Psychopathologie

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Der Begriff Psychopathologie (von ψυχή psyché „Hauch“, „Seele“, „Gemüt“ und πάθος, páthos „Leiden[schaft], Sucht, Pathos“ und logos „Wort, Vernunft, Sinn, Lehre“) bedeutet: die Lehre von den psychischen Erkrankungen. Der Begriff wurde im 19. Jahrhundert geprägt vom Freiburger Psychiater Hermann Emminghaus.[1]

Die Psychopathologie ist ein Teilbereich der Psychiatrie und der Klinischen Psychologie. Sie beschäftigt sich mit den Formen eines krankhaft veränderten Bewusstseins, Erinnerungsvermögens und Gefühls- bzw. Seelenlebens. Sie beschreibt Symptome psychischer Störungen, die in ihrer Komplexität dann als Erscheinungsformen psychischer Erkrankungen benannt werden.

Psychopathologie wird als Teilgebiet der Psychiatrie an medizinischen Fakultäten sowie an einigen Universitäten als Teilgebiet der Klinischen Psychologie unterrichtet.

Gesundheit, Krankheit und Störung

In der modernen Psychiatrie und Psychotherapie wird an der Stelle von Krankheit von Störung (untergliedert in Psychische Störung und Verhaltensstörung) gesprochen, da das Wort Krankheit stigmatisieren kann. Das Wort wäre nur korrekt, wenn Symptommuster, Verlauf, Behandlung etc. bekannt und eindeutig wären. Zur Annäherung an eine Definition werden folgende Punkte untersucht: statistische Seltenheit, inadäquate Reaktionen, Leidensdruck, Verletzung der sozialen Norm etc. Sind einige der genannten Kriterien erfüllt, kann eine psychische Störung oder eine Verhaltensstörung angenommen werden. Zur Diagnose bedarf es jedoch einer detaillierten Anamnese (Erforschung der Krankengeschichte) und Differenzialdiagnostik (Abgrenzung von anderen Störungs- bzw. Krankheitsbildern). Nach der genauen Exploration (weiteren Erkundung) von möglichen Krankheitssymptomen wird mit Hilfe eines Klassifikationssystems (ICD-10 oder DSM-IV) die passende Diagnose erstellt. Eine Diagnose dient der Auswahl von Therapiemethoden.

Abgrenzung von Psychopathologie und Pathologie

Während Pathologie (Pathologische Anatomie) die körperlichen Aspekte von Kranksein und Krankheit untersucht, befasst sich die Psychopathologie mit deren psychischen Bedingungen. Da Psychopathologie auch die körperlichen Auswirkungen auf seelisches Befinden umfasst, ist eines ihrer Hauptgebiete die psychophysische Korrelation, d.h. der Zusammenhang von körperlicher und seelischer Auffälligkeit.[2] Es besteht auch heute noch in der Medizin eine Konkurrenz verschiedener Theorien, die sich aus dem dialektisch seit über 2000 Jahren ungeklärten Leib-Seele-Problem ergibt. Der historisch bedeutsamste Zusammenhang ist der von Psychopathologie und Neurologie. Hieraus entwickelten sich die historisch bedeutsamen Positionen der Somatiker.

Aus der Kenntnis neurologischer Gesetzmäßigkeiten haben sich bedeutende Fortschritte der Psychopathologie ergeben, z. B. auf dem Gebiet der Leistungspsychologie unter Zugrundelegung des Reflexbogens. Therapeutisch konnten sich diese Vorstellungen als lerntheoretische Grundlage der Verhaltenstherapie bewähren (Pawlow). Umgekehrt haben die Ergebnisse psychopathologischer Untersuchungen auch die Entwicklung der herkömmlichen (körperlichen) Medizin begünstigt (Psychosomatische Medizin). Methodische Unterschiede bestehen z. B. in den gegensätzlichen Sichtweisen des Aufwärts- und Abwärtseffekts für die Entstehung von Krankheiten. Aufwärtseffekt bedeutet die Verursachung von Krankheiten durch körperliche Veränderungen, Abwärtseffekt heißt Krankheitsentwicklung durch seelische Auffälligkeiten. Dieses Konzept vertritt das Prinzip der Wechselwirkungen zwischen Leib und Seele, was heute als am wahrscheinlichsten gilt (Schischkoff 1982). Pathologie und Psychopathologie konnten beide wesentliche Beiträge zur Nosologie (Krankheitslehre) erbringen. Die Abgrenzung beider Gebiete erbrachte also deutliche Vorteile für beide.

