Herbert Braun

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Herbert Braun (* 4. Mai 1903 in Warlubien (Westpreußen) als Sohn eines Volksschullehrers; † 27. August 1991 in Mainz) war ein deutscher evangelischer Theologe.

Leben

Herbert Braun war nach seiner Tätigkeit als Pfarrer in Friedrichshof (Ostpreußen), Lamgarben und Drengfurth und (nach der Flucht aus Ostpreußen) in Magdeburg seit 1949 Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Berlin.

In Berlin, wo er zunächst als Dozent, nach dem Weggang von Martin Albertz schließlich als Professor wirkte, zeichnete sich sein Unterricht vor allem durch ein starkes Interesse an religionsgeschichtlichen Fragestellungen aus.[1]

Von 1953 bis zu seiner Emeritierung 1968 war er dann Ordinarius für Neues Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Er gehörte zum Kreis der Bultmann-Schüler. Luise Schottroff folgte ihm auf dem Mainzer Lehrstuhl nach.

Lehre

Herbert Brauns Schwerpunkt war die Herausarbeitung derjenigen ethischen Besonderheiten, die den Menschen Jesus in Leben und Lehre von allen anderen vorausgegangenen und zeitgenössischen ethischen Lehren und Vorbildern unterscheiden. Abgegrenzt wird der historische Jesus dabei von seinem jüdischen Umfeld, der urchristlichen Gemeinde und den hellenistischen Strömungen seiner Zeit.

Ein Basissatz seiner Theologie ist: "Es ist der irdische Jesus, der seine Hörer dazu befreit hat, sich als von Gott Geliebte und Angenommene anzusehen und so fähig zu werden, andere zu lieben."[2]

Nach Bultmanns Auffassung hat Braun die existentiale Interpretation der Bibel am konsequentesten durchgeführt. Braun sehe im Wirken Jesu seine Worte als das Entscheidende. "Diese lehren die paradoxe Einheit der radikalisierten Thora und der radikalen Gnade, der verschärften Forderung und der schrankenlosen Annahme des Menschen als Sünder, die "Kontrapunktik" der Offenheit für den Nächsten und der totalen Angewiesenheit des Menschen auf Gott."[3]

Debatte mit Helmut Gollwitzer 1964

An der Universität Mainz fand am 13. Februar 1964 eine Debatte zwischen Herbert Braun und Helmut Gollwitzer statt. Das Thema war die Frage nach dem Sein Gottes. Braun sieht Gott als spezifische Form der Mitmenschlichkeit, als Chiffre eines zwischenmenschlichen Geschehens. Ein die Welt des Menschen transzendierendes Ansichsein Gottes kann es nach Auffassung Brauns nicht geben, weswegen er die Bezeichnung "A-Theismus" für seine Theologie akzeptiert. Diese Position sei aber nicht mit den verbreiteten Positionen des Atheismus gleichzusetzen.[4] Gollwitzer setzt Brauns Auffassung entgegen, dass Gott selbst Subjekt einer Beziehung zum Menschen sei. Menschliche Beziehungen bekämen erst durch den Bezug zu Gott ihre besondere zwischenmenschliche Qualität. Der Satz "Gott ist Liebe"[5] ist für Gollwitzer nicht umkehrbar ("Die Liebe ist Gott"). Eine Liebe zu Gott oder ein Gebet seien ohne ein Subjekt "Gott" nicht möglich.

Jesus, der Mann aus Nazareth und seine Zeit (1969)

In dreizehn Kapitel gibt Herbert Braun eine umfassende allgemeinverständliche Darstellung der ethischen und theologischen Bedeutung der Lehre des Menschen Jesus.

Kapitel 1: Die Vorgegebenheiten

Herbert Braun situiert den Menschen Jesus in den politischen und religiösen Verhältnissen seiner Zeit. Das Leben des palästinensischen Judentums ist geprägt von Apokalyptik und Pharisäismus. Die Apokalyptik hat hinsichtlich des Zeitrahmens, einer messianischen Gestalt und der Heilsvollendung eine beträchtliche Variationsbreite. Der Pharisäismus überträgt die Priester-Gesetze der Thora auf alle frommen Laien und gestaltet die Rahmenvorschriften kasuistisch aus, besonders die Reinheitsgesetze. Die pharisäische Ethik ist von Bescheidenheit, Unterstützung der Armen und strenger Sexualmoral geprägt. In Notsituationen tritt der fromme Jude für seine Religion mit seiner Existenz ein. Vor Gott als personifiziertem Gesetz hofft der fromme Jude beim Gericht auf Barmherzigkeit, die an sein Sündenbekenntnis und seine Buße gebunden ist.

