Stabilisierung (Raumfahrt)

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Stabilisierung bedeutet in der Raumfahrt, dass eine Achse eines Raumflugkörper ohne weiteres Zutun eine bestimmte Richtung im Raum beibehält. Dazu können zwei Wirkmechanismen genutzt werden, der Gravitationsgradient oder Rotation (Spin). Lageregelung bedeutet dagegen, die räumliche Orientierung dreier Achsen beliebig zu ändern, siehe Attitude Determination and Control System.

Gravitationsstabilisierung

Geosat wurde über ein an einem Ausleger ausgefahrenes Gewicht gravitationsstabilisiert

Die Gravitationsstabilisierung ist nur in der Nähe eines schweren Himmelskörpers möglich. Während der Raumflugkörper in seinem freien Fall der mittleren Schwerebeschleunigung folgt, unterliegen seine dem Himmelskörper zugewandten Teile einer höheren Anziehung, die abgewandten Teile einer höheren Zentrifugalbeschleunigung. Dieser Schweregradient lässt sich zur Stabilisierung ausnutzen, indem der Flugkörper länglich konstruiert wird, also mit einer dominierenden Achse des Trägheitstensors. Solange die Hauptachsen schräg zum Radiusvektor (vom Zentralkörper zum Flugkörper) orientiert sind, wirkt durch den Gradienten ein Drehmoment mit Tendenz zu paralleler Ausrichtung der Längsachse. Der Satellit wird so entworfen, dass er in dieser stabilen Lage seine Aufgabe erfüllen kann. Diese Methode nutzten ältere Erdbeobachtungssatelliten sowie das Space Shuttle, wenn es gerade keine besondere Lage im Raum einnehmen musste. Bezüglich der Drehung um die Längsachse tritt keine Stabilisierung auf.

Spinstabilisierung

Rotation dient teils zur Stabilisierung, teils zur Lageregelung von Raumfahrzeugen: Satellitenspin (1), Drallstabilisierung (2), Reaktionsschwungräder (3) und Momentenkreisel (4)
Die Raumsonde Pioneer Venus 1 war spinstabilisiert und hatte einen entdrallten Turm mit einer zur Erde gerichteten Antenne

Die Spinstabilisierung nutzt den Effekt aus, dass sich ein um seine Längsachse rotierender Raumflugkörper ((1) in der Abbildung) wie ein Kreisel verhält und deshalb normalerweise nicht aus seiner Lage im Raum gebracht werden kann. Dieses gilt auch, wenn sich der Raumflugkörper in dem Schwerefeld eines Himmelskörpers befindet. Dies verleiht genügend Stabilität um die beiden zur Rotationsachse senkrechten Achsen. Die Spinachse kann nur schwer durch Steuerungstriebwerke beliebig im Raum ausgerichtet werden. Ein weiterer Nachteil ist, dass nur jeweils die Hälfte der an der Außenhülle angebrachten Solarzellen von der Sonne beschienen werden.

Das bekannteste Beispiel für einen spinstabilisierten Satelliten ist die Erde mit ihrer täglichen Umdrehung. Ein anderes Beispiel sind spinstabilisierte Nachrichtensatelliten, die ihre Spinachse so ausrichten, dass die Solarzellen auf ihrer Trommeloberfläche während der Rotation um ihre Achse nacheinander von der Sonne beschienen werden, während gleichzeitig ihre Antennen, an einem Ende der Trommel sitzend, von einem Motor entdrallt werden, so dass sie immer auf dasselbe Zielgebiet auf der Erde zeigen können. Man spricht dabei auch von einem dual-spin system. Da in der Schwerelosigkeit die Ausrichtung absolut stabilisiert wird und nicht relativ zur Erde, wird normalerweise eine Spinachse im rechten Winkel zur Orbitfläche verwendet. Eine Spinachse, welche anfangs zum Erdmittelpunkt zeigen würde, würde – bei Kreisbahn – nach einem Viertel des Umlaufs tangential zu diesem verlaufen und nach der Hälfte der Umlaufbahn würde die andere Seite der Spinachse zum Planeten zeigen.

Drallstabilisierung

Bei der Drallstabilisierung dreht sich nicht der ganze Raumflugkörper um seine Achse, sondern ein Trägheitsrad im Innern des Raumflugkörpers ((2) in der Abbildung). Das Trägheitsrad ist ein dauernd schnell drehender massereicher Körper, dessen Achse gegenüber dem Raumflugkörper unbeweglich ist. Die so erzeugte Kreiselkraft stabilisiert den Raumflugkörper. Zur Stabilisierung genügt ein einziges Drallrad, wegen der Ausfallsicherheit haben manche Raumflugkörper jedoch mehrere.

Der Vorteil der Drallstabilisierung ist, dass der Raumflugkörper fest ausgerichtet werden kann, um Antennen zur Erde, Solarpanels zur Sonne oder Beobachtungsinstrumente zum Zielobjekt auszurichten. Die Stabilisierung um die Rotationsachse erfolgt durch Drehzahländerung und dem damit verbundenen Reaktionsmoment. Auch bei dieser Stabilisierungsart kann der Raumflugkörper und damit auch die Achse des Drallrades von Steuertriebwerken beliebig im Raum gedreht werden. Die Steuerdüsen werden auch dazu verwendet, die Drift bei konstant einwirkenden Störmomenten von Zeit zu Zeit zu korrigieren. Im Englischen wird dies als biased momentum system oder momentum-bias system bezeichnet.

