Frau Holle

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Goldmarie aus dem Märchen „Frau Holle“ - Illustration von Hermann Vogel

Frau Holle ist eine mitteleuropäische Sagengestalt und Figur im gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm (siehe Grimms Märchen, Nr. 24). Das Märchen gehört zu Märchentyp 480 nach Aarne und Thompson.

Das Märchen

Inhalt

Ein Mädchen wird von ihrer Stiefmutter gegenüber deren leiblicher Tochter immer zurückgesetzt. Schließlich zwingt die Stiefmutter es in einen Brunnen zu springen, um eine verlorene Spindel zu finden. Es trifft in der Brunnenwelt, die sich gleichzeitig aber auch über den Wolken befindet, auf mehrere Bewährungsprüfungen. So will ein reifer Apfelbaum geschüttelt und ein fertiges Brot vor dem Verbrennen im Ofen gerettet werden. Das Mädchen kommt den Hilferufen ganz selbstverständlich nach. Zuletzt trifft es auf Frau Holle, eine „alte Frau“, die „lange Zähne hatte“. Es tritt in ihre Dienste und hat nunmehr vor allem ihre Betten auszuschütteln, worauf es dann auf der Erde schneit. Nach einiger Zeit bittet das Mädchen um seinen Abschied, wird mit einem Regen von Gold überreichlich überschüttet und kehrt nach Hause zurück, begrüßt vom Hahnenschrei: „Kikeriki! Unsere goldene Jungfrau ist wieder hie!“

Ihre hässliche und faule Stiefschwester nimmt daraufhin den gleichen Weg, versagt bei den Prüfungen und versieht auch ihren Dienst erwartungsgemäß ungenügend, wird daher von Frau Holle entlassen und mit einem lebenslang an ihr haftenden „Pechregen“ bestraft.

Sozialer Hintergrund

Statue der Frau Holle am Frau-Holle-Teich auf dem Hohen Meißner

Im Märchen wird der ehedem häufige innerfamiliäre Konflikt behandelt, als viele Frauen im Kindbett starben, die Witwer oft neu heirateten und miteinander konkurrierende Halbgeschwister zeugten.

Die Heimat dieses Märchens ist nicht eindeutig festzulegen, da es mehrere Regionen gibt, in welchen die Bewohner behaupten, Frau Holle sei in einem ihrer Berge zu Hause (so werden der Hohe Meißner zwischen Kassel und Eschwege, die Hörselberge bei Eisenach bzw. der Hörselberg und der Ort Hollerich genannt).

Interpretation

Otto Ubbelohde: Frau Holle lässt es schneien

Mythologisch scheint das Märchen älteren Stoff zu verarbeiten. So ist zunächst einmal das Springen in den Brunnen mit der sich anschließenden Reise in die Anderswelt zu nennen (siehe unten).

Eugen Drewermann interpretiert Frau Holle als ein Märchen, das auf die philosophische und religiöse Frage nach dem Sinn des Leidens eine Antwort gibt und die scheinbare Unordnung und Ungerechtigkeit des Seins erklärt. Alles, was Frau Holle an Wesenseinsichten vermittelt, lässt sich im Rahmen der Naturmythologie an den Gestalten von Sonne, Mond, Erde ablesen. Die Goldmarie als Sonnenmädchen, die Pechmarie als Mondgestalt. Frau Holle (Hulda, Berchta) als die große Göttin, die Mutter Erde, zu der man gelangt, wenn man den Weltenbrunnen in die Unterwelt hinabsteigt. Und die Stiefmutter als die Frau Welt, die Schlechtigkeit der äußeren, materiellen Welt, die Gegenspielerin von Frau Holle.

Eine andere psychologische Interpretation des Märchens [1] weist darauf hin, dass die Station am Apfelbaum mit der Akzeptanz des Frauenkörpers und der Sexualität, die Station am Ofen mit der Akzeptanz der Weiblichkeit und des Kindergebärens zusammenhänge.

Belletristik

Das Motiv der Gaben der Zauberfrau aus dem Brunnen findet sich bei den Brüdern Grimm auch in Das blaue Licht. Auch Die Regentrude von Theodor Storm wohnt in der durch eine hohle Weide zugänglichen Unterwelt. Eine ähnliche Geschichte erzählt das bulgarische Märchen Das goldene Mädchen[2]

Sonstiges

Das Märchen wurde im Jahre 2006 mit dem Preis Deutschlands schönstes Märchen ausgezeichnet.

