Kuhblasen

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Kuhblasen wird von einem Angehörigen der Khoikhoi praktiziert. Die Zeichnung entstand zwischen 1700 und 1740.

Das Kuhblasen (englisch cow blowing[1] oder Kuhblasen,[2] in Indien anglisierend phooka genannt[3]) ist ein in der ethnographischen Literatur aus vielen Ländern berichtetes Verfahren, bei dem durch kräftiges Einblasen von Luft in die Vagina – bisweilen auch in den After – einer Kuh zu erreichen versucht wird, dass sie mehr Milch gibt.

Meist erfolgt dieses Einblasen direkt mit dem Mund, aber auch mittels einer Röhre bzw. in Kombination mit anderen Verfahren zur Stimulation der Milchproduktion.[4] Solche Verfahren sind auch für andere Milchtiere bekannt: neben dem Rind auch beim Pferd, Yak, Kamel oder bei der Ziege.[5]

Geschichte und Vorkommen

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Das Verfahren war bereits im alten Ur bekannt, wo ein Tempelfries vom Tell el-Obed hinter den Kühen sitzende Melker erkennen lässt.[6] Eine frühe Beschreibung gibt es auch im zweiten Kapitel des vierten Buches der Historien des griechischen Historikers Herodot (5. Jahrhundert v. Chr.): Dort wird beschrieben, wie die Skythen Pferdestuten durch hohle Knochenröhren Luft in die Scheide blasen, während eine andere Person die Stute melkt.[7] Das cow blowing wurde mindestens bis zum 17. Jahrhundert auch in Irland praktiziert.[8] Besonders zahlreiche Belege liefern afrikanische Hirtennomaden,[9] es ist in Süd- und Ostafrika verbreitet, zum Beispiel bei den Dinka und Nuer,[10] aber auch in anderen Hirtenkulturen wie zum Beispiel bei den alten Skythen und in Tibet. Obwohl einzelne Beschreibungen des Phänomens aus vielen Teilen der Welt bekannt sind, ist es bislang nur in wenigen systematischen wissenschaftlichen Studien beschrieben worden.

In Indien, wo das Rind aufgrund religiöser hinduistischer Vorstellungen einen besonderen Schutz genießt (siehe auch Heilige Kuh), wird die Praktik phooka genannt.[3] Sie wurde im indischen Tierschutzgesetz von 1890 erstmals explizit verboten. Darin wird phooka oder doom dev an Kühen oder anderen Milchtieren folgendermaßen definiert: “Phooka or doom dev includes any process of introducing air or any substance into the female organ of a milch animal with the object of drawing off from the animal any secretion of milk.[11] Personen, die die Handlung durchführen oder an in ihrem Besitz oder unter ihrer Kontrolle stehenden Tieren durchführen oder erlauben, konnten mit einer Geldstrafe bis zu fünfhundert Rupien oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft werden. Das Tier, an dem die Handlung verübt wurde, ging in den Besitz des Staates über.[11] Das Gesetz wurde 1938 erweitert.[12] Gandhi berichtet in seiner Autobiographie[13] darüber. Seit seiner Beobachtung des phooka habe Gandhi einen starken Ekel vor Milch gehabt. Der Prozess des phooka habe Gandhis Einstellung zur Gewalt an Tieren beeinflusst.[14]

Der Ethnologe Edward Evan Evans-Pritchard beschrieb[15] und fotografierte[16] das Kuhblasen in die Vagina der Kuh bei den Nuern. Dort wurde es insbesondere bei Kühen praktiziert, die ihr Kalb verloren haben. Zusätzlich zu dem Kuhblasen wurde eine Puppe des gestorbenen Kalbes mit dem Fell des Kalbes (tulchan) zur Kuh geschoben um die Kuh zur Milchproduktion zu stimulieren.[17]

Physiologische Aspekte

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Eine Dehnung der Cervix uteri führt über den Ferguson-Reflex zur Ausschüttung von Oxytocin, was physiologisch während der Geburt die Muskulatur der Gebärmutter anregt und auch die Milchejektion stimuliert.[18] Ob das „Kuhblasen“ einen sogenannten Ferguson-Reflex[19] auslöst, ist aber ungeklärt. Die Ausschüttung von Oxytozin wird auch durch das Saugen des Jungtiers und durch das „Anrüsten“ (eine Art Eutermassage vor dem Melken) ausgelöst.[20]

