„ZEGG“ – Versionsunterschied

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
[gesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
K Tippfehler entfernt
Zeile 64: Zeile 64:


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://www.zegg.de Website des ZEGG]
* [http://www.zegg.de Website des ZEGG]
* ''[http://www.agpf.de/ZEGG.htm ZEGG. Laubenpieper oder Psychosekte?]''. Bundesverband Sekten- und Psychoberatung e.V., AGPF online, Stand 2004
* Florian Höhne: ''[http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2004/07/24/a0258 Das Haus der Lebensmöglichkeiten]''. TAZ online 24.7.2004


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==

Version vom 31. Mai 2014, 12:01 Uhr

ZEGG, März 2007

Das ZEGG (Zentrum für Experimentelle Gesellschaftsgestaltung) ist eine Lebensgemeinschaft in Bad Belzig, 80 km südwestlich von Berlin. Es versteht sich als Modellprojekt für eine ökologisch und sozial nachhaltige Lebensweise. Dabei geht es um persönliche Entwicklung, Aufbau einer kooperativen und ökologischen Lebensweise sowie um politisches Engagement. Ein wichtiger Schwerpunkt der Gemeinschaft ist die Erforschung neuer Wege in Bezug auf Liebe und Sexualität.

Das ZEGG besteht seit 1991. Auf dem 16 ha großen Gelände leben heute ca. 110 Menschen, darunter 15 Kinder und Jugendliche. Auf dem Gelände finden sich verschiedene Wohnhäuser, ein Gästehaus mit Restaurant, diverse Veranstaltungs- und Seminarräume, Werkstätten, ein Atelier und mehrere kleine Lehmbauten. Die ökologischen Modellprojekte auf dem Gelände sind die hochmoderne, fast CO2-neutrale Energieversorgung, der Wasserkreislauf mit ökologischer Pflanzenkläranlage sowie der große Bio-Garten, in dem Obst und Gemüse angebaut werden.

Seminare und Festivals

Die ZEGG GmbH veranstaltet jährlich vier große Festivals mit mehreren hundert Besuchern. Die Festivals werden von der gesamten Gemeinschaft ehrenamtlich organisiert. Es finden außerdem ca. 120 Seminare interner und externer Anbieter statt. Das Angebot umfasst unter anderem Gemeinschaftswissen und ZEGG-Forum[1], Liebe und Sexualität[2], gewaltfreie Kommunikation sowie künstlerische Angebote wie Malen und Singen[3]. Das ZEGG hatte 2011 mehr als 13.000 Gästeübernachtungen und war damit der zweitgrößte Kurtaxezahler in Bad Belzig. Trägerin aller Veranstaltungen ist die ZEGG GmbH. Der Seminarbetrieb ist die Haupteinnahmequelle der Gemeinschaft.

Gemeinschaftsleben

Das soziale Ziel des ZEGG ist es, einen gemeinschaftlichen Lebensstil langfristig zu fördern. Dazu hat die Gemeinschaft sich eine eigene soziale Struktur geschaffen.

Ein großer Teil der Gemeinschaft arbeitet im Seminarbetrieb. Dieser umfasst Unterbringung und Verpflegung der Gäste, Seminarorganisation- und leitung sowie Landwirtschaft und Geländepflege. Alle Bewohner übernehmen darüber hinaus ehrenamtliche Aufgaben. Die Arbeitsbereiche sind selbstverwaltet, Entscheidungen werden von den Mitarbeitern getroffen.

Die meisten Bewohner der Gemeinschaft leben in Wohngemeinschaften, andere als Paar oder allein. Kinder leben größtenteils bei ihren Eltern. Sie gehen in Kindertagesstätten und Schulen der Umgebung. In der Gemeinschaft gibt es eine Nachmittagsbetreuung in Elterninitiative. Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung der Kinder werden von der gesamten Gemeinschaft getragen.

