Volkseigener Betrieb

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VEB Carl Zeiss Jena, Gebäudeansicht, 1978

Der Volkseigene Betrieb (offizielle Abkürzung: VEB) war eine bis 30. Juni 1990 bestehende Rechtsform der Industrie- und Dienstleistungsbetriebe in der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR. Die Gründung volkseigener Betriebe erfolgte nach dem Vorbild der Eigentumsform in der Sowjetunion. Infolge der nach Ende des Zweiten Weltkrieges unter sowjetischer Besatzung durchgeführten Enteignungen und Verstaatlichungen von Privatunternehmen musste eine geeignete Form gefunden werden. Ab 1948 waren es ökonomische Basiseinheiten der Zentralverwaltungswirtschaft. Formaljuristisch befanden sie sich in Volkseigentum und unterstanden der DDR-Partei- und Staatsführung.

Enteignung und Verstaatlichung der Industrie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von den rund 4000 bis 1948 aufgrund mehrerer Befehle der sowjetischen Militäradministration enteigneten Industriebetrieben wurden über 200 Großbetriebe nach der Verstaatlichung zunächst im Rahmen der Reparationspolitik in 25 Sowjetische Aktiengesellschaften transformiert und als volkseigene Betriebe bis 1953 an die DDR zurückgegeben. Im Laufe der zweiten Sozialisierungswelle von 1972 wurden fast alle Industrie- und Baubetriebe, die noch privat und halbstaatlich waren, in zirka 11.000 VEB umgewandelt,[1] sodass der Anteil der staatlichen Betriebe im industriellen Sektor auf über 99 Prozent stieg. In der DDR hatte es anders als in den anderen sozialistischen Ländern bis 1972 private mittelständische Betriebe, meist langjährige Familienbetriebe, gegeben.[2] Vor dieser letzten Sozialisierungswelle 1972 gab es über 10.000 kleine und mittelständische Betriebe mit bis zu 100 Beschäftigten, 1987 nur noch 2.000.[3] Der Handel mit technischen Gütern oblag sieben volkseigenen Betrieben.[4]

Verwaltung und Finanzierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Teil der Volkseigenen Betriebe wurde ab Juli 1948 der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) unterstellt. Alle anderen VEB wurden von den Länderregierungen, unteren Gebietskörperschaften oder genossenschaftlich verwaltet.[5] An der Spitze jedes VEB stand ein einzelverantwortlicher Werkleiter (später auch Werk- oder Betriebsdirektor genannt). Ihm zur Seite standen der Sekretär der SED-Betriebsparteiorganisation (BPO) und der Vorsitzende der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL). Dem Werkleiter unterstellt waren mehrere Fachdirektoren (Technischer Direktor, Produktionsdirektor, Ökonomischer Direktor, Hauptbuchhalter). Mit „VEB (B)“ wurden bezirksgeleitete, mit „VEB (G)“ gemeindegeleitete, mit „VEB (K)“ kreisgeleitete, mit „VEB (Ö)“ örtlichgeleitete, mit „VEB (St)“ städtischgeleitete und mit „VEB (Z)“ zentralgeleitete VEB bezeichnet.[6]

Als Zwischeninstanz schuf die DWK ein Industrieministerium und die von diesem angeleiteten Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB), mit den VEB als unselbstständigen Betrieben.[7] Die VVB verfügten über eigene finanzielle Mittel in Form der so genannten „Fonds“. Finanzwirtschaftlich fungierten diese zwischen den Betrieben, denen sie Projekte mit volkswirtschaftlicher Bedeutung mitfinanzierten, und dem Staatshaushalt, an den Gewinnanteile abgeführt wurden.[8] Investitionen wurden 1948 bis 1967 innerhalb des staatlichen Bankensystems über Zweigstellen der Deutschen Investitionsbank finanziert.[9] Volkseigene Betriebe spielten als Trägerbetriebe eine wichtige Rolle in der Kultur- und Sportförderung.

