Benutzer:Hajo-Muc/Massaker auf der Halbinsel Yalova

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Die Massaker auf der Halbinsel Yalova waren eine Reihe von Massakern und ethnischen Säuberungen an Türken in der Region Yalova (Provinz) und zum Teil Bursa (Provinz), die durch lokale griechische und armenische Banden und der einfallende hellenische Armee im April-Mai 1921 begangen wurden. Sie geschahen während des Griechisch-Türkischen Krieges. Fast alle muslimisch-türkischen Dörfer in der Region wurden niedergebrannt, die Mehrheit der muslimischen Bevölkerung flüchtete entweder oder wurde massakiert.[1][2] Maurice Gehri, Repräsentant des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, kam zu der Einschätzung, dass organisierte Banden ("çetes") Hand in Hand mit regulären griechischen Truppen eine Ausrottungspolitik gegenüber den lokalen Türken betrieben.[3]. Die Anzahl der Toten ist umstritten und wird mit 300 bis 9.143 angegeben.




Massaker auf der Halbinsel Yalova
Ort Osmanisches Reich, das heutige Yalova und Bursa
Opfer Türken und Muslime
Art der Attacke Ethnische Säuberung[4]
Opferzahlen Mindestens 27 verbrannte Dörfer. Toynbee und Maurice Gehri waren Augenzeugen von mindestens 300 Getöteten.[5] Nach einigen Quellen verblieben 1500 Menschen der Ursprungsbevölkerung nach den Ereignissen[6] oder 6,000 verschwanden.[7][8]. Nach Osmanischem Bericht 8.000 Tote
Täter Königreich Griechenland
Lokale Griechen, Armenier
Foto von Haïrié Hanim, der 13-jährigen Tochter von Pasli Oglou Mehmed, die nach einer Vergewaltigung durch griechische Soldaten mit einer Bombe am Kiefer verletzt wurde.

Bevölkerung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bevölkerung der Halbinsel, wie des gesamten Raumes südöstlich des Marmarameeres, vor dem Ersten Weltkrieg umfasste eine ethnisch vielfältige Bevölkerung, darunter Muslime (Türken, Lasen, Avaren, Tscherkessen), Griechen und Armenier. Viele Siedler hatten sich im Lauf des 19. Jahrhunderts in dieser Gegend niedergelassen und ihre eigenen Dörfer gegründet, darunter Armenier aus dem Osten, Griechen, die auf den Inseln kein Auskommen mehr hatten und auch viele muslimische Flüchtlinge (Muhacir). Die Kaza von Orhangazi hatte eine Mehrheit von Armeniern mit einer Minderheit von Muslimen (34%). Auch in der Kaza von Yalova gab es 1914 eine muslimische Minderheit (36%), wobei die Christen in der Mehrheit waren (Griechen und Armenier). Die Kaza von Gemlik war zu 57 % muslimisch, aber die Stadt Gemlik war zur Zeit des Krieges fast vollständig (90%) griechisch.[9] Während des Ersten Weltkrieges wurden viele der Armenier in der Region deportiert, sodass nur noch 2000 Armenier in der Region im Jahre 1921 zurückblieben. Die ethnischen Spannungen waren beträchtlich. Ausgehend von der Annexion Bosnien-Herzegowinas 1908 durch Österreich-Ungarn und verstärkt durch den Tripoliskrieg und die Balkankriege hatte sich das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen fortwährend verschlechtert. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg mit dem Waffenstillstand von Moudros führte zum Zusammenbruch der staatlichen Autorität.

Griechische Landung in Izmir[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am Ende des Ersten Weltkriegs (1914–1918) und mit dem Waffenstillstand von Moudros, der die osmanische Front des Ersten Weltkriegs beendete, begannen die Alliierten eine Reihe von Gesprächen, die sich auf die Teilung des Osmanischen Reiches konzentrierten. Mit der Zustimmung der Siegermächte landeten griechische Truppen am 15. Mai 1919 in Izmir. Dies traf einerseits auf eine große Erbitterung auf türkisch-osmanischer Seite, wo die Griechen, die sich erst spät der Entente angeschlossen hatten, als Trittbrettfahrer der Siegermächte angesehen wurden, andererseits auf die Gegnerschaft Italiens, dem in den interalliierten Gesprächen während des Kriegs als Einflusszone zugesprochen worden war. Als Grenze des griechischen Besatzungsgebiets wurde daher von den Alliierten die Milne-Linie gezogen, die aber die italienische Gegnerschaft nicht besänftigte. Die Region Yalova-Gemlik zu der Zeit war unter britischer Kontrolle und war Teil der alliierten Kontrollzone um Istanbul und die Meerengen. Grenzen von Besatzungszonen waren dabei nur unter den Alliierten selbst vereinbart, besatzungsfreie Zonen in Anatolien resultierten - neben dem zunehmenden türkischen Widerstand - allein aus dem Mangel der Alliierten an militärischen Kräften, das Land flächendeckend zu kontrollieren.

