Zum Inhalt springen

Gesamtnutzungsdauer

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die Gesamtnutzungsdauer bezeichnet die Anzahl der Jahre, in denen eine bauliche Anlage bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung und Instandhaltung typischerweise wirtschaftlich genutzt werden kann. Sie beginnt mit der Fertigstellung des Bauwerks und endet mit dem Zeitpunkt, zu dem die Nutzung aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr sinnvoll ist – unabhängig davon, ob das Objekt technisch noch nutzbar wäre.[1]

Die Gesamtnutzungsdauer ist insbesondere im deutschen Bewertungsrecht von Bedeutung, etwa bei der Anwendung des Ertragswertverfahrens nach der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV). Die Restnutzungsdauer ergibt sich aus der Differenz zwischen der Gesamtnutzungsdauer und dem aktuellen Alter der baulichen Anlage.[2][3]

Rechtlich gelten in Deutschland die Vorschriften des Bewertungsgesetzes (BewG):

(1) Die allgemeinen Bewertungsvorschriften (§§ 2 bis 16) gelten für alle öffentlich-rechtlichen Abgaben, die durch Bundesrecht geregelt sind, soweit sie durch Bundesfinanzbehörden oder durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden.

Außerdem gilt diesbezüglich die „Richtlinie zur Ermittlung des Sachwerts (Sachwertrichtlinie – SW-RL)“:[4]

(1) Das Sachwertverfahren ist in den §§ 21 bis 23 ImmoWertV geregelt. Ergänzend sind die allgemeinen Verfahrensgrundsätze (§§ 1 bis 8 ImmoWertV) heranzuziehen, um den Verkehrswert des Wertermittlungsobjekts zu ermitteln. Das Sachwertverfahren kann in der Verkehrswertermittlung dann zur Anwendung kommen, wenn im gewöhnlichen Geschäftsverkehr (marktüblich) der Sachwert und nicht die Erzielung von Erträgen für die Preisbildung ausschlaggebend ist, insbesondere bei selbstgenutzten Ein- und Zweifamilienhäusern. Das Sachwertverfahren kann auch zur Überprüfung anderer Verfahrensergebnisse in Betracht kommen. (Vergleichswertverfahren)

Besondere Bedeutung hat das Ertragswertverfahren nach dem Bewertungsgesetz und damit die Restnutzungsdauer bei der Wertermittlung von Rendite-Immobilien bei Zwangsversteigerungen oder Enteignungen, wo es bindend ist.
§ 13 BewG regelt dabei den Kapitalwert von wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen, die §§ 185 und 190 BewG die jeweilig anzusetzende Gesamtnutzungsdauer. Die Restnutzungsdauer ergibt sich aus der Differenz zwischen der Gesamtnutzungsdauer und dem Alter der Immobilie. Bei selbst genutzten Immobilien, z. B. Einfamilienhäusern, kommt in der Regel nur das Sachwertverfahren ohne Berücksichtigung einer Nutzungsdauer zur Anwendung.

Typische Gesamtnutzungsdauern

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach Anlage 22 zum Bewertungsgesetz (BewG) sind für verschiedene Gebäudearten standardisierte Gesamtnutzungsdauern festgelegt. Diese Richtwerte wurden zum 1. Januar 2023 angepasst und gelten unter anderem für steuerliche Zwecke wie die Grundsteuerbewertung. Die Gesamtnutzungsdauer variiert je nach Gebäudetyp und reicht bei Wohngebäuden in der Regel von 80 Jahren für freistehende Einfamilienhäuser bis zu 60 Jahren für Mehrfamilienhäuser mit einfacher Ausstattung.

Liste der anzusetzenden wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer nach BewG (Stand: 16. Dezember 2022):[5]

Gebäudeart Gesamtnutzungsdauer
Ein- und Zweifamilienhäuser 80 Jahre
Mietwohngrundstücke 80 Jahre
Wohnungseigentum 80 Jahre
Gemischt genutzte Grundstücke 80 Jahre
Bankgebäude 60 Jahre
Verwaltungsgebäude 60 Jahre
Hochschulen (Universitäten) 50 Jahre
Kindergärten (Kindertagesstätten) 50 Jahre
Schulen 50 Jahre
Wohnheime (Alten-, Personalwohnheime) 50 Jahre
Kaufhäuser, Warenhäuser 50 Jahre
Saalbauten (Veranstaltungszentren) 40 Jahre
Kur- und Heilbäder 40 Jahre
Hotels 40 Jahre
Sporthallen (Turnhallen) 40 Jahre
Krankenhäuser 40 Jahre
Vereinsheime (Jugendheime, Tagesstätten) 40 Jahre
Parkhäuser, Parkpaletten, Tiefgaragen 40 Jahre
Hallenbäder 40 Jahre
Industriegebäude, Werkstätten 40 Jahre
Lagergebäude 40 Jahre
Tennishallen 40 Jahre
Großmärkte 30 Jahre
Reitsporthallen 30 Jahre

Abgrenzung zur technischen Nutzungsdauer / Lebenszyklus von Gebäuden

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Gesamtnutzungsdauer ist von der technischen Nutzungsdauer zu unterscheiden. Während sich die Gesamtnutzungsdauer auf die wirtschaftlich sinnvolle Nutzung bezieht, beschreibt die technische Nutzungsdauer den Zeitraum, in dem ein Gebäude oder Bauteil rein funktional und technisch nutzbar ist.[6][7][8]

In der Praxis endet die wirtschaftliche Nutzung oft früher als die technische, etwa aufgrund geänderter Marktbedingungen, Modernisierungsbedarf oder mangelnder Nachfrage.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. § 4 ImmoWertV Alter, Gesamt- und Restnutzungsdauer Immobilienwertermittlungsverordnung. Abgerufen am 18. Mai 2025.
  2. Helmut Keller: Definition: Gesamtnutzungsdauer. Abgerufen am 18. Mai 2025.
  3. Was gilt für die Festlegung der Gesamtnutzungsdauer? In: Häufig nachgefragt. Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, abgerufen am 17. Mai 2025.
  4. Sachwertrichtlinie – SW-RL. (PDF) Bundesanzeiger, 5. September 2012, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 26. Februar 2015; abgerufen am 27. Mai 2015.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bundesanzeiger-verlag.de
  5. Anlage 22 (zu § 185 Abs. 3 Satz 3, § 190 Abs. 6 Satz 1 und 2). Bewertungsgesetz, abgerufen am 28. Januar 2022.
  6. Wirtschaftliche vs. technische (Rest)Nutzungsdauer? 18. Februar 2023, abgerufen am 18. Mai 2025.
  7. f:data GmbH: Bauprofessor – die Suchmaschine für Baufachinformationen. Abgerufen am 18. Mai 2025.
  8. Prof Dr Kai-Ingo Voigt: Definition: technische Nutzungsdauer. Abgerufen am 18. Mai 2025.