Benutzer:W.S.Herrmann/Spielwiese/Schlaraffen-Spiegel

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Schlaraffen-Spiegel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Titelbild des Schlaraffenspiegel 1924

Definition:Schlaraffenspiegel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schlaraffia ist eine weltweit verbreitete Männervereinigung, die von Oktober bis April zu wöchentlicher Zusammenkünfte folgende Ziele anstrebt:

  • - Man will in Freundschaft miteinander leben.
  • - Man möchte mit Humor zusammen sein.
  • - Der Dienst an der Kunst steht auf jeder Tagesordnung.
  • - Besondere Verpflichtung besteht gegenüber der Tradition (Ahnenverehrung).
  • - Man will nach ritterlicher Sitte miteinander umgehen, um in Würde alt zu werden.
  • - Man erkennt sich selbst durch den „Spiegel“.

Um den vielen Tausenden der in aller Welt verstreuten Schlaraffen ein einheitliches Verhalten vorzugeben, ist eine Art von Grundgesetz geschaffen worden. Dieses Grundgesetz heißt "Spiegel". Indem man vorgibt, wie die Schlaraffen zu sein haben, hält man sich einen Spiegel vor. (Anm. 1)

Kulturgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Altertum[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Spiegel-Literatur des Altertums ist zunächst vor allem pädagogisch (zum Beispiel Xenophon, Seneca). Andererseits wurde das phylogenetisch bedeutsame Phänomen des Narziss-Erwerbs thematisiert (Homer, Ovid).

Xenophon[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Xenophon (426 bis 355 v. Chr.), neben Plato wohl einer der bedeutendsten Schüler des Sokrates, hat den vermutlich ersten Fürstenspiegel der Literaturgeschichte verfasst. Ehemals Begleiter und Chronist auf Kyros´ Heereszügen, erfindet er eine ideale Lebensgeschichte, die er »Kyrupädie« nennt - also die "Erziehung des Kyros". Denn durch idealisierte Darstellung seines Lebens sollte dem Fürsten ein Spiegel vorgehalten werden. Das Werk schließt mit einem Epilog über den Sittenverfall des persischen Reiches nach dem Tod des großen Herrschers. (Anm. 2)

Seneca[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lucius Annaeus Seneca (1 bis 65 n. Chr.) hat seinen Fürstenspiegel im Zusammenhang mit dem römischen Kaiser Nero verfasst. Erst sechzehnjährig gelangte Nero an die Macht, und sein Vertrauter Seneca verfasste eine Schrift: "Ad Neronem Caesarem de Clementia" (»Für Kaiser Nero über die Milde«, mit der er seinen jungen Kaiser zur stoischen Milde anhalten wollte. Die Wirkung der Schrift war jedoch von sehr begrenzter Dauer; denn der keineswegs milde Herrscher verordnete den Selbstmord des Philosophen, bevor er schließlich die Stadt Rom in Flammen aufgehen ließ. (Anm. 3)

Ovid[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schon Homers "Odyssee" hatte den griechischen Mythos des Jünglings Narziss angesprochen. Ovid (43 v. Chr. - 18 n. Chr.) erzählt die Geschichte als eine Metamorphose (Verwandlung). Das Spiegelerlebnis des Jünglings Narziss mit Selbsterkenntnis und Selbstliebe führt zum Selbstmord (also der eigentlichen Verwandlung) und zum Wachstum einer Narzisse am Ort seiner Selbsttötung. Die anthropologische These, der Mensch unterscheide sich vom Tier durch Selbstbewusstheit, und dies sei das essenzielle Merkmal menschlichen Wesens, ist durch verschiedene Tierexperimente inzwischen widerlegt. Dennoch gilt das Narziss-Erlebnis in der menschlichen Entwicklung nach wie vor als elementar (Kohut 1950).

