Dänische Minderheit in Deutschland

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Die dänischen Südschleswiger benutzen neben dem Dannebrog auch eine Flagge mit den Schleswigschen Löwen

Die dänische Minderheit in Deutschland (dänische Südschleswiger) ist eine autochthone ethnische Gruppe in Schleswig-Holstein im Landesteil Schleswig (Südschleswig) und umfasst nach offiziellen Quellen etwa 50.000 Angehörige.[1] Nach der Studie der Universität Hamburg aus dem Jahr 2015 liegt die Anzahl sogar bei über 100.000 Angehörigen, von denen 42.000 im angestammten Landesteil Schleswig des nördlichsten Bundeslandes, 37.000 im Landesteil Holstein sowie 25.000 in Hamburg leben.[2]

Status

Hiort Lorenzen-Skolen, Schleswig. Eine der Schulen für die dänische Minderheit.

Wie die Friesen, Sorben und Roma genießen die dänischen Südschleswiger als nationale Minderheit gemäß dem 1997 von Deutschland ratifizierten europäischen Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten einen besonderen Minderheitenschutz. Bereits in den Bonn-Kopenhagener Erklärungen von 1955 verpflichtete sich die deutsche Regierung, die dänische Minderheit zu schützen; die dänische Regierung garantiert ähnliche Minderheitenrechte für die deutsche Minderheit.

Die Fünf-Prozent-Hürde wurde für die Vertretung der dänischen Minderheit im schleswig-holsteinischen Landtag aufgehoben; es gibt Zuschüsse für die dänischsprachigen Schulen, die Pflege der religiösen, kulturellen und fachlichen Beziehungen zu Dänemark wird garantiert.

Bezeichnung

Angehörige der dänischen Minderheit in Südschleswig bezeichnen sich selbst als „dänische Südschleswiger“ (danske sydslesvigere) oder schlicht als „Südschleswiger“ (sydslesvigere). In der Regel besitzen dänische Südschleswiger die alleinige deutsche Staatsbürgerschaft[3] (mit dänischem nationalen Bekenntnis), es wird in Dänemark jedoch zurzeit über eine Öffnung der doppelten Staatsbürgerschaft diskutiert, die es auch Angehörigen der dänischen Minderheit ermöglichen soll, die dänische Staatsangehörigkeit zu erhalten[4][5]. Zur Unterscheidung zwischen Dänen in Südschleswig und im Königreich Dänemark werden letztere auch als „rigsdanskere“ (Reichsdänen, ähnlich Bundesbürger in Deutschland) bezeichnet. Einzelne Stimmen in der Minderheit fassen sich auch als mehrkulturell deutsch-dänisch auf und betonen stärker den regionalen grenzüberschreitenden Aspekt als Schleswiger im Gegensatz zu einer rein nationalen Sichtweise als Däne, Deutsche oder ggf. Friese[6].

Größe

Alle die dänische Minderheit betreffenden Fragen der Bundesinnenpolitik werden seit 1965 beim „Beratenden Ausschuss für Fragen der dänischen Minderheit beim Bundesminister des Innern“ beraten. Der Ausschuss setzt sich aus dem Bundesminister des Innern, einem Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, je zwei Mitgliedern der Fraktionen des Deutschen Bundestages, drei Mitgliedern der dänischen Minderheit (davon zwei des Südschleswigschen Wählerverbandes, SSW und einem des Südschleswigschen Vereins, SSF) sowie der Minderheitenbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein als Vertreterin der Staatskanzlei zusammen und ist die Quelle aller offiziellen Angaben und Mitteilungen, die in Druck- und Internetmedien verbreitet werden. Je nach Problem und Aufgabenstellung können auch Bedienstete anderer Ministerien temporär dem Ausschuss beiwohnen.

