Zweite Gesellschaft

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Als Zweite Gesellschaft bezeichnet man in den (gerade noch) ständisch gegliederten Gesellschaften des 19. Jahrhunderts Personen bzw. Familien, die weder zum Hohen Adel und Uradel (der „Ersten Gesellschaft“) noch zum „Volk“ im landläufigen Sinne gehörten.

Begriff

Zur zweiten Gesellschaft zählten geadelte Wirtschaftstreibende, Beamte, Künstler, Offiziere und Angehörige der freien Berufe, die trotz erfolgter Nobilitierung in ihrer Mentalität und in ihrem Sozialverhalten Bürgerliche blieben, aber auch von den auf Ebenbürtigkeit Wert legenden standesherrlichen Familien des Hochadels nicht für voll genommen wurden.

Das Phänomen, von Voltaire fürs Ancien régime als „Kaskade der Verachtung“ beschrieben, spielte besonders in Österreich-Ungarn eine Rolle, wo viele der frisch nobilitierten Bankiers- und Industriellenfamilien ursprünglich jüdischer Herkunft waren. Typischerweise erfolgten Nobilitierungen dieser Art auch nur bis zum Ritter- oder Freiherrenstand, die Ränge ab dem Grafenstand waren altadeligen Familien vorbehalten. Die österreichische Zweite Gesellschaft bildete vor allem ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die Elite des aufsteigenden, liberalen und kaisertreuen Bürgertums.

Prinz Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, Standesherr und preußischer General, beschreibt in seinen Memoiren die Kluft zwischen der altadeligen und der aufgestiegenen Kategorie innerhalb der „ersten Gesellschaft“ im weiteren Sinne:

„Dass die Wiener höchste Aristokratie sehr abgeschlossen war, erwähnte ich bereits. Wollten doch Schönburgs, Schwarzenbergs, Liechtensteins usw den Minister Bach nicht bei sich empfangen. Da nun aber eine Anzahl Familien [...] sich bis in die leitenden Kreise hinaufgearbeitet hatten, und der Verkehr mit ihnen nicht zu vermeiden war, auch in Wien mehr geadelte Bankierfamilien lebten als in anderen Hauptstädten, die durch ein enormes Vermögen auch Einfluss hatten, so konnte man nicht umhin, auch diese Kreise zur ersten Gesellschaft zu rechnen, die sich aber danach in zwei Kategorien teilte. Diese beiden Kategorien verkehrten miteinander soweit, dass die Herren der ersten mit in die zweite gingen, die der zweiten in die erste hier und da eingeladen wurden. Niemals aber sah man eine Dame der ersten in der zweiten oder eine der zweiten in der ersten. Heiratete ein Herr aus der ersten eine Dame der zweiten, so fand seine Familie nicht Zutritt in der ersten. Am kaiserlichen Hofe soll [...] bei den großen Hofbällen auch die zweite Kategorie geladen worden sein. Zu den kleineren sogenannten Kammerbällen hatte sie keinen Zutritt. Diese zwei Klassen in der ersten Gesellschaft waren gewiß eine nur Wien angehörige Erscheinung.[1]

Bekannte Repräsentanten der österreichischen „Zweiten Gesellschaft“ stellten unter anderem die Familien Arnstein, Arthaber, Ephrussi, Epstein, Eskeles, Geymüller, Hofmannsthal, Mautner Markhof, Reininghaus, Rothschild, Schoeller, Sina, Taussig, Todesco, Wertheimstein, Wittgenstein; ein ungarisch-deutsches Beispiel sind die Thyssen-Bornemisza de Kászon.

Auch für das Kurfürstentum Hannover wird allerdings vom „unbeschreiblichen Hochmut“ berichtet, mit dem die zumeist uradelige Hofgesellschaft auf die „zweite Gesellschaft“ herabblickte.[2]

Literatur

  • Adam Wandruszka: Die „Zweite Gesellschaft“ der Donaumonarchie. In: Heinz Siegert (Hrsg.): Adel in Österreich. Kremayr & Scheriau, Wien 1971, ISBN 3-218-00205-2, S. 56ff.
  • Heinz Gollwitzer: Hoher und niederer Adel. Depossedierte. In: Heinz Gollwitzer: Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815–1918. Ein Beitrag zur deutschen Sozialgeschichte. 2. durchgesehene und ergänzte Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1964, S. 280 ff. sowie S. 318 ff.
  • Martina Winkelhofer: Adel verpflichtet. Frauenschicksale in der k.u.k. Monarchie. Amalthea, Wien 2009, ISBN 978-3-85002-686-4.

Weblink

Einzelnachweise

  1. Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen: Aus meinem Leben. Bd. 1, Berlin 1897, S. 323.
  2. Wilhelm L. A. von Hassell: Das Kurfürstentum Hannover vom Basler Frieden bis zur preussischen Occupation im Jahre 1806. C. Meyer, 1894, S. 98.