Inzwischen erstarkte nach dem Erscheinen Mustafa Kemals am 19. Mai 1919 und den Kongressen in Erzurum und Sivas der Widerstand gegen die geplante Aufteilung des osmanischen Reiches. Bei einer Zusammenkunft einer Abordnung des neu gewählten osmanischen Parlaments mit dem inzwischen in Ankara unter dem Vorsitz Mustafa Kemals gegründeten Repräsentativkomitee wurde der den alliierten Plänen entgegenstehende Nationalpakt (Misak-ı Millî) formuliert, der auch vom osmanischen Parlament beschlossen wurde. Nachdem die Briten eine Reihe von Parlamentsabgeordneten festgenommen und nach Malta deportiert hatten und auch der Sultan das Parlament aufgelöst hatte. konstituierte sich am 23. April 1920 in Ankara die Große Nationalversammlung. Im Gegensatz zu Ostanatolien, wo der neuen Regierung reguläre Truppen für den Krieg gegen Armenien zur Verfügung standen, verfügte die Regierung in Ankara u. a. im Westen des Landes zunächst nur über die irregulären Milizen der Kuvayı Milliye. Trotzdem scheiterte ein von den Alliierten initiierter Versuch der Regierung des Sultans, mit Hilfe der Kuva-yi İnzibatiye die aufsässige Gegenregierung in Ankara zu beseitigen. Im Gegenzug stießen vielmehr die Streitkräfte der Nationalversammlung bis auf die bithynische Halbinsel und an die Stadtgrenzen des von alliierten Streitkräften besetzten Istanbuls vor, was die Sicherheit des Besatzungsregimes gefährdete. Weil die Alliierten aber keine eigenen Truppen verstärken wollten, nahmen sie ein griechisches Angebot zur Sicherung der bithynischen Halbinsel an. Die griechischen Truppen begannen daraufhin, die Milne-Linie auf breiter Front zu überschreiten. Gemäß einer Absprache zwischen dem griechischen Ministerpräsidenten Eleftherios Venizelos und dem britischen Premier David Lloyd George sollten die griechischen Streitkräfte die Gegenregierung in Ankara zur Annahme der alliierten Pläne zwingen und Griechenland im Gegenzug territoriale Gewinne und eine Großmachtstellung im östlichen Mittelmeer erhalten.

Der Fortschritt der griechischen Armee östlich, außerhalb der Zone "Smyrna" brachte einen inter-ethnischen Konflikt in die Region. Die Region Yalova-Gemlik wurde Ende 1920 von den Briten an die Griechen übergeben.[10]

Untersuchung der Inter-Alliierten Kommission (13. – 23. Mai 1921)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Englisches Kriegsschiff "Bryony" in Konstantinopel