Die vom Ausschuss weitergegebenen Daten und Zahlen, wie beispielsweise die Größe der dänischen Minderheit von 50.000 Personen, stammt von den beiden dänischen Verbänden SSW und SSF. Die Organisationen haben dazu einerseits die Wählerzahlen herangezogen und andererseits die Nutzer- und Mitgliedszahlen sämtlicher dänischer Kultur- und Sportvereine, Kindergärten, Schulen, Bibliotheken und der Kirche addiert und versucht, die Summe auf ein Maß zu reduzieren, das Mehrfachmitgliedschaften Rechnung trägt. Problematisch ist zum einen, dass die Datensätze der Organisationen nicht untereinander vernetzt sind, so dass eine genaue Berücksichtigung von Mehrfachmitgliedschaften theoretisch überhaupt nur mit sehr hohem Aufwand möglich wäre, zum anderen, dass der je nach Organisation unterschiedlich hohe, teilweise auch deutlich überwiegende Anteil von Nicht-Dänen unberücksichtigt bleibt. In Anlehnung an die Bonn-Kopenhagener Erklärungen – „Däne ist, wer sich als Däne bezeichnet“ – wird die Nutzung der Einrichtungen per Definition bereits als Bekenntnis zum Dänentum gewertet.

Der auf den Eigenangaben des SSW und des SSF basierenden Zahl der Dänen von 50.000 stehen offizielle Schätzungen, die die Sprache als Grundlage heranziehen, von über 10.000[7] bis 20.000[8] sowie die historischen Zahlen entgegen. Trotzdem bilden allein die Angaben des Ausschusses die Grundlage für alle im weiteren veröffentlichten offiziellen Angaben seitens deutscher Bundes-, Landes- oder Kommunalbehörden und dienen Nachschlagewerken wie Fischers Weltalmanach, Meyers Lexikon oder dem Brockhaus wiederum als Quelle, sodass stets die Zahl 50.000 in Publikationen anderer Institutionen als die „eigentliche Größe“ der dänischen Minderheit zitiert wird, obwohl die praktizierte Minderheitenregelung von den gängigen Definitionen von UN, Europarat und anderen abweicht, indem sie ganz auf objektive Definitionskriterien verzichtet. Dies führt dann beispielsweise zu Phänomenen wie dem sprunghaften Anstieg im Weltalmanach von Fischer, der bis 1994 stets von 30.000 Dänen, dann ab 1995 ad hoc von 60.000 Dänen und seit 2001 nur noch von 50.000 Dänen spricht. Komplettiert werden seit 2015 die Unterschiede in den Zahlenangaben durch die bereits erwähnte Erhebung der Hamburger Universität (s. o.), nach der die Minderheit aus etwa 104.000 Angehörigen besteht, die nicht nur im Landesteil Schleswig (42.000) leben, sondern auch in Holstein (37.000) sowie in Hamburg (25.000). Unklar ist jedoch, ob in der Schätzung der Universität Hamburg auch die 7000 bis 8000[9] dänischen Staatsbürger in Hamburg und Schleswig-Holstein enthalten sind.

Als Indikator für eine realistische Beurteilung der Größe der dänischen Minderheit können des Weiteren historische Daten herangezogen werden:

  • das Ergebnis der Volkszählung von 1900 im Deutschen Reich, in dem unter anderem die Nationalität aller Bewohner festgehalten wurde: in dieser Volkszählung bekannten sich im gesamten Regierungsbezirk Schleswig (dem heutigen Schleswig-Holstein und dem ehemaligen dänischen Amt Sønderjylland) rund 140.000 zur dänischen Volkszugehörigkeit, davon etwa 20.000 im Raum des heutigen deutschen Teils Schleswigs – explizit wurde bei jedem Kreis der prozentuale Anteil Dänischgesinnter ermittelt, so für die ehemaligen Stadt- und Landkreise Flensburg (inklusive des heute dänischen Teils nördlich der Grenze) als dänische „Hochburgen“ mit 6,8 % bzw. 6,3 %, für die ehemaligen Landkreise Husum, Eiderstedt, Schleswig und Eckernförde Anteile von weniger als 5 % – interessant ist auch, dass sich fast 21.000 Menschen als Friesen bezeichneten, davon im ehemaligen Landkreis Husum 11,6 % und im ehemaligen Landkreis Tondern (heute zur Hälfte dänisch und zur Hälfte deutsch) 22,5 %
  • das Ergebnis der Abstimmung über die Nationale Zugehörigkeit Schleswigs von 1920: In der Abstimmungszone II, das sich aus dem ehemaligen Stadtkreis Flensburg, dem südlichen, heute deutschen Teil des ehemaligen Landkreises Flensburg, dem südlichen, heute deutschen Teil des ehemaligen Landkreises Tondern sowie einem nördlichen Randstreifen des ehemaligen Landkreises Husum zusammensetzte und heute dem nördlichen, grenznahen Teil des heutigen Schleswigs entspricht, votierten etwa 12.800 Personen für Dänemark
  • die Angaben der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte über die Entwicklung der Größe der dänischen Minderheit in den Zeiträumen 1920 bis 1945: Diese wird für die Zeit direkt nach 1920 mit rund 10.000 angegeben, für die Zeit bis 1930 mit etwa 7.000, für die Zeit bis 1945 mit rund 3.000–6.000
  • die Angaben des Sydslesvigsk Forening nach 1945 über seine Mitgliederzahlen: Diese betrug 1946 12.000, erhöhte sich dann binnen eines Jahres auf über 68.000 im Jahre 1947, betrug dann rund 75.000 bis zur Gründung der Bundesrepublik 1949 und nahm anschließend kontinuierlich jährlich um knapp 10 % ab. 1958 betrug die Mitgliederzahl noch rund 33.000, nahm dann bis Mitte der 1970er Jahre weiter jährlich um etwa 3 bis 4 % ab, blieb weitestgehend konstant bis Anfang der 1980er Jahre, ging dann weiter jährlich um 2 % zurück, bis sie 2005 erstmals wieder um 3 % auf 14.000 Mitglieder anstieg
  • Als zusätzliches Kriterium zur Verifikation aller diskutierten Zahlen können die Angaben seitens der Gesellschaft für bedrohte Völker beziehungsweise seitens des dänischen Instituts für Grenzregionsforschung über die Personenzahl, die Dänisch im Alltag nutzt, genannt werden, die mit 8.000 bzw. 10.000 Personen angegeben wird. Diese Zahlen decken sich mit den Angaben des dänischen Kulturvereins, der von mehr als 10.000 dänischen Muttersprachlern ausgeht.[10]
  • Als weiteres Kriterium kann die Zahl der Mitglieder der dänischen Kirche in Südschleswig herangezogen werden, hierzu bekennen sich 6.300 Personen.[11] In Dänemark ist es nach wie vor üblich, Mitglied in der Kirche zu sein. Siehe auch: Religion in Dänemark

Der Rektor der dänischen A. P. Möller-Schule in Schleswig, Jörgen Kühl, hat als Verfasser zahlreicher Schriften zur dänischen Minderheit ein Modell entwickelt, das die Minderheit als Kreise unterschiedlicher Dichte und Entfernung zu einem Zentrum beschreibt. In dessen Kern finden sich die Angehörigen der Minderheit, deren Familien meist schon vor 1945 den Kernbestand der Minderheit ausmachten. Diesen schätzt Kühl auf wenige tausend. Konzentrisch folgen dann Kreise, die sich dadurch auszeichnen, das sie jeweils (wesentlich) mehr Menschen erfassen, als den Kernbestand, und mit zunehmender Entfernung zum „Zentrum“ meist seltener dänische Sprachkenntnisse besitzen und ein geringer ausgeprägtes nationales – dafür oft ein ausgeprägtes regionales – Selbstempfinden besitzen.

