Flämische Bewegung

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Flämische Flagge, 17. Jahrhundert

Die Flämische Bewegung (niederländisch Vlaamse Beweging) ist ein Sammelname für Vereinigungen und Personen, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts im weitesten Sinne den Anspruch erheben, die niederländischsprachige flämische Bevölkerung Belgiens als gesonderte „Volksgruppe“ innerhalb Belgiens zu vertreten. Historisch reicht das Spektrum der Positionen dabei über eine staatliche Eigenständigkeit hinaus bis hin zum Anschluss an die Niederlande („Groß-Niederlande“) oder an das Deutsche Reich. Flämische Nationalisten und manche ihrer Zusammenschlüsse kollaborierten im Ersten und Zweiten Weltkrieg mit der deutschen Besatzungsherrschaft.

Besonders stark ist dies in Belgisch-Limburg vorhanden, da man immer noch eng mit den Nachbarn in Niederländisch-Limburg u. a. auch durch eine gemeinsame Sprache dem Limburgisch verbunden ist.

Personen, die der Flämischen Bewegung zugerechnet werden, werden häufig auch als Flaminganten bezeichnet.

Die Ziele der als Flämische Bewegung bezeichneten Gruppierungen unterscheiden sich mitunter stark. Sie reichen von einem Engagement für die Sprachrechte der Flamen innerhalb Belgiens bis zu sezessionistischen Forderungen nach einem unabhängigen flämischen Staat. Teile der Flämischen Bewegung sind der Ansicht, dass die historischen Ziele der Flämischen Bewegung seit der Neugliederung Belgiens in drei föderale Gemeinschaften erfüllt sind.

Die Flämische Bewegung entstand nach 1830 in Reaktion auf die Dominanz des Französischen in dem nach der Belgischen Revolution entstandenen Staat. Die Flämische Bewegung war anfangs eine Sprach- und Kulturbewegung, die vor allem den gleichberechtigten Gebrauch des Niederländischen in den flämischen Landesteilen forderte. Mitte des 19. Jahrhunderts gewann die Bewegung durch die Reform des Wahlrechts zunehmend an Einfluss im belgischen Parlament. Die parlamentarische Arbeit führte 1898 zur offiziellen Anerkennung des Niederländischen als Landessprache im sogenannten Gleichheitsgesetz (niederl. Gelijkheidswet).[1]

Die offizielle Gleichberechtigung führte allerdings keineswegs zur Befriedung. Belgien war nun zwar offiziell ein zweisprachiges Land, de facto wurde jedoch lediglich Flandern zweisprachig, während Brüssel und Wallonien einsprachig französisch blieben. Viele Frankophone fürchteten um ihre Privilegien in einem zweisprachigen Staat. Die Niederlandisierung von Verwaltung und Unterrichtswesen verlief auch in den flämischen Landesteilen nur schleppend. Vor allem an den weiterführenden Schulen wurde fast ausschließlich auf Französisch unterrichtet. Eine der zentralen Forderungen der Flämischen Bewegung war deswegen die Niederlandisierung der Universität Gent. Forderungen nach einem unabhängigen flämischen Staat blieben jedoch auf radikale Gruppen beschränkt.[2]

Der Erste Weltkrieg und die deutsche Besatzung Belgiens führten zu einer Spaltung der Bewegung. Während der größte Teil der Flaminganten, die sogenannten Passivisten, es ablehnte, mit den Deutschen zu kollaborieren, sahen die Aktivisten in der Besatzung die Chance wesentliche Ziele der Bewegung mit deutscher Hilfe zu erreichen. Die deutsche Besatzungsverwaltung versuchte mit der Flamenpolitik bewusst, die Flämische Bewegung für sich zu gewinnen.[3] Auch hinter der Front organisierten sich flämische Soldaten in der Frontbewegung. Anlass waren u. a. Konflikte der mehrheitlich flämischen Mannschaften mit meist frankophonen Offizieren.[4]

