nationalstaates. Frankfurt am Main 1998.

Weblinks