Nach Berichten über Massaker in der Region von İznik und Gemlik wurde im Mai 1921 eine interalliierte Kommission, bestehend aus britischen, französischen, amerikanischen und italienischen Offizieren, und dem Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes in Genf, Maurice Gehri, eingesetzt, um die Situation zu untersuchen. Sie segelten mit dem Schiff "Bryony" und erreichten Gemlik am 12. Mai. Am 13. Mai 1921 begann die Kommission mit der Untersuchung der verbrannten Dörfer Çertekici, Çengiler (von Türken niedergebranntes armenisches Dorf) und Gedelek. In Çertekici fanden sie 4 griechische Soldaten, die an verbliebenen Gebäuden Brandstiftung verübten. Dann kehrten sie nach Gemlik zurück. Hier hörten sie den türkischen Flüchtlingen zu, die sich dort versammelt hatten, die meisten von ihnen stammten aus Orhangazi, das einen Monat zuvor, am 16. April, von der griechischen Armee verbrannt wurde. Die Flüchtlinge beklagten sich, auf dem Weg nach Gemlik von Griechen und Armeniern ausgeraubt worden zu sein. Die Kommission hörte sich verschiedene Fälle an; einschließlich der Vergewaltigung und Folter einer sechzigjährigen Frau durch sechs griechische Soldaten. Am 16. Mai reiste die Kommission in das Dorf Küçük Kumla, die einheimische türkische Bevölkerung versteckte sich aus Angst in ihren Häusern, doch als sie merkte, dass es die alliierte Kommission war, versammelte sich eine Gruppe von 1.000 Dorfbewohnern um sie. Sie erzählten, dass die Situation seit einem Monat schrecklich sei und dass am vergangenen Donnerstag eine Gruppe von 60-65 griechischen Soldaten in Begleitung von 40 griechischen Zivilisten in das Dorf gekommen sei und drei Männer getötet und eine Frau verletzt habe. Am Tag zuvor hatte eine andere griechische Gruppe 8–9 Menschen getötet. Später an diesem Tag ging die Kommission in das Dorf Kapaklı, das seit drei Tagen brannte. Sie fanden 8 Leichen unter den Trümmern, 4 davon Frauen. Die Überlebenden sagten der Kommission, dass griechische Soldaten dafür verantwortlich seien. Dann untersuchte die Kommission das niedergebrannte Dorf Narlı, das noch immer brannte. Außerdem waren viele der Einwohner der niedergebrannten/verlassenen Dörfer nicht auffindbar. Ähnliche Fälle fand die Kommission in der Gegend um Yalova, wo 16 muslimische Dörfer niedergebrannt worden waren. Sie landeten dort am 21. Mai und fanden nach Ermittlungen die Zwillingsdörfer von Kocadere zerstört vor, dann kehrten sie am 22. Mai nach Konstantinopel zurück. Laut dem Bericht hatte das Verhalten der Bevölkerung keinen Anlass für die Greueltaten gegeben. Sie erfolgten im Zeitraum Ende März bis 15. Mai 1921. Es wurde gemutmaßt, dass sie nach und als Folge der griechischen Niederlage bei Eskişehir (gemeint ist das heute als 2. Schlacht von İnönü vom 26. bis 31. März 1921 bekannte Treffen) begangen worden seien. Die griechische 3. Division, der eine korrekte Behandlung der Zivilbevölkerung attestiert worden sei, sei gegen eine neu aus anatolischen Griechen aufgestellte 10. Division ausgetauscht worden, die sich in der Schlacht „keine Lorbeeren“ erworben habe.[11][12]

Mitglieder der interallierten humanitären Mission Yalova

Flüchtlinge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Da die zivile Bevölkerung ihre Häuser und Viehbestand verlor, wurden viele der lokalen Muslime mit dem Schiff nach Istanbul evakuiert.

Galata- Schiff das Flüchtinge transportiert

Auswirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Toynbee kam zu dem Entschluss, dass die Griechen genau wie die Türken nicht in der Lage sind über die gemischte Bevölkerung zu regieren.[13] Er sprach gegen die griechische Besatzung (?) und schrieb noch vor dem Kriegsende im Jahre 1921 ein Buch mit dem Titel "The Western Question in Greece and Turkey: A Study in the Contact of Civilisations". (Inhalt des Buches; Würdigung, einfügen, Belege)

Namen der verbrannten Dörfer[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Verbrannte Siedlungen auf der Halbinsel Yalova.
Verbrannte Dörfer nach osmanischer Quellen.[14] Seite 238-240
Dörfer Bevölkerung Notiz
Teşvîkiye 430
Kocadere-i Bâlâ 350
Kocadere-i Zîr 550
Çınarcık 550 Nur 20 überlebten das Massaker
Çalıca 120 Alle Häuser vebrannt und die Bevölkerung massakriert
Kurdköy 400
Ortaburun 150
Günlük[Güllük] 200 Die Bewohner flüchteten, zwei Vermisste, die Häuser verbrannt
Gökçedere 100
Üvezpınar 150
Paşaköy 350
Solucak [Soğucak] 200
Kirazlı 250
Yortan 250
Dereköy 250
Akköy 550
Samanlı 150
Reşadiye 1250
Esediye 250
Çakırlı 550
Üreğil 700
Cihanköy 250 Die Bewohner flüchteten vorher.
Dutluca 850
Fıstıklı 550
Karacaali 650
Mecidiye 200
Selimiye 700
Lütfiye 100
Hayriye 250
Haydariye 250
Ihsâniye 100
Küçükkumla 150
Sultaniye 100
Büyükkumla 620
Gesamt: 12.430 Tote: 8.000
verbrannte Dörfer in Arnold J. Toynbee's Liste [15]
Dorf Schreibweise und laufende Nummer bei Toynbee Anzahl der Häuser Anzahl der verbrannten Häuser
Çalıca Chalyjakeui (15) 40–50 komplett
Kurdköy Kürdkeui (10) 100 komplett
Ortaburun Orta Burun (13) 40 komplett
Güllük Güllük (14) 50–60 komplett
Gökçedere Gökché Deré (12) 30–40 komplett
Üvezpınar Uvez Punar (11) 50–60 komplett
Paşaköy Pashakeui (9) 80–90 komplett
Sığırcık Syghyrjyk (8) 80 komplett
Kirazlı Kirazly (7) 60 komplett
Yortan Yortan (6) 40–60 komplett
Dereköy Derekeui (3) 40–60 komplett
Resadiye Reshadié (1) 400 komplett
Sultaniye Sultanié (4) 10–40 komplett
Gacık Ghajik (2) 100 zur Hälfte
? Karakilissé (5) 40 komplett
Enthaupteter Kopf eines der Opfer, des Schäfers Süleyman

