Hubert Schardin

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Hubert Schardin 1963

Hubert Reinhold Hermann Schardin (* 17. Juni 1902 in Deutsch Plassow, Kreis Stolp; † 27. September 1965 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Ballistiker, Ingenieur und Hochschuldozent, der überwiegend im Bereich der Kurzzeitfotografie und der Hochfrequenzkinematografie forschte.

Außerdem war er Direktor des deutsch-französischen Forschungsinstituts (ISL) in Saint-Louis sowie Gründer und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Kurzzeitdynamik – Ernst-Mach-Institut (EMI) – in Freiburg im Breisgau.

Wissenschaftliche Bedeutung

Die Hauptbedeutung der wissenschaftlichen Tätigkeit von Hubert Schardin liegt in der Kurzzeitphysik. Er setzte die Forschungen Ernst Machs und Fritz Ahlborns fort [1], welche in etwa 1.000 Veröffentlichungen niedergelegt sind. Er hatte maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung von elektro- und magnetoptischen Kurzzeitverschlüssen sowie auf die Fotografie und Kinematografie mit Hilfe des elektrischen Funkens und des Röntgenblitzes ausgeübt. Zudem entwickelte er die Kurzzeitmesstechnik, eine zunächst für die speziellen Probleme der Ballistik bestimmte Disziplin, zu einer allgemeinwissenschaftlichen Messtechnik, erschloss neue Anwendungsgebiete und wies auf solche hin. Bahnbrechend war die 1929 zusammen mit Carl Cranz entwickelte Funkenzeitlupenkamera. Schardin hatte bedeutenden Anteil an der Entwicklung der Sprengstoff-Hohlladung, die später für panzerbrechende Waffen militärisch genutzt wurden.

Seit 1969 wird die Hubert-Schardin-Medaille vom Internationalen Kongress für Kurzzeitphotographie und Photonik (unter Mitwirkung des Fachverbandes Kurzzeitphysik) verliehen.[2]

Leben

Schardin wurde als erstes Kind eines Lehrers geboren. Nach Schulbesuchen in Hebrondamnitz und Stolp, wo er 1922 das Abitur bestand, studierte er an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg, an der er 1926 das Diplom-Examen in der Fachrichtung „Technische Physik“ ablegte.

Zunächst arbeitete Schardin als Privatassistent und von 1930 bis 1935 als ständiger Assistent bei dem damals führenden Ballistiker Geheimrat Carl Cranz, den er als seinen Doktorvater gewinnen konnte und 1934 mit Auszeichnung zum Thema „Über das Töplersche Schlierenverfahren“ promovierte. Anschließend, im Herbst 1935, begleitete Schardin seinen Doktorvater nach China, wo beide für das chinesische Militär ein ballistisches Institut in Nanjing aufbauten. Noch während sich Schardin in China aufhielt, wurde er im November 1935 als Leiter der Institute für Technische Physik und Ballistik der Technischen Akademie der Luftwaffe (TAL) in Berlin-Gatow berufen. Schardin kehrte zu Jahresbeginn 1936 nach Berlin zurück und begann an der Akademie zu arbeiten. Schwerpunkte seiner Arbeit waren ballistische Untersuchungen und Arbeiten über feste Körper, besonders zu Glas und Glasbruch.[3] Am 1. Dezember 1937 wurde er zum außerordentlichen Professor und 1942 zum ordentlichen Professor an der TH Berlin ernannt, wo er bis 1945 tätig war. Gegen Kriegsende wurde das Institut für Technische Physik und Ballistik von Berlin-Gatow nach Biberach an der Riß verlegt.[4]

Institut ISL in Saint-Louis

Schardin steht für die Gründung des deutsch- französischen Forschungsinstitutes ISL im französischen Saint-Louis.

Da sich mit Kriegsende unter den Alliierten ein regelrechter Wettlauf gegen die Zeit um das Wissen deutscher Forscher und Ingenieure entwickelte, stand auch die Technische Akademie der Luftwaffe, der Schardin vorstand, im Fokus Frankreichs und der USA. Schardin wurde von Frankreich zusammen mit seinem Team dazu gebracht, für die französische Regierung im elsässischen Saint-Louis zu arbeiten. Am 1. August 1945 nahm Schardin mit 32 deutschen Wissenschaftlern als französischer Staatsangestellter die Arbeit in Saint-Louis auf. Er zog daraufhin mit seiner Familie in das nahe gelegene deutsche Weil am Rhein.

Schardin, mittlerweile wissenschaftlich-technischer Direktor, setzte im Institut seine Untersuchungen zum Komplex Glas sowie zu Bruch- und Zerreißvorgängen fort. Im Umfeld militärischer Forschungen untersuchte er auch Explosionen und Detonationen. Ab 1954 forschte er überwiegend im Bereich der Schutzbauten und des zivilen Bevölkerungsschutzes gegen Atomwaffen bzw. deren Druckwirkung.