Mittelalter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gottfried von Viterbo[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gottfried von Viterbo (1125 bis 1192) bildet mit seiner Schrift über den Spiegel der Herrscher ("Speculum regum" 1183) den Anfang der mittelalterlichen Fürstenspiegel. Als Notar Friedrich Barbarossas bestätigt er die weltlichen Ansprüche des Staufer-Herrschers. Jedoch beharrt er auf dem Ausgleich zwischen Papst- und Kaisertum. Der Spiegel dient geradezu der Einsicht in die Beschränktheit der weltlichen Kaiser-Macht.(Anm.4)

Thomas von Aquin[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Thomas von Aquin (1225 bis 74) hat für Hugo II von Zypern eine unvollendete Schrift mit dem Titel "De regimine principum" ("Über die Herrschaft der Fürsten" 1265) verfasst, die von Ptolemäus von Lucca vollendet wurde. Die oberste Pflicht des weltlichen Herrschers ist es, den Herren der Könige nachzuahmen, und dafür wird ihm eine besondere Gnade im Himmelreich zuteil. Die Nachahmung Gottes wird im Sinne eines Fürstenspiegels exemplifiziert.(Anm.5)

Sachsenspiegel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eike von Repgow aus dem Oldenburger Sachsenspiegel
(14. Jh.)

Eike von Repgow (1180 bis 1235) nutzte die literarische Form des Spiegels erstmals für eine Sammlung von Gesetzen im Sinne eines Gewohnheitsrechts. Sein »Sachsenspiegel«, von dem nur der zweite Teil über Lehensrecht erhalten ist, folgt einem lateinischen Vorbild und ist seinerseits zum Modell weiterer »Spiegel« geworden ("Deutschenspiegel", "Schwabenspiegel"). Im Gegensatz zur Deduktion von Gesetzen aus Prinzipien (nach römischem Vorbild) wird das landesübliche Rechtsempfinden (zum Teil anekdotisch) ausgeführt. Häufig zitiertes Beispiel des Sachsenspiegels ist: »Wer zuerst kommt, malt zuerst«. (»Die ok irst to der molen kumt, die sal erst malen." (vgl. Repgow 1984).

Renaissance[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neben das Sammeln von Gesetzen und Anekdoten zum Gewohnheitsrecht tritt im 16. Jahrhundert der Narrenspiegel

Brants »Narrenschiff«[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Holzschnitt in Brants "Narrenschiff"


«Gesellen, folgt uns unverwandt! Wir fahren ins Schlaraffenland. .... Wir suchen nach Häfen und Gestaden und fahren um mit großem Schaden und können doch nicht treffen an das Ufer, wo man landen kann.« (Lemmer 1986, Nr. 108)

Der Mensch ist seinem Wesen nach ein Narr (essenzielles Narrentum). In diesem Sinn hat Sebastian Brant 1494 seinen Narrenspiegel als "Speculum Humanum" veröffentlicht. Die Sammlung gereimter Verserzählungen stellt verschiedene Narrheiten der Reihe nach vor; zum Beispiel: von unnützen Büchern (1), von guten Räten (2), von Habsucht (3), von neuen Moden (4) und gegen Ende auch das Schlaraffenschiff (108).

Die Sassen dieses Schiffes seien "schlurend", - also müßig, faul, nachlässig - und man müsse sie mit Affen vergleichen. Als Folge dieser Eigenarten nehme man überall Schaden, und darum würden andere auch nicht zulassen, dass so ein Schiff irgendwo vor Anker gehe. In aller Welt gebe es solche Leute. Die betreffenden Schiffe seien überfüllt; aber man brauche nicht lange zu warten, bis ein weiteres Schlaraffen-Schiff anlege. Irgendwo werde man sicher ein Plätzchen für schlurendes Affenleben finden.

Durch Spiegeln wird dem Menschen seine essenzielle Narrheit vorgeführt. Moralische Belehrungen sollen auf den rechten Weg zurückbringen. Neben Fürsten- und Gesetzes-Spiegel ist der bürgerliche Narrenspiegel getreten.

Eulenspiegel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Holzschnitt der Erstausgabe von Botes "Eulenspiegel"

Hermann Bote (1467 bis 1520) hat sich des weit verbreiteten Till Eulenspiegel-Stoffes angenommen und einen »Spiegel« in der eben erst begründeten Narren-Tradition geschaffen. Mittelhochdeutsch »aulen« bedeutet »reinigen« (erhalten im Norddeutschen als das Wort »Handeule«), und »Spegel« bezeichnet das Hinterteil eines Waldtieres. So sehr man auch vordergründig - doppeldeutig - auf »Spiegel« und »Eule« Bezug nimmt: Eulenspiegel reinigt durch »Hintern-Zeigen", wie einer der Holzschnitte bezeugt, die Botes Buch illustrieren. Das Spiegeln der essenziellen Narrheit menschlicher Existenz hat seinen mythologischen Helden gefunden.(Anm.6)