Viele Gemeinschaftsmitglieder nehmen an sozialen Prozessen teil, um sich auszutauschen, Konflikte zu klären und Entwicklungsprozesse zu begleiten. Es finden außerdem regelmäßig Tanzabende, Jahreszeitenfeste, Vorträge und kulturelle Veranstaltungen statt.

Entscheidungen und Organisation

Der gemeinschaftliche Betrieb ist seit einigen Jahren nach einem soziokratischen Modell organisiert. Kern des Modells sind selbstorganisierte Kreise, die den Betrieb und die Gemeinschaft abbilden. Sie sind nach oben hin umfassender und nach unten spezialisierter. So entscheidet der Versorgungskreis über alle Fragen im Bereich Garten, Küche und Verpflegung. Der Management-Kreis hat die Aufgabe, das Organisationsziel in konkrete Schritte umzusetzen und die übergeordneten Interessen des ZEGG wahrzunehmen. Jeder Kreis wählt je einen Vertreter in den nächsthöheren Kreis und in die unteren Kreise. Sie sind bei Entscheidungen gleichberechtigt. Entscheidungen sind jederzeit revidierbar, wenn sie sich in der Praxis nicht bewähren.[4]

Über wichtige soziale Fragen und weitreichende finanzielle Entscheidungen entscheidet die Gemeinschaft im Konsensprinzip.

Liebe und Sexualität

Von besonderer Bedeutung ist für die ZEGG-Gemeinschaft die Frage, wie Liebesbeziehungen gelingen können und Sexualität erfüllend gelebt werden kann. Das ZEGG ist ein Ort, an dem unterschiedliche Formen sexueller Verbindung möglich sind. So gibt es viele offene Beziehungen, in denen erotische Abenteuer oder feste Geliebte Platz haben. Es gibt Menschen, die mehrere sexuelle Freundschaften pflegen, monogam lebende Paare und gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen. Ziel ist ein System menschlicher Beziehungen, die dem Einzelnen Wahrhaftigkeit und Zugehörigkeit ermöglicht. Wichtiges Handwerkszeug der Gemeinschaft sind Kommunikation und offener Umgang mit Fragen von Liebe und Sexualität.

In der Anfangszeit war die Idee der freien Liebe im ZEGG prägend. Inspiriert von den Ideen Dieter Duhms wurde nach einer Form des Zusammenseins gesucht, in der Angst und Besitzdenken in der Liebe überwunden werden können. Nach dem radikalen Aufbruch der ersten Jahre sind heute partnerschaftliche Bindungen stärker in den Vordergrund gerückt, auch Sinnlichkeit und Körperkontakt ohne sexuellen Anspruch spielen eine große Rolle.

Geschichte des Geländes

Das Gelände wurde erstmals 1919 besiedelt, es entstand ein landwirtschaftlicher Betrieb mit Gartenbau und Kleintierhaltung. Der damalige Besitzer überschrieb das Gelände Anfang der dreißiger Jahre der SS. Zur Olympiade 1936 trainierte die deutsche Mannschaft der Military-Reiter auf dem Platz. Danach wurden Führer der Hitlerjugend und des Bundes deutscher Mädchen auf dem Gelände ausgebildet. Es wurde das Sportlerheim Belzig erbaut, das Ziel von Urlaubsreisen im Rahmen der Massenorganisation Kraft durch Freude war. In den 1950er Jahren bildete die Einheitsgewerkschaft der DDR ihre Funktionäre auf dem Gelände aus. Anfang der 1960er Jahre übernahm es dann die HVA des Ministeriums für Staatssicherheit und wandelte es in einen Ausbildungsplatz für Auslandsagenten um. Die Schule war direkt dem Chef der Auslandsaufklärung Markus Wolf unterstellt. Als der übergelaufene Topagent Werner Stiller die Agentenschule 1988 enttarnte, wurde sie an einen anderen Ort verlegt. Zur Wendezeit 1989 war gerade damit begonnen worden, das Gelände zu einem Sanatorium umzubauen. Die Baumaßnahmen wurden eingestellt und es kam an die Treuhandanstalt.