Durch die Bonn-Kopenhagener Erklärungen von 1955 sind sowohl eine explizite Erhebung der Minderheitenstärke als auch die Überprüfung jeder Eigenschätzung der dänischen oder dritter Verbände durch staatliche Stellen unzulässig. So „läßt sie [die Größe der Minderheit] sich“ laut Institut für Grenzregionsforschung „nach wie vor weder falsifizieren oder verifizieren, sondern muß mangels Alternativen als Schätzung bezeichnet werden“, da „keine Erhebungen, die eine exakte Einschätzung erlauben“, existieren.

Geschichte

Sowohl die dänische Minderheit in Südschleswig als auch die deutsche Minderheit in Dänemark entstanden durch die Teilung Schleswigs nach der Volksabstimmung im Jahr 1920.

Das Nebeneinander von „deutsch“ und „dänisch“ verursachte in Zeiten, in denen nur die dynastische Zugehörigkeit von Bedeutung war, oder in der späteren Phase des liberalen dänischen Absolutismus wenige Probleme. Im 19. Jahrhundert führte es jedoch einhergehend mit dem aufkommenden Nationalismus und Forderungen nach Bürgerrechten zu Konflikten zwischen den Bevölkerungsgruppen.

Ein Aufstand der Schleswig-Holsteiner 1848–1851 gegen Dänemark führte letztendlich 1864 zu einem Krieg zwischen Dänemark auf der einen und Preußen und Österreich auf der anderen Seite. 1864 bis 1920 war ganz Schleswig preußisch. Im Jahr 1920 fiel der nördliche Teil nach den Volksabstimmungen 1920 an Dänemark, und die heutige Grenze (→Clausen-Linie) entstand mit dem Ergebnis, dass auf beiden Seiten Minderheiten lebten.

Entwicklung der Minderheit

1920 bis 1945

Die dänische Minderheit in Südschleswig entstand nach der Volksabstimmung in Schleswig 1920. Bei der damaligen Teilung Schleswigs wurde bewusst auf eine Grenzziehung gemäß der Sprachlinie zwischen Deutsch und Dänisch verzichtet, um Dänemark ein möglichst großes Gebiet zuzuteilen. So blieben auf beiden Seiten der Grenze unterschiedlich große nationale Minderheiten zurück: südlich der neuen Staatsgrenze (in der 2. Zone) votierten 12.800 Menschen in der Volksabstimmung für Dänemark; weiter südlich, wo keine Abstimmung stattfand, dürfte die dänische Orientierung gering gewesen sein. In der Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 wurde die Minderheit, wenn auch nicht direkt verfolgt, Repressalien ausgesetzt. Allerdings waren Mitglieder der Minderheit auch, als einzige Reichsbürger, von der zwangsmäßigen Teilnahme an NS-Organisationen befreit. In dieser Zeit verließen rund 1.000 Mitglieder die Minderheit, was jedoch nicht bedeutet, dass sie nicht dänischsprachig oder dem Dänentum zugetan waren.[12] Die Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte spricht von nur „2.700 organisierten Dänen gegen Kriegsende“, was wiederum keinen Hinweis auf die tatsächliche Verbreitung der dänischen Sprache bedeutet.

1945 bis 1955

In den ersten Nachkriegsjahren konnten die Verbände der dänischen Minderheit einen massiven Zugang verzeichnen. Bereits zwei Jahre nach Kriegsende identifizierten sich bereits etwa 100.000 Personen mit der Minderheit (Kühl 120.000–150.000, GSHG 62.000, siehe jeweils Weblink unten). Während es 1945 nur noch neun dänische Schulen mit weniger als 500 Schülern waren, gab es 1948 schon 60 Schulen mit 14.500 Schülern. Das öffentliche Bekenntnis zum Dänentum war nun nicht mehr mit Repressalien oder Diskriminierung verbunden. Bei der ersten Landtagswahl 1947 erzielten dänische Kandidaten 99.500 Stimmen. Anfang 1948 erreichte der dänische Kulturverein, der Südschleswigsche Verein, seine höchste Mitgliederzahl (78.000).[13] Der spätere Rückgang der Mitgliederzahl bedeutet jedoch nicht zwingend den Rückgang der Zahl der dänischsprachigen Bürger.