Verbreitung nach Plischke (1954)

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Volk Gebiet Autor (Jahr) siehe (auch) sonstiges
mongol. Kalmücken südrussische Steppengebiete Peter Simon Pallas (1776)
Skythen Herodot (Pferde)
Jakuten an der Lena, Sibirien Gerhard Friedrich Müller (Bericht um 1736)
Abessinien I. M. Hildebrandt (1874)
Kaffa Friedrich J. Bieber (1920)
Nuer H. A. Bernatzik (1929) E. E. Evans-Pritchard (1951); Luz H, Herz W (1976)
Dinka H. A. Bernatzik (1930)
Baggara Kordofan McMichael (1924)
Somal C. Keller (1894)
Galla Ph. Paulischke (1893)
Wasiba H. Rehse (1910)
Wanyaturu E. Sick (1915)
Wagogo H. Clauss (1911)
Hottentotten Peter Kolb (1719)
Bana Logone-Gebiet südl. des Tschad A. Rühe (1938)
west- und zentralasiatische Hirtennomaden
China, Tung-Fluss I. H. Edgar (1924) Sichuan, Dadu He
Indien T. Murari (1937) Mohandas Karamchand Gandhi (1927/1929) „phooka“
Alpen (Untergurgl im oberen Ötztal; Almen des Pfitscher Jochs; bei Gargellen) (1939)
Pyrenäen (1939)
  • Hans Plischke: Das Kuhblasen. Eine völkerkundliche Miszelle zu Herodot. In: Zeitschrift für Ethnologie. Band 79. Reimer, Berlin 1954, S. 1–7.
  • H. A. Bernatzik: Zwischen Weißem Nil und Belgisch-Kongo. Wien 1929
  • Isaac Schapera: The Khoisan Peoples of South Africa. London 1930
  • Tadeusz Margul: Present-Day Worship of the Cow in India. In: Numen. Band 15, Nr. 1, Februar 1968, S. 63–80
  • Florence Burgat: Non-Violence Towards Animals in the Thinking of Gandhi: the Problem of Animal Husbandry. In: Journal of Agricultural and Environmental Ethics. Band 17, Nr. 3, Mai 2004, S. 223–248
  • Hubert Kroll: Das Zurückhalten der Milch bei Rindern und ihre Behandlung bei afrikanischen Hirtenstämmen. In: Milchwirtschaftliches Zentralblatt. Jahrgang 57, Heft 22, 1928, S. 349–350
  • Hubert Kroll: Die Haustiere der Bantu. In: Zeitschrift für Ethnologie. Band 60, S. 247–248
  • Sture Lagercrantz: Contribution of the Ethnography of Africa. Håkan Ohlssons, Lund 1950 (mit Karte zur Verbreitung in Afrika, auch zur Verbreitung des milking with dummy-calves („Melkens mit Kalbspuppen“))
  • F. Sierksma: Sacred Cairns in Pastoral Cultures. In: History of Religions. Jahrgang 2, Nr. 2, 1963, S. 227–241, JSTOR:1062065 (englisch).

