Belgische EU-Ratspräsidentschaft 2010

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Die belgische EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2010 bezeichnet den Ratsvorsitz Belgiens im Ministerrat der Europäischen Union. Belgien gehört zur dritten Trio-Präsidentschaft, die im Halbjahr zuvor mit der spanischen Präsidentschaft begann und auch die ungarische EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2011 umfasst.

Turnusgemäß übernahm der belgische Außenminister am 1. Juli 2010 den Vorsitz im Rat für Allgemeine Angelegenheiten. Derzeit ist dies Steven Vanackere (CD&V); nach dem Rücktritt der Regierung Leterme II im April und den den Neuwahlen am 13. Juni 2010 ist er jedoch nur noch geschäftsführend tätig. In verschiedenen anderen Ratsformationen übernahme aufgrund des ausgeprägten belgischen Föderalismus nicht Minister der nationalen, sondern einer regionalen Regierung den Vorsitz.[1]

Die Präsidentschaft im Europäischen Rat rotiert seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nicht mehr, sondern wird für zweieinhalb Jahre gewählt. Seit 1. Dezember 2009 ist Herman Van Rompuy im Amt, der zufällig ebenfalls Belgier ist.

Themen

Zu den Themen, mit denen die Europäische Union während der belgischen Ratspräsidentschaft konfrontiert ist, zählt die EU-Erweiterung. So wurden die Beitrittsverhandlungen mit Island am 27. Juli formal eröffnet,[2] diejenige mit Kroatien sollen bis Ende des Jahres abgeschlossen werden.[3]

Zudem plant die belgische Regierung, das Thema Forschung und Entwicklung sowie Innovation in den Mittelpunkt der Ratspräsidentschaft zu stellen.[4] So soll auf dem Herbstgipfel des Europäischen Rates ein neuer Forschungs- und Innovationsplan ausgehandelt werden. Dieser soll an die Seite des Wirtschaftsprogramms Europa 2020 treten, das im ersten Halbjahr 2010 als Nachfolger der Lissabon-Strategie verabschiedet wurde. Vorbereitet wird der Innovationsplan bereits seit Anfang 2010 durch Máire Geoghegan-Quinn, die in der Europäischen Kommission das Ressort Forschung und Innovation innehat.[5] Zudem hat die belgische Regierung angekündigt, das bereits seit 2003 verfolgte Projekt eines EU-Patents während der Ratspräsidentschaft zum Abschluss bringen zu wollen.[6]

Des Weiteren spielte die Überwindung der Euro-Krise 2010 eine wichtige Rolle für die belgische Ratspräsidentschaft. Mitte September legte der Kommissar für Wirtschaft und Währung, Olli Rehn, Pläne der Kommission zu einer Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts vor.[7] Mitte Oktober präsentierten die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy gemeinsame Vorschläge hierzu, kurz bevor auf dem Oktobergipfel des Europäischen Rates Ratspräsident Herman Van Rompuy die Ergebnisse einer Task Force zur europäischen Wirtschaftsregierung vorstellte. Für kontroverse Diskussionen sorgte insbesondere der deutsche Vorschlag, Mitgliedstaaten mit zu hoher Verschuldung das Stimmrecht im Rat der Europäischen Union zu entziehen, der letztlich vom Europäischen Rat nicht aufgegriffen wurde. Stattdessen wurde Van Rompuy beauftragt, Vorschläge für eine „begrenzte Vertragsreform“ des AEU-Vertrags auszuarbeiten. Insbesondere sollte dadurch ein Verfahren eingerichtet werden, nachdem bei künftigen Schuldenkrisen von Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion private Gläubiger an der Rettung beteiligt werden.[8]

Die belgische Regierung kündigte zudem an, sozialpolitische Themen zu einem Schwerpunkt der Ratspräsidentschaft zu machen, insbesondere durch Umsetzung der Armutsbekämpfungsziele, die im Programm Europa 2020 vorgesehen sind.[9] Ein weiteres Thema der Ratspräsidentschaft war die zukünftige Ausrichtung der EU-Regionalpolitik und ihr Budget in der finanziellen Vorausschau für den Zeitraum 2013-2020. Aufgrund des stark föderalen belgischen Staatsgefüges fand dieses Thema hier besondere Aufmerksamkeit.[1]

