Versicherungsaufsichtsgesetz (Deutschland)

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Basisdaten
Titel: Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen
Kurztitel: Versicherungsaufsichtsgesetz       
Abkürzung: VAG
Art: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Bundesrepublik Deutschland             
Rechtsmaterie: Wirtschaftsverwaltungsrecht,
Versicherungsrecht
Fundstellennachweis: 7631-11
Ursprüngliche Fassung vom: 12. Mai 1901
(RGBl. S. 139)
Inkrafttreten am: 1. Juli 1901
Neubekanntmachung vom: 17. Dezember 1992
(BGBl. 1993 I S. 2)
Letzte Neufassung vom: Art. 1 G vom 1. April 2015
(BGBl. I S. 434)
Inkrafttreten der
Neufassung am:
1. Januar 2016
(Art. 3 G vom 1. April 2015)
Letzte Änderung durch: Art. 3 G vom 26. Juli 2016
(BGBl. I S. 1824, 1836)
Inkrafttreten der
letzten Änderung:
1. Januar 2017
(Art. 4 G vom 26. Juli 2016)
GESTA: G028
Weblink: Text des Gesetzes
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) (Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen) regelt die staatliche Beaufsichtigung der Versicherer und Pensionsfonds, also jedes Marktteilnehmers, der Versicherungsgeschäfte oder Pensionsfondsgeschäfte betreibt. Es beinhaltet staatliche Vorgaben, die für die Aufnahme und die Fortführung des Geschäftsbetriebs dienen. Insbesondere Vorschriften zur Sicherung der dauernden Erfüllbarkeit der Verträge und des Schutzes der Kunden sind von Bedeutung. Das Aufsichtsgesetz regelt zudem Angelegenheiten von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit, ausländischen Niederlassungen und Beteiligungen. Es gilt nicht für Sozialversicherungsunternehmen. Die Aufsicht obliegt der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Diese wurde am 1. Mai 2002 gegründet und besteht aus der Aufsicht für Versicherungen, Banken und Wertpapiere. Einzelne Versicherer unterliegen direkt der Aufsicht durch ein Bundesland.

Grundlagen der staatlichen Versicherungsaufsicht

Auf Grund der sozialen Verantwortung übt der Staat die Beaufsichtigung und Regulierung der Wirtschaft aus. Hierunter fällt insbesondere die Versicherungswirtschaft, da diese von besonderer Bedeutung für die wirtschaftliche Sicherheit des einzelnen Bürgers ist und wegen ihrer Komplexität zudem ein besonderes Schutzbedürfnis besteht. Viele gleichartige Risiken werden zu einem Kollektiv zusammengefasst und im Rahmen dieses Kollektivs werden diese Risken ausgeglichen. Eine Versicherung kann daher nicht auf Basis des einzelnen Versicherungsvertrages behandelt werden. Vielmehr müssen die Belange aller Kunden gemeinschaftlich betrachtet werden.[1] Zur Sicherung des Risikoausgleichs im Kollektiv sind über das Vertragsrecht hinausgehende, den ganzen Bestand der Versicherungsverträge gemeinsam betreffende Eingriffsmöglichkeiten des Staates erforderlich.

Aus diesem Grund haben die meisten Staaten eine staatliche Regulierung des Versicherungswesens eingeführt, die direkt durch den Versicherer und Gesetze überwacht werden.

In der Europäischen Gemeinschaft (EG) ist 1994 ein Binnenmarkt für Versicherungsdienstleistungen eingeführt worden. Versicherungsprodukte sollen freizügig von einem in einem Mitgliedstaat zugelassenen Versicherer in allen Mitgliedstaaten und weitergehend auch im Rahmen des EWR angeboten werden dürfen. Seitdem ist die staatliche Regulierung in der EG durch Europäisches Recht bestimmt. Das VAG setzt weitestgehend, bestimmte Wahlrechte ausübend, nur noch Europäisches Recht um.

