Constantin Fahlberg

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Constantin Fahlberg

Constantin Fahlberg (* 10. Dezemberjul. / 22. Dezember 1850greg. in Tambow, Russland; † 15. August 1910 in Nassau) entdeckte bei Analysen von Kohleteerverbindungen, die er im Rahmen einer Untersuchungsreihe für Professor Ira Remsen (1846–1927) an der Johns Hopkins University 1877–1878 durchführte, den süßen Geschmack der Anhydroorthosulfaminbenzoesäure oder des Benzoesäuresulfinids, einem chemischen „Körper“, dem er später den Handelsnamen Saccharin gab.

Leben

Das Taufbuch der Pokrow-Kirche in Tambow für das Jahr 1850 nennt als Eltern von Constantin Fahlberg den aus Livland stammenden Jeromin Maxim Fahlberg, lutherischen Glaubens, und seine Ehefrau Barbara Trofimova, russisch-orthodoxen Glaubens, nach dessen Ritus auch die Taufe des Sohnes erfolgte.[1]

Noch als Kind kam er ins estnische Tartu, damals Dorpat, wo er bis zu seinem 11. Lebensjahr die Elementarschule und bis zu seinem 17. Lebensjahr das Gymnasium besuchte. Danach studierte er an der Polytechnischen Schule in Moskau Chemie und Physik, verbunden mit Industriepraktika in verschiedenen Fabriken. Ab 1870 setzte er diese Studien an der Gewerbe-Akademie in Berlin bei Carl Bernhard Wilhelm Scheibler fort. 1871 wurde er Schüler des Geheimen Hofrates Carl Remigius Fresenius. Ab 1872 ist er Student im Fach Chemie der Universität Leipzig bei Adolf Wilhelm Hermann Kolbe, wo er 1873 mit einer Dissertation „Über Oxi-Essigsäure“ abschloss. [2]

Nach wenigen Monaten in leitender Position der „Chemischen Laboratorien Oberharz“ verließ er Deutschland mit dem Ziel, die Bedingungen und Verfahren der Rohrzuckerproduktion Mittel- und Südamerikas kennen zu lernen. Am 4. Dezember 1874 landete er als Passagier des Dampfers Holsatia der Hamburg-Amerika-Linie in New York.[3]

1877 engagierten ihn die Zuckerimporteure William H. Perot & Co als einen der Sachverständigen in einem Musterprozess, den „die Vereinigten Staaten gegen 712 Säcke Demerara Zucker“ führten; Zucker, der im Verdacht stand, künstlich gefärbt gewesen zu sein, um in eine günstigere Einfuhrsteuerklasse eingestuft zu werden.[4] Die Kaufleute aus Baltimore ließen die Untersuchungen zum Gutachten in den einheimischen Laboratorien der im Aufbau befindlichen Johns Hopkins Universität (JHU) durchführen. Fahlberg, inzwischen Routinier der Zuckerchemie, brachte seine gutachterliche Pflichtübung schnell über die Bühne, während sich der Prozessbeginn fast um ein Jahr verzögerte. Die Zeit bis zum Herbst 1878 nutzte er, um weiter in den Laboratorien der JHU an Projekten von Professor Remsen mitzuarbeiten. So bereiteten Zweifel an der Qualität von Zucker den Weg zur Entdeckung eines Zucker-Austauschstoffes. Der Demerara-Prozess endete mit der Erkenntnis, dass sowohl Produktionsfehler in Britisch-Guayana als auch Manipulationen der Importeure ausgeschlossen werden konnten. [5]

Die Erkenntnisse „Über die Oxydation von Orthotoluen-Sulphamiden“ wurden gemeinschaftlich von Constantin Fahlberg und Ira Remsen in den „Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft[6] und in dem von Ira Remsen gegründeten und lange Zeit geleiteten „American Chemical Journal[7] veröffentlicht. Beide Texte beschreiben allein die chemischen Aspekte des Gegenstandes, erwähnen nicht, wer der tatsächliche Entdecker seiner besonderen geschmacklichen Eigenschaften war.