Don Quichote[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Miguel de Cervantes Saavedrara (1547 bis 1616) hat der Tradition des Narrenspiegels eine weitere Variante hinzugefügt: den Spiegel der Ritterdämmerung. »El ingenioso Hidalgo Don Quixote de la Mancha« (1605 bis 1615) schildert den ausreitenden Helden, der im festen Glauben an die Ideale der hochmittelalterlichen Aventiure mit jedem Erlebnis scheinbar scheitert (besonders bekannt ist der Kampf gegen die Flügel der Windmühle), bis sich am Ende zeigt, dass der Weg das Ziel ist: der essenzielle Narr wird erlöst, weil er sucht (Ortega y Gasset 1914).

Barock[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schildbürger[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Johann Friedrich von Schönberg (1543-1614) hat vermutlich das so genannte "Lalebuch" (1597) bearbeitet. Er dichtet den Einwohnern der Stadt Schildau (bei Torgau) zahlreiche Thorheiten an: Verschiebung eines Rathauses, Versalzung eines Gemeindeackers, Ritt auf Steckenpferden beim Besuch des Kaisers und so weiter. Die Thorheit des Bürgers wird in Schilda gespiegelt.(Anm. 8)

Simplicissimus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1621 bis 1676) hat die spanische Spiegelung des Naiven in seinem Roman »Der abenteuerliche Simplicissimus teutsch« (1668) fortgesetzt. Der junge Simplicus ist ein Sohn des Dreißigjährigen Krieges. Das verschleppte Kind, der Reiterjunge im Nonnenkloster, der Pilger, Soldat und Privatgelehrte endet als Eremit auf einem Bauernhof, wo er im Studium der Bücher seinen irdischen Frieden findet. Die Spiegelung der Thorheit und Narrheit geht über in eine Biografie des geläuterten Alten: im »Spiegel« wird das Original der Abbildung verwandelt(Anm. 9).

Klassizismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

"1001 Nacht" und der »Goldene Spiegel«[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Christoph Martin Wieland (1733 bis 1813) hat sich in seinem Roman »Der goldene Spiegel oder die Könige von Scheschian; eine wahre Geschichte. Aus dem Scheschianischen übersetzt« (1772) mit der Tradition des Fürstenspiegels unter Verwendung orientalischer Quellen auseinandergesetzt (Anm. 10). Dem Sultan Schach-Gebal werden nach dem Modell der 1001-Nacht-Erzählungen Geschichten «vorgehalten «, die ihn läutern und zu höherem Mensch-sein führen. Neu ist die Einbeziehung ostasiatischer Weisheit, die über Herder und Goethe wesentlichen Einfluss auf das europäische »Spiegeln« gewonnen hat (vergleiche auch Mozarts »Zauberflöte« und »Die Entführung aus dem Serail«).

Romantik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Spiegelbild der Romantik ist der Doppelgänger. Die bedeutendsten Beispiele sind Goethes Mephistopheles, Kleists "Amphitryon" und "Der Findling "(1811), von Arnims »Der echte und der falsche Waldemar« (1813), ETA. Hoffmanns »Das Fräulein von Scuderi« (1820) und mehrere Gestalten, die mit zwei Gesichtern erscheinen, »Der Doppelgänger« (1812), Dostojewskis »Der Doppelgänger« (1848) und viele weitere (vgl. Frenzel 2005). Das griechisch-römische Narziss-Thema rückt in den Mittelpunkt künstlerischer Selbstreflexion und bereitet das spätromantische Selbstverständnis der Schlaraffischen Gründungsmitglieder unmittelbar vor (vgl. Rt. Dalberg 2007).