Ab Ende der 1960er Jahre wurden solche VVB schrittweise in Kombinate umgewandelt. VVB und Kombinate wiederum waren der Verantwortung und Planung in der Staatlichen Plankommission (SPK), den Industrieministerien und deren Hauptverwaltungen unterstellt. 1989 waren 79,9 % aller Beschäftigten der DDR in einem VEB tätig. Dem eigentlichen Betriebsnamen wurde häufig ein Ehrenname hinzugefügt, wie bei VEB Kombinat Chemische Werke „Walter Ulbricht“ Leuna. Dieser Zusatzname wurde zuvor von den Werktätigen im Rahmen des Sozialistischen Wettbewerbs der Planerfüllung und -übererfüllung „erkämpft“. Selten wurden Ehrennamen vergeben, die nicht von einer Person abgeleitet waren, wie beim VEB Großdrehmaschinenbau „8. Mai“ Karl-Marx-Stadt.

Nach der Wende und friedlichen Revolution in der DDR hatten die Nachfolgegesellschaften der VEB überwiegend mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Mit der deutschen Wiedervereinigung und der Einführung der Marktwirtschaft ab 1990 wurden die rund 8000 Kombinate und Volkseigenen Betriebe durch die Treuhandanstalt privatisiert. Dazu wurden die Volkseigenen Betriebe nach dem Treuhandgesetz zum 1. Juli 1990 in Gesellschaften mit beschränkter Haftung im Aufbau (GmbH i. A.) umgewandelt. Eine interne Datenbank der Rentenversicherungsträger gibt Auskunft über die Nachfolgebetriebe.

Benennungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die verbreitete Kurzform VEB wurde insbesondere nach 1972 für die damals neu verstaatlichten klein- und mittelständischen Firmen spöttisch als „Vaters ehemaliger Betrieb“ interpretiert.[10][11] Das landwirtschaftliche Gegenstück zum Volkseigenen Betrieb war das Volkseigene Gut (VEG).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Armin Müller: Institutionelle Brüche und personelle Brücken. Werkleiter in Volkseigenen Betrieben der DDR in der Ära Ulbricht. Böhlau, Köln u. a. 2006.
  • Jörg Roesler: Die Brigaden, der Meister, die Werkleitung und der Plan. Arbeitsregime und Arbeitsklima in den volkseigenen Betrieben der DDR. In: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Heft 2, 2009.
  • „Die Kombinatsdirektoren“ (Hrsg.): Jetzt reden wir. Was heute aus der DDR-Wirtschaft zu lernen ist. Berolina, Rotbuchverlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-86789-813-3.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Günter Hedtkamp, Karl Heinz Brodbeck: Finanzwirtschaft, öffentliche III: Die Finanzwirtschaft der DDR. In: Anton Zottmann u. a. (Hrsg.), Willi Albers (Red.): Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW). Bd. 3. Gustav Fischer, Stuttgart / J. C. B. Mohr, Tübingen / Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, Zürich 1981, S. 195–211, hier S. 210 (Digitalisat bei Google Books).
  2. Agnès Arp: VEB – Vaters ehemaliger Betrieb. Privatunternehmer in der DDR. Militzke, Leipzig 2005, ISBN 3-86189-739-3 (Rezension von Sylvia Conradt beim Deutschlandfunk, 6. Oktober 2005).
  3. Ansgar Zwick: Turnaround-Management in Ostdeutschland. Metzler, Stuttgart 1993, S. 32.
  4. Annegret Hauer, Thomas Kleinhenz, Liliane von Schuttenbach: Der Mittelstand im Transformationsprozeß Ostdeutschlands und Osteuropas. Heidelberg 1993, ISBN 978-3-7908-0691-5, S. 17, S. 156.
  5. Annegret Hauer, Thomas Kleinhenz, Liliane von Schuttenbach: Der Mittelstand im Transformationsprozeß Ostdeutschlands und Osteuropas. Heidelberg 1993, ISBN 978-3-7908-0691-5, S. 10.
  6. Günther Zell, Rainer Waterkamp: Das zentralstaatliche Planungssystem der DDR. S. 27.
  7. Annegret Hauer, Thomas Kleinhenz, Liliane von Schuttenbach: Der Mittelstand im Transformationsprozeß Ostdeutschlands und Osteuropas. S. 10f.
  8. Günther Zell, Rainer Waterkamp: Das zentralstaatliche Planungssystem der DDR. S. 88.
  9. Bundesarchiv, Signatur DN3.
  10. Agnes Arp: VEB. Vaters ehemaliger Betrieb. Privatunternehmer in der DDR, Militzke Verlag, September 2005.
  11. Jan Eik, Klaus Behling: 111 Fragen an die DDR: Wer, warum, wieso, weshalb? Edition Berolina, 2013; Kap. 23.