Emil Strauß

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Emil Strauß. Porträt von Ernst Würtenberger.

Emil Strauß (* 31. Januar 1866 in Pforzheim; † 10. August 1960 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Romancier, Erzähler und Dramatiker.

Leben

Emil Strauß stammte aus einer Pforzheimer Schmuckfabrikanten-Familie. Zunächst studierte er Philosophie, Germanistik und Volkswirtschaftslehre in Freiburg im Breisgau, in Berlin und in Lausanne. Frühzeitig brach er sein Studium ab und beschloss, freier Schriftsteller zu werden. 1892 erschien seine erste Erzählung Der Tier- und der Menschenfreund in der Freien Bühne.

Abgestoßen vom städtisch-bürgerlichen Leben, von Geld- und Berufsstreben wandte er sich der lebensreformerischen Bewegung zu. Zusammen mit dem Kaiserstühler Schriftsteller Emil Gött und anderen lebte Strauß 1891 als Mitglied einer „vegetarianischen Kolonie“ auf der Rheinburg in Gailingen am Hochrhein[1] (Sowohl Emil Strauß als auch Emil Gött verkehrten häufiger im Haus des Chirurgen Gustav Killian in Freiburg wie auch andere Kulturschaffende der badischen Universitätsstadt[2]). Nach dem Scheitern dieses landwirtschaftlichen Siedlungsversuchs auf Gemeinschaftsgrundlage und eines weiteren, gemeinsam mit Emil Gött unternommenen Versuchs alternativer, viehloser Landwirtschaft mit sog. Spatenkultur in der Nähe von Breisach[3] unternahm Strauß längere Reisen in die Schweiz, nach Italien und schließlich, um aus der „deutschen Domestizierung“ auszubrechen, 1892 nach Brasilien. Nach zweijährigem Aufenthalt in Südamerika kehrte er in seine südwestdeutsche Heimat zurück und ließ sich in ländlicher Umgebung bei Ludwigshafen am Bodensee in einfachsten Verhältnissen nieder.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienen Strauß’ Bücher Der Engelwirt (ca. 190.000 verkaufte Exemplare)[4] sowie Freund Hein, die breitere Aufmerksamkeit fanden; so schrieb Samuel Fischer 1903 an Hermann Hesse, dass er ihn „für unsere stärkste Hoffnung“ halte. Zwei Jahre zuvor hatte Strauß Elisabeth Marschalk (eine Schwägerin von Gerhart Hauptmann) geheiratet. Zwischen 1904 und 1918 publizierte er rege, auch wechselte er wiederholt den Wohnsitz. Angesichts der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg sowie der „Vergessenheit zu Lebzeiten“ wendete er sich im Spannungsfeld aus lebenreformerischem Individualismus und idealistischen Reichsideen zunehmend der radikalen Rechten zu. Im 1923 entstandenen Drama Vaterland, das nach der Uraufführung 1924 verboten wurde, manifestiert sich die politische Neuausrichtung. Kritiker sprachen u. a. von einem „Denkmal des Fanatismus“.

Im Widerspruch dazu erhielt Strauß 1925 – im selben Jahr erwies sich sein ländliches Anwesen als wirtschaftlich unhaltbar – den „Dichterpreis des Verbandes der Kunstfreunde“ und wurde 1926 zum Doctor honoris causa ernannt sowie in die Preußische Akademie der Künste berufen. Auch politisch anders gesinnte Künstler wie Oskar Loerke im S. Fischer Almanach oder Arnold Zweig 1929 in der Weltbühne würdigten bzw. verwiesen auf Strauß. 1931 verließ Strauß gemeinsam mit Erwin Guido Kolbenheyer und Wilhelm Schäfer die Akademie wegen Differenzen um die ideologische Ausrichtung der Institution.

1930 trat Strauß in die NSDAP ein. Nach der Gleichschaltung der Preußischen Akademie der Künste 1933 und der Entfernung von 40 jüdischen und anderen missliebigen Akademiemitgliedern wurde für ihn ein Platz frei.[5] Gleichzeitig beantwortete er den Wunsch nach einem Beitrag zur Bücherverbrennung 1933 mit der Versicherung, der „Kampf“ würde, wie in den 30 Jahren [!] zuvor, rein geistig geführt. 1936 wurde er durch Joseph Goebbels in den Reichskultursenat berufen und erhielt die Goethe-Medaille sowie den Erwin-von-Steinbach-Preis. Sein 70. Geburtstag wurde in der NS-Presse gewürdigt, u. a. durch den einflussreichen NS-Literaturhistoriker Hellmuth Langenbucher, der 1936 im Februarheft von Westermanns Monatsheften eine „eingehende Würdigung der Werke des Dichters“ brachte.[6] Während der NS-Zeit konnte er neue Werke (Das Riesenspielzeug 1935 und Lebenstanz 1940) veröffentlichen. Er stand 1944 in der Gottbegnadeten-Liste des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda.[7]

Vor allem die ab 1949 im Carl Hanser Verlag gedruckten Neuauflagen in der BRD erreichten hohe Auflagen. Ab 1955 lebte Strauß in einem Altenheim bei Freiburg, wo er auch starb. Einige Monate vor seinem Tod verbrannte er den größten Teil seines literarischen Nachlasses sowie alle ihm zugänglichen Briefe. Er wurde auf dem Pforzheimer Hauptfriedhof bestattet.

