Kurt Lischka

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Kurt Lischka (* 16. August 1909 in Breslau; † 1987 in Brühl) war ein SS-Obersturmbannführer und Gestapo-Chef, der sich als Täter aktiv an der Judenverfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus beteiligte.

Karriere im 3. Reich

Lischka wuchs als Sohn eines Bankangestellten in Breslau auf und legte dort 1927 sein Abitur ab. Anschließend studierte er in Berlin Jura und Politikwissenschaft und war an verschiedenen Amts- und Landgerichten tätig. Er trat am 1. Juni 1933 der SS bei. Am 1. September 1935 wurde er für die Gestapo tätig, zunächst als Referent für Kirchenangelegenheiten. 1938 wurde er als promovierter Jurist Leiter des Gestaporeferats II B (Konfessionen, Juden, Freimaurer, Emigranten, Pazifisten). In dieser Funktion war er verantwortlich für die nach der „Reichskristallnacht“ erfolgten Massenverhaftungen deutscher Juden. Allein im Jahr 1938 wurde er dreimal befördert, zuletzt am 11. September 1938 zum SS-Sturmbannführer.

Zeitweilig leitete er die Reichszentrale für jüdische Auswanderung, die die jüdischen Emigranten ihres Vermögens vor der Auswanderung beraubte. Von Januar bis August 1940 war Lischka Gestapochef im Kölner EL-DE-Haus.

Im November des gleichen Jahres wurde er zum Befehlshaber der Sipo und des SD in Paris versetzt, wo er als Leiter des Amtes II (Organisation, Verwaltung) und Stellvertreter des BdS Helmut Knochen für die Deportation von mindestens 73.000 Juden über das Durchgangslager Camp de Drancy nach Auschwitz mitverantwortlich war. Lischka baute die Gestapozentrale in Paris zu einem effektiven Terrorinstrument aus, das die Résistance durch Vergeltungsmaßnahmen und Erschießungen von insgesamt 29.000 Geiseln bekämpfte. Am 20. April 1942 erfolgte seine Beförderung zum SS-Obersturmbannführer. Vom 15. Januar bis 10. September übte Lischka zusätzlich in Personalunion das Amt des Kommandeurs der Sipo und des SD von Paris aus.

Im September 1943 wurde Lischka aufgrund des Vorwurfs der Bestechlichkeit aus Paris nach Berlin zurück beordert. Das eingeleitete Strafverfahren endete allerdings am 27. Juni 1944 mit einem Freispruch.

Ab November 1943 war er im Referat IV D 1 des Reichssicherheitshauptamts für die Repressalien im „Protektorat Böhmen und Mähren“ zuständig. 1944 gehörte Lischka der „Sonderkommission 20. Juli 1944“ an.

Im April 1945 wurde Lischkas Dienststelle nach Schleswig-Holstein evakuiert und am 3. Mai 1945 schließlich ganz aufgelöst.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach Kriegsende blieb Lischka zunächst in St. Peter Ording, wo er unter falschem Namen eine Arbeit als Landarbeiter aufnahm. Am 10. Dezember 1945 wurde er jedoch von den Briten festgenommen und war daraufhin in britischen und französischen Internierungslagern inhaftiert. Für seine Tätigkeit im besetzten Tschechien wurde er 1947 nach Prag ausgeliefert. Im August 1950 wurde er in die Bundesrepublik Deutschland entlassen, ohne daß in der Tschechoslowakei ein Verfahren gegen ihn eingeleitet worden wäre. In einem Spruchkammerverfahren der Staatsanwaltschaft Bielefeld kam es zu einem Freispruch. Am 18. September 1950 verurteilte ihn hingegen ein französisches Militärgericht in Abwesenheit zu lebenslänglicher Zwangsarbeit.

Unbehelligt von der Justiz wurde Lischka daraufhin in Köln als Prokurist einer Getreidegroßhandlung tätig, mit deren Inhaberfamilie er schon vor dem Krieg befreundet war.

1971 wurde er von Beate Klarsfeld in der Bergisch-Gladbacher Straße 554 in Köln-Holweide entdeckt; sie plante anschließend seine Entführung nach Frankreich, wofür Serge und Beate Klarsfeld zu zwei Monaten Haft verurteilt wurden. Lischka ging 1975 in Rente.

Kölner Prozess

Aufgrund des 1955 geschlossenen Überleitungsvertrages war Lischka, wie viele andere vor ihm, vor den Urteilen alliierter Militärgerichtsbarkeit in Abwesenheit geschützt, da dieser eine Verurteilung aufgrund des gleichen Tatbestands in Deutschland ausschloss; andererseits wurde er als Deutscher nicht ins Ausland ausgeliefert. Lischka stand jedoch aufgrund von Strafanzeigen auf der sogenannten Harlan-Liste, einer Liste von über 100 im besetzten Frankreich ehemals tätigen Deutschen, die von der Ludwigsburger Zentralen Stelle geführt wurde. Erst 1975 ratifizierte der Bundestag ein Zusatzabkommen zum Überleitungsvertrag, das eine Anklage Lischkas und anderer ermöglichte. Die Kölner Staatsanwälte brauchten gut dreieinhalb Jahre für ihre Ermittlungen. Es ging um die Deportation und Ermordung von 40.000 französischen Juden.

Vor dem Landgericht Köln begann am 23. Oktober 1979 ein Prozess, in dem ihm und seinen Mitangeklagten erstmals persönliche Kenntnis vom Ziel und Zweck der französischen Judendeportation nachgewiesen werden konnte, der am 11. Februar 1980 mit Lischkas Verurteilung zu zehn Jahren Haft endete. Seine Mitangeklagten Herbert M. Hagen, Stellvertreter des Militärbefehlshabers in Frankreich, und Ernst Heinrichsohn, Mitarbeiter im Judenreferat von Paris, wurden zu zwölf und sechs Jahren verurteilt. Lischka und Hagen verbüßten zwei Drittel ihrer Haftstrafe und wurden 1985 entlassen. Lischka lebte anschließend mit seiner Frau in einem Brühler Seniorenheim und ist, wie die beiden Mittäter, inzwischen verstorben.

In einem Interview stellt Serge Klarsfeld zu Lischka fest:

"... .Kurt Lischka ist der interessanteste Fall, denn er wurde später Prokurist einer Import-Export-Gesellschaft für Getreide. Vieh schickt man zum Schlachthof, aber man geht nicht selbst dorthin. Und im Krieg gab es genau solche Schlachthöfe: Auschwitz, Sobibor, Treblinka. Doch die Naziverbrecher sind alle nie in Auschwitz, Sobibor oder Treblinka gewesen, sie waren ja noch nicht einmal in Drancy bei den Juden. Sie verrichteten eine geradezu abstrakte Arbeit: Quoten einhalten, sprich genügend Juden in die Lager schicken, um Berlin zufrieden zu stellen. Was in Auschwitz geschah, war ihnen völlig gleich. ..."

Ausstellung

Köln 2006 [1] bis 16. September, EL-DE-Haus