Sagen

Neben dem bekannten Märchen der Brüder Grimm existieren noch weitere Sagen um Frau Holle, die der Volkskundler Karl Paetow gesammelt hat. Die Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth hat in ihrem Buch „Frau Holle – das Feenvolk der Dolomiten“ versucht, die Sagen um Frau Holle chronologisch zu ordnen und entsprechend der von ihr vertretenen Matriarchatstheorie zu rekonstruieren.

Frau Holle wurde auf zahlreichen Bergen verehrt. Viele Sagen sind in der Region des Hohen Meißners in Osthessen überliefert. Der Frau-Holle-Teich soll unendlich tief und der Eingang zu ihrer Anderswelt sein, die auch im Märchen der Brüder Grimm beschrieben wurde.

Im Volksmund ist Frau Holle für die Schneemenge im Winter verantwortlich, denn je gründlicher sie ihre Betten ausschüttelt, desto mehr schneit es auf der Erde.

Nach anderen Sagen segnet Frau Holle die grünenden Fluren im Frühjahr, indem sie über Felder und Wiesen schreitet, wodurch der Saft in die Pflanzen schießt und die Natur erwacht. Frau Holle soll auch den Menschen zahlreiche Kulturtechniken wie Spinnen und Weben gelehrt haben.

Der Holunder (auch: Holler) gilt als Pflanze, die besonders der Frau Holle geweiht ist. Möglicherweise stammt sogar sein Name von ihr.

Es wird auch berichtet, dass Frau Holle Kuchen, Blumen oder Obst schenkt und insbesondere Frauen und Mädchen hilft, ihnen „so manches gute Jahr“ wünscht und sie gesund und fruchtbar macht.

Frau Holle gilt nach anderen Sagen als Bringerin der Kinder, bzw. führt die Seelen der ungetauft gestorbenen Kinder mit sich.

Frau Holle gilt weiterhin als Schirmherrin der Spinnerinnen und Weber. Teilweise werden hier Parallelen zu den Nornen oder Parzen gezogen.

Weiterhin gilt Frau Holle als Herrscherin über die Schätze des Erdinnern.

Zur Zeit der Raunächte, zwischen 23. Dezember und 5. Januar (in dieser Zeit musste die Hausarbeit ruhen), soll sie zur Erdoberfläche aufgestiegen sein, um nachzusehen, wer das Jahr über fleißig oder wer faul war. Daher wird sie heute auch mit der von Tacitus erwähnten Mythengestalt Nerthus in Verbindung gebracht.

Einige Sagen berichten davon, wie Frau Holle in der Gestalt der Muhme Mählen die Seelen der Menschen prüft: Als alte und hilflose Frau bittet sie um Nahrung und Obdach. Diejenigen, die ihr helfen, werden reich belohnt. Wenn Menschen aber aus Geiz diese Hilfe ablehnen, werden sie bestraft. So schlug z.B. der reiche und hartherzige Bauer des Honighofes bei Wickenrode (Hessen) seine Tochter, weil sie einer alten Frau (Frau Holle) zu essen und trinken gegeben hatte, und hetzte seine Hunde auf diese. Als Strafe verbrannte Frau Holle den Hof. Der Bauer und sein Sohn kamen im Feuer um, während seine Tochter vor den Flammen beschützt wurde.

Theorien zur Herkunft

Zahlreiche archaische Motive in den Sagen deuten nach Ansicht von Heide Göttner-Abendroth auf das hohe Alter dieser Gestalt hin, die ihrer Meinung nach auf eine große Muttergöttin der Jungsteinzeit zurückgeht [3].

