Hans Jonas

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Hans Jonas - Porträt

Hans Jonas (* 10. Mai 1903 in Mönchengladbach; † 5. Februar 1993 in New York) war ein jüdischer Philosoph deutscher Herkunft.

Leben

Hans Jonas wurde 1903 in Mönchengladbach als Sohn des Textilfabrikanten Gustav Jonas und seiner Frau Rosa geboren, der Tochter eines Krefelder Oberrabinners. In seiner Jugend wandte er sich gegen den Willen des Vaters örtlichen zionistischen Zirkeln zu. Sein Bruder verstarb 1916. Am Stiftischen Humanistischen Gymnasium in Mönchengladbach legte Jonas 1921 sein Abitur ab. Im Sommersemester desselben Jahres nahm er ein Studium der Philosophie und Kunstgeschichte an der Universität Freiburg auf, wo Edmund Husserl, Martin Heidegger und Jonas Cohn zu seinen Dozenten zählten. Auch begegnete er Karl Löwith.

Im Wintersemester schrieb sich Jonas in Berlin an der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute: „Humboldt-Universität zu Berlin“) für das Fach Philosophie ein, wo u. a. die Vorlesungen von Eduard Spranger, Ernst Troeltsch, Hugo Gressmann, Ernst Sellin und Eduard Meyer zu seinen Dozenten zählten. Daneben studierte er Judaistik an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, u. a. bei Julius Guttmann, Harry Torczyner und Eduard Baneth. Hier begegnete er Leo Strauss und Günther Stern.

Im März 1923 begann Jonas eine landwirtschaftliche Ausbildung (Hachschara), welche die Auswanderung nach Palästina vorbereiten sollte. Im Oktober desselben Jahres beschloss er jedoch, sein Studium fortzusetzen, und kehrte dazu nach Freiburg zurück. Im folgenden Semester folgte er Martin Heidegger, dessen studentischem Zirkel er angehörte, nach Marburg (Lehrer hier u. a. Rudolf Bultmann). Dort begründete er seine lebenslange Freundschaft zu Hannah Arendt, die lediglich für einige Zeit wegen Auseinandersetzungen über ihr Werk „Eichmann in Jerusalem“ unterbrochen war, und entwickelte sein lebenslanges Interesse an der Gnosis.

Nachdem sich Jonas 1928 entschieden hatte zu promovieren, wechselte er kurzzeitig zwischen den Universitäten Heidelberg, Bonn und Frankfurt, kehrte dann jedoch nach Marburg zurück und begann bei Heidegger die Arbeit an seiner Dissertation „Der Begriff der Gnosis“. 1930 folgte seine zweite Schrift „Augustin und das paulinische Freiheitsproblem. Ein philosophischer Beitrag zur Genesis der christlich-abendländischen Freiheitsidee“, einem zur Dissertation Arendts eng verwandten Gebiet.

Im August 1933 wanderte Hans Jonas nach London aus, von dort 1935 nach Jerusalem, wo er der Haganah beitrat. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges formuliert er einen Kriegsaufruf unter dem Titel „Unsere Teilnahme an diesem Kriege. Ein Wort an jüdische Männer“ und tritt den Streitkräften des Vereinigten Königreiches bei. 1940 wird er in Sarafant zum Flakhelfer ausgebildet und verteidigt danach mit der First Palestine Anti-Aircraft Battery Haifa gegen Luftangriffe aus Damaskus und Beirut. 1943 heiratet er Lore Weiner, die er am Purimfest 1937 kennengelernt hatte. 1944 tritt Jonas der neugegründeten Jüdischen Brigade (Jewish Brigade Group) bei. Nach seiner Ausbildung in Alexandria wird er mit seinem Verband in Italien eingesetzt.

Im Juli 1945 wird Jonas mit seinem Verband in Venlo stationiert und kann so nach Mönchengladbach zurückkehren. Hier erfährt er von der Ermordung seiner Mutter im KZ Auschwitz. Strenge Einreiseregelungen der Briten hatten verhindert, dass die anderen Mitglieder der Familie Jonas ihm geschlossen folgen konnten, wonach Rosa Jonas einem seiner Brüder die Einreiseerlaubis überlassen hatte.