Das Gesetzbuch der Schlaraffen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Titelbild des Ceremoniale 1876

Nach Gründung des Männerbundes in Prag (1859) entstand sehr bald das Bedürfnis, die zahlreichen Tochter-, Enkel-und Urenkel-Vereine zu konformieren. Auf dem ersten Konzil der Schlaraffen 1876 in Leipzig wurde daher ein an mittelalterliche Spiegel-Literatur anspielendes Regelwerk der Schlaraffen geschaffen, das in mehreren Neuauflagen (besonders 1924 und 1950, in vorläufig letzter Auflage von 2004) vorliegt. Ein erster Teil nennt sich »Spiegel« und regelt die Vereinsangelegenheiten. Der zweite Teil ist das so genannte »Ceremoniale« und beschreibt die Vorgehensweise bei den wöchentlichen Treffen (»Sippungen«) und speziellen Anlässen (zum Beispiel Totenehrungen, Auszeichnungen, Prüfungen, Belobigungen, Bekleidung etc. Anm. 11).

Im Gegensatz zu Vereinssatzungen deduktiver Auffassung enthalten »Spiegel« und »Ceremoniale« Regelungen, die mit dem geltenden Recht der BRD nur vereinbar sind, wenn man den Grundsatz der Spiegelung voraussetzt. Beispiel für rechtlich scheinbar bedenkliche Regelungen sind: »Unfehlbarkeit des Fungierenden«, Verfügungsgewalt des Fungierenden und des Junkermeisters.

20. Jahrhundert[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Spiegelkunst des 20. Jahrhunderts ist durch krasse Gegensätze gekennzeichnet. Am Anfang steht die psychoanalytische Neuentdeckung des Narziss. Es folgen die ironisch-scharfen Narrenspiegel des Bertolt Brecht oder Friedrich Dürrenmatt. Auf der anderen Seite steht die kunstvollste aller Spiegelungen: Hermann Hesses »Glasperlenspiel«.Musiktheater, Lehrstück, Kinderbuch und fiktives Filmdrehbuch sind neuere Eulenspiegeleien.

Außerdem sind einige jüngere Ansätze zur Schlaraffen-Spiegelung erschienen, die das Fortleben und die weitere Entwicklung des Schlaraffen-Bundes zeigen.

Narziss[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Psychoanalyse Sigmund Freuds - und besonders die Theorie des Archetypus bei Carl_Gustav_Jung - haben den Narziss-Mythos als Aspekt der Kindheitsentwicklung und Psychopathologie und zugleich als Theorem der Lebens-Entwicklung (Phylogenese) wiederentdeckt (Anm. 12). Menschsein heißt Selbst-Bewusstsein: die Identifikation des Spiegelbildes - sei es auditiv, visuell oder durch weitere Wahrnehmungen - wird in bestimmten Entwicklungsphasen der Lebewesen und des Einzelnen beschrieben. Der psychoanalytischen Entdeckung des Archetyps Narziss sind diverse Kunstwerke deutscher Sprache (und anderer Sprachen) gefolgt (z.B. Hermann Hesses »Narziss und Goldmund« 1930, Rainer Maria Rilkes "Narziss« 1913, Franz Werfels »Spiegelmensch« 1920, Paul Valérys »Narziss« 1926, Marie-Luise Kaschnitz: »Zwiesprache« 1957, Helmut Heissenbüttels: »Julie mit Conrad Ferdinand Meyer« 1987). Das Erlebnis des eigenen Spiegelbildes ist als lebenslang wirksame Dynamik im Kampf um Gesundheit und Krankheit erfasst (Kohut 1974).

»Schweyck im Zweiten Weltkrieg«[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bertolt Brecht (1898 bis 1956) hat sich mit der Narren-Figur Schweyck in zwei verschiedenen Lebensabschnitten auseinander gesetzt. 1921 dramatisierte er den Schweyck-Roman von Jaroslav Hasek (Anm. 13). Es gelang eine Revitalisierung des naiven Narren vom Typ Simplicissimus. In den Jahren 1941 bis 44 verfasste Brecht als von der US-Regierung ungern geduldeter Exildeutscher das Lehrstück »Schweyck im Zweiten Weltkrieg«. Der Narr wird zum politischen Besserwisser mutiert und erklärt im Schlussbild einem überdimensionalen Hitler, er wisse nicht, ob er nächstens auf Hitler »schießen« oder »scheißen« werde.

Brechts Lehrstücke sind vom Prinzip des Narren-Spiegelns charakterisiert. Die Einführung eines Sprechers, der die Thorheit entlarvt, Cäsar, Galilei oder Johanna von Orléan seien tragisch ums Leben gekommen, ermöglicht es dem Dichter, die dramatischen Handlungen als politisches Unrecht darzulegen, das man durch Vorhalten von Narrenspiegeln antagonisieren könne.