Dies schildert Fahlberg 25 Jahre später in einem Vortrag vor Teilnehmern des V. Internationalen Kongresses für Angewandte Chemie 1903 in Berlin [8]. Seine plausible und glaubwürdige Schilderung der Umstände der Entdeckung des süßen Geschmacks des neuen Stoffes bestätigt ihn eindeutig als den alleinigen Entdecker. Andererseits ist einzuräumen, dass ohne Remsens Interesse an den Eigenschaften von Kohleteer-Verbindungen und seine Vorgaben zur Versuchsreihe die Entdeckung sicher zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort nicht möglich gewesen wäre.

Von Juni 1880 bis Herbst 1884 arbeitete er bei Harrison Brothers & Company in Philadelphia.

Um ein Produkt der chemischen Industrie zu entwickeln, bedarf es jedoch mehr als der Entdeckung eines „interessanten“ Stoffes. So arbeitete Fahlberg in den folgenden Jahren nach physiologischen Verträglichkeitsversuchen an Tieren und in einem Selbstversuch intensiv an der Entwicklung eines ökonomisch vertretbaren Verfahrens zur industriellen Herstellung seines „Saccharins“. Während in Laborversuchen mit den Ausgangsstoffen sehr verschwenderisch umgegangen wird, müssen marktreife Verfahren auch an eine sinnvolle Verwertung von Nebenprodukten und deren mögliche Rückführung in den Produktionsprozess berücksichtigen. Mit viel Phantasie lotete Fahlberg die Möglichkeiten des Saccharins aus. Neben den nahe liegenden Verwendungen in der Diätetik als Zuckeraustauschstoff in vielfältigster Konfektionierung entdeckte er auch technische Nutzungen wie die als Desinfektionsmittel.

Als es Fahlberg im Sommer 1884 klar wurde, dass er diese Mammutaufgabe alleine nicht mehr finanzieren konnte, nahm er Kontakt zu seinem Onkel Adolph List (1823–1885) in Leipzig auf, um seine das Saccharin bezüglichen Patente auszuwerten.[9]. Daraufhin wurde zunächst in einem an der 117.Straße und dem Harlem River in New York gelegenen Gebäude eine kleine Versuchsfabrik mit dem notwendigen Apparaturen und maschinellen Einrichtungen ausgestattet. Bei den Präsentationen der Produkte auf Saccharin-Basis anlässlich der Ausstellungen in London und Antwerpen von 1884 fand der neue Stoff großes Interesse und wurde auch bei anderen Anlässen vielfältig ausgezeichnet. Durch diese Erfolge ermutigt, entschlossen sich Fahlberg und List eine größere Fabrik auf deutschem Boden zu gründen. 1885, also noch in den Vorbereitungen zu dieser Gründung, starb Adolph List unerwartet. Im April 1886, rund 8 Jahre nach Fahlbergs Entdeckung, gründete er zusammen mit seinem Vetter Adolph Moritz List (1861–1938) die Firma Fahlberg, List & Co. und errichtete die erste Produktionsstätte, damit die „älteste“ Saccharin-Fabrik der Welt, in Salbke an der Elbe, heute ein Stadtteil im Süden von Magdeburg.