Um das Jesusbild der Evangelien zu verstehen, muss man auch den hellenistisch-orientalischen Einfluss berücksichtigen, der die jüdische Tradition überlagert. Die griechische Vorstellung des theios aner (göttlicher Mann), eines weisen Heilers, Vorstellungen von Heilbringern, Naturgottheiten, Heroen und göttlichen Herrschern (Apotheose) beeinflussen die jüdische Messias-Erwartung. Ergebnis dieser Einflüsse sind etwa die Vorstellungen von Wundern bei der Geburt, die Jungfrauengeburt, die Himmelfahrt und die Erscheinung nach dem Tod. In den gnostischen Strömungen geht es um die Vergöttlichung des Menschen, bei der die konkrete Individualität aber aufgehoben wird.

Kapitel 2: Die Quellen

Die Evangelien sind keine neutralen Geschichtsquellen, sondern Bekenntnisse mit missionarischem Anspruch innerhalb der antiken Weltanschauung. Daher müssen sie historisch-kritisch untersucht werden. Am weitesten entfernt vom historischen Jesus ist das Johannesevangelium, aber auch die Synoptiker gestalten die Lebensgeschichte nach bestimmten Absichten. Besonders die Äußerungen Jesu sind schwer zu rekonstruieren, da auch prophetische Weisungen als Worte Jesu angesehen wurden. Die formgeschichtliche Untersuchung zeigt beispielsweise, dass je größer der Redekomplex ist, eine desto intensivere Redaktion zum Zweck der Gemeindebelehrung anzunehmen ist.

Auch Einzelworte können nach der Form analysiert werden, dabei gelten Äußerungen als möglich, die dem jüdischen Sprachstil entsprechen. Für die schwierigere inhaltliche Untersuchung ist ein hermeneutischer Zirkel unvermeidbar. Als typisch für wahrscheinlich historische Jesusworte gilt, dass sie jüdisches Denken überschreiten.

Kapitel 3: Die Biografie

Die Geburt Jesu liegt eher in der Zeit des Herodes als der Volkszählung. Bethlehem als Geburtsort wird aufgrund von Micha 5,1-3 gewählt. Die Umstände der Geburt sind legendenhaft und in Anlehnung an hellenistisch-orientalische Heilsbringergestalten ausgeformt. Dass er Geschwister hatte und von Johannes dem Täufer getauft wurde, ist wahrscheinlich. Er entsprach nicht der jüdischen Messiasvorstellung: Er war an der politischen Befreiung wenig interessiert. Er forderte keine Anerkennung einer Messiaswürde. Diese wird von der Urgemeinde in das Leben zurückprojiziert und als geheime Offenbarung dargestellt. Jesus ist kein Asket. Er hat Freunde unter den Sündern, sein Lebenswandel wird von den gesetzestreuen Juden kritisch betrachtet.

Seine Sprache ist aramäisch, bildhaft, einprägsam, ursprünglich nicht als Geheimbelehrung gedacht. Seine Wundertaten sind niemals Strafwunder, sondern oft medizinische Heilungen, die dem Zeitgeist nach als Dämonenaustreibungen verstanden wurden. Die Naturwunder und Totenerweckungen sind Ausschmückungen. Es entspricht dem zu seiner Zeit Üblichen, dass Jesus eine Jüngerschar um sich sammelte. Ihre Darstellung wird bis zu Lukas hin immer stärker idealisiert, zugleich wird der Kontrast zu Jesus verstärkt. Die Jünger bilden keine Kirche.

In der Passionsgeschichte scheint der Kreuzestod sicher. Das letzte Abendmahl erscheint als Rückverlegung, die hellenistische Sakramentalität passt nicht in ein palästinensisches Umfeld. Die Getsemane-Szene ist offenkundig erfunden, ebenso wie die Verhandlung vor dem Sanhedrin. Der Kreuzestod wird zunehmend triumphaler ausgestaltet. Die Grablegungsgeschichte widerspricht dem jüdischen Brauch des Umgangs mit Verurteilten. Die Motive der Umgestaltung liegen darin, ein Vorbild des Martyriums zu schaffen, die Juden zugunsten der Römer zu belasten und das Herrenmahl vor dem Sterben einzusetzen. Bei den Synoptikern hat der Tod noch keinen Sühnecharakter.

