Kurt Müller (Politiker, 1903)
Kurt Müller (* 13. Dezember 1903 in Berlin-Wedding; † 21. August 1990 in Konstanz-Dingelsdorf), Spitzname Kutschi, war ein deutscher Politiker (KPD), Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und als Betroffener der Noel-Field-Affäre ein Opfer stalinistischer Repressionen.
Weimarer Republik und NS-Staat
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als Fünfzehnjähriger wurde Kurt Müller im Februar 1919 Mitglied der Freien Sozialistischen Jugend in der Ortsgruppe Rosenthaler Vorstadt in Berlin. Bald darauf wurde er deren Ortsgruppenleiter und trat 1920 der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei. Im Oktober 1923 übernahm er die Unterbezirksleitung des Kommunistischen Jugendverbands Deutschland (KJVD). Anfang 1926 wurde er Leiter der Gewerkschaftsabteilung des KJVD-Bezirks Berlin. Anfang 1927 wurde er in das Zentralkomitee (ZK) des KJVD kooptiert und für drei Monate auf die Reichsparteischule Rosa Luxemburg in Hohnstein (Sächsische Schweiz) geschickt. Danach war er hauptamtlich für den KJVD tätig und wurde im selben Jahr zur Unterstützung eines Bergarbeiterstreiks für zwei Wochen nach England gesandt. Ende 1927 wurde er zur Gewerkschaftsabteilung der Kommunistischen Jugendinternationale (KJI) nach Moskau berufen. Er nahm teil am 5. Weltkongress der Roten Gewerkschafts-Internationale und am 6. Weltkongress der KJI. Im November 1928 kehrte er zurück nach Berlin und nahm seine Tätigkeit im ZK des KJVD wieder auf. Auf dem 11. Verbandskongress im Sommer 1929 wurde er zum politischen Leiter des KJVD gewählt. Dadurch hatte er enge Kontakte zu den beiden im Zentralkomitee der KPD für Jugendarbeit zuständigen Sekretären Heinz Neumann und Hermann Remmele, ebenfalls zu Willi Münzenberg und Leo Flieg, die dem Kurs des Parteivorsitzenden Ernst Thälmann kritisch gegenüberstanden. Ab dem Sommer 1931 leitete er die deutsche Delegation bei der KJI in Moskau. Bereits im April 1931 war er zum Kandidaten des Präsidiums des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) und Sekretär der Kommunistischen Jugendinternationale in Moskau gewählt worden. Wegen seiner Kontakte zu Remmele und Neumann wurde er von diesen Funktionen abberufen. Einer Strafversetzung nach Gorki 1933 folgte im März 1934 seine Entsendung nach Deutschland, um nach der inzwischen durch die Nationalsozialisten erfolgten Verhaftung Thälmanns die KPD-Strukturen wiederaufzubauen. Nach einem halben Jahr wurde er aufgrund einer Denunziation verhaftet und nach schwersten Misshandlungen in der Untersuchungshaft zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach deren Verbüßung wurde er ins KZ Sachsenhausen verbracht und dort 1945 durch sowjetische Truppen befreit.
Nachkriegszeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Müller gehörte zu den zwölf KPD-Spitzenfunktionären, die vom 15. Parteitag im April 1946 in den Vorstand der Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) delegiert wurden. Auf Anordnung der westlichen Besatzungsmächte mussten sie jedoch diese Ämter niederlegen, da die durch Zwangsvereinigung von SPD und KPD entstandene SED in den Westzonen nicht zugelassen war.[1]
1948 wurde Müller gemeinsam mit Walter Fisch zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Nachdem der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes für den Zweiten Wirtschaftsrat personell vergrößert worden war, wurde er 1948 für Nordrhein-Westfalen dessen Mitglied, nachdem er bereits 1946 bis 1948 dem Zonenbeirat der britischen Zone angehört hatte. 1946 war er Mitglied des Ernannten Hannoverschen Landtages und 1947/48 Mitglied des ersten Niedersächsischen Landtags. Bei der Bundestagswahl 1949 wurde er in den Deutschen Bundestag gewählt.