Fachleute glauben, dass die in diesem Zeitraum gewonnenen „Neudänen“ überwiegend nicht dänischer Herkunft waren. So spricht Kühl davon, dass es sich bei den Motiven „zum Teil … um politische, nationale, genealogische, aber insbesondere auch materielle Motive“ handelte, und führt weiter aus, dass „der Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen aus dem Osten … ebenfalls die Hinwendung vieler Einheimischer zur dänischen Minderheit, die eine Entfernung der Flüchtlinge und die Bildung eines eignen Landes Südschleswig forderte“, gefördert habe. Ähnliches gibt die GSHG an: „Unter den ‚neuen Dänen‘ waren auch viele, denen die dänische Kultur und Sprache fremd waren. Sie hofften und forderten, dass Südschleswig von Deutschland abgetrennt würde und zu Dänemark käme. Damit wurde der Wunsch verbunden, dass danach die als Last und Gefahr für die eigene Identität empfundenen Flüchtlinge ausgewiesen würden.“ Dazu stellte eine Gruppe prominenter dänisch gesinnter Südschleswiger aus Flensburg im September 1945 einen Antrag an die britischen Besatzungsbehörden, alle Flüchtlinge aus dem Landesteil Schleswig zu entfernen. Das Schreiben enthielt auch z. T. rassistische Ausfälle gegen die Flüchtlinge.[14] Bis 1955 bestand zudem ein internes Verbot für Angehörige der dänischen Minderheit, Flüchtlinge zu heiraten. Über "Informanten" in den Standesämtern wurden solche Informationen an die Führung der Minderheit weitergegeben.[15]

Siehe auch: Speckdänen

Dabei war Schleswig-Holstein ganz besonders von Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten betroffen. Die Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte schätzt die Ratio zwischen Heimatbevölkerung und Vertriebenen im Oktober 1946 auf 4:3 ein.[16] Praktisch jedes Haus musste Flüchtlinge unterbringen; Rationierung und Knappheit an Lebensmitteln herrschten. Noch 1950 machten Vertriebene 33 % der Bevölkerung Schleswig-Holsteins aus, der mit Abstand größte Anteil in der Bundesrepublik.[17]

Besonders Sozialdemokraten orientierten sich gegen Norden, aber auch auf bürgerlicher Seite wurde vereinzelt für Dänemark geworben. Im Sommer 1945 agitierte der spätere CDU-Ministerpräsident Friedrich Wilhelm Lübke unter den Angelner Bauern für Dänemark, aber nur ein Jahr später war er ein Gegner der Grenzverschiebungsbewegung.[13]

1953 legte die Landesregierung das Programm Nord auf. Das Ziel war es, der allgemeinen Not im strukturschwachen nördlichen Teil des Landes, der durch den hohen Anteil der Flüchtlinge verstärkt wurde, zu begegnen. Durch dieses Förderprogramm hoffte man auch, den Zulauf zur dänischen Bewegung begrenzen zu können. In den dünn besiedelten Gemeinden unmittelbar an der Grenze wurden viele neuerrichtete Hofstellen an Flüchtlinge verteilt.[18] Dies galt für die dänische Bewegung als kontroversiell und führte denn auch zu dauernden Änderungen in der Bevölkerung. Die südjütische Umgangssprache, die noch in Gemeinden auf der Geest ohne Beziehung zur nationalen Orientierung gesprochen wurde, wurde weiter zurückgedrängt.

