Universitas Studii Erfordiensis

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Rektoratssiegel der Hierana

Hierana ist die landläufige Benennung für die von 1392 bis 1816 bestehende alte Erfurter Universität, Universitas Studii Erfordiensis (auch Erfordensis, Erffordensis oder Erffurtensis). Diese Bezeichnung bezieht sich auf den Erfurt durchquerenden Flusslauf die Gera (lat.: hiera), an deren beiden Ufern sich die Liegenschaften und Einrichtungen der Universität befanden: die an der Gera liegende.

Geschichte

Das Collegium Maius, das von 1511 bis 1515 errichtet wurde und als Hauptgebäude der Hierana fungierte. Hier: Rohbau 2007 (nach Zerstörung 1945)

Die alte Erfurter Universität war eine der ersten Universitätsgründungen Deutschlands. Nach Prag (1348), Wien (1365), Heidelberg (1386) und Köln (1388) nahm sie als fünfte Hochschule im Heiligen Römischen Reich den Lehrbetrieb auf. Die bereits im Jahr 1379 von Papst Clemens VII. auf Antrag der Erfurter Bürgerschaft erteilte Gründungsurkunde hatte wegen des Abendländischen Schismas zwar noch nicht zur Universitätsgründung geführt, wird aber von einigen Forschern als eigentliches Gründungsdatum angesehen, womit Erfurt als die älteste Alma mater im heutigen Deutschland gelten würde. Mit dem bis ins 13. Jahrhundert zurück reichenden Generalstudium weist sie in jedem Falle die längste Hochschultradition auf.[1]

Außer Erfurt besaß nur Köln eine städtische Universität, alle anderen deutschen Universitäten waren fürstliche Gründungen. Sie war eine von Anfang an eine mit allen Rechten ausgestattete Volluniversität und umfasste die Fakultäten der Juristen und Theologen ebenso wie die der Artisten (spätere philosophische und naturwissenschaftlich-mathematische Fakultäten) und Mediziner. Im Gegensatz zu anderen Hochschulen in Deutschland wurde in Erfurt neben dem kanonischen Recht auch das bürgerliche Recht gelehrt.

Studentenburse (bursa pauperum) der alten Erfurter Universität

Auf Grund der zentralen Lage Erfurts am Schnittpunkt europäischer Verkehrswege, entwickelte sich die Universität bald zu einer der namhaftesten Bildungsstätten Zentraleuropas. Zeitweise mit mehr als 1100 Lehrkräften und Studenten und mit 35.707 Immatrikulierten während der Jahre 1392 bis 1521 war sie damals nach Wien die am stärksten besuchte deutschsprachige Hochschule. Ihr Ruf veranlasste auch Martin Luther, 1501 nach Erfurt zu gehen und hier 1505 den Magister Artium zu erwerben, das geistige Rüstzeug für sein späteres Wirken. Wer gut studieren will, der gehe nach Erfurt, hatte er empfohlen und andere Universitäten gegenüber der Universität Erfurt als „kleine Schützenschulen“ bezeichnet. Der Humanist Eobanus Hessus (1488 - 1540), der ab 1504 in Erfurt studierte, verkündete: Erfurt strahlt im Ruhm der Wissenschaft, vor allen Städten Deutschlands trug es im Wettkampf die Siegespalme davon.

Nachdem die Universität Erfurt im Zeitalter der Reformation und des Humanismus ihre höchste Blüte erreicht hatte, kam es infolge des Pfaffenstürmens 1521 zu einem Bedeutungsverlust. Die Revolutionskriege und die napoleonische Ära hatten den Niedergang und die Schließung von insgesamt 22 deutschen Universitäten zur Folge. Nach der Rückkehr Erfurts zu Preußen stellte der zuständige Minister 1815 fest, dass auch die Erfurter Universität vom „Verfall“ betroffen ist, der sich in der „bis zum Unbedeutenden verminderten Zahl der Studierenden, in den Lehrern“ und ihren sonstigen Einrichtungen zeigt. Die Universität betreibt „Doktorpromotionen als Gewerbe, um den Verlust von Gehältern und Einkünften zu ersetzen“, wobei „insonderheit“ die medizinische Fakultät „[...] Schaden [stiftet]“, und empfahl ihre Schließung.[2] König Friedrich Wilhelm III. schloss die Erfurter Universität im Jahre 1816, während der preußische Staat für die neue Provinz Sachsen, zu der Erfurt nun gehörte, die Universität Halle-Wittenberg errichtete.

