Ihud

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Ihud
Gründung 1942
Zeitung Be'ajot, Ner
Aus­richtung Zweistaatlichkeit
Föderalismus
Zionismus

Ihud (auch Ichud, hebräisch איחוד, „Einheit“) war eine binational orientierte zionistische Partei, die 1942 von Judah Leon Magnes, Martin Buber, Ernst Simon und Henrietta Szold, ehemaligen Unterstützern von Brit Schalom, als Antwort auf die Biltmore-Konferenz gegründet wurde. Weitere prominente Mitglieder waren Mosche Smilansky, David Werner Senator, der Agrarwissenschaftler Chaim Margolis-Kalvaryski und der Richter Joseph Moshe Valero. Ihud setzte sich für eine Lösung der politischen Spannungen in Palästina ein, die gleiche Rechte für Juden und Araber[1] in Form von politischer Parität[2] in gemeinsamen Regierungsorganen sowie eine Aufteilung des Landes in Bezirke auf kommunaler Basis vorsah.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bis zur israelischen Staatsgründung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Judenverfolgung in Europa und der arabische Aufstand in Palästina ließen es den Gründern des Ihud als dringlich erscheinen, die jüdische Gemeinschaft in Palästina zu stärken und eine überlebensfähige Heimstätte für die Verfolgten zu schaffen; zugleich sollten die Rechte der arabischen Bevölkerung des Landes respektiert werden. So führte Judah Leon Magnes im Juli 1942 erste Gespräche zur Gründung des Ihud als Nachfolgeorganisation von Brit Schalom, mit dessen Prinzipien er sich identifizierte.[3]

Das erste Treffen der Gruppe fand am 11. August 1942 statt. Dabei formulierte Magnes mehrere Gründe für das Eintreten für eine binationale Lösung anstelle der Schaffung eines jüdischen Staates, darunter folgende: Ein jüdischer Nationalstaat in Palästina wurde Hass hervorrufen, der über Generationen hinweg kaum zu beschwichtigen wäre. Kriegerische Auseinandersetzungen könnten den Jischuv zerstören. Ein Nationalstaat sei zudem nicht der Weg des Judentums,[4] vielmehr sollte nach dem Beispiel anderer Nationen kein jüdischer, sondern ein säkularer Staat im Dienste aller seiner Bewohner entstehen.

Am 3. September 1942 bekräftigte die Gruppe in einem Brief an die Mitarbeiter der Hebräischen Universität, dass sich Ihud als Teil der zionistischen Bewegung verstehe und die Vereinigung von Juden und Arabern als wesentlich für die Gründung eines jüdischen Heimatlandes betrachte.[4] Die Führer von Ihud nannten mehrere Hauptziele:

  • Schaffung eines politischen Systems, das auf gleichen Rechten für beide Völker beruht;
  • Sicherung der Unterstützung des expandierenden Jischuv und des gesamten jüdischen Volkes für eine föderative Union des Nahen Ostens, die das Land Israel einschließt;
  • Schaffung eines Bündnisses zwischen dieser föderativen Union und der anglo-amerikanischen Union als Teil einer Allianz aller freien Nationen.[5]

Ihud-Mitglieder distanzierten sich im Januar 1948 in einer Erklärung an die Presse von gewalttätigen Übergriffen gegen Araber und schrieben von einer „Psychose des Militarismus“ und der Angst des „aufgehetzten Pöbels“, die nur weitere „wahllose und unbarmherzige Reaktionen“ provozieren würden.[6]

Ihud stellte sich auch gegen den UN-Teilungsplan für Palästina. Im April 1948 schlug Magnes eine US-amerikanische Treuhänderschaft für Palästina vor und sprach diesbezüglich mit Warren Austin, dem US-Botschafter bei den Vereinten Nationen.[7] Magnes erklärte, dass „die Teilung wahrscheinlich die Hauptursache für das Chaos in Palästina ist“, und betonte, wie wichtig es sei, dass Juden und Araber „die Möglichkeit erhalten, selbst die Funktionen der Regierung auszuüben.“[7] Magnes trat am Tag nach der Bekanntgabe des UN-Teilungsplans vom Amt des Vorsitzenden des Ihud zurück.[3]

Nach der israelischen Staatsgründung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während des Palästinakrieges 1948/49 verurteilte Ihud jüdische Angriffe auf arabische Zivilisten und brandmarkte den herrschenden „Geist von Masada“ als „Verherrlichung eines unnötigen Martyriums“.[6]

Als die Gewalt nach dem Krieg weiter eskalierte, gab Ihud eine Warnung heraus, die den militärischen Sieg als gefährlichen Präzedenzfall darstellte: „Als Mitglieder des Ihud begrüßen wir keine Triumphe auf dem Schlachtfeld, die im Grunde das Vergießen von Blut, Verderben und Zerstörung für jeden bedeuten, der nach Gottes Bild geschaffen wurde.“[6] Ihud prangerte auch das Qibya-Massaker im Oktober 1953 an und verurteilte generell Vergeltungsschläge der israelischen Armee gegen Araber.[6]