Zudem spielt weiterhin die Implementierung der Neuerungen des Vertrags von Lissabon eine Rolle. So soll der Europäische Auswärtige Dienst (EAD), über dessen Gestaltung am Ende der vorhergehenden spanischen Ratspräsidentschaft entschieden wurde, eingerichtet werden.[10] Über die genaue Ausgestaltung des EAD kam es jedoch zu Spannungen zwischen dem Rat der EU und dem Europäischen Parlament. Die belgische Ratspräsidentschaft kündigte an, in diesem interinstitutionellen Konflikt eine schlichtende Rolle spielen zu wollen.[11] Am 26. Juli gab der Rat für Auswärtige Angelegenheiten seine endgültige Zustimmung zur Einrichtung des Dienstes.[12] Zudem sollte während der belgischen Ratspräsidentschaft der EU-Etat für 2011 vereinbart werden, bei dessen Ausarbeitung das Europäische Parlament erstmals bestimmte zusätzliche Befugnisse gemäß dem Vertrag von Lissabon ausüben konnte. Aufgrund von Uneinigkeiten zwischen Parlament und Rat scheiterten die Haushaltsverhandlungen allerdings am 15. November 2010, sodass es für das folgende Jahr zunächst nur einen Notetat geben wird. Dadurch ist auch die zunächst für Dezember 2010 geplante Einrichtung des EAD gefährdet, da keine zusätzlichen Mittel für ihn zur Verfügung stehen.[13]

Im Politikbereich Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts plante die Ratspräsidentschaft die Ausarbeitung europaweiter Mindeststandards im Asylrecht, was jedoch von den drei größten Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschlands, abgelehnt wurde.[14] Dennoch gewann die Justiz- und Innenpolitik auf einem (eigentlich der europäischen Wirtschaftsregierung gewidmeten) Sondergipfel des Europäischen Rates am 16. September überraschend an Bedeutung, nachdem kurz zuvor die Justizkommissarin Viviane Reding heftige Kritik an der französischen Regierung wegen deren Abschiebung von Roma in andere EU-Mitgliedsländer. Auf dem Gipfel kam es deshalb zu einem Eklat zwischen dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und dem Kommissionspräsidenten José Manuel Durão Barroso.[15]

Einzelnachweise

  1. a b EurActiv, 24. Juni 2010: Belgische Regionen haben größere Rolle für Regionen währen EU-Ratspräsidentschaft im Auge.
  2. EurActiv, 27. Juli 2010: Island stürmt EU-Wartezimmer.
  3. EurActiv, 23. Juni 2010: Belgien macht vorsichtige Schritte bei EU-Erweiterung.
  4. EurActiv, 23. Juni 2010: Belgische Präsidentschaft stellt Innovation ins Rampenlicht.
  5. EurActiv, 28. Mai 2010: Regierungen wollen Forschungsgelder als Kern des Innovationsplans.
  6. EurActiv, 24. Juni 2010: EU-Patent entscheidend für belgische Ratspräsidentschaft.
  7. EurActiv, 17. Juni 2010: Kommission enthüllt künftige Euro-Stabilitätspläne.
  8. EurActiv, 29. Oktober 2010: EU-Gipfel: Merkel setzt Vertragsänderung durch, siehe auch Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 29. Oktober 2010.
  9. EurActiv, 25. Juni 2010: Belgien wird an EU-Steuer ambitionierte soziale Agenda fördern.
  10. EurActiv, 22. Juni 2010: Spanische Präsidentschaft besiegelt EAD-Deal.
  11. EurActiv, 14. Juli 2010: Belgien versucht Spannungen des Lissabonvertrags zu mildern.
  12. EurActiv, 27. Juli 2010: EU will Diplomatendienst bis Dezember.
  13. EurActiv, 16. November 2011: Großbritannien und Niederlande blockieren EU-Budget.
  14. Tagesschau, 15. Juli 2010: Vorlage:Tagesschau.
  15. Süddeutsche Zeitung, 16. September 2010: Zoff statt Diplomatie.
VorgängerAmtNachfolger
Spanische EU-RatspräsidentschaftEU-Ratspräsidentschaft
1. Juli 2010 – 31. Dezember 2010
Ungarische EU-Ratspräsidentschaft