Benutzer:Tavin/Stochastischer Terrorismus

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Stochastischer Terrorismus (von stochastisch, zufallsabhängig) ist ein soziologisches Erklärungsmodell für eine Form des Terrorismus, in der massenmedial verbreitete Botschaften, die sich nicht an einen konkreten Täterkreis richten, tatsächliche terroristische Anschläge und Gewalt provozieren. Die Ausführenden erscheinen als Isolierte Einzeltäter, da sie keine offensichtlichen Verbindungen in ein extremistisches Umfeld haben.

Begriff und Definition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff stochastischer Terrorismus kommt seit 2016 vermehrt in Gebrauch, nachdem er von dem US-amerikanischen Juristen und Kommentator David S. Cohen auf den damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump angewendet wurde. Cohen zufolge sei der Begriff zu diesem Zeitpunkt bereits seit ca. 15 Jahren gelegentlich benutzt worden. Er bezeichne einen Vorgang, bei dem zufällige Akteure angestiftet würden, Gewalttaten oder Terrorakte auszuführen, die statistisch, aber nicht individuell vorhersagbar seien.[1]

Typisch für stochastischen Terrorismus ist eine systematische Diffamierung einer Person oder Gruppe, meist durch Massenkommunikationsmittel, und als Folge die individuell nicht vorhersagbare und scheinbar zufällige, aber statistisch wahrscheinliche Begehung von Gewalttaten.[2][3] Laut Marina Weißband fußt das Konzept auf einer Vorstellung von fließendem Übergang zwischen sozial akeptablen Vorurteilen und offener Gewältätigkeit die in der Gewaltpyramide beschrieben wird.[4]

Ein stochastischer Terrorist führt nicht die eigentliche Tat aus; er ist die Person oder Gruppe, die die Motivation und teilweise auch die Rechtfertigung für die Tatbegehung durch andere schafft.[5] Der Öffentlichkeit wird nahegelegt, das Opfer habe Strafe verdient, wodurch die Opfer zu Tätern umgedeutet werden. Die konkreten Taten werden scheinbar unvorhersehbar durch einen „einsamen Wolf“ begangen.[6][7] Im Hinblick auf massenmedial verbreitete Hetzkampagnen wird es in Fachkreisen abglehnt bei den letzten Endes ausführenden Tätern überhaupt von „einsamen Wölfen“ zu reden. Der Begriff des „einsamen Wolfes“ basiert auf dem Ku-Klux-Klan-Konzept des „führerlosen Widerstandes".[8][9]

Ein Merkmal des stochaistischen Terrorismus ist, dass die Antreiber der Diffamierungen offen agieren, aber sich jederzeit von den von ihnen verursachten Taten distanzieren können.[6][10] Es sei sogar denkbar, dass sie die Taten der eigentlichen Attentäter ernsthaft ablehnten.[11]

Zu den Mitteln des stochastischen Terrorismuses zählen die anhaltende öffentliche Wiederholung von Anschuldigungen und Verdächtigungen, die Schaffung eines Bedrohungsszenarios, das angeblich zum Handeln zwinge, und konzertierte Droh- und Einschüchterungskampagnen gegen politische Gegner.[12]

Mark S. Hamm und Ramón Spaaij (2017)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Phänomen wurde vom Kriminologen Mark S. Hamm und vom Soziologen Ramón Spaaij 2017 in „The Age of Lone Wolf Terrorism“ beschrieben.[13] Dort definieren sie stochastischen Terrorismus als die „Nutzung von Massenmedien, um zufällige Akte ideologisch motivierter Gewalt zu provozieren, die zwar statistisch vorhersagbar sind, im konkreten Einzelfall jedoch nicht“.[14]

Hamm und Spaaij führen weiter aus, dass der stochastische Terrorist durch überzeugende Kommunikationstechniken Ausbrüche von Gewalt indirekt ermöglicht, ohne wissen zu können, wer die Botschaften aufgreifen und die Gewalt begehen wird. In ihrem Buch nennen die Autoren den sogenannten Islamischen Staat (ISIS) als ein Beispiel für Anwender stochastischen Terrorismus, der über Soziale Medien seine Botschaften weltweit verbreitete.

Laut Hamm und Spaaij kommt es bei stochastischem Terrorismus vor allem auf die emotionale Intensität der Botschaft an und wie diese vom Konsumenten der Botschaft interpretiert wird. Dadurch muss der stochastische Terrorist nicht aktiv zu Gewalt aufrufen, damit Gewalt auch tatsächlich stattfinden wird. Das ermöglicht ihm gleichzeitig, sich von Taten, die durch seine Rhetorik inspiriert wurden, zu distanzieren. Dies macht es schwierig das Verhalten stochastischer Terroristen zu sanktionieren, wenn die Botschaften nicht gegen bereits existierende Gesetze verstoßen.[10]

Verbreitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff stochastischer Terrorismus kann seit 2001 nachgewiesen werden.[1] Die Online-Ausgabe des Merriam-Webster’s Collegiate Dictionary berichtete 2016 über eine starke Zunahme der Aufrufe dieses Begriffs.[15] Auf der zu Ask.com gehörenden Webseite dictionary.com stand stochastischer Terrorismus auf Platz 8 der zehn häufigsten Anfragen des Jahres 2018.[16][17]

In den USA wird stochastischer Terrorismus überwiegend als Erscheinungsform des rechtsextremen Terrors wahrgenommen. Er wird für eine zunehmende gewaltsame Destabilisierung der Gesellschaft verantwortlich gemacht.[12][7]

Im weiteren Sinn wird der Begriff auf Äußerungen und Maßnahmen von Donald Trump und die ihn unterstützenden Medien angewendet:

  • Trump bediene sich seit Jahren einer Technik mehrdeutiger Anmerkungen, die zum stochastischen Terrorismus gehörten.[18]
  • Eine Bemerkung Trumps im Wahlkampf 2016 wurde teilweise so verstanden, dass er die Ermordung seiner Konkurrentin Hillary Clinton billigen würde. Trump blase in eine Hundepfeife im Bewusstsein, dass irgendein Hund reagieren würde, wenn er auch nicht vorhersagen könne, welcher.[1]
  • Das „Pell Center for International Relations and Public Policy“ der Salve Regina University führte Trumps Behauptung an, Barack Obama habe den ISIS gegründet.[19]
  • Mit Bezug auf das Attentat in der Pittsburgher Synagoge 2018 schrieb ein Kommentator von The Daily Beast, es sei „mehr als offensichtlich, dass Trump, Fox News und die sanften Alt-Right dessen schuldig sind, was als stochastischer Terrorismus bezeichnet wird.“[11] Ein Kommentator der Toronto Sun wies auf die Rhetorik des Attentäters hin, die inhaltlich auf einer Linie mit Maßnahmen wie dem Bauen von Grenzmauern, Beschränkung der Reisefreiheit und Trennung von Migrantenkindern von ihren Eltern liege.[20]

Der Bayerische Rundfunk schrieb, stochastischer Terrorismus sei „einer der interessantesten Begriffe, die dieses Jahr (Anm.: 2018) im Diskurs geprägt wurden.“[21]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c David S. Cohen: Trump’s Assassination Dog Whistle Was Even Scarier Than You Think. In: Rolling Stone. 9. August 2016, abgerufen am 23. März 2019 (englisch).
  2. Pardeep Kaleka: Stochastic Terrorism: How the politics of spreading fear can lead to deadly violence. In: Milwaukee Independent. 6. November 2018, abgerufen am 23. März 2019 (englisch).
  3. stochastic terrorism. In: dictionary.com. Abgerufen am 31. März 2019 (englisch).
  4. Sebastian Striegel: Die Große Anfrage #13: Zu viele Einzelfälle: Was ist „stochastischer Terrorismus“? » Sebastian Striegel. 22. März 2021, abgerufen am 6. Mai 2022 (deutsch): „ab 3:56“
  5. Walter Szmolyan: Vorausberechnet, aber unvorhersehbar. Zum 65. Geburtstag von Ernst Krenek (23. August). In: Österreichische Musikzeitschrift. Band 20, Nr. 8, Januar 1965, ISSN 2307-2970, doi:10.7767/omz.1965.20.8.418 (doi.org [abgerufen am 6. Mai 2022]).
  6. a b Cord J. Whitaker: Bombs, Khashoggi, and Deniable Terror; Stochastic terrorism is a very real danger. Yet it is often invisible. The Albright Institute, Wellesley College, 30. Oktober 2018, abgerufen am 23. März 2019 (englisch).
  7. a b Heather Timmons: Stochastic terror and the cycle of hate that pushes unstable Americans to violence. In: Quartz. 26. Oktober 2016, abgerufen am 23. März 2019 (englisch).
  8. David M. Perry: How White American Terrorists Are Radicalized. In: Pacific Standard. 26. März 2018, abgerufen am 4. April 2019 (englisch).
  9. Jared Keller: There Are No Lone Wolves. In: Pacific Standard. 22. Mai 2018, abgerufen am 4. April 2019 (englisch).
  10. a b Jonathon Keats: Jargon Watch: The Rising Danger of Stochastic Terrorism. In: Wired. 21. Januar 2019, abgerufen am 23. März 2019 (englisch).
  11. a b Jay Michaelson: Pittsburgh Synagogue Shooting Is a Moment of Reckoning for American Jews. In: The Daily Beast. 27. Oktober 2018, abgerufen am 23. März 2019 (englisch).
  12. a b Cenk Uygur: How the Right-Wing Weaponize Their Followers. The Young Turks, 3. Februar 2019, abgerufen am 24. März 2019 (englisch).
  13. Hamm, Mark S., Spaaij, R. F. J. (Ramón F. J.): The age of lone wolf terrorism. Columbia University Press, New York 2017.
  14. Hamm, Mark S., Spaaij, R. F. J. (Ramón F. J.): The age of lone wolf terrorism. Columbia University Press, New York 2017, S. 84.
  15. Were Trump's Comments 'Stochastic Terrorism'? In: Merriam-Webster’s Collegiate Dictionary. 10. August 2016, abgerufen am 23. März 2019 (englisch).
  16. The Most Searched Words Of 2018 On Dictionary.com. In: dictionary.com. Abgerufen am 23. März 2019 (englisch).
  17. 2018 Was A Tense Year. The Biggest Search Trends on Dictionary.com Show Just How Tense It Was. In: Time. 27. Dezember 2018, abgerufen am 23. März 2019 (englisch).
  18. Jared Keller: To Discuss the Pittsburgh Synagogue Shooting, We Have to Discuss Trump. In: Pacific Standard. 29. Oktober 2018, abgerufen am 23. März 2019 (englisch).
  19. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen pell-2016-08-13.
  20. Jari Qudrat: Lack of gun control, rise of divisive politics in U.S. fosters dangerous environment. In: Toronto Sun. 2. November 2018, abgerufen am 23. März 2019 (englisch).
  21. 2018 hat Social Media endgültig seinen Zauber verloren. BR24, 26. Dezember 2018, abgerufen am 23. März 2019.

Kategorie:Terrorismus Kategorie:Politische Straftat