Ende der 1960er Jahre, nach der israelischen Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens im Sechs-Tage-Krieg, wurde Ihud als politische Kraft in Israel bedeutungslos.[6]

Publizistische Tätigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ihud vermittelte seine Ansichten einer breiteren Öffentlichkeit zunächst in der Zeitschrift Be'ajot.[8][1] Darin erschien Anfang 1947 ein Artikel mit Gedanken Albert Einsteins über einen geeigneten Ansatz zur Lösung der Palästina-Frage. Als Antwort auf die Behauptung eines prominenten Befürworters des Zionismus, des britischen Politikers Richard Crossman, wonach die Teilung die einzige faire Lösung sei, die den Briten übrig bleibe, meinte Einstein: „Er mag Recht haben; aber ich sehe keine andere dauerhafte Lösung als eine, die auf einer binationalen Verwaltung unter der Herrschaft der Vereinten Nationen beruht.“[8][9]

Nach der Gründung des Staates Israel 1948 ersetzte die Organisation Be'ajot durch eine neue Zeitschrift namens Ner.[8] Deren redakteur war Jehoschua Radler-Feldman (Pseudonym Rabbi Binyamin);[10] Ziel der Publikation war es, die israelische Öffentlichkeit zu ermutigen, die Rechte der arabischen Bürger anzuerkennen und zu respektieren und für die im Palästinakrieg erfolgte Vertreibung arabischer Einwohner Verantwortung zu übernehmen. Ner erschien bis 1964.[11]

Reaktionen auf Ihud[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Magnes und Buber als Zeugen vor dem anglo-amerikanischen Untersuchungsausschuss

Die Ihud-Partei präsentierte ihre Ideen dem anglo-amerikanischen Untersuchungskomitee im Jahr 1946 und gegenüber dem United Nations Special Committee on Palestine 1949. Das anglo-amerikanische Komitee stimmte den Vorschlägen von Ihud weitgehend zu und empfahl eine Wirtschaftsunion in Palästina.

Indes erwies es sich als schwierig, die Zustimmung arabischer Führer zur Idee eines binationalen Staates zu gewinnen. Eine Übereinkunft wurde nur zwischen Fausi Darwisch aus der einfüssreichen Jerusalemer Familie el Husseini,[12] und der 1939 gegründeten und seit 1942 mit Ihud verbündeten Liga für jüdisch-arabische Annäherung und Zusammenarbeit erzielt.[13] Doch wurde Husseini in der Folge im November 1946 ermordet.[6]

Einflussreiche nicht-jüdische Sympathisanten des Zionismus lehnten die Initiativen des Ihud ab, darunter John Hope Simpson und Major General Edward Spears.

Die zionistische Presse in Großbritannien verurteilte Magnes ebenfalls und warf ihm vor, den Staat Israel erbittert zu bekämpfen und zu zerstören, indem er seinen Einfluss an der Hebräischen Universität für seine Zwecke nutze.[6] Der Detroit Jewish Chronicle bezeichnete Magnes als Quisling.[14]

Das zionistische Blatt The Reconstructionist vom 10. Februar 1956 billigte hingegen den von Ihud vertretenen Ansatz und empfahl die ernsthafte Prüfung der Ihud-Vorschläge durch die israelische Regierung und durch die zionistische Weltbewegung.[15] Die Zeitung änderte später ihre Position und prangerte in einer Novemberausgabe die Programme des Ihud an.[15]

Der dem revisionistischen Zionismus nahestehende Publizist Chaim Tchernowitz (Pseudonym Rav Tzair) verurteilte die Position des Ihud, wonach Palästina sowohl rechtlich als auch ethisch den Arabern gehöre und diese daher berechtigt seien, „für immer dessen Herren zu bleiben.“[16]

Magnes versuchte die ultra-orthodox jüdische nicht-zionistische Organisation Agudat Jisrael als Bündnispartner zu gewinnen, scheiterte jedoch dabei.[4]

Die Philosophin Hannah Arendt lehnte das Programm des Ihud ab, weil sie Magnes' Idee des Binationalismus für eine fehlerhafte Version des Föderalismus hielt, da sie das Biltmore-Konzept der jüdischen Vorherrschaft durch eine arabische Vorherrschaft ersetzte. Sie sah Magnes' Vision im Widerspruch zu ihrem eigenen Engagement für eine föderale Lösung im Nahen Osten. Später unterstützte sie seinen Vorschlag einer Treuhänderschaft als Übergangslösung in Palästina.[17]

Einzig die Freeland League von Isaac Nachman Steinberg erwies sich als politischer Verbündeter des Ihud, insbesondere in der Ablehnung jeglicher Gewalt seitens des „militanten Zionismus“.[18]

Über das Engagement des Ihud schreibt der Historiker Sasson Sofer in Zionism and the Foundations of Israeli Diplomacy (1998):