Nach 1990

Ähnlich rekrutiert sich ein Großteil des Zuwachses der Wähler des SSW in den letzten Jahren aus zugezogenen Personen aus anderen Bundesländern (Kühl/Bohn S. 190/191). Ein klassisches Beispiel für eine der vielen Neudänen („it has become fashionable to be a Dane in Germany“, „and this number is still rising“) findet sich unter dem Link „Selbstdarstellung der Dänischen Minderheit“. In der Analyse Kühls (Kühl/Bohn S. 186) wird dieser Punkt als großes Problem für die Identifikation angesehen: So musste beispielsweise der SSW nach seinen zunehmenden Erfolgen in den 90er Jahren großen Teilen seiner Kommunalvertreter sowohl die dänische Sprache als auch überhaupt Informationen über die dänische Minderheit selbst von Grund auf vermitteln. In den letzten zehn Jahren hat sich jedoch die Mitgliederzahl im Südschleswigschen Verein um etwa 3.500 Personen verringert, wohingegen die Zahl der Schüler an den Schulen der Minderheit im selben Zeitraum nur um etwa 300 abnahm. Interessant ist eine grundlegende Studie der dänischen Sprachwissenschaftlerin Karen Margrethe Pedersen[19], die den Sprachgebrauch innerhalb der Minderheitenorganisationen untersuchte. Demnach war in vielen angeschlossenen Vereinen deutsch die überwiegend benutzte Sprache; am häufigsten wurde dänisch im Schulverein gesprochen bzw. von den Angehörigen der von ihr beobachteten Veranstaltungen als Kommunikationsmittel verlangt, am wenigsten war dies bei Veranstaltungen des SSW sowie im Rahmen der zahlreichen dänischen Sportvereine zu beobachten. Zudem stellte sie fest, dass bis zu 80 % der auf dänische weiterführende Minderheitenschulen gehenden Schüler bis zur (obligatorischen) dänischen Kindergartenzeit einsprachig deutsch aufgewachsen waren. Immer wieder beklagen Lehrer an den Minderheitenschulen, die meist aus "Reichsdänemark" stammten, dass ihre Schüler auf dem Pausenhof deutsch sprechen – eine Sprache, die sie selbst wenig oder gar nicht verstehen.[20] Die dänische Minderheit ist natürlich vom deutschsprachigen Umfeld geprägt und da ihre Mitglieder völlig unproblematisch in der Mehrheitsgesellschaft leben, ist die deutsche Sprache Teil des Alltags. Der aus diesem täglichen Sprachkontakt erwachsene dänische Dialekt wird als Südschleswigdänisch oder Sydslesvigdansk bezeichnet. Er zeichnet sich durch die Verwendung besonderer, dem Deutschen entlehnter oder aus ihm direkt übersetzter Vokabeln sowie durch deutschen Satzbau bei Verwendung dänischer Wörter aus. Insgesamt ist zu beobachten, dass mit Ende des "Grenzkampfes" und des nationalen Gegensatzes die kulturelle und sprachliche Reibungsfläche verschwindet, die u. a. dazu nötig ist, dass eine Minderheit ihre kulturellen Kernkompetenzen wie die Beherrschung der eigenen Nationalsprache besonders pflegt. Da die Minderheit offenbar auch für Deutsche sehr attraktiv ist und die Minderheit grundsätzlich Sprachkenntnisse nicht zum Zugehörigkeitskriterium machen kann (vgl. Bekenntnisprinzip), ist diese Entwicklung besonders dynamisch und in der Minderheit durchaus als Problem erkannt worden.

Gegenwart

Viele der im Süden Schleswigs lebenden Dänen sind heute im Südschleswigschen Verein organisiert. Im Landesteil existieren darüber hinaus unter anderem dänische Schulen, Bibliotheken und Kirchen. Die dänische Minderheit arbeitet mit einem Teil (Friisk Foriining) der an der Westküste im Kreis Nordfriesland lebenden friesischen Minderheit zusammen.

Neben der dänischen Minderheit leben etwa 6.000 dänische Staatsbürger in Schleswig-Holstein, sogenannte Reichsdänen, die nicht der einheimischen Volksgruppe der dänischen Südschleswiger, sondern anderen nicht deutschen EU-Bürgern gleichgestellt sind.

