Raketenangriff auf Hrosa

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Bei einem Raketenangriff auf Hrosa im Rajon Kupjansk in der ukrainischen Oblast Charkiw wurden am 5. Oktober 2023 nach ukrainischen Angaben 59 Menschen getötet.[1] Es war der opferreichste Angriff in der Oblast Charkiw seit Kriegsbeginn sowie der bis dahin tödlichste des Jahres 2023 in der gesamten Ukraine.[2][3]

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vor Beginn der russischen Großinvasion in der Ukraine im Jahr 2022 lebten 500 Menschen im Dorf. Das Dorf war sechs Monate lang durch Russen besetzt und wurde dann während der ukrainischen Gegenoffensive im Herbst 2022 befreit. Etwa einhundert Menschen kehrten in das Dorf zurück, so dass Hrosa zum Zeitpunkt des Raketenangriffs offiziell 330 Einwohner hatte.[4][5][6] Angesichts vorrückender russischer Truppen hatte die ukrainische Regierung im August 2023 eine Evakuierung von 37 Ortschaften nahe der Bezirkshauptstadt Kupjansk angeordnet, so dass diese Zahl wieder gesunken war.[7][8]

Ein Café, das gleichzeitig als Lebensmittelgeschäft fungierte,[9] soll gegen 13:15 Uhr von einer russischen Rakete getroffen worden sein,[10] als sich dort etwa 60 Bewohner nach einem Gedenkgottesdienst für den gefallenen ukrainischen Soldaten Andryj Kosyr[11] versammelten.[4] Der Soldat war bereits im März 2022 bei Popasna gefallen und bei Dnipro beerdigt worden und sollte nun durch seinen Sohn in seinen Heimatort umgebettet werden.[11] Der Sohn hatte anfangs zusammen mit seinem Vater gegen die russischen Truppen gekämpft, später aber aus gesundheitlichen Gründen das Militär verlassen. Das Café wurde fast vollständig zerstört.[1][12][13]

Opfer[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Iskander-Rakete soll bei dem Angriff auf das Dorf, das sich im Oktober 2023 etwa 50 Kilometer von der Frontlinie entfernt befand,[14] zum Einsatz gekommen sein.[15] Dies erschwerte die Identifizierung der Todesopfer.[14] Aufgrund der schweren Zerstörungen ging man am Folgetag zunächst von 52 Toten aus.[16] In dem kleinen Ort war nach ukrainischen Angaben wahrscheinlich jede Familie von dem Beschuss betroffen, da zum Gedenkessen aus jedem Hof eine Person eingeladen war.[17][6]

Später erhöhte sich die Zahl der Toten auf 59, da man unter den Trümmern weitere Opfer fand. Während die russische Seite darauf spekulierte, dass man ukrainische Kämpfer töten würde, erwiesen sich die Opfer mehrheitlich als Angehörige des Opfers sowie als Dorfbewohner. Allein 20 Tote waren Familienangehörige. Weitere 26 Opfer stammten aus dem Dorf und waren über 45 Jahre alt. Zudem starben zwei Dorfbewohner, deren Alter nicht angegeben wurde. Die restlichen Toten waren vier Freunde des Beerdigten im Alter von 44 bis 60 Jahren, vier Verwandte des Cafébesitzers, 42 bis 63 Jahre alt, eine 62-jährige Krankenschwester sowie die für das Gedenkessen verantwortliche fünfzig Jahre alte Frau. Neben diesen 58 identifizierten Toten gab es ein weiteres nicht genauer benanntes Todesopfer. Laut ukrainischen Angaben waren alle Opfer Zivilisten, darunter Rentner, Ärzte, Landwirte, Lehrer und Unternehmer. Mehr als die Hälfte aller Toten war weiblich. Mindestens 24 der getöteten Menschen waren älter als 60 Jahre und das jüngste Opfer war acht Jahre alt. Bei 19 der Toten war ein DNA-Test zur Identifizierung notwendig.[1][2][18]

Untersuchung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Team aus acht Menschenrechtsbeobachtern der Vereinten Nationen, darunter der Leiter der Menschenrechtsbeobachtungsmission der Vereinten Nationen in der Ukraine, hat sich am Tag nach dem Raketenangriff auf den Weg nach Hrosa gemacht, um mögliche Beweismittel über grobe Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die Kriegsverbrechen gleichkämen, zu sammeln.[19] Die Identifizierung der Opfer erfolgte durch Anwohner sowie mithilfe mobiler DNA-Labore.[1]