Ihud war das erste Beispiel in der Geschichte der israelischen Politik, das zeigte, was passiert, wenn Intellektuelle versuchen, eine Kompromisslösung im Zuge eines gewaltsamen nationalen Konflikts vorzuschlagen. Es zeigte ihre organisatorische Schwäche und die Tatsache, dass ihr politischer Einfluss marginal war. Ihud ist ein Vorbote des Schicksals, das die israelische Intelligenz ereilen sollte, sobald sie sich dem glühenden Herzen des israelisch-arabischen Konflikts näherte und versuchte, sich in die politischen Auseinandersetzungen einzuschalten.[19]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Rory Miller: J. L. Magnes and the Promotion of Bi-Nationalism in Palestine. In: Jewish Journal of Sociology. Nr. 48 (1/2), 2006, S. 50–68 (englisch, ebsco.com).
  2. Hearings of representatives from the Ihud (Union) Association – 30th UNSCOP meeting – Verbatim Record. In: United Nations. 14. Juli 1947; (englisch).
  3. a b Hedva Ben-Israel: Bi-Nationalism versus Nationalism: The Case of Judah Magnes. In: Israel Studies. 23. Jahrgang, Nr. 1, 2018, ISSN 1084-9513, S. 86–105, doi:10.2979/israelstudies.23.1.05, JSTOR:10.2979/israelstudies.23.1.05 (englisch).
  4. a b c Susan Hattis Rolef: The> bi-national idea in Palestine during mandatory times. Shikmona Publishing Company, 1970, OCLC 1374354964, S. 258–271 (englisch).
  5. Yosef Gorni, יוסף. גורני: Mediniyut ṿe-dimyon : tokhniyot federaliyot ba-maḥshavah ha-medinit ha-Tsiyonit 1917-1948. Yad Yitsḥaḳ Ben-Tsevi, Yerushalayim 1993, ISBN 965-217-107-7 (englisch).
  6. a b c d e f g Tamar Hermann: Pacifism and Anti-Militarism in the Period Surrounding the Birth of the State of Israel. In: Israel Studies. 2010, abgerufen am 17. Februar 2024.
  7. a b Palestine and Israel: Records of the U.S. Department of State, 1945-1959. In: www.gale.com. Abgerufen am 7. Mai 2023 (englisch).
  8. a b c Magnes, Buber and Ihud (Unity). Cambridge University Press, 1998, ISBN 978-0-521-63012-2, Zionism and the Foundations of Israeli Diplomacy, S. 337–356, doi:10.1017/cbo9780511583247.020 (englisch).
  9. Eric Jacobson: Why did Hannah Arendt Reject the Partition of Palestine? In: Journal for Cultural Research. 17. Jahrgang, Nr. 4, 2013, ISSN 1479-7585, S. 358–381, doi:10.1080/14797585.2013.768472 (englisch).
  10. Rabbi Binyamin, in: zionistarchives.org, abgerufen am 29. Februar 2024 (englisch).
  11. Derek Penslar: Gideon Shimoni. The Zionist Ideology (The Tauber Institute for the Study of European Jewry Series, number 21.) Hanover, N.H.: University Press of New England, for Brandeis University Press. 1995. Pp. xvi, 506. $59.95. In: The American Historical Review. 102. Jahrgang, Nr. 1, Februar 1997, ISSN 1937-5239, S. 145–46, doi:10.1086/ahr/102.1.145 (englisch).
  12. Daniel Clifton: Zionist-Arab Pact Disclosed to U.N. – Moderates of Both Sides Signed Accord for Bi-National Government in 1946 In: The New York Times, 16. Juli 1947. Abgerufen am 6. April 2023 (amerikanisches Englisch). 
  13. JTA Daily News Bulletin, 11. Oktober 1942 (englisch). 
  14. Dr Magnes and the Arabs In: Detroit Jewish Chronicle, 3. Oktober 1941, S. 4. Abgerufen am 17. Mai 2023 (englisch). 
  15. a b 'Ihud' in America: an answer and a challenge. In: The Reconstructionist. (englisch).
  16. Avi-Ram Tzoreff: The Political Theology of the Feminine Jew and Anticolonial Criticism in the Writings of Yehoshua Radler-Feldman (R. Binyamin) during WWI. In: Jewish Quarterly Review. 111. Jahrgang, Nr. 1, 2021, ISSN 1553-0604, S. 105–129, doi:10.1353/jqr.2021.0005 (englisch).
  17. Gil Rubin: From Federalism to Binationalism: Hannah Arendt's Shifting Zionism. In: Contemporary European History. 24. Jahrgang, Nr. 3, 2015, ISSN 0960-7773, S. 393–414, doi:10.1017/S0960777315000223, JSTOR:26294065 (englisch).
  18. Laura Almalgor: "A highway to battlegrounds": Jewish territorialism and the State of Israel, 1945–1960. In: Journal of Israel History. 2019, abgerufen am 17. Februar 2024.
  19. Sasson Sofer, Dorothea Shefer-Vanson: Zionism and the foundations of Israeli diplomacy. Cambridge University Press, Cambridge, U.K. 1998, ISBN 0-511-00537-7 (englisch).