Glasperlenspiel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hesses (1877 bis 1962) Roman »Das Glasperlenspiel« spiegelt ein über spätromantisches Ritterspiel weit hinausreichendes Arrangement von Figuren, Regeln und Funktionen: das zeitlose Spiel mit den Kugeln des Weltalls. Die Lebensbeschreibung des »Magister Ludi Josef Knecht« schildert die Entwicklung eines hochbegabten Gymnasiasten, der in »Kastalien« das Zusammenspiel der Künstler und Wissenschaftler leitet. Er verwirklicht eine lange gehegte Hoffnung: dass der Weltgeist sich aus den historischen Kontexten einzelner Menschen-Schicksale zu einem überzeitlichen Zusammenspiel finde, der das Wahre, Schöne und Gute perfekt erreichen würde (Anm. 15).

Physiker-Spiegelung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Friedrich Dürrenmatt (1921 bis 90) hat in seinem Drama »Die_Physiker« (1961) eine Gesellschaft von »Geisteskranken« gespiegelt, die als Wissenschaftler der Physik gelten. Im Verlauf des Dramas stellt sich heraus, dass die begnadeten Wissenschaftler freiwillig ins »Irrenhaus« gezogen sind, weil sonst die Welt an ihren Entdeckungen irre würde.

Neuere Eulenspiegeleien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gerhart Hauptmann hat in einem Versepos die deutschen Nachkriegsverhältnisse von 1919 bis 1927 „gespiegelt“ (Hauptmann 1927).

Brechts Lehrstücke sind vom Prinzip des Narren-Spiegelns charakterisiert. 1934 hat Brecht auch einen „Eulenspiegel“ geschaffen (Brecht 1934).

Erich Kästner hat in der Zeit, in der er die erwachsenen, Deutschen für unbelehrbar hielt, in einem Kinderbuch die Methode des Eulenspiegelns angewandt. Schließlich ist in einem fiktiven Drehbuch die Transposition Eulenspiegels in die Zeit der Reformation gelungen.

Christa Wolf und Gerhard Wolf haben die Schwächen der sog. Siebziger Jahre als Eulenspiegelei behandelt (Wolf 1973), (Amerikanische Version vgl. Oppenheimer 2001).


Neue Schlaraffenspiegel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weltkarte der Schlaraffenländer nach Kalisch, Ludwig: "Buch der Narrheit" 1844 (vgl. Dal´berg 2007

Vor dem Hintergrund solchermaßen pessimistischer beziehungsweise eschatologischer (vgl. Jenseits-Wissenschaft) Spiegelliteratur des 20. Jahrhunderts nehmen sich die neuen Spiegel der Schlaraffen eher harmlos aus. Ältere Herren spielen nach den Regeln eines Prager Künstlerbundes aus der Mitte des 19. Jahrhunderts; und sie entdecken einen Weg, der neben den großen »Spiegeln« eines Brecht, Hesse oder Dürrenmatt Geltung beansprucht: den Schlaraffischen Weg.

"Ritter Juppitter der Kindergott" hat 1957 einen Schlaraffenspiegel vorgelegt, in dem er die »Psychologie und Phänomenologie eines edlen, alten, weisen Gemeinschaftsspiels« beschreibt (Juppitter 1957). Eine religiös orientierte - wenngleich interkonfessionell tolerante - Gemeinde von weltweit die gleiche Sprache sprechenden Romantikern verwirklicht Frieden und Freundschaft durch humorvolles Spiel. Man ist alt und sieht das sinnvolle Alt-Werden als Aufgabe an, um den Kindern zu zeigen, wie es weitergeht ("Kindergott«): »Freude und Freundschaft durch Kunst und Humor«: so fasst es Harald Scheerer (alias Ritter Eulenspiegel der Mime 11) zusammen (Scheerer 2007, S. 72).