Rezeption

Hermann Hesse schrieb 1960, vier Tage nach dem Tod von Strauß: Seine Neigung zum Rassenhass, vielmehr seine aus Brasilien mitgebrachte arische Verachtung andrer Rassen, habe ich teils spät bemerkt, teils nicht ganz ernst genommen. Bald darauf ging er zu Hitler. Es war nicht so, wie Sie es sehen, dass die Nazis sich ihn geholt hätten, er ging gute zehn Jahre vor 33 ganz aus eigenem Antrieb begeistert mit. (Brief an Werner Weber 14. August 1960)

Nach Kriegsende wurde seine Schrift Vaterland (Langen/Müller, München 1936) in der Sowjetischen Besatzungszone auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.[8]

Auszeichnungen und Ehrungen

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Menschenwege, 1899.
  • Don Pedro, Drama, 1899.
  • Der Engelwirt. Eine Schwabengeschichte, 1901.
  • Freund Hein. Eine Lebensgeschichte, 1902.
  • Kreuzungen, Roman, 1904.
  • Hochzeit, Drama, 1908.
  • Hans und Grete, Novellen, 1909.
  • Der nackte Mann, Roman, 1912.
  • Der Spiegel, Roman, 1919.
  • Vaterland, Drama, 1923.
  • Der Schleier, Geschichten, 1931.
  • Das Riesenspielzeug, Roman, 1934.
  • Lebenstanz, Roman, 1940.
  • Dreiklang, Erzählungen, 1939 / 1946 / 1947.
  • Ludens, Erinnerungen, 1956.
  • Der Laufen, Novelle, 1956.