Anlässlich der Gründung der Universität Erfurt 1994 nahm der damalige Thüringer Ministerpräsident Bernhard Vogel Bezug auf die Tradition der Hierana, wenngleich die Neugründung keine Volluniversität, sondern rein geistes- und sozialwissenschaftlich ausgerichtet ist. Auch die zuvor von 1954 bis 1993 bestehende Medizinische Akademie Erfurt sah sich in der Tradition der alten Universität und verwendete beispielsweise deren Rektoratssiegel.

Hinterlassenschaften

Einige, teils gut erhaltene oder nach Zerstörung wiedererrichtete Gebäude - wie das Collegium Maius - im ehemaligen Universitätsviertel Erfurts erinnern an die Hierana. Ein Antiquariat und akademische Buchhandlung in diesem Bereich trägt den Namen Hierana. Mit der Bibliotheca Amploniana, der Privatbibliothek des zweiten Rektors Amplonius Rating de Berka (um 1365−1435), die er 1412 der Hochschule übereignete, besitzt Erfurt eine weltberühmte Handschriftensammlung vorwiegend medizinischer Texte. Diese größte Bibliothek eines Gelehrten aus vorhumanistischer Zeit vermittelt einen umfassenden Überblick über die gesamte zeitgenössische Medizin, wie sie bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts in Europa gelehrt wurde.

Literatur

  • Erich Kleineidam: Universitas studii Erfordensis: Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt im Mittelalter 1392-1521. Teil 1: 1392-1460. 1964, 2. erw. Auflage Leipzig 1985. Teil 2: Spätscholastik, Humanismus und Reformation: 1461 - 1521. 1969, 2. erw. Auflage Leipzig 1992. ISBN 3-7462-0603-0. Teil 3: Die Zeit der Reformation und Gegenreformation, 1521 - 1632. Leipzig 1980. Teil 4: Die Universität Erfurt und ihre theologische Fakultät von 1633 bis zum Untergang 1816. Leipzig 1981.
  • Almuth Märker: Geschichte der Universität Erfurt 1392-1816. (Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt. Bd. 1) Weimar 1993. ISBN 3-7400-0814-8
  • Robert Gramsch: Erfurt - Die älteste Hochschule Deutschlands. Vom Generalstudium zur Universität. (Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt. Bd. 9) Erfurt 2012. ISBN 978-3-95400-062-3
  • Steffen Raßloff: 1389 - 1816 - 1994. Ein historischer Überblick. In: Campus, Zeitschrift der Universität Erfurt. Sonderausgabe zum 10-jährigen Bestehen der Universität Erfurt. Erfurt 2004. S. 6 f.
  • Steffen Raßloff: Universität Erfurt. Tradition und Gegenwart. In: Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt 22 (2004). S. 13.
  • Abe, H. R.: Die Medizinische Akademie Erfurt als Traditionsträgerin der Erfurter Universität … in: Festschrift 600 Jahre Universität Erfurt – vier Jahrzehnte Medizinische Akademie Erfurt, Verlag und Druckerei Fortschritt Erfurt 1992.
  • Rektorat der Medizinischen Akademie Erfurt (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt; ab 1984: Beiträge zur Wissenschafts- und Hochschulgeschichte Erfurts. 1956 bis 1990 (22 Bände).

Weblinks

Einzelnachweis

  1. Robert Gramsch: Erfurt - Die älteste Hochschule Deutschlands. Vom Generalstudium zur Universität (Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt. Bd. 9). Erfurt 2012. ISBN 978-3-95400-062-3
  2. Auszug aus dem Bericht in einer Veröffentlichung der Erfurter Universitätsgesellschaft, 2009, Teil I., Tafel 05 „Die Schließung der Alten Universität Erfurt“: PDF