Die ZEGG GmbH kaufte das Gelände 1991 für 2,1 Millionen DM. Das ZEGG hat seitdem durch zahlreiche landschaftliche und ökologische Maßnahmen zur Regeneration der Flora und Fauna des Geländes beigetragen. Die ZEGG-Gemeinschaft hat die Geschichte des Platzes recherchiert und alte Fotos, Zeitdokumente und Berichte gesammelt. Eine Ausstellung zur Geschichte des Geländes ist im Seminargebäude auf dem Gelände zu sehen.

Ökologie und Energie

Das ZEGG ist Ökodorf und Mitglied im Zusammenschluss der Ökodörfer GEN Global Ecovillage Network.

Der ZEGG-Gemeinschaft ist eine regionale und CO2-neutrale Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen sehr wichtig. Das ZEGG erzeugt heute 100% seines Wärmebedarfs und 85% des Stromes auf dem Gelände, fast ausschließlich aus erneuerbaren Energien oder Abwärme. Das ZEGG hat ein eigenes Heizkraftwerk. Es wurde bereits 1991 auf Holzhackschnitzel umgestellt, die vor allem aus den umliegenden Wäldern gewonnen werden. Im Rahmen des ZEGG-Energiekonzeptes erfolgten bis 2012 weitere Modernisierungsschritte. So wurden ein neuer Holzhackschnitzelkessel, ein Scheitholzkessel und ein Abgaswärmetauscher installiert. Diese machen das Heizen effizienter, denn die Geräte schalten sich nach Bedarf zu und ab. Strom und Warmwasser werden von vier Photovoltaikanlagen und drei gasbetriebenen Blockheizkraftwerken produziert. Die Abwärme des großen Kühlhauses wird zur Erwärmung des Warmwassernetzes genutzt. Parallel dazu hat das ZEGG durch Wärmedämmung der Gebäude seit 1991 seinen Energieverbrauch um circa 40 % gesenkt.

Das ZEGG hat auf dem Gelände einen naturnahen Wasserkreislauf aufgebaut. Das Wasser kommt aus zwei Brunnen, es wird gefiltert, genutzt, natürlich geklärt und kann dann versickern. Seit 1992 ist eine ökologische Pflanzenkläranlage in Betrieb, die die gesamten Abwässer reinigt. Dadurch, dass das Wasser versickern kann, bleibt es in der Region und trägt zum Erhalt des Grundwassers bei. Das mit Schilf und Weiden bewachsene Feuchtbiotop bietet neuen Lebensraum für Tiere. Das ZEGG bemüht sich aktuell bei der Stadt Bad Belzig um eine Ausnahme vom Anschluss- und Benutzungszwang, um dieses ökologische Modell zu erhalten.

Bei der Gestaltung und Nutzung des Geländes orientiert sich das ZEGG an Ideen der Permakultur. So wurde der sandige Boden durch Mulchen, Gründüngung und Einbringen von Tongranulat nährstoffhaltiger gemacht. Es ist eine Humusschicht entstanden, die sich selbst regeneriert. Als der Boden gesünder wurde, entstand eine größerer Vielfalt an Pflanzen und Kleinlebewesen. Dann folgten die höheren Lebewesen - Vögel, Igel, Kröten, Eichhörnchen und Rehe, sowie gelegentlich Füchse und Wildschweine. Das Gelände beherbergt eine essbare Landschaft. In geschützten Lagen wachsen Aprikosen, Pfirsiche, Wein, Kiwis, Maulbeeren und Feigen.

Im ZEGG Garten (2 ha) werden Obst und Gemüse nach den Richtlinien des ökologischen Landbaus angebaut. Im Garten wachsen Salate und Blumen, Gemüse wie Möhren, Lauch oder Grünkohl und verschiedene Obstsorten. Die Küche im ZEGG ist vegetarisch und teilweise vegan. Die verwendeten Lebensmittel aus dem Garten werden im Sommer täglich geerntet und verarbeitet und kommen direkt auf den Tisch. Zugekauft werden Lebensmittel aus Bio-Produktion, aus der Region oder aus fairem Handel.