1950 wurde Müller, der zu diesem Zeitpunkt verlobt war und ein Kind hatte,[2] von Richard Stahlmann nach Ost-Berlin gelockt. Dort wurde er nach einem Gespräch mit Walter Ulbricht noch im ZK-Gebäude verhaftet und in die zentrale Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen verbracht, wo ihn der stellvertretende Minister für Staatssicherheit Erich Mielke intensiv verhörte. Trotz umfangreicher Prozessvorarbeiten der DDR gestattete die Sowjetunion nicht die Durchführung des im Rahmen der Stalinschen Säuberungen schon vorbereiteten Schauprozesses gegen Müller wie gegen die Politiker László Rajk in Ungarn, Trajtscho Kostow und andere.[3] Stattdessen wurde Müller von einem sowjetischen Militärtribunal am 28. Februar 1953 wegen „Terrors, Spionage, Sabotage, Gruppenbildung und terroristischer Tätigkeit“ zu 25 Jahren Haft verurteilt. Er hatte da schon fast drei Jahre in U-Haft verbracht. Müller kam in ein Lager des Gulag in die Sowjetunion.[4] Neben Müller wurden auch der frühere Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag Leo Bauer, der Hamburger KPD-Landesvorsitzende Willi Prinz und Müllers Nachfolger als stellvertretender Parteivorsitzender Fritz Sperling im Zuge der stalinistischen Säuberungen in Ost-Berlin inhaftiert.
Seine aus Ost-Berlin erklärte Mandatsniederlegung wurde vom Deutschen Bundestag als erzwungen angesehen und nicht akzeptiert. Im Mai 1950, also nach der Entführung, schloss ihn der Parteivorstand der KPD gemeinsam mit Hugo Ehrlich aus der Partei aus. Müller wurde vorgeworfen, „laufend Verbindung zum Geheimdienst einer ausländischen Macht“ zu unterhalten und diesen über „parteiinterne Angelegenheiten“ unterrichtet zu haben. Er habe über „längere Zeit feindliche Elemente in die Partei eingebaut“. Hintergrund war die sogenannte Noel-Field-Affäre. Das Parlament führte ihn nach dem Parteiausschluss ab dem 10. Mai 1950 als fraktionslosen Abgeordneten.
1955 wurde Müller im Rahmen der Adenauerschen Abmachung über die Entlassung von Kriegsgefangenen aus sowjetischer Haft entlassen und kehrte in die Bundesrepublik zurück.[5]
1957 trat Müller der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) bei. In der Folgezeit arbeitete er an verschiedenen wissenschaftlichen Instituten, unter anderem von 1960 bis 1985 am Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, wo er die Abteilung Außenpolitik und DDR-Forschung leitete.
Rehabilitierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am 31. März 1990 wurde Müller durch die Zentrale Schiedskommission der PDS „politisch rehabilitiert“.[6] Es wurde festgestellt, dass er ein Opfer stalinistischer Repressionen und unrechtmäßiger Parteistrafen war.[7]
Veröffentlichungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Der Imperialismus und die Kolonialisierung Westdeutschlands. In: Wissen und Tat, Jg. 1949, Heft 4, Se. 14ff.
- Besteht die Gefahr des Titoismus in unserer Partei? In: Neue Volks-Zeitung vom 16. September 1949.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Bernd-Rainer Barth: Müller, Kurt. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 2. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
- Dieter Dowe (Hrsg.): Kurt Müller (1903–1990) zum Gedenken. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1991, ISBN 3-926132-69-8.
- Eberhard Flessing: Müller, Kurt. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 18, Duncker & Humblot, Berlin 1997, ISBN 3-428-00199-0, S. 450 f. (Digitalisat).