Politik

Bundesweit bekannt ist der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) als politische Vertretung der dänischen Minderheit. Nach dem Wahlgesetz für den Landtag von Schleswig-Holstein ist jede Partei der dänischen Minderheit von Schleswig-Holstein von der Fünf-Prozent-Hürde bei Landtagswahlen befreit. Der Anteil für den SSW belief sich bis Ende der 80er Jahre auf 20.000 bis 25.000 Stimmen im Landesteil Schleswig (Erststimmen). Seit der (gegen die Stimme des SSW beschlossenen) Änderung des schleswig-holsteinischen Wahlrechts mit der Einführung der Zweitstimme im Jahre 2000, die auch die Wahl des SSW in Holstein möglich macht, wuchs der Anteil des SSW durch etwa 25.000 Zweitstimmen (45 % mehr Zweitstimmen) aus dem Holsteinischen, also einem Gebiet, in dem historisch betrachtet keine autochthonen Dänen beheimatet sind, auf heute über 50.000 Zweitstimmen an, die für die Sitzverteilung im Landtag und für die Ermittlung der Größe der Minderheit relevant sind (wobei es seitdem auch Stimmenzuwächse im Landesteil Schleswig gegeben hat, man kann den Stimmenzuwachs also nicht allein über den Stimmenzuwachs in Holstein erklären, wenn auch zum großen Teil). Die Wahlergebnisse des SSW im Landesteil Holstein haben gezeigt, dass sogar lokal bis zu 4 % Stimmenanteil in einem Gebiet, in dem bisher nie eine dänische Minderheit ansässig war, erzielt wurden. Im Landesteil Schleswig dagegen erzielt der SSW Werte von über 10 und lokal um die 20 Prozent.

Literatur

  • Jørgen Kühl: Ein europäisches Modell? Nationale Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland 1945–2005. Hrsg.: Robert Bohn. Verlag für Regionalgeschichte, 2005, ISBN 3-89534-541-5.
  • Bodo Pieroth/Tobias Aubel: Der Begriff der dänischen Minderheit im Schleswig-Holsteinischen Landeswahlrecht. In: NordÖR. 2001, S. 141–147.
  • Gesellschaft für bedrohte Völker (Hrsg.): Über die Lage der Sprachminderheiten in der EU. Bozen 2000.
  • Immo Doege, Manfred Jessen-Klingenberg: Die nationalen Minderheiten im schleswigschen Grenzland 1920-1955 (= Schleswig-Holsteinische Geschichte in Lichtbildern, Begleitheft zur Diareihe. Nr. 3). Kiel 1990, OCLC 873067714.
  • Study on the Rights of Persons belonging to Ethnic, Religious and Linguistic Minorities. UN Document E/CN. 4/Sub. 2/384/Add. 1–7, 1977, und Proposal Concerning a Definition of the Term 'Minority'. UN Document E/CN. 4/Sub. 2/1985/31, 1985.
  • Jan Schlürmann: Sydslesvigs farver - traditionelt eller moderne, en eller flere farver? In: Flensborg Avis, 10. März 2016.

Siehe auch

Weblinks

  • Dänische Minderheit. Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, abgerufen am 29. September 2009.
  • Linkliste auf Sydslesvig.de. Abgerufen am 29. September 2009.
  • Internetportal Dansk-i-sydslesvig.de. Abgerufen am 29. September 2009.
  • The Danes in Germany. (PDF; 5 S., 31 kB) Archiviert vom Original am 26. Juli 2004; abgerufen am 29. September 2009.