Die Kollaboration der „Aktivisten“ diente einigen frankophonen Politikern dazu, die Flämische Bewegung in ihrer Gesamtheit mit der deutschen Besatzung in Zusammenhang zu bringen. Andererseits wurden in der Flämischen Bewegung selbst zunehmend antibelgische Stimmen hörbar. Die von ehemaligen Soldaten und Mitgliedern der Frontbewegung gegründete Frontpartei forderte ein autonomes Flandern innerhalb eines belgischen Föderalstaates. Auch die gemäßigteren Kräfte in der Bewegung stellten weitergehende Forderungen an den belgischen Staat. Im Minimalprogramm wurde nicht mehr für die Durchsetzung der Zweisprachigkeit in Belgien, sondern für ein einsprachig niederländisches Flandern eingetreten. Zur zentralen Veranstaltung der Flämischen Bewegung entwickelte sich die IJzerbedevaart, eine Wallfahrt zu den Gräbern flämischer Soldaten an der Yser unter den Motti „Nie wieder Krieg“ und „Hier unser Blut, wann unser Recht?“.[5]

Ende der Zwanziger Jahre entstanden innerhalb der Flämischen Bewegung Gruppierungen mit deutlich faschistischen Zügen. Die einflussreichste wurde der 1933 gegründete Vlaams Nationaal Verbond (VNV).

„Die flämisch-nationalistischen Gruppierungen kollaborierten in ihrer Mehrheit auch während des Zweiten Weltkriegs mit den deutschen Besatzern. Die deutschen Nationalsozialisten knüpften ihrerseits an die Okkupationspolitik im Ersten Weltkrieg an und stärkten die „Flämische Bewegung“ nach Kräften, welche niederländischsprachig, anti-französisch, prodeutsch und voller Hass auf den 1830 gegründeten belgischen Staat war. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hatte sie das Ziel formuliert, Gent zu einer niederländischsprachigen „Rijksuniversiteit“ zu machen, und ebendies hatten die deutschen Besatzer schon 1916 durchgesetzt. Aufgrund ihres Anti-Belgizismus, der in den 1920er Jahren in der Parole „Belgica delenda“ gipfelte, ihrer Vorliebe für die deutsche Romantik und der Wertschätzung des Hoffmann von Fallersleben, der mit seinen „Horae Belgicae“ als der Herold der flämischen Bewegung galt, begrüßten es viele flämische Aktivisten, dass die Deutschen in beiden Weltkriegen ihre Unabhängigkeitsbestrebungen förderten. Einer der Architekten dieser Politik in Belgien und in den Niederlanden, Joseph Otto Plassmann vom Ahnenerbe der SS, ein nordischer Philologe und Volkskundler, nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Emeritierung im Jahre 1958 Professor an der Universität Bonn, sah 1940 die Tätigkeit des „Ahnenerbes“ in Belgien ganz in der Kontinuität des Ersten Weltkrieges. Er behauptete, er habe bereits 1917 gemeinsam mit dem flämischen Linguisten René Van Sint-Jan[6] die flämisch-wallonische Sprachgrenze festgesetzt.[7]

Nach Auffassung des Zeithistorikers Bernd-A. Rusinek stand „der flämisch-reichsdeutsche Komplex einschließlich der Verwicklung der Universität Gent ... in einem engen Zusammenhang mit der Geschichte des ‚SS-Ahnenerbes‘“[8] wie generell im Zusammenhang mit der SS, die daran interessiert war, im Rahmen des „Germanischen Wissenschaftseinsatzes“, der von dem SS-Hauptsturmführer Hans Ernst Schneider (als „Hans Schwerte“ später Rektor der RWTH Aachen) geleitet wurde, den Gang der Kulturpolitik in Flandern zu bestimmen.[9] Die Kollaboration 1940–1945 diskreditierte die flämischen Nationalisten in der belgischen Bevölkerung. 1954 allerdings konnte bereits wieder eine entsprechende Partei gegründet werden, die Teile der Wählerschaft für sich gewinnen konnte, die Volksunie. Außerdem gibt es Parteien wie die Separatisten die Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) und die Rechtspopulisten wie den Vlaams Belang (VB) die eine Abspaltung bzw. mehr Eigenständigkeit fordern.