4. Der Horizont der letzten Dinge

Jesu jüdisch apokalyptische Naherwartung einer Königsherrschaft Gottes und eines Menschensohnes wird im Laufe der Traditionsgeschichte auf Jesus selbst bezogen. Der spätjüdische Auferstehungsglaube ist bei Jesus nachvollziehbar. Jesu Anliegen ist aber eigentlich eine Schärfung der Verantwortlichkeit. Diese Verantwortlichkeit ist unabhängig von der Frage eines wirklichen apokalyptischen Endes der Geschichte und einer Auferstehung.

5. Die Bekehrung

In Übereinstimmung mit der jüdischen Tradition ist die Ethik Jesu eine des Handelns. Bekehrung bedeutet dementsprechend eine Wendung des Willens zum Gehorsam, kein religiöses Erlebnis. Bekehrung ist die Anerkennung der totalen Verpflichtung und der uneingeschränkten Angewiesenheit des Menschen. Die Entscheidung hat Vorrang vor allen persönlichen Bindungen. Der echte Gehorsam handelt nicht heteronom, sondern aus Einsicht und aus der Situation heraus. Der Gehorsam wird damit aus den formalen und juridischen Bezügen herausgenommen. Der Rigorismus des kompromisslosen Anspruchs führt nicht zur Diskriminierung anderer, da der Gehorsame sich als grenzenlos Beschenkter erfährt. Daher ist jedes vergleichende Messen fremder Leistung und ein Sichzusprechen eigener autonomer Leistung ungerechtfertigt.

Werke

  • An die Hebräer (= Handbuch zum Neuen Testament. Bd. 14). Mohr, Tübingen 1984, ISBN 3-16-144869-3.
  • Jesus – Der Mann aus Nazareth und seine Zeit (= Gütersloher Taschenbücher Siebenstern. Bd. 70). 3. Taschenbuch-Auflage. Gütersloher Verlags-Haus Mohn, Gütersloh 1978 ISBN 3-579-03870-2.
  • Spätjüdisch-häretischer und frühchristlicher Radikalismus: Jesus von Nazareth und die essenische Qumransekte (2 Bände) [Beiträge zur Historischen Theologie, 24]. Tübingen, J.C.B. Mohr, 1969.
  • Neues Testament und christliche Existenz. Tübingen : Mohr, 1973.
  • Gesammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt.Tübingen : Mohr (Siebeck), 2., durchges. u. erg. Aufl.1967.
  • Braun, Herbert: Predigten. - Stuttgart : Kreuz-Verl., 1970, 1. - 7. Tsd.
  • Braun, Herbert: Wie man über Gott nicht denken soll, Tübingen 1971

Literatur

  • Willy Schottroff: Herbert Braun. Eine theologische Biographie. In: Willy Schottroff: Das Reich Gottes und der Mensch. Studien über das Verhältnis der christlichen Theologie zum Judentum (= Abhandlungen zum christlich-jüdischen Dialog. Bd. 19). Chr. Kaiser, München 1991, ISBN 3-459-01881-X, S. 195–229.
  • Neues Testament und christliche Existenz. Festschrift für Herbert Braun. Herausgegeben von Hans Dieter Betz und Luise Schottroff. Tübingen 1973.
  • Angela Hager: Ein Jahrzehnt der Hoffnungen: Reformgruppen in der bayerischen Landeskirche 1966–1976; Vandenhoeck & Ruprecht, 2010; ISBN 3525557426. S. 334.
  • Eduard Schweizer: Jesus, das Gleichnis Gottes: was wissen wir wirklich vom Leben Jesu? Göttingen, 2. Auflage 1996
  • Horst Symanowski: Post Bultmann locutum / Bd. 1. Eine Diskussion zwischen Helmut Gollwitzer und Herbert Braun am 13. Februar 1964 in der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz am Rhein, 1965, 2. Aufl.
  • Zahrnt, H. (1984). Die Sache mit Gott - Die protestantische Theologie im 20. Jahrhundert. 6. Aufl. München, dtv.

Anmerkungen

  1. Geschichte des Lehrstuhls
  2. Eduard Schweizer: Jesus, das Gleichnis Gottes: was wissen wir wirklich vom Leben Jesu? Göttingen, 2. Auflage 1996, S. 14.
  3. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46266317.html
  4. Hans-Georg Geyer: Andenken, Tübingen 2003, S. 127
  5. 1.Johannes 4,16