Zusammen mit dem französischen General-Ingenieur Robert Cassagnou baute Schardin das Institut weiter aus, bis es schließlich im Jahre 1959 – nach zweijährigen Verhandlungen - zum deutsch-französischen Forschungsinstitut St. Louis (ISL) umgewandelt wurde.[5]

Institut EMI in Freiburg

Nach Etablierung des ISL in Saint-Louis (1945) suchte Schardin sofort Kontakt zur nächstgelegenen deutschen Universität, in Freiburg im Breisgau. Dort wurde er 1947 in der Technischen Physik an der Albert-Ludwigs-Universität zum Honorarprofessor ernannt, wo er die Abteilung für angewandte Physik gründete. Diese Abteilung wurde 1959 aus dem Verband der Universität ausgegliedert und 1959 als Ernst-Mach-Institut (EMI) in die Fraunhofergesellschaft überführt. [6]

Nach anfänglich durch die Besatzungsmacht auferlegten Restriktionen konnten nach 1955 unter Schardins Leitung neue Arbeitsgebiete zunächst in der Abteilung für angewandte Physik und später vor allem im EMI aufgenommen werden. Beispielsweise: Verhalten dynamisch belasteter Baustoffe, Berst- und Zerreißvorgänge an Gläsern und Kunststoffen, Gasdynamische und aerodynamische Vorgänge, Probleme der Stoßwellenphysik, Entwicklung von Simulatoren für Stoß- und Blastwellen. Schardin erhielt für seine erfolgreichen glasphysikalischen Untersuchungen von der Deutschen Glastechnischen Gesellschaft im Jahre 1958 den „Georg-Gehlhoff-Ring“ und von der „Society of Motion Picture an Television Engineers“ die Dupont-Medaille verliehen.

Ab 1960 wurde in einem alten Steinbruch der Versuchsplatz Wintersweiler als Außenstelle I des EMI aufgebaut, um Spreng- und Simulationsversuche durchführen zu können. 1964 wurde in Weil am Rhein, dem Wohnort von Schardin, die Abteilung für Ballistik als Außenstelle II des EMI gegründet.

Im Oktober 1964 wurde Professor Schardin als Leiter der Abteilung Wehrtechnik in das Bundesministerium der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland berufen. Schardin, der vier Töchter hatte, starb am 27. September 1965 an einem Herzinfarkt. Anlässlich seiner Beisetzung am 3. Oktober 1965 in Weil am Rhein erwiesen über 500 Gäste Schardin die letzte Ehre, darunter Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel.

Schriften

  • Die Grundlagen einer exakten Anwendung und quantitativen Auswertung der Toeplerschen Schlierenmethode. VDI-Verlag G.m.b.H., Berlin 1934. - Dissertation
  • Veröffentlichungen der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm. Nr. C 142, Beschuss von Drähten und Panzerplatten. Institut f. d. wiss. Film, Göttingen 1937
  • Bemerkungen zum Druckausgleichsvorgang in einer Rohrleitung. In: Phys. ZS. Band 2, 1932, S. 60–64. (Grundlage zur Theorie des Stoßwellenrohrs)

Literatur

  • Heinz Reichenbach: Hubert Schardin (1902-1965): his life and work. In: John M. Dewey, Roberto G. Racca (Hrsg.): 20th International Congress on High Speed Photography and Photonics. Proc. SPIE. Bd. 1801, 1993, S. 2-9.
  • H. Trischler, R. vom Bruch: Forschung für den Markt, Geschichte der Fraunhofer Gesellschaft. Verlag C.H. Beck, München 1999. (besonders die Abschnitte über Verteidigungsforschung)
  • H. Reichenbach: Contributions of Ernst Mach to Fluid Mechanics. In: Ann.Rev. Fluid. Mech. Band 15, 1983. (u.a. Begründung für die Wahl des Institutsnamens EMI)
  • Gary S. Settles: Schlieren and Shadowgraph Techniques. Visualizing Phenomena in Transparent Media (Experimental Fluid Mechanics).Verlag Springer, Berlin 2001.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. :Archiv-Info des Deutschen Museums 2006, Heft 2, S. 5, über den Nachlass Schardins
  2. Homepage der Deutschen Physikalischen Gesellschaft vom 7. Dezember 2011
  3. Archiv-Info des Deutschen Museums 2006, Heft 2, S. 5, über den Nachlass Schardins.
  4. Geschichte des ISL
  5. Geschichte des ISL.
  6. Archiv-Info des Deutschen Museums 2006, Heft 2, S. 5, über den Nachlass Schardins.