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Arnold Toynbee: The Western Question in Greece and Turkey:A Study in the Contact of Civilizations. H. Fertig, originally: University of California, S. 283–284 (louisville.edu [PDF]): „Die Mitglieder der Kommission sind der Ansicht, dass es in dem von der griechischen Armee besetzten Teil der Kazas von Yalova und Guemlek (d. i. Gemlik) einen systematischen Plan zur Zerstörung türkischer Dörfer und zur Ausrottung der muslimischen Bevölkerung gibt. Dieser Plan wird von griechischen und armenischen Banden ausgeführt, die anscheinend unter griechischer Anleitung und manchmal sogar mit Unterstützung von Abteilungen regulärer Truppen operieren"
  2. Norman Naimark: Fires of Hatred. 2003 (google.de): „Die Inter-Alliierte Kommission kam zu dem Entschluss, dass es eine systematische Ausrottungspolitik gegenüber der muslimischen Bevölkerung betrieben wird.“
  3. Isaiah Friedman: British Miscalculations: The Rise of Muslim Nationalism, 1918-1925. Hrsg.: Routledge. 2012, Kap. 10, S. 255 (englisch, google.de): “In den letzten zwei Monaten wurde die griechische Besatzungsarmee bei der Vernichtung der muslimischen Bevölkerung der Halbinsel eingesetzt”
  4. Naimark: Fires of Hatred. S. 45 (google.de).
  5. Ryan Gingeras: Sorrowful Shores: Violence, Ethnicity, and the End of the Ottoman Empire,1912-1923. (google.de).
  6. William H. McNeill: Arnold J. Toynbee: A Life. Oxford University Press, 1989, ISBN 978-0-19-992339-7 (google.com): „To protect their flanks from harassment, Greek military authorities then encouraged irregular bands of armed men to attack and destroy Turkish populations of the region they proposed to abandon. By the time the Red Crescent vessel arrived at Yalova from Constantinople in the last week of May, fourteen out of sixteen villages in that town's immediate hinterland had been destroyed, and there were only 1,500 survivors from the 7,000 Moslems who had been living in these communities.“
  7. Current history and forum. 16. Auflage. S. 478 (archive.org [abgerufen am 28. Juni 2021]).
  8. Publication - Turkey. Dahiliye vekâleti. Department of refugees - Google Books. 1921 (google.com [abgerufen am 28. Juni 2021]).
  9. Ryan Gingeras: Sorrowful Shores: Violence, Ethnicity, and the End of the Ottoman Empire,1912-1923. (google.de).
  10. Michael Llewellyn-Smith: Ionian Vision: Greece in Asia Minor, 1919-1922. 1999, S. 209.
  11. Current history and forum. 16. Auflage. S. 478 (archive.org [abgerufen am 28. Juni 2021]).
  12. Reports on atrocities in the districts of Yalova and Guemlek and in the Ismid Peninsula. 1921, S. 1–2–3–4–5–6–7–8–9–10–11 (archive.org [abgerufen am 29. Juli 2021]).
  13. Nicholas Doumanis: Before the Nation: Muslim-Christian Coexistence and Its Destruction in Late-Ottoman Anatolia. 2012, S. 161 (google.de).
  14. Arşiv Belgelerine Göre Balkanlar’da ve Anadolu’da Yunan Mezâlimi 2.
  15. Arnold Toynbee: The Western Question. In Greece and Turkey, a Study in the Contact of Civilisations. (fotomechanischer Reprint der Ausgabe 1922) Forgotten Books, London 2015, ISBN 978-1-330-12729-2, Seite 311

Kategorie:Massaker Kategorie:Provinz Yalova