Manche Erdbeobachtungssatelliten sind so stabilisiert. Auch der europäische Kommunikationssatellit Symphonie enthielt so ein System. Das Space Shuttle hingegen verwendet normalerweise nur Steuerdüsen. Bei der Mission STS-99 im Jahre 2000 trat jedoch ein Leck in einer Leitung auf. Um die Mission nicht frühzeitig abbrechen zu müssen, wurde auf verschiedenste Weise Energie eingespart und zusätzlich verbesserte das übliche Training auf dem Ergometer die Stabilisierung der Raumfähre.[1]

Lageregelung durch Reaktionsräder

Komponenten zur Lageregelung des Hubble-Weltraumteleskops mit den 4 Reaktionsrädern (Reaction Wheels)
Die Voyagersonden werden mit Hydrazintreibstoff dreiachsenstabilisiert.
Steuerdüsen an der Nase des Space Shuttles

Die Lageregelung durch Reaktionsräder (3) in der Abbildung) ist nicht mit der Drallstabilisierung verwandt. Bei ihr stellen Sensoren die Lage im Raum gegenüber der Sonne und dem umkreisten Himmelskörper fest. Die so ermittelten Daten werden in Steuerbefehle an Reaktionsschwungrädern umgewandelt.[2][3]

Bei starr gelagerten Reaktionsrädern werden die benötigten Räder beschleunigt oder abgebremst. Durch die Regeln des Drehimpulserhaltungssatzes im Gesamtsystem Satellit bewegt sich das Satellitengehäuse in die entgegengesetzte Richtung. Die bei der Drallstabilisierung wichtige Kreiselwirkung ist in diesem Fall unerwünscht. Da die Rotationsgeschwindigkeit und damit der maximal erzeugbare Drehimpuls begrenzt ist, muss nach mehreren Korrekturen in dieselbe Richtung das System von Zeit zu Zeit „entsättigt“ werden. Dazu wird mit Steuerdüsen oder (in der Nähe von Planeten mit starken Magnetfeldern) Magnetspulen der Satellit „festgehalten“ um den Gesamtdrehimpuls der Räder wieder auf Null zu reduzieren. Da im Ausgangszustand kein Impuls wirkt, nennt man so ein System auch zero-bias system oder zero-momentum bias system. Normalerweise werden mindestens drei orthogonal angeordnete Reaktionsräder verwendet, eines für jede Raumachse. Oft ist zur Ausfallsicherheit ein viertes schräg angeordnet oder häufig werden alle vier Räder wie die Flächen eines Tetraeders angeordnet. Das Hubble-Weltraumteleskop besitzt vier große Reaktionsräder in anderer Anordnung zur Lageregelung. Als Sensoren werden dort verschiedene optische und magnetische Systeme sowie kleine Gyroskope verwendet, von denen aus Redundanzgründen sechs vorhanden, aber im Normalfall nur drei aktiv sind. Steuerdüsen können beim Hubble wegen der durch sie verursachten Verunreinigungen nicht zur Lageregelung eingesetzt werden.

Während mit Reaktionsrädern drei Komponenten des Drehimpulsvektors verändert werden, stellt man beim Control Moment Gyro (Momentenkreisel) Richtung und Größe dieses Vektors ein (4). Dazu dient ein ständig drehendes Trägheitsrad in einer kardanischen Aufhängung. Diese ist nicht frei, sondern wird motorisch in zwei orthogonalen Richtungen verstellt. Das dabei auftretende Reaktionsmoment dreht das Raumfahrzeug. Die Drehung um die Achse des Trägheitsrades wird über Drehzahländerungen kontrolliert. Diese Technik wird beispielsweise bei der Internationalen Raumstation eingesetzt.

Im Vergleich zu Reaktionsrädern und Momentenkreisel ist die Wirkung von Steuerdüsen grob. Ihre ausschließliche Verwendung ist zudem verschwenderisch, denn eine damit eingeleitete Drehung muss bald mit einem entgegengesetzten Impuls wieder zum Stillstand gebracht werden.

Schlussendlich bestimmt

  • die Lebensdauer der Reaktionsräder und
  • der Treibstoffvorrat für die oben beschriebene Entsättigung

als die Hauptfaktoren die Lebensdauer des Gesamtsystems, da schnell drehende Teile immer besonders störanfällig sind.

Bei Kommunikationssatelliten mit fester Orientierung zur Erde tragen die Hauptachsen die bei Flugzeugen üblichen Bezeichnungen, siehe roll-pitch-yaw. Ein Beispiel sind 3-achsig stabilisierte Nachrichtensatelliten, die auf diese Art so ihre Antennen ständig zur Erde ausrichten, während die aus dem Satellitenkörper ragenden Solarpaddel der Sonne folgen können.

Sonstige Verfahren

  • Satelliten, die im niederen Erd-Orbit (LEO) fliegen, können das Erdmagnetfeld zur Lageregelung benutzen. Dies kann passiv durch einen Stabmagneten erfolgen, so dass sich die Satelliten wie Kompassnadeln am Magnetfeld der Erde ausrichten können. Anspruchsvoller ist die aktive Regelung mit Magnetspulen (Magnettorquer), die auch zum Entdrallen von Reaktionsrädern genutzt werden, wenn diese ihre höchste Drehzahl erreicht haben. Dieses Verfahren wird im Hubble-Weltraumteleskop eingesetzt.
  • Eine selten eingesetzte Variante zur Lageregelung sind Solarklappen/segel. Diese bewegbaren Flächen können durch Ausnutzung des Sonnendruckes oder der geringen Atmosphäre, die im unteren LEO existiert (< 300 km), ein Drehmoment erzeugen und so die Lage des Satelliten verändern.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. AP: Radeln spart Sprit im All, Rhein-Zeitung, 16. Februar 2000
  2. Reaction/Momentum Wheel: Pictures and descriptions of High Torque Reaction/Momentum Wheel systems
  3. Hubbles Pointing control System