Mit dem Niedergang von Kohle und Stahl ab den 1960er Jahren besonders in der Wallonie und der damit stark steigenden Arbeitslosigkeit sowie der Ansiedlung von amerikanischen und japanischen Firmen in Flandern wollten die wohlhabenden Flamen nicht mehr für die verarmten Wallonen aufkommen.[10]

Die Flämische Bewegung hat heute Vertreter in beinahe allen belgischen Parteien, die für eine Festlegung der Sprachgrenze eintraten. Dieses Ziel wurde 1962 mit dem Gilson-Gesetz erreicht. Im Rahmen des flämisch-wallonischen Konflikts begann 1968 die Spaltung der Katholischen Universität Löwen: Die französischsprachige Abteilung der Universität Löwen (Université catholique de Louvain (UCL)) wurde 1971 nach Wallonien verlegt – in eine hierfür neu gegründete Planstadt: Louvain-la-Neuve. Mit der Bildung der drei Gemeinschaften (Flämische Gemeinschaft, Französische Gemeinschaft und Deutschsprachige Gemeinschaft) wurde Belgien ab 1970 zu einem föderalen Staat. Wirklich gelöst wurde der Sprachenkampf nicht, auch nicht durch die Möglichkeit eine Fazilitäten-Gemeinde zu gründen.

Einzelnachweise

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  1. Roland Willemyns: Het verhaal van het Vlaams. De geschiedenis van het Nederlands in de Zuidelijke Nederlanden. Het Spectrum u. a., Antwerpen u. a. 2003, ISBN 90-71206-43-2, S. 208–222.
  2. Bruno De Wever: Greep naar de macht. Vlaams-nationalisme en nieuwe orde. Het VNV 1933–1945. Lanoo u. a., Tielt 1994, ISBN 90-209-2267-X, S. 21, (Zugleich: Gent, Universität, Dissertation, 1992: Vlag, groet en leider.).
  3. Lode Wils: Flamenpolitik en aktivisme. Vlaanderen tegenover België in de eerste wereldoorlog. Davidsfonds, Leuven 1974.
  4. Winfried Dolderer: Deutscher Imperialismus und belgischer Nationalitätenkonflikt. Die Rezeption der Flamenfrage in der deutschen Öffentlichkeit und deutsch-flämische Kontakte 1890–1920 (= Kasseler Forschungen zur Zeitgeschichte. Bd. 7). Verlag Kasseler Forschungen zur Zeitgeschichte, Melsungen 1989, ISBN 3-925523-04-9 (Zugleich: Dissertation, Kassel, Universität, 1989).
  5. Winfried Dolderer: Der flämische Nationalismus und Deutschland zwischen den Weltkriegen. In: Burkhard Dietz, Helmut Gabel, Ulrich Tiedau (Hrsg.): Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919–1960) (= Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas. Bd. 6). Teilband 1. Waxmann, Münster u. a. 2003, ISBN 3-8309-1144-0, S. 109–136.
  6. 1887–1970. Er war tatsächlich ein Lektor und ein Kollaborateur, der nach 1918 aus seinem Land ostwärts flüchtete.
  7. Ulrich Pfeil (Hrsg.): Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionengeschichtlicher Ansatz (= Pariser historische Studien. 81). Oldenburg, München 2007, ISBN 978-3-486-58180-5, S. 38.
  8. Vgl. Bernd-A. Rusinek: Zwischenbilanz der Historischen Kommission zur Untersuchung des Falles Schneider/Schwerte und seiner zeitgeschichtlichen Umstände. Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv, Düsseldorf 1996; zur deutschen Flamenpolitik der Abschnitt 1.9.2. mit Beispielen reichsfreundlicher Aktivisten.
  9. Hans-Paul Höpfner: Bonn als geistige Festung an der Westgrenze. Zur Rolle und Bedeutung der „Westforschung“ an der Universität Bonn 1933–1945. In: Burkhard Dietz, Helmut Gabel, Ulrich Tiedau (Hrsg.): Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919–1960) (= Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas. Bd. 6). Teilband 2. Waxmann, Münster u. a. 2003, ISBN 3-8309-1144-0, S. 673–688, hier S. 682.
  10. Flanderns Kampf um sprachliche Gleichberechtigung 22. Mai 2022