Ritter Abraxas hat die Reihe der Schlaraffen Spiegel in jüngster Zeit um ein richtungweisendes »Lexikon« ergänzt (Abraxas 2006). Die Pflege der Tradition ist eine hervorgehobene Aufgabe des Schlaraffentums. Konservierung ist die eine Seite dieser Pflege; und darum werden 150 Begriffe der Schlaraffen-Lexik(beziehungsweise Idiomatik) erläutert. Aber auch humorvolles Aufzeigen der närrischen Entgleisungen trägt zum Erhalt des geliebten und weltweit verbreiteten Spiels bei (zum Beispiel »Schlaraffitis«, »Primadonnerich«, »Lulumanie«, »Ehrenhelmsammler«, »Ge-heim-Rat« und vieles mehr).

Nachrichtenmagazin[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Trivialisierung des literarischen Spiegelns liegt in dem deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vor. Axel Springer hatte im Jahr 1946 die Idee, den Deutschen einen Spiegel vorzuhalten, indem er nicht mehr dichterisch Anekdoten erzählt, sondern journalistisch in Wort und Bild berichtet. Unter Verzicht auf die eigentlich ästhetischen Ansprüche der Kunst wird die Technik des literarischen Spiegelns trivialisiert.

Muss es nicht Rudolf Augstein statt Axel Springer heißen?

Fazit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die offizielle Satzung des Weltverbandes »Allschlaraffia«, die seit 1876 in verschiedenen Neuauflagen überarbeitet und den neuen politischen Verhältnissen angepasst wurde, ist durch eine große Tradition der Fürstenspiegel, Sachsenspiegel, Narrenspiegel, Eulenspiegel, Ritterspiegel und Märchenspiegel praeformiert und durch sozialistische (Brecht), buddhistische (Hesse) und moderne (Dürrenmatt) Spiegel konterkariert worden. Neuere Schlaraffenspiegel deuten einen Weg der zeitgemäßen Fortsetzung für das weltweit freundschaftliche und humorvolle Spiel im »Reich des schönen Scheins« (Schiller 2004) an. Gemäß dieser literaturgeschichtlichen Tradition ist der Schlaraffenspiegel nicht als modernes Gesetzeswerk zu verstehen. Es wird vielmehr beschrieben, wie die Schlaraffen sind, um ihnen weltweit einen Spiegel vorzuhalten. Mögen die Gesetze in Mexiko oder Kannada, in Österreich, Deutschland oder der Schweiz unterschiedlich sein: der Spiegel regelt das Verhalten indirekt; d.h. im Sinne der großen alten Tradition (der [des Spiegels | "Rückseite des Spiegels" Lorenz 1973 ]).

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1) Allschlaraffia-Verband 2006 2) Xenophon 1971 3) Seneca 1989 4) Viterbo 1871 5) Aquinus 1980 6) Bote 1978 7) Cervantes 1967 8) Simrock 2008 9) Grimmelshausen 1956 10) Wieland 1984 11) Siehe Anm. 1 12) Freud 1927, Jung 1983 13) Hasek 1956 14) Brecht 1965 15) Hesse 1963 16) Dürrenmatt 1962


Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Abraxas, Rt.: Die allerletzten Geheimnisse des Uhuversums. Bad Mergentheim 2006.
  • Allschlaraffia-Verband: Schlaraffen-Spiegel und Ceremoniale. Bern 2004.
  • Anacrayon, Rt.: Schlaraffia, mein Wunderland. Zu den kulturhistorischen Ursprüngen unseres Ritterspiels. Bad Mergentheim 2006.
  • Anton, Hans H.: Fürstenspiegel des frühen und hohen Mittelalters. Darmstadt 2006.
  • Aquinus, Thomas v.: De regimine principum. In: Busa, R. (Hg.) Opera Omnia. Stuttgart 1980.
  • Baumgaertel, G.: Formen der Narrenexistenz in der deutschen Literatur der 50er und 60er Jahre. In: Revue des langues vivantes, 38, 1972.
  • Berges, W.: Der Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des hohen und späten Mittelalters. 1938.
  • Bote, Hermann: Till Eulenspiegel. Hg. Sichtermann, Siegfried H. Frankfurt 1978.
  • Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. (Siehe Lemmer1986)
  • Brecht, Bertolt: Schweyck im 2. Weltkrieg. Frankfurt 1965
  • Brecht Bertolt: Eulenspiegel-Geschichten. 1948. Hecht, Werner (Hrsg): Brecht: Werke. Frankfurt 1988.
  • Cervantes, Miguel de Cervantes Saavedra: Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha. Übertragung von Braunfels, Ludwig. Stuttgart 1967.
  • Dal´berg, Rt.: König Humor. Vom Vormärz in Mainz zu den Urschlaraffen in Prag. Bad Mergentheim 2007.
  • Dürrenmatt, Friedrich: Die Physiker. Zürich 1962.
  • Frenzel, Elisabeth: Stoffe der Weltliteratur. Stuttgart 2005
  • Freud, Siegmund: Abhandlung über die Sexualität. In: Ges. Schriften. Hg. A. Freud. Wien 1927/8
  • Gasset, Ortega y: Meditationes des Quijote. Madrid 1914; dt. Stuttgart 1959.
  • Grimmelshausen, Johann Jakob Christoph: Der abenteuerliche Simplizissimus. Hg. Kelletat, Alfred. München 1956.
  • Hansen, Mathias (Hg): Richard Strauss. Die Sinfonischen Dichtungen. Bärenreiter 2003.
  • Hasek, Jaroslav: Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des Weltkrieges. Hg. Reiner, G.. Berlin 1956.
  • Hauptmann, Gerhard / Tietz, Michael: Des großen Kampffliegers, Landfahrers, Gauklers und Magiers Abenteuer, Streiche, Gaukeleien, Gesicht und Träume.. Nach einem Verepos von G. Hauptmann, für die bühne eingerichtet von M. Tietz. 1929.
  • Hesse, Hermann: Das Glasperlenspiel. Frankfurt 1963.
  • Jung, Carl G.: Ges. Werke. Hg. Niehusen-Jung et al. Freiburg 1958-83.
  • Jupitter, der Kindergott: Das Schlaraffische Spiel. Zur Psychologie und Phänomenologie eines edlen, alten, weisen Gemeinschaftsspiels. Bonn 1957.
  • Kästner, Erich: Till Eulenspiegel. 12 Geschichten mit Zeichnungen von Walter Trier. Zürich 1938.
  • Könneker, Barbara: Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Brant, Murner, Erasmus. Wiesbaden 1966.
  • Kohut, H.: Narzissmus. Frankfurt 1974
  • Lemmer, Manfred (Hg): Das Narrenschiff. Tübingen 1986.
  • Müller, R.A.: Der deutsche Fürstenspiegel des 17. Jahrhunderts. In: Hist. Zs 240, 1985)
  • Oppenheimer, Paul: Till Eulenspiegel: His Adventures. New York: Routledge 2001.
  • Ovid, Publius Ovidius Naso: Metamorphosen. Übersetzt vonBreitenbach, Hermann. Stuttgart 1958.
  • Peil, D.: Emblematische Fürstenspiegel im 17. und 18. Jahrhundert. (Frühmittelalterliche Studien 20, 1986)
  • Repgow, Eike v.: Der Sachsenspiegel. Übers. Und Hg. Schott, Clausdieter. Zürich 1984.
  • Scheerer, Harald: Was alle über Schlaraffia wissen sollten. Bern 2007.
  • Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. In: Stl. Werke hg. Alt, Peter A. et al. München etc.2004
  • Schönberg, Friedrich Johann: (siehe Simrock 2000)
  • Schulte, J.M.: Speculum Regis. Studien zur Fürstenspiegelliteratur in der griechisch-römischen Antike. Münster 2001.
  • Seneca, Lucius Annaeus: Über die Milde. In: Philosophische Schriften. Hg. Und übersetzt M. Rosenbach. Bd. 5. Darmstadt 1989.
  • Simrock, Karl: Die Schildbürger. Vitalis Verlag 2000.
  • Singer, B.: Der Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation 1981.
  • Viterbo, Gottfried v.: Speculum regum. Hg. Waitz, Georg: Monumenta Germaniae Historica. Hannover 1870.
  • Wieland, Christoph.M.: Der Goldene Spiegel, oder die Könige von Scheschian; eine wahre Geschichte. Aus dem Scheschianischen übersetzt. In: Sämtl. Werke. Hg. Reemtsma, J.P. et al. Nörtlingen 1984 (Nachdruck), Bd. 14.
  • Xenophon: Kyrupaedeia. In: Opera omnia. Hg. Marchant, E.C. Paris 1971-78, Bd. 6/7.