Einzelnachweise

  1. Die dänische Minderheit. Landesregierung Schleswig-Holstein, archiviert vom Original am 10. Oktober 2009; abgerufen am 29. September 2009.
  2. http://www.kn-online.de/Schleswig-Holstein/Aus-dem-Land/Studie-aus-Hamburg-Daenische-Minderheit-doppelt-so-gross
  3. Minderheitensekretariat: Wen vertreten wir
  4. Infolge des Generalsekretärs des Sydslesvigsk Forening würde die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft nach innen und nach außen die Zugehörigkeit der Minderheit zum dänischen Volk deutlicher unterstreichen, siehe hierzu Danmarks Radio: Mindretal vil også være danske statsborgere vom 4. Dezember 2014
  5. Sydslesvigsk Forening: Dobbelt statsborgerskab - også for danske sydslesvigere
  6. vgl. zu dazu das Interview mit Katrine Hoop: Greænseforeningen: Ich bin en slesviger
  7. Die dänische Sprache. Dänisches Kulturinstitut, abgerufen am 14. Oktober 2010.
  8. Dansk. Universitetet i Tromsø, Fakultet for humaniora, samfunnsvitskap og lærarutdanning, archiviert vom Original am 3. März 2016; abgerufen am 14. Oktober 2010.
  9. [1], Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein
  10. Die dänische Sprache. Dänisches Kulturinstitut, abgerufen am 14. Oktober 2010.
  11. http://www.dks-folkekirken.dk/om-dks/kort-kirkehistorie/
  12. Jørgen Kühl: Ein nachhaltiges Minderheitenmodell. Bundeszentrale für politische Bildung, abgerufen am 29. September 2009.
  13. a b Sønderjyllands historie 1945 -. Archiviert vom Original am 27. September 2007; abgerufen am 29. September 2009 (dänisch).
  14. "IV. Wir fordern, dass unser Grenzland Süd-Schleswig so bald wie möglich von Flüchtlingen befreit werde. Seit Monaten ergießt sich dieser Strom von Fremden über unsere Heimat und droht unser angestammtes nordisches Volkstum zu zerstören oder gar biologisch zu vernichten. Diese Einwanderung und Borussifizierung der rein nordischen Südschleswiger bedeutet eine ernste Gefahr, die seit Jahrhunderten die Substanz unserer Bevölkerung bedroht.(…) Im Gegensatz zu Holstein, dessen Einwohner niedersächsische und slawische Wurzeln haben, gehört die Mehrheit der Süd-Schleswiger, abgesehen von den Nordfriesen an der Westküste, zum selben jütischen Stamm wie die Einwohner des heute dänischen Nordschleswig.(…) Der Schleswigsche Stamm aber blieb biologisch stets der gleiche.(…) Wenn Süd-Schleswig nicht von der Masseneinwanderung der Flüchtlinge befreit wird, bedeutet das, dass unsere ruhige nordische Bevölkerung überfremdet würde und darüber hinaus von Elementen beherrscht würde, die aus Europas „Unruheherden“ (Danzig, Ostpreußen, Polnischer Korridor, Sudetenland) stammen." (Übers. nach dem engl. Original veröffentlicht in: Aktstykker vedr. Det Sydslesvigske spørgsmaal, I: 9. Maj 1945- 19. Oktober 1946, hrsg. Vom Udenrigsministeriet, København: 1947, S. 73–76)
  15. Vgl. dazu die ausführliche Studie von Martin Klatt: Flygtningene og Sydslesvigs danske bevægelse 1945-1955, Flensborg: Phil. Diss., 2001 Flensborg (Studieafdelingen ved Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig).
  16. Flüchtlinge – Am Anfang war die Not. Archiviert vom Original am 10. Februar 2009; abgerufen am 29. September 2009.
  17. siehe: Heimatvertriebene: Verteilung in Deutschland
  18. Programm Nord. Archiviert vom Original am 10. Februar 2009; abgerufen am 29. September 2009.
  19. Karen Margrethe Pedersen: Dansk sprog i Sydslesvig, udgivet af Institut for Grænseregionsforskning, Aabenraa: 2002, 2 Bde.
  20. vgl. Leserbrief von Peter v. d. Wehl, Flensborg Avis, 26. Juli 2013: [in dt. Übersetzung] "Zur Debatte darüber, dass deutsch auf den Schulhöfen dänischer Schulen in Südschleswig gesprochen wird, kann ich nur sagen, dass das schon immer so gewesen ist. Als ich vor 60 Jahren zur [dänischen] Schule ging war es das gleiche! (...)"