- Jens Ulrich Klocksin: Kommunisten im Parlament. Die KPD in Regierungen und Parlamenten der westdeutschen Besatzungszonen und der Bundesrepublik Deutschland (1945–1956). Verlag im Hof: Bonn 1993, 2. Auflage 1994; ISBN 3-925689-04-4; S. 447–450
- Hermann Weber, Andreas Herbst (Hrsg.): Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945. Zweite, überarbeitete und stark erweiterte Auflage. Karl Dietz Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-320-02130-6 (Online).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Kurt Müller im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Vera Ammer: Kurt Müller. In: gulag.memorial.de.
- Entführt nach Ostberlin (1): Was geschah mit Kurt Müller? (mp3-Audio; 14,8 MB; 16:50 Minuten) In: Archivradio. 15. Juni 2022 (Debatte im Bundestag).
- Entführt nach Ostberlin (2): Kurt Müllers Verlobte. (mp3-Audio; 11,8 MB; 14:01 Minuten) In: Archivradio. 21. September 2018 (Stellungnahme von Kurt Müllers Verlobter).
- Entführt nach Ostberlin (3): Stasi-Aufarbeitung des Falls Kurt Müller. (mp3-Audio; 28,2 MB; 31:21 Minuten) In: Archivradio. 15. Juni 2022 (Originalaudioprotokolle der Stasi-Aufarbeitung).
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Dietrich Staritz, Kommunistische Partei Deutschlands. In: Richard Stöss (Hrsg.), Parteien-Handbuch, Taschenbuch-Ausgabe, Westdeutscher Verlag, Opladen 1986, S. 1672.
- ↑ Entführt nach Ostberlin (2): Kurt Müllers Verlobte. (mp3-Audio; 11,8 MB; 14:01 Minuten) In: SWR2 Archivradio. 21. September 2018, abgerufen am 4. November 2022 (Stellungnahme von Kurt Müllers Verlobter).
- ↑ Zu den Prozessvorbereitungen siehe Annette Weinke: Der Justizfall Kurt Müller und seine Bedeutung für die kommunistische Parteisäuberungswelle im geteilten Deutschland. In: ZfG 45 (1997), S. 293–310
- ↑ Zur Verurteilung siehe Andreas Hilger Mike Schmeitzner, Ute Schmidt (Hrsg.): Sowjetische Militärtribunale. Band 2. Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945–1955, Böhlau, Köln 2003, ISBN 3-412-06801-2, S. 281f.
- ↑ Vgl.: Hans Kluth: Die KPD in der Bundesrepublik: Ihre politische Tätigkeit und Organisation 1945 – 1956. Westdeutscher Verlag, Köln / Opladen, 1959, S. 128f
- ↑ Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. B. 11/90. 9. März 1990. S. 16/ 17. Zitiert bei: Kurt Müller. In: stiftung-hsh.de. Abgerufen am 18. Juni 2013.
- ↑ vgl. zur Praxis politischer Rehabilitierungen durch die SED/PDS (allgemein): Lothar Hornbogen: Politische Rehabilitierungen: Eine Lehre aus unserer Geschichte. In: die-linke.de. 24. November 2008, abgerufen am 11. März 2022.
Personendaten | |
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NAME | Müller, Kurt |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Politiker (KPD), MdL, MdB, Opfer des Stalinismus |
GEBURTSDATUM | 13. Dezember 1903 |
GEBURTSORT | Berlin-Wedding |
STERBEDATUM | 21. August 1990 |
STERBEORT | Konstanz |
- Person (Widerstand gegen den Nationalsozialismus)
- Opfer der NS-Justiz
- Häftling im KZ Sachsenhausen
- Bundestagsabgeordneter (Nordrhein-Westfalen)
- Landtagsabgeordneter (Niedersachsen)
- Mitglied des Zonenbeirates
- EKKI-Mitglied
- Mitglied des Parteivorstands der KPD
- Betroffener eines Parteiausschlussverfahrens (KPD)
- Mitglied des Parteivorstandes der SED
- Betroffener der Noel-Field-Affäre
- Person (Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes)
- Häftling im Gulag
- KJVD-Mitglied
- SPD-Mitglied
- SMT-Verurteilter
- Deutscher
- Geboren 1903
- Gestorben 1990
- Mann