Fania Fénelon

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Fania Fénelon (geboren am 2. September 1919 in Paris als Fanny Goldstein; gestorben am 19. Dezember 1983 ebenda) war eine französische Chansonsängerin und Holocaustüberlebende.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fanny Goldstein wurde als Tochter des Ingenieurs Jules Goldstein und seiner Ehefrau Maria Davidovna Bernstein, Zuzüglern in Paris aus der südrussischen Stadt Rostow am Don, geboren. Über das Datum ihrer Geburt gehen die Meinungen auseinander.[1] Laut autobiografischer Selbstaussage beging sie am 2. September 1944 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ihren 25. Geburtstag.[2] In Paris besuchte sie die Musikhochschule Conservatoire de Paris, wo sie von Germaine Martinelli unterrichtet wurde. Nebenbei arbeitete sie nachts als Chansonsängerin unter dem Künstlernamen Fania Fénelon in Pariser Bars.

Als Jüdin und als Unterstützerin der Résistance wurde sie im Mai 1943 von der Gestapo verhaftet und in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort existierte ein auf Befehl der Lager-SS begründetes „Mädchenorchester“. Fania Fénelon wurde an einem der ersten Tage, noch im Quarantänelager, Mitglied des Orchesters, weil sie für die SS-Angehörige und KZ-Aufseherin Maria MandlMadame Butterfly[3] singen konnte.[4] Fania Fénelon arrangierte außerdem für die Musikerinnen das Repertoire. Dabei wählte sie teilweise Stücke aus, mit denen sie sich heimlich und symbolisch gegen die Nazis auflehnte, ohne dass diese das bemerkten. Beispielsweise orchestrierte sie den 1. Satz von Beethovens 5. Sinfonie, weil das Thema damals ein Erkennungsmotiv des englischen Radiosenders BBC war; für die Geigerin und Orchesterleiterin Alma Rosé instrumentierte sie den 1. Satz aus Mendelssohns Violinkonzert, weil der Komponist jüdischer Abstammung war.[5]

Im Herbst 1944 wurde das Mädchenorchester aufgelöst und nach Bergen-Belsen deportiert, wo Fénelon an Typhus erkrankte und infolge der Haftbedingungen bis auf 28 kg abmagerte.[6] Am 15. April 1945 wurden sie und ihre Mithäftlinge von britischen Soldaten befreit, und obwohl sie extrem schwach war, sang Fénelon in ein Mikrophon der BBC und spielte auf einem völlig verstimmten Klavier God Save the King – diese Aufnahme kann man am Ende eines Interviews mit der Künstlerin von 1981 hören.[7]

Nach dem Krieg trat sie wieder in Paris auf und wurde eine weithin bekannte Chansonsängerin. In den 1960er Jahren war sie aktiv im kulturellen Leben der DDR, wohin sie 1966 mit ihrem Lebensgefährten, dem afroamerikanischen Sänger Aubrey W. Pankey, umgezogen war. In Berlin wohnte sie Unter den Linden, gab Chansonabende, nahm für das DDR-Label Amiga Platten auf und unterrichtete Schauspielstudenten an der Leipziger Theaterhochschule „Hans Otto“ im Fach Chanson. 1971 ging sie nach dem Tod von Aubrey Pankey wieder zurück nach Paris.[8]

Von 1973 bis 1975 schrieb sie das Buch Das Mädchenorchester in Auschwitz, in dem sie ihre KZ-Erfahrungen mitteilte. Als Gedächtnisstütze benutzte sie ihr Tagebuch aus der Lagerzeit. Das Buch wurde von den anderen Überlebenden des Mädchenorchesters scharf kritisiert, vor allem wegen der negativen Darstellung Alma Rosés, so unterstellte Anita Lasker-Wallfisch ihr, auf einem Ego-Trip zu sein, auf dem sie ihre Rolle mit der Almas vertauscht habe (zitiert bei Ernst Klee)[9].