Inhalt des VAG

Aufsichtspflichtige Unternehmen

Das VAG bestimmt, dass jedes Unternehmen, das Versicherungsgeschäfte betreibt, dem VAG unterliegt, einschließlich der Unternehmen, die Beteiligungen an Versicherern halten (§ 1 VAG). Die Aufsichtsbehörde bestimmt, welche Geschäfte als Versicherungsgeschäfte gelten (§ 4 VAG). Bis auf bestimmte Ausnahmen dürfen nur solche beaufsichtigten Unternehmen eine den Begriff „Versicherung“ enthaltende Firma führen (§ 6 Abs. 1 VAG). Literatur und Rechtsprechung setzen für ein Versicherungsgeschäft im Sinne dieses Gesetzes die folgenden Tatbestandsmerkmale voraus: 1. Entgeltlichkeit (Prämienanspruch des Versicherers), 2. Risikoübernahme, 3. Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers im Versicherungsfall, 4. Gleichartigkeit der versicherten Gefahren (Voraussetzung für einen Risikoausgleich), 5. Planmäßigkeit (Kalkulierbarkeit des Risikos durch hohe Zahl von Fällen), 6. Selbstständigkeit des Versprechens (keine Abhängigkeit von einem anderen Vertrag, wie z.B. der Garantieübernahme bei einem Kaufvertrag). Mangels Selbstständigkeit des Versprechens ist die bloße Übernahme einer Wartungsgarantie für Videogeräte kein Versicherungsgeschäft.[2] Prozessfinanzierer übernehmen zwar ein Risiko, fallen aber dennoch nicht unter den Versichererbegriff, weil das Risiko gemeinsamer Forderungsdurchsetzung kein Versicherungsgeschäft ist.[3] Bei einem Hausmeisterdienst, der die Schneeräumung unabhängig davon ob es schneien wird oder nicht gegen eine Pauschalzahlung garantiert, ist ebenfalls nicht von einem Versicherungsgeschäft auszugehen, da es an einer Planmäßigkeit mangelt (wenn es schneit, sind alle Kunden seines Einsatzbereichs betroffen).

Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb

Ein Unternehmen muss, um Versicherungsgeschäfte betreiben zu können, hierzu vorher eine Erlaubnis der Aufsichtsbehörde erhalten haben (§ 8 VAG). Da ein Versicherungsunternehmen keine andere Geschäftstätigkeit („versicherungsfremde Geschäfte“) durchführen darf (§ 15 VAG), muss diese Genehmigung schon im Rahmen der Gründung eingeholt werden. Die Aufsichtsbehörde ist umfassend über die beabsichtigte Geschäftstätigkeit, die finanzielle Ausstattung und die zukünftigen Geschäftsleiter zu informieren, bevor diese Erlaubnis erteilt werden kann. Hierzu wird der Geschäftsplan des in Gründung befindlichen Unternehmens eingereicht.

Lebensversicherungs- und Krankenversicherungsunternehmen dürfen nur diese Versicherungssparten betreiben („Spartentrennung“, § 8 Abs. 4 Satz 2 VAG). Um die Unabhängigkeit der Regulierung von Versicherungsfällen zu sichern, dürfen Rechtsschutzversicherungsunternehmen nur dann auch andere Versicherungszweige anbieten, wenn sie die Regulierung auf ein anderes Unternehmen ausgliedern (§ 164 Abs. 2 VAG). Daher sind Rechtsschutzversicherer meist Spezialunternehmen, die keine anderen Versicherungen anbieten.

Allgemeine Regeln für den Geschäftsbetrieb

Das VAG bestimmt nach Europäischem Recht den geforderten Mindestumfang der Details, eines Versicherungsvertrages. Auch werden Vorgaben zur Gestaltung der Anträge und der Verbraucherinformation vorgegeben.

Im Bereich der Lebens- und Krankenversicherung gibt es Mindestvorschriften zur Vereinbarung der Höhe der Beiträge. Die Bürger können bei solchen oft über Jahrzehnte laufenden Verträgen nicht beurteilen, ob der Beitrag ausreicht, um die versprochenen Leistungen wirklich zu erhalten. Daher beaufsichtigt der Staat die Beitragsvereinbarung, um einen ruinösen Preiswettbewerb zu verhindern. Zudem muss jeder Lebens- und Krankenversicherer einen Verantwortlichen Aktuar bestellen, der die Einhaltung bestimmter kalkulatorischen Regeln im täglichen Geschäftsbetrieb überwacht. Eine Aufsichtsbehörde kann diese notwendige dauerhafte Innen-Kontrolle des Unternehmens nicht durchführen.