Einzelnachweise

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  1. Shae Clancy: Cattle In Early Ireland. In: Celtic Well. 1999.
  2. F. Sierksma: Sacred Cairns in Pastoral Cultures. In: History of Religions. Band 2, 1963, S. 227–241.
  3. a b The Prevention of cruelty to animals act, 1960 (Artikel 12; MS Word; 106 kB), dort wird auch der Begriff doom dev für das Phänomen genannt.
  4. Ein weiteres Verfahren ist die Überlistung der Kuh zu besserer Milchleistung durch die Verwendung einer sogenannten „Kalbspuppe“ (engl. dummy-calf).
  5. Plischke, 1954, S. 6
  6. Abb. 1 bei Plischke zeigt das „Kuhblasen im alten Ur. Tempelfries in El Obeid.“ Aus: C. J. Wooley: Vor 5000 Jahren. Stuttgart 1930. Taf. 1. Plischke zitiert einen Bildzusatz zu einer bereits in einem anderen Buch (Bernatzik: Zwischen Weißem Nil und Belgisch-Kongo. Wien) publizierten Abbildung „Kuhblasen bei den Dinka“ aus der neuen erweiterten Auflage der Großen Völkerkunde (1954) von Hugo Adolf Bernatzik (Frankfurt/Main 1954): „Diese Sitte ist auch heute noch in abgelegenen Tälern der europäischen Alpen erhalten, ihre Darstellung findet sich bereits auf Tongefäßen im alten Ur.“
  7. Herodot: Historien. 4. Auflage, Stuttgart 1971, S. 253 (Übersetzung von A. Horneffer); vgl. englische online-Ausgabe und den Kommentar dazu.
  8. Shae Clancy: Cattle In Early Ireland. In: Celtic Well. 1999. Der Artikel zitiert aus: The Journal of Thomas Dineley (1681). Dem irischen Satiriker Jonathan Swift (1667–1745) scheint diese „Quelle des Witzes“ (fonde of wit) lediglich aus Herodot bekannt gewesen zu sein (s. A Tale of a Tub (Ein Tonnenmärchen), VII. Abschnitt (Project Gutenberg EBook).)
  9. Hubert Kroll (1928) zufolge ist diese Erscheinung in Afrika bei den hamitischen Hirtennomaden und den davon beeinflussten Negerstämmen vom Nil über Ostafrika südwärts bis zu den Hottentotten verbreitet. (Angabe nach Plischke, 1954)
  10. Ein filmisches Dokument (Memento vom 6. August 2009 im Internet Archive) wurde auf einer Ostafrika-Expedition der Deutschen Nansen-Gesellschaft 1962/1963 durch H. Luz und Dr. W. Herz erstellt. Im Begleitheft zum Film (H. Luz und W. Herz: @1@2Vorlage:Toter Link/www.iwf.deNuer (Ostafrika, Oberer Nil). Tägliche Arbeiten im Viehlager. (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2019. Suche in Webarchiven) (PDF) In: G. Wolf (Hrsg.): Encyclopedia cinematographica. Göttingen 1976) heißt es: Er stellt sich entweder seitlich mit quergelegtem Kopf oder direkt hinter die Kuh, wobei er die beiden Hinterschenkel mit den Händen umfasst und bläst der Kuh Luft in die Scheide. Dieser Vorgang wird mehrmals wiederholt. Zwischendurch werden an den Zitzen Melkbewegungen gemacht, und es wird von hinten zwischen den Hinterbeinen durch leicht gegen das Euter geschlagen. Diese Behandlung regt nach Meinung der Nuer die Kuh dazu an, mehr Milch zu geben. Nachdem nun einige Zeit gemolken worden ist, wird das Blasen wiederholt. Dabei wird meistens mit dem Melken aufgehört, zuweilen kommt aber auch ein zweiter Hirt hinzu und blast, während der andere weitermelkt.
  11. a b Prevention of cruelty to animals act 1890. In: LIIofIndia, Indian Numbered Acts
  12. G. M. Ratcliff, et al.:: British India. In: Journal of Comparative Legislation and International Law. Vol. 22, Nr. 2/3, 1940, S. 129, JSTOR:754948 (englisch).
  13. Mohandas K. Gandhi: An Autobiography or The Story of my Experiments with Truth. 1927/1929
  14. Florence Burgat: Non-Violence Towards Animals in the Thinking of Gandhi. The Problem of Animal Husbandry. In: Journal of Agricultural and Environmental Ethics. Band 17, Nr. 3, 2004, S. 223–248.
  15. Some Features of Nuer Religion. In: The Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland. Band 81.
  16. Foto des Kuhblasens durch Edward Evan Evans-Pritchard. 1935
  17. Foto eines tulchan durch Edward Evan Evans-Pritchard, 1935
  18. Siehe z. B. Esther Hierholzer: Endokrinologische Veränderungen unter Belastung beim Pferd – Eine Literaturstudie. Hannover 2004, DNB 972240640/34, S. 35 (tiho-hannover.de [PDF; 1,2 MB] Dissertation, Tierärztliche Hochschule).
  19. Artikel Oxytocin (answers.com)
  20. Die Milch (Die Melkmaschine ersetzt den Melker und das Kalb) (Memento vom 6. August 2009 im Internet Archive)