Sympathie (Medizin)

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Der Begriff Sympathie wurde in medizinischem Sinne bereits von dem altgriechischen Arzt Hippokrates von Kos verwendet.[1] Er bedeutet so viel wie „Mitgefühl“ oder „Mitleiden“. Auch der altgriechische Arzt Galenos gebrauchte den Begriff, um eine Beziehung zwischen den Organen zu benennen. Davon leitet sich die Bezeichnung des sympathischen Nervensystems durch Jacob Winslow im Jahr 1722 ab.[2] [3]

Georg Ernst Stahl

Georg Ernst Stahl (1659–1734) hat den Begriff „sympathisch“ in Abgrenzung zu dem Begriff „pathetisch“ gebraucht. Damit wollte er verschiedene Arten von Geisteskrankheiten voneinander unterscheiden. Mit sympathischen Geisteskrankheiten meinte er die durch Organe verursachten Störungen, unter pathetischen Geisteskrankheiten verstand er diejenigen Störungen, die nicht durch eine Organerkrankung hervorgerufen waren. Diese Unterscheidung erschütterte den alten Somatismus, der seit Hippokrates das psychiatrische Denken beherrscht hatte. Auch wenn Stahl nicht sehr viel über Geisteskrankheiten schrieb, so wurde seine Einteilung doch von vielen Theoretikern aufgenommen. Die „pathetischen Geisteskrankheiten“ Stahls wurden später nicht nur als Störungen mit funktioneller oder psychogener Auslösung beschrieben, sondern waren auch für die Krankheitslehre der endogenen Psychosen einflussgebend. Autoren, die solche Gedanken aufgriffen, waren Johann Friedrich Zückert, Christian Gottlieb Ludwig, Andrew Harper und Johann Gottfried Langermann.[4] Wie die Geschichte der funktionellen Syndrome zeigt, hat der Begriff „Sympathie“ zur Auseinandersetzung zwischen Psychikern und Somatikern beigetragen.

Robert Whytt

Robert Whytt (1714–1766) nannte seine ersten Experimente (1751) über Reflexe noch „Sympathie“.[4] Die Arbeiten fanden Beachtung bei den Vitalisten, die sie fortführten und dabei ebenfalls auf die „Harmonie der Nervenkraft“ Wert legten, wie sie sich z. B. bei verschiedenen Aufgaben an verschiedenen Stellen des Zentralnervensystems wie Rückenmark und Gehirn zeigt. Siehe dazu die Werke von Johann August Unzer, Georg Prochaska und Wilhelm Griesinger.[5] [6]

Psychiker

Der Begriff Sympathie spielt in der Medizin auch insofern eine Rolle, als bei der moralischen Behandlung, wie sie vielfach u. a. auch von den Psychikern vertreten wurde, die englische Moralphilosophie ein wichtiges Element darstellt. Shaftesbury hat die sympathy als wichtigen Aspekt des Sensus communis angesehen. Gleichwohl wird dieses philanthropische Moment von vielen Psychikern gerade in Deutschland häufig übersehen angesichts des von ihnen als erforderlich betrachteten Stellenwertes der Zwangsbehandlung. Anstelle des Entgegenbringens von Sympathie wird dabei die Forderung nach Anpassung gegenüber dem Kranken betont.[7] [8] [9]

Pierre Pomme

Pierre Pomme (1735–1812) verwendete in seiner 1763 erschienenen Abhandlung über die „Vapeurs“ den Begriff der Sympathie ebenfalls im Zusammenhang mit den neuen Nerventheorien. Hysterie und Hypochondrie seien durch zu große - sympathische - Nähe des Organismus zu sich selbst zu erklären. Diese Nähe wiederum sei durch ein Zusammenschrumpfen und Eintrocknen des Nervensystems („racornissement des nerfs“) bedingt.[10] [9] [11]

Schule von Montpellier

Auch die Schule von Montpellier verwendete den Begriff „Sympathie“ im medizinischen Sinne, siehe auch → Paul Joseph Barthez (1734–1806). Unter „Sympathie“ verstand man die Übereinstimmung der Eigengesetzlichkeit der Organe mit dem Zusammenwirken der Organe als Gesamtorganismus.

Simon-Auguste Tissot

Simon-Auguste Tissot (1728–1797) bezieht den Begriff „Sympathie“ auf die Ereignisse der Außenwelt. Nervös leidende Menschen haben ein zu sensibles Nervensystem und zugleich eine zu gefühlvolle Seele. Sie beziehen die Ereignisse der Außenwelt sympathisch mitfühlend unmittelbar auf sich. Durch diese z. T. extreme Resonanzfähigkeit und Sensibilität kann das Nervensystem in einen hochgradigen Zustand der Irritation geraten, dass die erlittenen Eindrücke nicht mehr verarbeitet werden können. Dem Individuum kann jedoch die Schuld hierfür gegeben werden, da es die unnatürlichen Reize des gesellschaftlichen Lebens den stets heilsamen Wirkungen des natürlichen Daseins vorgezogen hat. Tissot ist daher als Vertreter der moralischen Behandlung anzusehen.[9]

