Jägers Liebeslied

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 14. Mai 2016 um 19:53 Uhr durch M2k~dewiki (Diskussion | Beiträge) (→‎Umfeld: + Ilija Dürhammer). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Erste Seite von Jägers Liebeslied in der alten Schubert-Gesamtausgabe von Breitkopf & Härtel, 1894

Jägers Liebeslied (Deutsch-Verzeichnis 909), volkstümlich nach der ersten Zeile auch Ich schieß’ den Hirsch genannt, ist ein von Franz Schubert im Februar 1827 vertontes Gedicht Franz von Schobers. Das Lied erschien 1828 in Schobers Lithografischem Institut im Druck.

Inhalt

Das in der Tonart D-Dur gehaltene Lied ist von einem unbefangen-heiteren Gestus und beschreibt zunächst verschiedene Jagdabenteuer. Die Vertonung wechselt in der Tonalität zwischen D-Dur → B-Dur → d-moll → D-Dur und nutzt dies zum Einbinden verschiedener Quartsprünge in Anklängen an das klassische Jagdsignal.[1]

Ich schieß’ den Hirsch im grünen [dunklen] Forst,
Im stillen Tal das Reh,
Den Adler auf dem Klippenhorst,
Die Ente auf dem See.
Kein Ort, der Schutz gewähren kann,
Wenn meine Flinte zielt,
Und dennoch hab’ ich harter Mann
Die Liebe auch gefühlt.[2]

Das lyrische Ich wird dabei im Refrain von einer sinnlichen Liebe erreicht und im wiederkehrenden Refraingestus wird wiederholt, dass der Jäger eingangs die Liebe auch gefühlt oder diese ihm ins Ins wilde Jägerblut geschlagen habe. Das besungene Liebchen stellt sich auch in den erweiterten Schlussstrophen als Mann heraus, an dessen Grab das lyrische Ich weint.

Ich sah den Freund dahingestreckt, Gefällt von Ebers Zahn,
...
Ich hab' ihn in das Gras gelegt Und keine Träne rann.
Und dennoch hab' ich harter Mann, Geweint an Liebchens Grab.

Umfeld

Parallel entstand das ebenfalls von Schober verfasste und von Schubert vertonte Schiffers Scheidelied. Beide Lieder beziehen sich dabei auf das mehrmals unterbrochene Zusammenleben Schuberts mit Schober.[1] Sie sind – laut Christoph Schwandt (1997, 180) – „zwei Sinnbilder vom Dasein des Mannes“ und laut Ilija Dürhammer „Hohelieder auf die Männerliebe, deren autobiographischer Bezug naheliegt“.[3][4] Bei dieser Liebesjagd wird auf die mögliche Vorlage Jägers Abendlied von Johann Wolfgang von Goethe angespielt, dessen An den Mond ebenso den männlichen Geliebten anspricht.[5]

Selig, wer sich vor der Welt Ohne Hass verschließt,
Einen Freund am Busen hält Und mit dem genießt

Dies weist auf ein Nachwirken des frühromantischen Freundschaftsbegriff ein, der gleichgeschlechtliche Freundschaftsbeziehungen in einem Maße thematisierte und pflegte, der in späteren Zeiten etwas irritierend wirkte.

Lob der Freundschaft

Anspielungen auf die innige Freundschaft von Schober und Schubert sind nach Thomas Phleps ebenso in der Verwendung verschiedener Schubert-Schober-Kennzahlen in der Komposition des Kunstliedes zu finden. Die verwendete Tonalität, D-Dur mit ihren zwei notenschriftlichen Kreuzen, verweist Phleps zufolge ebenso auf ein gebräuchliches Freundschaftsmotiv Schuberts.[1] Richard Böhm sieht bei den D-Dur Kompositionen, die bei Schubert eher selten und bei vergleichsweise minderen Kompositionen vorkämen, vor allem heitere Szenen sowie Liebe und Glück angesprochen. [6]

Und doch [Ich fühl’s] mit allem Glück vereint,
Das nur auf Erden ist,
Als [Wie] wenn der allerbeste Freund
Mich in die Arme schließt.