Gemeinsam mit Arthur Miller schrieb sie das Drehbuch zu dem 1980 erschienenen Fernsehfilm „Das Mädchenorchester von Auschwitz“ (Playing for Time), in welchem Vanessa Redgrave die Hauptrolle der Fania Fénelon verkörperte.[10] Stefan Heucke wurde vom Buch zu seinem Opernprojekt Das Frauenorchester von Auschwitz angeregt, das 2006 uraufgeführt wurde.[11] 1980 erschien ihre Autobiografie im Verlag der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), dem Frankfurter Röderberg-Verlag, auf Deutsch.[12]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Sursis pour l'orchestre. Témoignage recueilli par Marcelle Routier. Paris : Stock, 1976, ISBN 2-234-00497-7.
  • Das Mädchenorchester in Auschwitz. Übersetzung Sigi Loritz. München : dtv, 1981 ISBN 978-3-423-13291-6 (zuerst Röderberg-Verlag, 1980).
  • Arthur Miller: Playing for time. Drehbuch. 1980
  • Arthur Miller: Playing for time. Theaterfassung. 1985
    • Spiel um Zeit : ein Theaterstück nach dem Fernsehfilm von Arthur Miller nach dem Buch von Fania Fenelon "Das Mädchenorchester von Auschwitz". Übersetzung Maik Hamburger. Frankfurt am Main: Fischer, 1987

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Spiel um Zeit – Das Mädchenorchester in Auschwitz (Playing for Time) – amerikanisches Drama aus dem Jahr 1980, in: [1].
  2. Fania Fénelon: Das Mädchenorchester in Auschwitz,. 22. Auflage 2016. dtv Verlagsgesellschaft, München 1980, ISBN 3-423-13291-4, S. 384 (französisch: Sursis pour l'Orchestre. 1976. Übersetzt von Sigi Loritz, S. 312. Am Ende des 3. Absatzes schreibt Fania Fénelon in Bezug auf ihre „Geburtstagsfeier“ im KZ Birkenau 1944: „Aber ich bin doch noch so jung, ich bin fünfundzwanzig!“). Vgl.: Jegor Jublimov, Hofmann, Fénelon, in: junge Welt, 4. September 2019, S. 10.
  3. Wahrscheinlich ist die berühmte Arie „Un bel dì, vedremo“ aus dem 2. Akt von Giacomo Puccinis Oper Madama Butterfly gemeint.
  4. Ein Lied gegen den Tod – Fania Fénelon: Erinnerungen einer jüdischen Künstlerin an Auschwitz, Interview mit Fania Fénelon für das deutsche Fernsehen von 1981: bei 10,30–11,45 min, bei 15,20–15,55 min und bei 23,13–23,20 min (auf Youtube; Abruf am 22. Oktober 2020)
  5. Ein Lied gegen den Tod – Fania Fénelon: Erinnerungen einer jüdischen Künstlerin an Auschwitz, Interview mit Fania Fénelon für das deutsche Fernsehen von 1981: bei 27,46–29,05 min (auf Youtube; Abruf am 22. Oktober 2020)
  6. Ein Lied gegen den Tod – Fania Fénelon: Erinnerungen einer jüdischen Künstlerin an Auschwitz, Interview mit Fania Fénelon für das deutsche Fernsehen von 1981: bei ca. 39,30–40,00 min (Typhus) und ca. 42,30–42,50 min (Gewicht) (auf Youtube; Abruf am 22. Oktober 2020)
  7. Ein Lied gegen den Tod – Fania Fénelon: Erinnerungen einer jüdischen Künstlerin an Auschwitz, Interview mit Fania Fénelon für das deutsche Fernsehen von 1981: bei ca. 42,50–44,30 min (ab 43,44 min Aufnahme von Fénelons Klavierspiel vom 15. April 1945) (auf Youtube; Abruf am 22. Oktober 2020)
  8. Jegor Jublimov, Hofmann, Fénelon, in: junge Welt, 4. September 2019, S. 10.
  9. Fénelon, Fania, in: Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt am Main : S. Fischer, 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 150
  10. Das Mädchenorchester von Auschwitz bei IMDb
  11. Das Frauenorchester von Auschwitz, in: Rheinische Post, 18. September 2006, siehe: [2]
  12. Soweit nicht anders angegeben: Jegor Jublimov, Hofmann, Fénelon, in: junge Welt, 4. September 2019, S. 10.