1948 bis 1949 diente Jonas in der israelischen Armee. 1949 siedelte er nach Kanada und 1955 schließlich nach New York über. Er war Fellow an der McGill University Montreal und 1950-1954 an der Carleton University Ottawa sowie anschließend Professor an der New School for Social Research/New York. Gastprofessuren hatte er an der Princeton University, Columbia University, University of Chicago und der Ludwig-Maximilians-Universität München inne.

Für sein Werk erhielt Jonas zahlreiche internationale Auszeichnungen, 1987 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, die Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt Mönchengladbach, zahlreiche Ehrendoktorate wie von der Universität Konstanz (Philosophie) und die Verleihung von Ehrenmitgliedschaften in der American Academy of Arts and Science (Cambridge) und der International Academy of Science. 2003 erschien zum 10-jährigen Todestag seine Autobiographie „Erinnerungen“.

Werk

Jonas beschäftigte sich zunächst vorwiegend mit geistes- und philosophiegeschichtlichen Themen. Dabei galt sein Hauptinteresse der spätantiken Gnosis, die er aus existenzphilosophischer Perspektive als Ausdruck der menschlichen Grunderfahrung einer tiefen Entzweiung von Ich und Welt deutete.

Spätere Arbeiten entwickelten die Konzeption einer philosophischen Biologie, die als ontologisch orientierte Philosophie des Organischen den in Gnosis und Neuzeit gleichermaßen aufbrechenden Dualismus von Subjekt und Objekt, Geist und Materie, Seele und Leib, Freiheit und Notwendigkeit theoretisch zu überwinden versucht. Ihr zufolge bildet das Organische bereits in seinen phylo- und ontogenetisch elementarsten Formen das Geistige vor, während der Geist umgekehrt noch in seinen höchsten und subtilsten Leistungen stets Teil des Organischen bleibt. So wird z.B. die alles Geistige wesentlich kennzeichnende Freiheit als ein im Kern schon im organischen Vorgang des Stoffwechsels angelegtes Prinzip interpretiert, das sich in steter Abhängigkeit von seinen materiellen Grundlagen gleichwohl zu gattungsgeschichtlich immer höher entwickelten Formen entfaltet.

Auf dieser naturphilosophischen Grundlage wandte sich Jonas schließlich zunehmend ethischen Fragestellungen zu, die insbesondere das Verhältnis des Menschen zur Natur und seinen Umgang mit der Technik betrafen. Gegenüber der vorwiegend auf den Menschen als denkendes und handelndes Subjekt bezogenen Ethik der Neuzeit blieb dabei der ontologische Gesichtspunkt bestimmend: Was gut und richtig ist, verdankt sich nicht primär subjektiver Reflexion, sondern ist im Sein selbst gleichsam objektiv vorgezeichnet. Jonas' Hauptwerk erschien 1979 unter dem Titel Das Prinzip Verantwortung - Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Aus dem Werk mit dem gegen Ernst Blochs Hauptwerk "Das Prinzip Hoffnung" gewendeten Titel stammt das bekannte, in der Formulierung an Kants kategorischen Imperativ angelehnte Zitat, das auch als „ökologischer Imperativ“ bekannt ist:

„Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“

Zuletzt suchte Jonas diesen verantwortungsethischen Ansatz auch für konkrete Anwendungsfelder wie die Ökologie, die Medizin und insbesondere die Biomedizin zu präzisieren.

Im Spätwerk hat sich Jonas wieder vermehrt religionsphilosophischen Fragestellungen zugewandt, die insbesondere die eigene jüdische Tradition einer neuen Lesart unterzogen haben. Von besonderer Bedeutung ist hier sein Beitrag zur Theodizeefrage nach Auschwitz. Um nach dem millionenfachen Mord an den Juden Europas überhaupt noch von Gott sprechen zu können, müsse die Vorstellung von der Allmacht Gottes aufgegeben werden. Gott, der sich in der Erschaffung der Welt ihrem zufällig, evolutionären Werden ausgesetzt hat, bleibt zwar gütig und steht in Kommunikation zu seiner Schöpfung, doch kann er selbst auf den Weltlauf keinen Einfluss nehmen. Die Verantwortung für das Böse in der Welt trägt infolgedessen der Mensch allein. Um dies zu veranschaulichen, entwarf er den Mythos eines werdenden Gottes:

„Im Anfang (...) entschied der göttliche Grund des Seins, sich dem Zufall (...) hinzugeben. Und zwar gänzlich: Da sie einging in das Abenteuer von Raum und Zeit, hielt die Gottheit nichts von sich zurück (...). Damit Welt sei, und für sich selbst sei, entsagte Gott seinem eigenen Sein; er entkleidete sich seiner Gottheit, um sie zurückzuempfangen von der Odyssee der Zeit, beladen mit der Zufallsernte unvorhersehbarer zeitlicher Erfahrung, verklärt oder vielleicht auch entstellt durch sie. (...) Jeder Artenunterschied, den die Evolution hervorbringt, fügt den Möglichkeiten von Fühlen und Tun die eigene hinzu und bereichert damit die Selbsterfahrung des göttlichen Grundes. (...) Die Schöpfung war der Akt der absoluten Souveränität, mit dem sie [Anmerkung: die Gottheit] um des Daseins selbstbestimmter Endlichkeit willen einwilligte, nicht länger absolut zu sein - ein Akt also der göttlichen Selbstentäußerung. (...) Nachdem er sich ganz in die werdende Welt hineingab, hat Gott nichts mehr zu geben: Jetzt ist es am Menschen, ihm zu geben.“

Zitate

  • „Der schlechten Prognose den Vorrang zu geben gegenüber der guten, ist verantwortungsbewußtes Handeln im Hinblick auf zukünftige Generationen.“
  • „In ihrem Wetterleuchten aus der Zukunft, im Vorschein ihres planetarischen - globalen - Umfangs und ihres humanen Tiefgangs, werden zuallererst die ethischen Prinzipien entdeckbar, aus denen sich die neuen Pflichten neuer Macht herleiten lassen.“

Werke (Auswahl)

  • Erinnerungen. Nach Gesprächen mit Rachel Salamander. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 2003. - ISBN 3-458-17156-8
  • Gnosis und spätantiker Geist. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1.1954 - 8.1966
  • Macht oder Ohnmacht der Subjektivität? - Das Leib-Seele-Problem im Vorfeld des Prinzips Verantwortung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1987. - ISBN 3-518-38013-3
  • Organismus und Freiheit - Ansätze zu einer philosophischen Biologie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1973
  • Das Prinzip Verantwortung - Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1984. - ISBN 3-518-375857
  • Technik, Medizin und Ethik - Zur Praxis des Prinzips Verantwortung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1987 - ISBN 3-518-380141
  • Der Gottesbegriff nach Auschwitz: eine jüdische Stimme. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1987. - ISBN 3-518-38016-8
  • Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen.[1] Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1992. - ISBN 3-518-38779-0

Literatur

  • Harms, Klaus: Hannah Arendt und Hans Jonas. Grundlagen einer philosophischen Theologie der Weltverantwortung., WiKu-Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-936749-84-1.
  • Müller, Wolfgang E. Hans Jonas : Von der Gnosisforschung zur Verantwortungsethik, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2003. ISBN 3-17-017178-X
  • Wetz, Franz Josef Hans Jonas zur Einführung, Junius, Hamburg 1994, Neuauflage udT: Hans Jonas - Eine Einführung : Panorama, Reihe: Große Denker, Wiesbaden 2005, ISBN 3-926642-69-6
  • Wiese, Christian, Hans Jonas. Zusammen Philosoph und Jude, Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-633-54194-2
  • Sommer, Andreas Urs Gott als Knecht der Geschichte. Hans Jonas' „Gottesbegriff nach Auschwitz“ in: Theologische Zeitschrift, Jg. 51 (1995), S. 340-356
  • Hirsch Hadorn, Gertrude Umwelt, Natur und Moral. Eine Kritik an Hans Jonas, Georg Picht und Vittorio Hösle. Alber Verlag, Freiburg 2000, ISBN 3-495-47976-7

Siehe auch

Quellen

  1. buechernachlese.de.vu Rezension von Ulrich Karger zu Hans Jonas: Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen

Weblinks