Der Historiker Karl Kollmann kommt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung: Schriftliche Spuren der Frau Holle lassen sich mindestens 1000 Jahre zurückverfolgen. Die früheste schriftliche Erwähnung findet sich in den Dekreten des Erzbischofs Burchard von Worms, die zwischen 1008 und 1012 verfasst worden waren. Jedoch ist sie seiner Ansicht nach sehr viel älter: „Die Indizien sprechen jedenfalls stark für die Annahme, dass Frau Holle keine Spukgestalt und kein Vegetationsdämon ist, sondern die regionale Verkörperung einer uralten weiblichen Erdgottheit, wie man sie fast überall auf der Welt unter den verschiedensten Namen verehrt hat.“ [4]

Die Germanistin Erika Timm geht davon aus, dass der Name Holle (in etwa: die Huldvolle) ursprünglich ein Beiname der germanischen Göttin Frigg war. Dieser hat sich nach der Christianisierung verselbständigt, unter anderem deshalb, weil es jetzt nicht mehr ratsam war, den Namen einer „heidnischen“ Göttin zu nennen oder sie gar anzurufen. Denn das wäre als Götzendienst sanktioniert worden. Nach dem gleichen Muster hätte sich die im süddeutschen und alpenländischen Raum bekannte Perchta (etwa: die Glänzende) aus einem anderen Beinamen von Frigg entwickelt, mit der Besonderheit, dass bei dieser Figur auch noch speziell norische Vorstellungen eine Rolle spielten. Harke oder Harre sind ebenfalls Namen verwandter Gestalten. [5]

Häufig wird 'Frau Holle' auch mit der germanischen Totengöttin Hel identifiziert.

Des Weiteren scheinen Verbindungen zur germanischen Göttin Nehalennia zu bestehen.

Brauchtum

Volkskundler berichten auch über Bräuche im Zusammenhang mit Frau Holle. So sollen früher insbesondere junge Frauen im Frau-Holle-Teich auf dem Hohen Meißner gebadet haben, wenn sie fruchtbar werden wollten. Dem Wasser dieses Teiches wurden auch Heilkräfte zugeschrieben. Gegen 1850 fand ein Schäfer in der Nähe des Holleteiches zwei Goldmünzen aus der römischen Kaiserzeit (1. Jahrhundert v. Chr.). Ausgrabungen in der Nähe des Teiches im Jahr 1937 förderten Keramikscherben aus dem Mittelalter und aus früheren Zeiten zutage. Das kann darauf hindeuten, dass an diesem Teich der Frau Holle Opfer dargebracht wurden.[6]

Jungen und Mädchen tanzten noch im 19. Jahrhundert nachts in der Nähe des Hollelochs bei Schlitz und sangen folgendes Lied, von dem nur noch die erste Strophe bekannt ist:

„Miameide – steht auf der Heide –
Hat ein grün’s Röcklein an.
Sitzen drei schöne Jungfern daran.
Die eine schaut nach vorne,
die andre in den Wind.
Das Weibsbild an dem Borne
hat viele, viele Kind.“

Dieses Lied hat vermutlich vorchristliche Ursprünge. Der genaue Sinn ist nicht mehr feststellbar. [7]

Ein weiterer Brauch in Nordhessen, besonders in der Meißnerregion, bezieht sich auf die Neujahrsnacht: Am Sylvesterabend stellen die Kinder einen Topf oder eine Schüssel vor die Tür. Am Neujahrsmorgen finden die braven Kinder dann unter dem umgedrehten Topf eine kleines Geschenk. [8]

Religion

Im neugermanischen Heidentum (Asatru) wird Frau Holle als Göttin verehrt.[9]

Theater

  • Frau Holle (Goldmarie und Pechmarie). Ein Kindermärchen-Lustspiel in 3 Bildern von Robert Bürkner.
  • Frau Holle (Goldmarie und Pechmarie). Ein Märchen nach den Gebrüdern Grimm. Neufassung nach Robert Bürkner von Rolf B. Wessels.

Musiktheater

In Richard Wagners Werken finden sich zahlreiche Hinweise auf verschiedene Aspekte der Frau Holle, die Wagners kreativen Umgang mit der germanischen Mythologie widerspiegeln. In der Oper "Tannhäuser" besingt der junge Hirte die Ankunft des Frühlings mit den Worten "Frau Holda kam aus dem Berg hervor, zu zieh´n durch Fluren und Auen". Der sagenhafte Wohnort der Holle im Hörselberg bei Eisenach wird bei Wagner zum Venusberg, in den sich sein Held vor der Welt zurückzieht. Hier verknüpfen sich also die Aspekte der Frühlings- mit denen der Liebesgöttin (wenn auch mit der graecoromanischen Venus statt der germanischen Frigg/Freia). Der Rückzug ins weltentrückte Reich der Liebesgöttin beinhaltet auch den Aspekt der Hel, des Totenreiches.