Phleps sieht keinen Sinn in einer Einordnung der beiderseitigen Freundschaftsbeziehung als homosexuell, nicht weil diese bei Schubert nicht nahe läge, [7] sondern weil es sich dabei wie bei den verbreiteten weinselig-weibernärrischen Konstrukten um Schubert um nachmalige Klischees eines streng normativen Wissenschaftsglaubens handle. [1]

Das Lied selbst spielt bewusst mit dem Genus, dem grammatisch weiblichen Geschlecht der Lichtgestalt und des Liebchens und des Sexus des damit angesprochenen Freundes.

Wenn sie dann auf mich niedersieht,
Wenn mich ihr Blick durchglüht,
Da weiß [Dann fühl’] ich, wie dem Wild geschieht,
Das vor dem Rohre flieht.

Das Lied widmete Schubert der Erstausgabe zufolge Maria Karolina Fürstin Kinsky, geb. Freiin von Kerpen, der Frau von Ferdinand von Kinsky.

Verwendung

Das Lied selbst wurde unter anderem in Kommersbüchern als Jägerlied aus Siebenbürgen um 1843 nachmalig als Volkslied rubriziert. Neben mehreren hinzugefügten Jagdstrophen kommt bei der Verwendung als Studentenlied noch eine Farbenstrophe hinzu.

Im Zusammenhang mit der Feuernacht wie generell den Sprengstoffanschlägen der 1960er Jahre in Südtirol, als Dutzende Strommasten gesprengt wurden und weitere teilweise tödliche Anschläge etwa auf Carabinierikasernen verübt wurden, kamen auch am Rechtsrock orientierte Fortdichtungen zustande.[8]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Thomas Phleps: "Affectionen einer lebhaft begehrenden Sinnlichkeit" Verschlüsselte Botschaften in Schubert-Liedern, in: Kunstwerk und Biographie. Gedenkschrift Harry Goldschmidt. Hg. v. Hanns-Werner Heister (Zwischen/Töne. Neue Folge – Band 1). Berlin: Weidler Buchverlag 2002, S. 335–360.
  2. Im Haupttext Schuberts Textwahl, in Klammern Schobers ursprüngliche Formulierung.
  3. Der Wandel des Schubert-Bildes im 20. Jahrhundert. In: »Dialekt ohne Erde …« • Franz Schubert und das 20. Jahrhundert (= Studien zur Wertungsforschung 34), hrsg. v. Otto Kolleritsch, Wien 1998, 253.
  4. Ilija Dürhammer: »Affectionen einer lebhaft begehrenden Sinnlichkeit« • Der »Schobert«-Kreis zwischen »neuer Schule« und Weltschmerz. In: Schuberts Lieder nach Gedichten aus seinem literarischen Freundeskreis • Auf der Suche nach dem Ton der Dichtung in der Musik – Kongreßbericht Ettlingen 1997, hrsg. v. Walther Dürr, Siegfried Schmalzriedt u. Thomas Seyboldt, Frankfurt/Main 1999, 39-58.
  5. Ilija Dürhammer: Schuberts literarische Heimat: Dichtung und Literatur-Rezeption der Schubert-Freunde. Böhlau Verlag, Wien 1999, 406 Seiten.
  6. Richard Böhm: Symbolik und Rhetorik im Liedschaffen von Franz Schubert, Böhlau Verlag Wien 2006.
  7. vgl. Christoph Schwandt (1997): "Unaussprechlich, unbegriffen". Indizien und Argumente aus Leben und Werk für die wahrscheinliche Homosexualität des Franz Schubert. In: Musik-Konzepte, H. 97/98 (Franz Schubert Todesmusik), S. 112–194.
  8. Beispiel bei einem Wiki einer Studentenverbindung