Franz Anton Mesmer

Franz Anton Mesmer (1734–1815) versuchte ebenfalls, die Ideen seiner Zeit, die Sensibilität, Irritabilität, Saitentheorie der Nerven, die Annahmen entfernter »sympathischer« Wirkungen, die vitalistische Lebenskraft, die Unmittelbarkeit der Natur von Jean Jacques Rousseau und Simon-Auguste Tissot, durch die physikalische Analogie mit der Gravitation, mit der Elektrizität und dem Magnetismus in einem einzigen rationalen und natürlichen Erklärungsschema zu vereinigen. Er verstand sich daher als Aufklärer und plädierte in seinem letzten Werk »Mesmerismus oder System der Wechselwirkungen« 1814 für eine demokratische Staatsordnung und für eine dem Vernunftkult der Revolution ähnliche Religion.[9]

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854), deutscher Philosoph, erörterte gemeinsam mit den Psychikern Fragen der körperlichen und seelischen Gesundheit. Er sah die Sympathie als Erscheinung des Gemüts.[9]

Max Scheler

Die Ausführungen von Max Scheler (1874–1928) zur Sympathie berühren im Rahmen seiner philosophischen Anthropologie die Medizin insofern, als die in seinem Werk verwendeten Begriffe wie Lebensgefühl, Leibgefühl, Vitalstörung, auch als sog. leibnahe Gefühle bzw. als Zönästhesien aufgefasst werden.[12] Max Scheler wird von Hans Walter Gruhle (1880–1958) rezipiert.[13] Die Vitalisten und viele andere philosophischen und medizinischen Schulen betrachteten Sympathie als den umfassenden Begriff für die inneren seelisch-körperlichen und die äußeren weltlichen Einflüsse. Sie sahen darin die Voraussetzung für einen kosmisch harmonischen Zusammenklang.[14]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Corpus Hippocraticum: Vorschriften 14
  2. Finger, Stanley: Minds behind the brain. A history of the pioneers and their discoveries. Oxford University Press, 2000, ISBN 0-19-518182-4. Seite 46
  3. Triepel, Hermann: Die Anatomischen Namen. Ihre Ableitung und Aussprache. Verlag von J. F. Bergmann, München 261962, bearbeitet von Robert Herrlinger; Seite 72
  4. a b Ackerknecht, Erwin H.: Kurze Geschichte der Psychiatrie. Enke, Stuttgart 31985, ISBN 3-432-80043-6; (a) zu Stw. „Stahl“: Seite 36; (b) zu Stw. „Whytt“: Seite 37
  5. Griesinger, Wilhelm: Über psychische Reflexactionen. In: Abhandlungen. Bd. I, Seite 4
  6. Jaspers, Karl: Allgemeine Psychopathologie. Springer, Berlin 91973, ISBN 3-540-03340-8; zum Stw. „psychischer Reflexbogen“: Seiten 130 ff., 133 ff., 150 f., 156
  7. Shaftesbury: Characteristics. Treatise II. Siehe insbesondere Part III, Sect. I.
  8. Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Gesammelte Werke, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1990, Hermeneutik I, Band I, ISBN 3-16-145616-5; zu Shaftesbury: Seite 29 f.; in Fortführung der Tradition von Shaftesbury die hermeneutischen Überlegungen von Johann Gustav Droysen Seiten 217 und 219 und Wilhelm Dilthey zur „Sympathie“: Seite 236 f.
  9. a b c d e Dörner, Klaus: Bürger und Irre. Zur Sozialgeschichte und Wissenschaftssoziologie der Psychiatrie. (1969) Fischer Taschenbuch, Bücher des Wissens, Frankfurt / M 1975, ISBN 3-436-02101-6; (a) zu Stw. „Shaftesbury“: Seiten 34, 37, 42, 78, 205; (b) zu Stw. „Pomme“: Seite 129; (c) zu Stw. „Tissot“: Seite 131; (d) zu Stw. „Mesmer“: Seite 134; (e) zu Stw. „Schelling“: Seite 263
  10. Ledermann, François: La psychiatrie française et les médicaments. Pomme, Pinel, Esquirol, Morel. In: Revue d'histoire de la pharmacie, 70e année, N. 254, 1982. pp. 189-206.[70. Jg., 254 (1982): 189-206]
  11. Pomme, Pierre: Traité des affections vaporeuses des deux sexes ou maladies nerveuses vulgairement appelées maux de nerfs. Lyon 1763; Seite 87 f.
  12. Scheler, Max: Wesen und Formen der Sympathie. Cohen-Verlag, Bonn 21923, 51948; zu Stw. „Leib- und Lebensgefühle“: Der Autor verwendet diese Begriffe, die hauptsächlich unmittelbar auf den Vitalismus zurückgehen.
  13. Gruhle, Hans Walter: Verstehende Psychologie. Erlebnislehre. Georg Thieme, Stuttgart 21956; Seiten 42, 43, 50, 52, 57, 58, 63, 64-68, 129
  14. Schischkoff, Georgi (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. Alfred-Kröner, Stuttgart 141982, ISBN 3-520-01321-5, Wb.-Lemma „Sympathie“: Seite 680