Täter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU identifizierte zwei ehemalige Anwohner als mutmaßliche Tatbeteiligte. Die beiden Brüder sollen demnach zunächst als Kollaborateure der russischen Besatzer in der Abteilung für innere Angelegenheiten der Militär- und Zivilverwaltung der Region Charkiw angestellt gewesen und nach der Befreiung nach Belgorod abgewandert sein,[11] von wo aus sie für den Geheimdienst arbeiteten und ein Informantennetzwerk aufbauten.[1][20][21] Auch eine der Toten war im Dorf als Informantin bekannt. In Hrosa nahm man allgemein an, dass der Hinweis eines Einheimischen zu dem Angriff geführt habe, weshalb der SBU die Telefonate der Bewohner kontrollierte.[12][6] Insgesamt mehr als 50 Personen wurden auf ihre Tatbeteiligung hin untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass die geflohenen Brüder auf subtile Weise in Gesprächen an die Informationen kamen, wer teilnehmen sowie wo und wann die Gedenkfeier stattfinden werde. Diese gaben sie an ihre Vorgesetzten weiter, wie in einem Telefonat des jüngeren Bruders mit seiner Frau nachgewiesen wurde.[22]

Reaktionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete den „absichtlichen Raketenangriff“ als „brutale, genozidähnliche Aggression Russlands“.[23] EU-Außenbeauftragter Josep Borrell verurteilte den Angriff und sprach von einem neuen Meilenstein.[24] António Guterres, UN-Generalsekretär, mahnte, dass zivile Ziele nach dem Völkerrecht unter besonderem Schutz stehen.[25]

Nach dem Angriff ließ die russische Regierung durch ihren Sprecher Dmitri Peskow verlauten, dass das russische Militär keine zivilen Ziele angreife.[26]

Die Oblast Charkiw verkündete drei Trauertage.[9]

Am nächsten Tag legten Bürger in Moskau an einem Denkmal Blumen für die Opfer nieder. In der Nachbarschaft seien fast alle gelben und blauen Blumen – die Nationalfarben der Ukraine – ausverkauft, zitierte das unabhängige Internetportal Astra eine Augenzeugin.[27]