Im "Rheingold" wird Freia, die Göttin der Liebe und der Jugend, von den Riesen als "Freia, die holde, Holda, die freie" bezeichnet. Wagner zieht hier ebenfalls eine sprachliche Verbindung der Frau Holle mit der germanischen Göttin der Jugend und des Frühlings. Der chthonische Aspekt der Todesgöttin wird im "Ring des Nibelungen" durch die Verschmelzung von Holla und Hel zum Kunstwort "Hella" verdeutlicht: Siegmund weigert sich in der "Walküre", nach dem ihm vorherbestimmten Tod nach Walhall gebracht zu werden, er will im Totenreich bleiben: "Hella halte mich fest!" Und auch in der "Götterdämmerung" ist von "Hellas nächtlichem Heer" die Rede.

Verfilmungen

Siehe auch

Literatur

Deutungen des Märchens

  • Drewermann, Eugen: Lieb Schwesterlein, laß mich herein. Grimms Märchen tiefenpsychologisch gedeutet. 11. Auflage 2002, München. S. 363-395. (dtv; ISBN 3-423-35050-4)
  • Heide Göttner-Abendroth: Die Göttin und ihr Heros. Frauenoffensive, München 1993, ISBN 3-88104-234-2, S. 148-150.
  • Lenz, Friedel: Bildsprache der Märchen. 8. Auflage. S. 184-190. Stuttgart, 1997. (Verlag Freies Geistesleben und Urachhaus GmbH; ISBN 3-87838-148-4)
  • Ingrid Riedel: Wie aus der ungeliebten Tochter eine starke Frau wird. Frau Holle. Kreuz-Verlag 2005.
  • Wittmann, Ulla: Ich Narr vergaß die Zauberdinge. Märchen als Lebenshilfe für Erwachsene. Interlaken 1985. S. 203-213. (Ansata-Verlag; ISBN 3-7157-0075-0)

Mythologie und Sagen

  • Heide Göttner-Abendroth: Frau Holle – Das Feenvolk der Dolomiten. Königstein/Taunus 2006.
  • Karl Kollmann: Frau Holle und das Meißnerland. Heiligenstadt 2005, ISBN 3-929413-90-6 (ausführliche Dokumentation der ersten schriftlichen Zeugnisse und genaue Würdigung aller regionalen Sagen mit Überprüfung auf den realen Hintergrund)
  • Karl Paetow: Frau Holle. Volksmärchen und Sagen. Husum 1986.
  • Erika Timm: Frau Holle, Frau Percht und verwandte Gestalten. 160 Jahre nach Jacob Grimm aus germanistischer Sicht betrachtet. (unter Mitarbeit von Gustav Adolf Beckmann). Stuttgart: Hirzel 2003.

Neuheidentum

Wikisource: Frau Holle – Quellen und Volltexte
Commons: Frau Holle – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. [1]
  2. vgl. http://www.theater-bautzen.de/de/stuecke/S_230.html
  3. vgl. Heide Göttner-Abendroth: Frau Holle – Das Feenvolk der Dolomiten, Königstein / Taunus 2006, S. 136
  4. vgl. Karl Kollmann: Frau Holle und das Meißnerland, Heiligenstadt 2005, S. 15f
  5. Erika Timm: Frau Holle, Frau Percht und verwandte Gestalten.
  6. vgl. Karl Kollmann: Frau Holle und das Meißnerland, Heiligenstadt 2005, S. 31, 38 und 41.
  7. vgl. Karl Kollmann: Frau Holle und das Meißnerland, Heiligenstadt 2005, S. 131.
  8. vgl. Eugen Ernst, Weihnachten im Wandel der Zeiten, Theiss Verlag,2.Aufl. 2007.
  9. GardenStone: Göttin Holle. Books on Demand GmbH, Norderstedt 2006, ISBN 3-8334-4579-3
  10. siehe http://www.film-zeit.de/
  11. a b c d siehe Internet Movie Datatbase Frau Holle