Als nachteilig ist die Überbewertung einer von beiden Disziplinen anzusehen. Dies wäre auf der einen Seite der Standpunkt des Materialismus, der in der Krankheitslehre begrifflich als Maschinenparadigma bekannt geworden ist, andererseits die Haltung des Psychologismus, die hauptsächlich zur Zeit der Romantik aufkam. Medizingeschichtlich sind in dieser Zeit auch die Standpunkte als die der Psychiker und Somatiker bedeutsam geworden. Allerdings dürfen die Psychiker nicht mit den psychologisierenden Theoretikern des Psychologismus verwechselt werden. Sie vertraten ein eher erzieherisches Konzept.[3] Als Neurologisierung wäre die Überbetonung neurologischer Aspekte für die Psychopathologie zu nennen, wie sie z. B. von Wilhelm Griesinger (1817–1868) vertreten wurde mit seinem Fazit: „Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten“ (Peters 1984). Sein Standpunkt wäre demnach als der eines Somatikers zu bezeichnen.

Geschichte der Psychopathologie

Die Geschichte der Psychopathologie ist eng mit der Geschichte der Psychiatrie verbunden. Die Anfänge der Psychopathologie können schon in der Antike, z. B. in Aristoteles Werk de anima veranschlagt werden. Die neuere Psychopathologie hat ihren Anfang im 19. Jahrhundert. Systematisch wurde die Psychopathologie von Karl Jaspers aufbereitet. Eine Studie von Sigmund Freud behandelt die "Psychopathologie des Alltagslebens". Die zunehmend wissenschaftlich fundierte Ausgestaltung der Krankheitsklassifikationssysteme ICD (International Classification of Diseases der WHO) und DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders der American Psychiatric Association) ist Spiegelbild der neuesten Entwicklungen der Psychopathologie soweit diese die Krankheitsdiagnosen betrifft.

Psychopathologische Symptome und Syndrome

Die psychopathologischen Symptome (Krankheitszeichen) und Syndrome (Komplex von Krankheitszeichen) bilden ein wichtiges Instrumentarium für die psychiatrisch/psychologische Diagnostik.

Durch das AMDP-System wurde eine Systematisierung dieser großen Zahl von Störungssymptomen vorgenommen. Dabei ergab sich folgende Gliederung:

Jede dieser Symptomgruppen enthält mehrere, genauer spezifizierte Symptome.

Siehe auch

Literatur

  • Karl Jaspers: Allgemeine Psychopathologie, Nachdruck der 5. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2013, ISBN 978-3-642-49410-9.
  • German Berrios: The History of Mental Symptoms, Cambridge University Press, ISBN 0-521-43736-9
  • Ackerknecht, Erwin H. (1985): Kurze Geschichte der Psychiatrie, 3. Auflage. Enke Verlag, Stuttgart, ISBN 3-432-80043-6, Seite 59
  • Werner Leibbrand, Annemarie Wettley: Der Wahnsinn. Geschichte der abendländischen Psychopathologie, Freiburg im Breisgau und München 1961 (= Orbis Academicus, II, 12)
  • Möller, Laux und Deister: Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart, ISBN 3-13-128543-5
  • Theo R. Payk: Psychopathologie. Vom Symptom zur Diagnose. 2. Auflage, Springer Berlin 2007, ISBN 978-3-540-35451-2 (= Springer Lehrbuch).
  • Peters, Uwe Henrik (1984): Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. 3. Auflage, Urban & Schwarzenberg, München, [s.n.], Seite 449 f. Eintrag Psychopathologie und Seite 223, Eintrag Griesinger, Wilhelm hier zum Stw. Neurologisierung
  • Thomas Poehlke: Psychiatrie GK 3, 16. Auflage, Thieme, Stuttgart 2003, ISBN 978-3-13-112976-5.
  • Christian Scharfetter: Allgemeine Psychopathologie. 6. Auflage, Thieme, Stuttgart 2010, ISBN 978-3135315065.
  • Georgi Schischkoff (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. 14. Auflage. Alfred Kröner-Verlag, Stuttgart 1982, ISBN 3-520-01321-5, Seite 402, Eintrag Leib-Seele-Problem, vgl. auch Peters, a. a. O. und sein Begriff der psychophysischen Korrelation
  • Ernst Ryffel: Neue Psychopathologie, 2012, ISBN 978-3-033-03273-6

Einzelnachweise

  1. Andrea P. Dubois: Wenn Kinderseelen leiden, TV-Doku von WDR/Arte, gesendet u. a. am 2. Dezember 2013 auf Arte.
  2. Peters, Uwe Henrik: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. Urban & Schwarzenberg, München 3. Auflage 1984, Stw. Psychopathologie, Seite 449.
  3. Erwin H. Ackerknecht: Kurze Geschichte der Psychiatrie. Enke, Stuttgart 31985, ISBN 3-432-80043-6, Seite 59 f.