Aufnahmen nach dem Angriff[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d e В Украине закончили опознание погибших при обстреле села Гроза. Погибли 59 человек. In: meduza.io. 12. Oktober 2023, abgerufen am 17. Oktober 2023 (russisch, deutsch: Die Ukraine hat die Identifizierung der Opfer des Beschusses des Dorfes Groza abgeschlossen. 59 Menschen starben).
  2. a b Ольга Ульянова & Дмитро Гребінник: Ракетний удар по Грозі. Поліція оприлюднила список загиблих людей. In: suspilne.media. 10. Oktober 2023, abgerufen am 17. Oktober 2023 (ukrainisch, deutsch: Olga Uljanowa & Dmytro Grebinnyk – Raketenangriff auf Groza. Die Polizei veröffentlichte eine Liste der Toten).
  3. Удар з найбільшою кількістю загиблих на Харківщині з початку війни: свідчення очевидців про атаку по селу Грозі. In: suspilne.media. 5. Oktober 2023, abgerufen am 17. Oktober 2023 (ukrainisch, Tickermeldung; deutsch: Der Angriff mit den meisten Opfern in der Region Charkiw seit Kriegsbeginn: Augenzeugenberichte über den Angriff auf das Dorf Grozi).
  4. a b Dinara Khalilova: Russian attack on Kharkiv Oblast village kills 51, including 6-year-old child. In: The Kyiv Independent. 5. Oktober 2023, abgerufen am 6. Oktober 2023 (englisch).
  5. Luke Harding, Pjotr Sauer: Russian attack on village cafe kills at least 51 people, Ukraine says. In: The Guardian. 5. Oktober 2023, ISSN 0261-3077 (englisch, theguardian.com [abgerufen am 5. Oktober 2023]).
  6. a b c Росія вдарила по кафе в селі Гроза біля Куп'янська: пів сотні загиблих на поминках. In: bbc.com. BBC News, 5. Oktober 2023, abgerufen am 17. Oktober 2023 (ukrainisch, deutsch: Russland hat ein Café im Dorf Groza in der Nähe von Kupjansk angegriffen: Ein halbes Hundert Menschen starben bei der Totenwache).
  7. Ukraine-News am 10. August: Ukraine evakuiert 37 Ortschaften in der Region Kupjansk. In: Der Spiegel. 10. August 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 10. August 2023]).
  8. Krieg in der Ukraine: Einwohner sollen Stadt verlassen. In: Die Tageszeitung: taz. 11. August 2023, ISSN 0931-9085, S. 10 (taz.de [abgerufen am 6. Oktober 2023]).
  9. a b Christy Cooney: Ukraine war: Every family in Hroza village affected by missile attack. In: BBC News. 6. Oktober 2023 (englisch, bbc.com [abgerufen am 6. Oktober 2023]).
  10. Mehr als 50 Tote durch Angriff in Region Charkiw. In: Tagesschau. 5. Oktober 2023, abgerufen am 5. Oktober 2023.
  11. a b c Andrea Beer: Angegriffenes Dorf in der Ukraine: Die dunkle Wolke des Verrats. In: Tagesschau. 6. November 2023, abgerufen am 9. November 2023.
  12. a b «Исчезло все село, будто и не было никого. Семьями вымерли люди» Что происходит в Грозе после российского удара, при котором погибли 52 человека. In: meduza.io. 9. Oktober 2023, abgerufen am 17. Oktober 2023 (russisch, deutsch: „Das ganze Dorf verschwand, als wäre niemand da. Familien starben aus.“ Was passiert in Groza nach dem russischen Angriff, bei dem 52 Menschen getötet wurden?).
  13. Украинский военный Денис Козырь хоронил отца в поселке под Харьковом Они вместе пошли в армию после начала российского вторжения. Отец погиб в бою под Попасной. Сын убит на поминках отца. In: meduza.io. 6. Oktober 2023, abgerufen am 17. Oktober 2023 (russisch, deutsch: Der ukrainische Soldat Denis Kosyr begrub seinen Vater in einem Dorf in der Nähe von Charkow).
  14. a b Angriff auf ukrainisches Dorf: Zwischen Entsetzen und Wut. In: Der Spiegel. 6. Oktober 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 6. Oktober 2023]).
  15. Mehr als 50 Tote durch Angriff in Region Charkiw. In: tagesschau.de. Abgerufen am 5. Oktober 2023.
  16. Max Hunder: UN rights team to investigate Hroza attack, Kyiv says death toll 52. In: Reuters. 6. Oktober 2023 (englisch, reuters.com [abgerufen am 6. Oktober 2023]).
  17. Ukraine-Krieg: Mindestens 51 Tote bei Angriff auf ein Dorf – Selenskyj wirft Russland »brutales Verbrechen« vor. In: Der Spiegel. 5. Oktober 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 5. Oktober 2023]).
  18. Vasco Cotovio, Radina Gigova, Svitlana Vlasova, Helen Regan: No military targets in Ukraine village hit by ‘inhuman’ Russian missile strike, officials say. In: CNN. 6. Oktober 2023, abgerufen am 6. Oktober 2023 (amerikanisches Englisch).
  19. Lisa Schlein: UN To Investigate Attack on Ukrainian Village of Hroza. In: Voice of America. 6. Oktober 2023, abgerufen am 6. Oktober 2023 (englisch).
  20. СБУ обвинила двух жителей Харьковской области в том, что они навели российскую ракету на цель в селе Гроза. По последним данным, в кафе погибли 55 человек. In: meduza.io. 11. Oktober 2023, abgerufen am 17. Oktober 2023 (russisch, deutsch: Der SBU beschuldigte zwei Bewohner der Region Charkow, eine russische Rakete auf ein Ziel im Dorf Groza gerichtet zu haben. Nach neuesten Angaben starben 55 Menschen in dem Café).
  21. Daniela Prugger: Ein ukrainisches Dorf sucht seine Verräter. In: derstandard.at. Der Standard, 25. Dezember 2023, abgerufen am 29. Dezember 2023.
  22. Марія Солодовнік: Слідчі встановили ймовірних навідників російської ракети на кафе в Грозі: підозрюють братів-правоохоронців. In: suspilne.media. 11. Oktober 2023, abgerufen am 17. Oktober 2023 (russisch, deutsch: Ermittler identifizierten die mutmaßlichen Schützen der russischen Rakete in einem Café in Grosny: Verdächtigt werden Polizeibrüder).
  23. Raketenangriff auf Hrosa: „Das war keine blinde Attacke“. In: Tagesschau. 6. Oktober 2023, abgerufen am 6. Oktober 2023.
  24. Ukraine: Brutaler Angriff auf Dorf in Ostukraine löst Entsetzen aus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 6. Oktober 2023, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 6. Oktober 2023]).
  25. World News in Brief: ‘Horrifying’ attack on Ukrainian village, autonomous weapons ban, Sudan crisis. In: UN News. 5. Oktober 2023, abgerufen am 6. Oktober 2023 (englisch).
  26. Moskau bestreitet Angriff auf zivile Ziele. In: Tagesschau. 6. Oktober 2023, abgerufen am 6. Oktober 2023 (Liveblog).
  27. Moskauer legen Blumen für Charkiw-Opfer nieder. 6. Oktober 2023, abgerufen am 6. Oktober 2023 (Liveblog).

Koordinaten: 49° 40′ 23″ N, 37° 12′ 30″ O