Die Gründung der Saccharin-Fabrik im Herzen des bedeutendsten Rübenzucker-Anbaugebietes Deutschlands in der damaligen Zeit, der Magdeburger Börde, muss den „Zuckerbaronen“ wie ein Fehdehandschuh vorgekommen sein. Anfeindungen und politsche Agitationen der Zucker-Lobby ließen nicht lange auf sich warten, zumal die Saccharin-Fabrik dank des weltweiten Verkaufserfolges kontinuierlich wuchs. Das erste Saccharin-Gesetz von 1898 verbot mit Hinweis auf missbräuchliche Nutzung durch schwarze Schafe in den Reihen der Konserven-Industrie künstliche Süßungsmittel in Nahrungs- und Genussmitteln. Eine Deklarationspflicht als politisches Korrektiv hätte es auch getan, kommentierte Fahlberg. Das zweite Saccharin-Gesetz von 1902 brachte nun die von der Zucker-Lobby gewünschten Handelsbeschränkungen; verbannte das Saccharin dorthin, wo einst auch der Zucker begonnen hatte: in die Apotheken. Die inzwischen auf den Plan getretenen Produktnachahmer in Hoechst, Ludwigshafen und Leverkusen ließen sich die Einstellung der Produktion vom Staat honorieren; die Schließung auch der Saccharin-Fabrik in Salbke nach gleichen Maßstäben wäre allerdings unbezahlbar geworden. [10]

Jeweils im Spätsommer der Jahre 1896, 1898 und 1900 verbrachte die Familie Fahlberg mit dem gesamten Personal aus Salbke – darunter natürlich ein Butler, eine Erzieherin für Tochter Constanze (1888–1980), ein Koch – mehrere Monate in der später nach ihr benannten Villa in Nassau an der Lahn, wohin die Familie 1902 nach Erwerb des großzügig gebauten Hauses übersiedelte, und wo Constantin Fahlberg am 15. August 1910 starb.

Ab 1927 verhandelte Fahlbergs Witwe Fernanda, geborene Wall (1860–1932) wegen des Verkaufs des Besitzes mit der Gräflich von Kanitz'schen Verwaltung, in deren Besitz das Gelände um das 1945 durch Kriegseinwirkungen zerstörte Haus noch immer ist.[11]

Veröffentlichungen

  • Über Oxyessigsäure; 1873, Diss., Metzger & Wittig, 1873.
  • Ueber eine neue Methode der maassanalytischen Zinkbestimmung; In: Fresenius' Journal of Analytical Chemistry; Vol. 13, Nr. 1; Dezember 1874
  • 25 Jahre im Dienste der Saccharin-Industrie unter Berücksichtigung der heutigen Saccharin-Gesetzgebung; 1903
    • Auch veröffentlicht in: 5. Internationaler Kongreß für angewandte Chemie 2.–8. Juni 1903, Bd. 3, Berlin 1904, S. 625 ff.

Literatur

  • Lothar Beyer: Vom Doktoranden zum bedeutenden Chemiker: promoviert in Leipzig--namhaft als Chemiker; Passage-Verlag, 2005

Einzelnachweise

  1. Dokument Nr. 1049 im Staatsarchiv des Gouvernements Tambow, GATO (Gosudarstwennji Archiw Tambowskoi Oblasti)
  2. Vita im Anhang zu Fahlbergs Dissertation von 1873
  3. The New York Times, December 4, 1874, Passengers arrived: Steamer "Holsatia"
  4. ARTIFICIALLY-COLORED SUGARS; NY-Times vom 17. November 1878
  5. The New York Times, November 17, 1878, Importations of Demerara sugars investigated - proceedings in a test case at Baltimore
  6. Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft, Bd XII, 469, 1879
  7. American Chemical Journal, 1880, Vol. 1, 170, 426
  8. V. Internationaler Kongress für Angewandte Chemie, Berlin, 2. – 6. Juni 1903, Bericht II., Seite 625ff
  9. Deutsches Patent Informations-System (Departis), Patente DE 35111 (1884), DE 35933 (1885) und DE 64624 (1891)
  10. Englische Wikipedia: History of Sugar; Christoph M. Merki, Zucker gegen Saccharin, Frankfurt/Main, 1993
  11. Meldebücher im Stadtarchiv Nassau | Bauakten (Kloft #4091, #4103, #4107, #4425) im Archiv Graf Kanitz (als Außenstelle des Landesarchivs Rheinland-Pfalz)