Das VAG bestimmt umfassende Regelungen für die Krankenversicherung, soweit sie als Ersatz für die gesetzliche Krankenversicherung eingesetzt wird („substitutive Krankenversicherung“). Betroffen sind insbesondere die Beitragsanpassung und die Überschussbeteiligung.

Versicherer müssen jede Änderung des bei der Gründung vorgelegten Geschäftsplans der Aufsicht zur Genehmigung vorlegen. Bei vor 1994 abgeschlossenen Verträgen zählen auch die Details der Vertragsausgestaltung zum Geschäftsplan. Damit musste früher für jede Produktveränderung eine Genehmigung eingeholt werden. Seit 1994 sind die Versicherer, bis auf explizit im VAG geregelte Einzelheiten, in der Gestaltung ihrer Produkte frei und benötigen keine Vorabgenehmigung mehr. Wesentliche Änderungen des Geschäftsbetriebs, z. B. der Wechsel von Geschäftsleitern oder des Verantwortlichen Aktuars, sind mit der Aufsichtsbehörde abzustimmen.

Auch das von einem deutschen Versicherer im Ausland getätigte Versicherungsgeschäft unterliegt der Aufsicht, gleich ob dies über eine Niederlassung oder direkt betrieben wird.

Da das Versicherungsgeschäft in großen Kollektiven getätigt wird, ist es praktisch nicht möglich, die Verträge durch Einzelvereinbarung mit den einzelnen Versicherungsnehmern auf einen anderen Versicherer zu übertragen. Andererseits ist es aber im Hinblick auf die oft langen Vertragslaufzeiten erforderlich, die Bestände an Versicherungsverträgen auf einen anderen Versicherer zu übertragen. Hierfür gibt es – abweichend vom normalen Vertragsrecht – die Möglichkeit, ohne Zustimmung des einzelnen Versicherungsnehmers einen Bestand auf einen anderen Versicherer zu übertragen („Bestandsübertragung“). Hierzu wird die Zustimmung der Aufsichtsbehörde benötigt, die die Wahrung der Belange der Versicherungsnehmer sicherstellt.

Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit

Versicherer dürfen neben der Rechtsform einer Aktiengesellschaft auch die Rechtsform einer öffentlichen Körperschaft oder Anstalt (§ 8 Abs. 2 VAG), so auch die Rechtsform eines nur bei Versicherern existierenden Vereins auf Gegenseitigkeit annehmen („Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“, § 171 VAG). Da das Vereinsrecht für diese besondere Form und insbesondere die Anforderungen im Versicherungsbereich nicht hinreicht, wird diese Rechtsform im VAG geregelt. Abgesehen von besonderen vereinstypischen Ausgestaltungen finden meist die Regelungen für Aktiengesellschaften sinngemäße Anwendung.

Geschäftsführung der Versicherungsunternehmen

Das VAG regelt die Grundsätze über die Kapitalausstattung der Versicherer. Nach einheitlichen europäischen Regelungen müssen Versicherer in bestimmtem Umfang über unbelastete Eigenmittel verfügen, die auch bei unerwarteten Verlusten sicherstellen, dass Verpflichtungen erfüllt werden können. Weitere Vorschriften stellen sicher, dass ein Versicherer nicht sein Vermögen ohne weiteres zu Lasten seiner Sicherheit schmälern kann. Insbesondere sind die Versicherer in der Anlage ihres Vermögens eingeschränkt. In Höhe der Verpflichtungen gegenüber den Kunden müssen Versicherer Vermögenswerte getrennt von ihrem übrigen Vermögen – im so genannten Sicherungsvermögen – unter Überwachung eines Treuhänders verwahren. Dieses Sicherungsvermögen ist im Insolvenzfall dem Zugriff anderer Gläubiger entzogen. Damit sind die Verpflichtungen des Versicherers auch im Insolvenzfall besonders abgesichert. Selbige sind in der Lebens- und Krankenversicherung für den Zweck der Eigenmittelbemessung und der Absicherung im Sicherungsvermögen besonders vorsichtig zu bewerten. Zur Bestimmung der Deckungsrückstellungen sieht das VAG auf Grund einer Ermächtigung durch das HGB besondere Regelungen vor.

Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen

Die Beaufsichtigung der Versicherer obliegt der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörde. Diese umfasst die Überwachung der Einhaltung rechtlicher Vorschriften und der finanziellen Situation der Versicherer. Die Belange der Kunden sollen gewahrt werden und die Verpflichtungen dauerhaft erfüllbar sein. Allerdings geschieht dies nicht zum Schutz der persönlichen Belange des einzelnen Kunden, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse. Hierzu hat die Aufsichtsbehörde umfassende Eingriffsrechte. Falls notwendig, kann die Aufsichtsbehörde die Geschäftsführung des Versicherers durch einen Sonderbeauftragten ersetzen oder gar den Versicherer abwickeln. Insbesondere kann die Aufsichtsbehörde Lebens- und Krankenversicherer zu einer angemessenen Überschussbeteiligung zwingen.

Im Fall von finanziellen Schwierigkeiten übernimmt die Aufsichtsbehörde die wesentlichen Funktionen des Versicherers. Nur sie kann letztlich den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen. Vorher stehen ihr aber umfassende Möglichkeiten zur Lösung des Problems zur Verfügung. Sie kann insbesondere zeitweise die Auszahlung von Leistungen verbieten oder überhaupt den Anspruch von Kunden mindern.

Die Versicherer können bei der Aufsicht im Rahmen des Versicherungsbeirats mitwirken. Zudem tragen sie die Kosten der Aufsicht.

Auslegung und Inhaltskontrolle von Allgemeinen Versicherungsbedingungen

Allgemeine Versicherungsbedingungen müssen vor ihrer Verwendung seit der Liberalisierung des Versicherungswesens im Jahr 1994 grundsätzlich nicht mehr genehmigt werden. Sie können dennoch anlassbezogen von der Versicherungsaufsicht geprüft werden. Dabei geht die Auslegung der Inhaltskontrolle vor. Maßgeblich ist dabei, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die jeweilige Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Zusammenhangs verstehen muss.[4] Grundsätzlich nicht kontrolliert wird der Hauptgegenstand des Versicherungsvertrages (Leistungskern, Prämienhöhe, Versicherungsleistung), es sei denn es liegt Wucher vor. Dagegen sind z.B. Preisnebenabreden, Prämienanpassungsklauseln und die Festlegungen von Obliegenheiten des Versicherungsnehmers für die Versicherungsaufsicht kontrollfähig. Auch unangemessene Benachteiligungen des Versicherungsnehmers (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB) kann die Aufsicht abstellen lassen. Das Gebot die Klauseln nur klar und verständlich abzufassen (Transparenzgebot, § 307 Abs. 1 S. 2 BGB,) gilt dabei nur so weit, wie es dem Versicherer möglich ist, die Bedingungen noch genau zu beschreiben.

Andere Aufsichtsbereiche

Der Aufsicht unterliegen auch Inhaber bedeutender Beteiligungen an Versicherern, Versicherungsgruppen, Rückversicherer, Pensionskassen, Pensionsfonds und deutsche Niederlassungen ausländischer Versicherer.

Das VAG bestimmt die Bildung eines Sicherungsfonds, der die dauernde Erfüllbarkeit der von den Versicherern übernommenen Verpflichtungen sichern soll.

Das VAG bestimmt Strafen und Bußgelder für den Fall von Zuwiderhandlungen.

Siehe auch

Literatur

  • Bähr (Hrsg.): VAG. Handbuch des Versicherungsaufsichtsrechts. 1. Auflage, Verlag C.H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60053-1.
  • Fahr / Kaulbach / Bähr / Pohlmann: VAG. Kommentar. 5.Aufl., Verlag C.H. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-62805-4.

Weblinks

Fußnoten

  1. BVerfG Urteil vom 26. Juli 2005, Az. 1 BvR 80/95 Rdnr. 95
  2. BVerwG VersR 1987, 701
  3. BAV-Beschlusskammer VerBAV 1999, 167
  4. ständige BGH-Rechtsprechung, z.B. BGH VersR 2004, 1039