Literatur

  • Adolf Abele: Emil Strauß, Wesen und Werk. Traunstein 1955, DNB 480625301 (Dissertation Universität München, Philosophische Fakultät, 15. Dezember 1955, 50 Seiten).
  • Johanne Bohley: Erziehung zur Heimat? Die Heimat- und Identitätsmodelle bei Emil Strauß. In: Dichtung im Dritten Reich? Zur Literatur in Deutschland 1933-1945. Hrsg. von Christiane Caemmerer und Walter Delabar. Opladen: Westdeutscher Verlag 1996, S. 231–244.
  • Hubert Braun: Die Romane und der Roman Emil Straussens. [Bonn] 1953, DNB 480365008 (Dissertation Universität Bonn 23. Dezember 1953, 195 Seiten).
  • Kurt Brem: Emil Strauß. Grundzüge seiner Weltanschauung. 1941, DNB 570027993(Dissertation Universität München, Philosophische Fakultät, 1942, 79 Seiten).
  • Manfred Bosch: Bohème am Bodensee. Literarisches Leben am See von 1900 bis 1950. Lengwil 1997, S. 90–98.
  • Thomas Diecks: Strauß, Emil Josef. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 25, Duncker & Humblot, Berlin 2013, ISBN 978-3-428-11206-7, S. 505–507 (Digitalisat).
  • Jan Ehlenberger: Adoleszenz und Suizid in Schulromanen von Emil Strauss, Hermann Hesse, Bruno Wille und Friedrich Torberg (= Bayreuther Beiträge zur Literaturwissenschaft, Band 28). Peter Lang, Frankfurt am Main 2006, ISBN 978-3-631-55234-6 (Dissertation Universität Bayreuth 2003).
  • Fritz Endres: Emil Strauß. Ein Versuch. Langen-Müller, München 1936, DNB 573005907.
  • Liselotte Fischer: Das Menschenbild in den Romanen und Novellen von Emil Strauss, o. O. 1951, DNB 480847800 (Dissertation Universität Freiburg [im Breisgau], Philosophische Fakultät, 15. November 1951).
  • Robert Fritzsch: Die Beziehungen zwischen Mann und Frau bei Emil Strauss. Erlangen 1953, DNB 480375585 (Dissertation Universität Erlangen, Philosophische Fakultät, 16. September 1953).
  • Gertrude Janota: Die Dramen von Emil Strauß, Wien 1944, DNB 570737702 (Dissertation Universität Wien, Philosophische Fakultät, 1944).
  • Helmuth Kiesel: Im Zwiespalt der Lektüre. 1934 erschien „Das Riesenspielzeug“ von Emil Strauß, ein Roman, der sich immer wieder der NS-Ideologie andient, aber trotzdem bemerkenswerte Literatur ist. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 106 vom 8. Mai 2021, S. 18.
  • Wenchao Li: Das Motiv der Kindheit und die Gestalt des Kindes in der deutschen Literatur der Jahrhundertwende. Untersuchungen zu Thomas Manns „Buddenbrooks“, Friedrich Huchs „Mao“ und Emil Strauß’ „Freund Hein“. 1989, DNB 910594260 (Dissertation FU Berlin 1990).
  • Hugo Meder: Die erzählenden Werke von Emil Strauß, Limburg an der Lahn 1938, DNB 570894964 (Dissertation Universität Frankfurt [am Main] 1938).
  • Joachim Noob: Der Schülerselbstmord in der deutschen Literatur um die Jahrhundertwende (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, Folge 3: Band 158). Winter, Heidelberg 1998, ISBN 3-8253-0696-8 (Dissertation Universität Oregon 1997, unter dem Titel: Non vitae sed scholae discimus: der Schülerselbstmord in der Literatur um die Jahrhundertwende).
  • Hildegard Ohnhäuser: Das Riesenspielzeug von Emil Strauß: Eine Untersuchung. o. O. 1943, DNB 570983223 (Dissertation Universität Wien, Philosophische Fakultät, 1944).
  • Ilsemarie Rommel: Die Liebe in der erzählenden Dichtung von Emil Strauss, DNB 571105734 (Dissertation Universität Jena, Philosophische Fakultät, 1945).
  • Bärbel Rudin (Hrsg.): „Wahr sein kann man“. Dokumentation zu Leben und Werk von Emil Strauss (1866–1960). Ausstellung der Stadt Pforzheim 8. Mai bis 14. Juni 1987. 2. Auflage, herausgegeben von Stadt Pforzheim. Pforzheim 1990, ISBN 3-9800843-8-8.
  • Gertrud Schneider: Persönlichkeit und Gemeinschaft bei Emil Strauß, o. O. 1939, DNB 571526594 (Dissertation Universität Würzburg 1939).
  • Werner Schölch: Erlebnis, Lebensgefühl und Religiosität bei Emil Strauß, o. O. [1951], DNB 480848114 (Dissertation Universität Freiburg [im Breisgau] 26. Februar 1951).
  • Konrad Strauß: Erinnerungen an meinen Vater Emil Strauß. Schweier, Kirchheim unter Teck 1990, ISBN 3-921829-32-1.
  • Wilma Werner: Das Werk von Emil Strauss: Wirklichkeits- und Symboldichtung, o. O. 1943, DNB 361330707 (Dissertation Universität Erlangen 1943).
  • Jan Zimmermann: Die Kulturpreise der Stiftung F.V.S. 1935–1945. Darstellung und Dokumentation. Herausgegeben von der Alfred Toepfer Stiftung F. V. S. Christians, Hamburg 2000, ISBN 3-7672-1374-5.

Einzelnachweise

  1. Im Roman Das Riesenspielzeug (1934) wird die Rheinburg als „Schloss Rotsaal“ bezeichnet. S. dazu Geschichte Schloss Rheinburg (zuletzt aufgerufen am 20. Juli 2013).
  2. Hans Killian: Hinter uns steht nur der Herrgott. Sub umbra dei. Ein Chirurg erinnert sich. Kindler, München 1957; hier: Lizenzausgabe als Herder-Taschenbuch (= Herderbücherei. Band 279). Herder, Freiburg/Basel/Wien 1975, ISBN 3-451-01779-2, S. 13.
  3. Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900–1918. Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. C. H. Beck, München 2004, ISBN 3-406-52178-9, S. 40.
  4. „Der Engelwirt/Zeittafel“, Illing, Göttingen 1987.
  5. http://www.polunbi.de/pers/beumelburg-01.html.
  6. Neue Mannheimer Zeitung. Jg. 147. Nr. 97 vom 27. Februar 1936 (Abend-Ausgabe A), S. 2 (online bei Marchivum - Druckschriften digital).
  7. Strauss, Emil. In: Theodor Kellenter: Die Gottbegnadeten : Hitlers Liste unersetzbarer Künstler. Kiel: Arndt, 2020, ISBN 978-3-88741-290-6, S. 92f.
  8. http://www.polunbi.de/bibliothek/1948-nslit-s.html.
  9. Uni Freiburg: Dichter und Denker in Freiburg: Emil Strauß.
  10. Hebel-Preis 1941 für Emil Strauß