Benutzer:ManuZink/Nachtwachen

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Nachtwachen ist ein satirischer Roman von August Klingemann, der zuerst anonym 1804 in Penig bei dem Verleger Ferdinand Dienemann erschien. Er war Teil des Journals von neuen deutschen Original Romanen, in dem unter anderem auch Sophie Brentano und Christian August Vulpius publizierten. 1805 wurde der Text, ebenfalls bei Dienemann, mit dem Zusatz "Von Bonaventura" veröffentlicht. In der Forschung galt die Autorschaft des Romans lange Zeit als ungeklärt, bis 1987 der Fund einer Handschrift in der Universitätsbibliothek von Amsterdam den Braunschweiger Dichter und Theaterdirektor August Klingemann als Verfasser bestätigte.

Titelblatt der ersten Ausgabe von 1804

Form & Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Form[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Roman gliedert sich in 16 Episoden, die als "Nachtwachen" bezeichnet werden. Unterschiedliche Textformen (Rede, Prolog, Briefwechsel, Gedicht, Essay oder Bildbeschreibung), die nicht zwingend der Handlung angehören, durchbrechen die erzählende Struktur des Textes und lassen ihn insgesamt unzusammenhängend und fragmentarisch erscheinen. Insgesamt bedient sich Klingemann eines umfangreichen Repertoires verschiedenster Textformen. Damit lehnt er sich an romantische Vorbilder wie Friedrich Schlegels Lucinde oder Clemens Brentanos Godwi an.

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Hauptfigur ist Kreuzgang, ein von der Welt verstoßener Nachtwächter, der nun allnächtlich durch die dunklen Gassen einer Stadt zieht und der Bevölkerung die Stunde abruft. Auf seinen Streifzügen trifft er auf die unterschiedlichsten Gestalten, die ihn zu Überlegungen anregen. Diese münden zumeist in eine Kritik an seine Zeit. Kern dieser Missbilligungen ist die Sinnlosigkeit des Daseins. Wissenschaft, Religion und Kunst werden mit grotesken Bildern aufs Korn genommen. Die Ziele und Zwecke des einzelnen Menschen oder der ganzen Gesellschaft verneint Kreuzgang vehement. Mit den letzten Worten spricht der Roman ein dreifaches Nichts aus, was ihn stark in die Nähe des Nihilismus rückt. Versinnbildlicht wird dies vor allem mit der Metapher der Rolle. Die Tragödie des Menschen bestehe darin, dass letztlich alles bloß Schauspiel sei. Will man zu einer Begründung vordringen - im Bild der Rollen-Metapher gesprochen: den Schauspieler hinter seiner Maske ausfindig machen - führe dieses Unterfangen unweigerlich ins Nichts. So schreibt Kreuzgang in der Vierzehnten Nachtwache in der Rolle des Hamlet:

„Es ist Alles Rolle, die Rolle selbst und der Schauspieler, der darin steckt, und in ihm wieder seine Gedanken und Plane und Begeisterungen und Possen – alles gehört dem Momente an, und entflieht rasch, wie das Wort, von den Lippen des Komödianten. – Alles ist auch nur Theater, mag der Komödiant auf der Erde selbst spielen, oder zwei Schritte höher, auf den Brettern, oder zwei Schritte tiefer, in dem Boden, wo die Würmer das Stichwort des abgegangenen Königs aufgreifen; mag Frühling, Winter, Sommer oder Herbst die Bühne dekoriren, und der Theatermeister Sonne oder Mond hineinhängen, oder hinter den Koulissen donnern und stürmen – alles verfliegt doch wieder und löscht aus und verwandelt sich – bis auf den Frühling in dem Menschenherzen; und wenn die Koulissen ganz weggezogen sind, steht nur ein seltsames nacktes Gerippe dahinter, ohne Farbe und Leben, und das Gerippe grinset die anderen noch herumlaufenden Komödianten an.“

Vierzehnte Nachtwache

Doch der Text lässt es bei dem nihilistischen Grundzug nicht bewenden. Es gibt eine Rolle, die das ganze Welttheater nicht höher bewertet als es tatsächlich ist:

„Nun erscheint der Hanswurst wieder um ihn zu besänftigen und zu trösten, führt auch unter andern, als er es gar zu arg macht, ärgerlich an, wie albern es sei, wenn es einer Marionette einfiele über sich selbst zu reflektiren, da sie doch blos der Laune des Direktors gemäß, sich betragen müsse, der sie wieder in den Kasten lege, wenn es ihm gefiele. Dann sagt er auch manches Gute über die Freiheit des Willens und über den Wahnsinn in einem Marionettengehirne, den er ganz realistisch und vernünftig abhandelt; alles das um der Puppe zu beweisen, wie toll es eigentlich von ihr sei dergleichen Dinge sehr hoch zu nehmen, indem alles zulezt doch auf ein Possenspiel hinausliefe, und der Hanswurst im Grunde die einzige vernünftige Rolle in der ganzen Farce abgäbe, eben weil er die Farce nicht höher nähme als eine Farce.“

Vierte Nachtwache

Kreuzgang will damit nicht nur die Rolle des Hanswurstes rehabilitieren, - diese war von Johann Christoph Gottsched und Friederike Neuber von den Bühnen des 18. Jahrhunderts verbannt worden (siehe hierzu: Hanswurst) - er weist mit der Aufwertung des Hanswurstes auch auf die einzig mögliche Einstellung hin, die er der allgegenwärtigen Maskerade gegenüber einnimt. Ein anderes Beispiel ebendieser weltumspannenden Verstellung ist die Metapher von der Welt als Irrenhaus:

„Die Menschheit organisirt sich gerade nach Art einer Zwiebel, und schiebt immer eine Hülse in die andere bis zur kleinsten, worin der Mensch selbst denn ganz winzig stekt. So baut sie in den großen Himmelstempel an dessen Kuppel die Welten als wunderheilige Hieroglyphen schweben, kleinere Tempel mit kleinern Kuppeln und nachgeäfften Sternen, und in diese wieder noch kleinere Kapellen und Tabernakel, bis sie zulezt das Allerheiligste ganz en miniature wie in einen Ring eingefaßt hat, da es doch ringsum groß und mächtig um Berge und Wälder schwebt, und in der glänzenden Hostie, der Sonne, am Himmel emporgehoben wird, daß die Völker davor niederfallen. In die allgemeine Weltreligion, die die Natur mit tausend Schriftzeichen geoffenbart hat, schachtelt sie wieder kleinere Volks- und Stammreligionen für Juden, Heiden, Türken und Christen; ja die leztern haben auch daran nicht genug, sondern schachteln sich noch von neuem ein. – Eben so ist es mit dem allgemeinen Irrhause, aus dessen Fenstern so viele Köpfe schauen, theils mit partiellem, theils mit totalem Wahnsinne; auch in dieses sind noch kleinere Tollhäuser für besondere Narren hineingebaut.“

Neunte Nachtwache

Verfasserfrage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Urheberschaft des Romans war bis in die 1980er Jahre hinein umstritten. Die Germanistik hat den Text zeitweilig unter anderem Clemens Brentano, E.T.A. Hoffmann, Karl Friedrich Gottlob Wetzel und Caroline Schelling zugeschrieben. Jean Paul vermutete in seinen "Reminiszenzen und Lizenzen" zu seinem "Gianozzo", dass Friedrich Schelling der Autor sei. Auch Jean Paul selbst geriet unter Verdacht. Heute nimmt man aufgrund der Forschungen Jost Schillemeits und Horst Fleigs mit großer Sicherheit an, Klingemann habe den Roman verfasst. Ihre Beweise gründen sich auf interpretatorische und sprachstatistische Methoden, mit denen sie einzelne Wörter, Wortfolgen oder Motive, die in den "Nachtwachen" verwendet werden, mit anderen infrage stehenden Autoren verglichen. Die größten Gemeinsamkeiten entdeckten beide in den Schriften August Klingemanns. 1987 veröffentlichte schließlich Ruth Haag in der Zeitschrift Euphorion den Artikel "Noch einmal: Der Verfasser der Nachtwachen von Bonaventura" und berichtete von einem besonderen Fund. In einer Handschriften-Sammlung der Universität von Amsterdam fand sie eine Liste der Veröffentlichungen Klingemanns, in der er handschriftlich vermerkt "Nachtwachen. Penig. Dienemann. 1804" und somit die Nachtwachen sein eigen nennt.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Textausgaben (Auswahl)
  • August Klingemann: Nachtwachen von Bonaventura. Mit Illustrationen von Lovis Corinth. Hrsg. v. Jost Schillemeit. Frankfurt/M.: Insel 2000, ISBN 978-3458317890.
  • Bonaventura (E. A. F. Klingemann): Nachtwachen. Hrsg. v. Wolfgang Paulsen. Stuttgart: Reclam 1986, ISBN 978-3150089262.
  • August Klingemann: Nachtwachen von Bonaventura. Freimüthigkeiten. Hrsg. v. Jost Schillemeit. Göttingen: Wallstein 2012, ISBN 978-3835308312.
Sekundärliteratur (Auswahl)
  • Horst Fleig: Literarischer Vampirismus. Klingemanns »Nachtwachen von Bonaventura«. Tübingen: Niemeyer 1985.
  • Jost Schillemeit: Bonaventura, der Verfasser der »Nachtwachen«. München: Beck 1973.
  • Manfred Engel: Auf der Suche nach dem Positiven. Die Kritik an Subjektivismus und romantischer Romanform in Klingemanns „Nachtwachen“ und Immermanns „Münchhausen“. In: Günter Blamberger u.a. (Hrsg.): Studien zur Literatur des Frührealismus. Frankfurt/M.: Lang 1991.
  • Horst Fleig: Zersprungene Identität. Klingemann - Nachtwachen von Bonaventura (1973). Das Typoskript erschien 1974 als Beigabe zu: Horst Fleig: Sich versagendes Erzählen (Fontane) (Göppinger Beiträge zur Germanistik; Bd. 145). Göppingen: Kümmerle Verlag 1974.
  • Ruth Haag: Noch einmal. Der Verfasser der „Nachtwachen von Bonaventura“, 1804. In: Euphorion, Bd. 81 (1987).
  • Jürgen Peters: August Klingemann, „Tanzt nur wieder fort, ihr Larven“. In: Ders.: Von Dichterfürsten und anderen Poeten. Kleine niedersächsische Literaturgeschichte, Bd. 1. Hannover: Revonnah-Verlag 1993.
  • Thomas Böning: Widersprüche. Zu den "Nachtwachen. Von Bonaventura" und zur Theoriedebatte. Freiburg: Rombach 1996.
  • Walter Pfannkuche: Idealismus und Nihilismus in den "Nachtwachen" von Bonaventura. Frankfurt/M.: Peter Lang 1983.
  • Peter Kohl: Der Freie Spielraum Im Nichts. Frankfurt/M.: Peter Lang 1986.
  • Ina Braeuer-Ewers: Züge des Grotesken in den Nachtwachen von Bonaventura. Paderborn u a.: Schöningh 1995.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]