2004 wurde das ZEGG für die Hackschnitzelheizung und die Pflanzenkläranlage mit dem zweiten Preis des Agenda 21-Wettbewerbs des Landkreises Potsdam-Mittelmark ausgezeichnet. 2011 erhielt das ZEGG wieder den zweiten Preis des Agenda 21-Wettbewerbs des Landkreises Potsdam-Mittelmark für die Umsetzung seines neuen, innovativen Energiekonzepts.

ZEGG-Forum

Das Forum ist eine psychodrama-ähnliche, ritualisierte Form der Kommunikation zwischen dem Einzelnen und der Gruppe.[1] Eine Person geht in die Mitte eines Kreises von Menschen und teilt mit, was sie bewegt. Erfahrene Moderatoren unterstützen den Darsteller dabei. Anschließend geben die Zuschauer aus dem Kreis (falls vom Darsteller gewünscht) „Spiegel“. Spiegel sind subjektive Wahrnehmungen oder Reflexionen des zuvor Gehörten. Das ZEGG-Forum funktioniert in Gruppen von zwölf bis zu 50 Teilnehmern und wird in großen Lebensgemeinschaften auch international angewandt. Es wurde in den frühen 80er Jahren von einem Vorläuferprojekt des ZEGG, der Bauhütte, entwickelt.

Das Forum ist ein Katalysator für die Entwicklung der Persönlichkeit und für die Vertrauensbildung in einer Gruppe. Es soll für Transparenz in Beziehungen sorgen und soziale und psychische Spannungen abbauen. Durch das spielerische und künstlerische Ritual ist es einfacher, seine normalerweise versteckten Gefühle und Gedanken offen zu äußern und dadurch Sozialkontakte intensiver aufzubauen. Es geht davon aus, dass soziale Systeme durch unterstützende Rückkopplung profitieren. Eine Funktion des Forums ist im Johari-Fenster erklärt. Der Bereich des "Öffentlichen" wird vergrößert und so die Fähigkeit zur Zusammenarbeit in Teams verbessert.

Geschichte und Kritik am ZEGG

Das ursprüngliche Konzept des ZEGG entstand aus den Ideen von Dieter Duhm. Mit seinem Buch "Angst im Kapitalismus" war Duhm einer der intellektuellen Köpfe der 68er Bewegung. 1978 gründete er in Süddeutschland das Gemeinschaftsprojekt "Bauhütte", um ein Modell für eine gewaltfreie Kultur schaffen. Einen Schlüssel dazu sah die Gemeinschaft in der "Heilung der Liebe zwischen Mann und Frau". Sie experimentierte deshalb unter anderem mit intensiven Gruppenprozessen und freier Sexualität. Sie verstand ihre Lebensweise als politisches Statement und ging damit an die Öffentlichkeit, was kontroverse Berichte in der Presse auslöste. Vor allem von kirchlicher Seite wurden Sektenvorwürfe erhoben, linke Gruppen warfen dem ZEGG Sexismus vor. Die Debatte ging weiter, als eine Gruppe aus der Bauhütte 1991 das ZEGG gründete. Duhm und Sabine Lichtenfels waren nie Bewohner des ZEGG. Sie gründeten 1994 die Gemeinschaft Tamera in Portugal. Das ZEGG hat sich von einer Gemeinschaft mit ausgeprägten Führungsfiguren und einer relativ einheitlichen Weltanschauung zu einem basisdemokratischen und pluralistischen Projekt entwickelt. Heute teilen staatliche und kirchliche Stellen die Sektenvorwürfe gegen das ZEGG nicht mehr.

Literatur

Einzelnachweise

  1. a b http://zegg-forum.org
  2. www.zegg-liebesakademie.de
  3. http://www.come-together-songs.de
  4. Organisationsstruktur im ZEGG (PDF), abgerufen am 4. Oktober 2011

Koordinaten: 52° 9′ 26″ N, 12° 35′ 27″ O