Schrei nach Liebe

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 1. Juli 2008 um 02:06 Uhr durch 77.188.168.52 (Diskussion). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Schrei nach Liebe
Single von Die Ärzte
Von dem Album Die Bestie in Menschengestalt
Veröffentlicht 10. September 1993
Genre Punk
Länge 4:12
Label Metronome
Chronik von Die Ärzte
Bitte, Bitte
(1989)
Schrei nach Liebe
(1993)
Mach die Augen zu
(1993)

Schrei nach Liebe ist ein Lied der Berliner Punkband Die Ärzte, das 1993 als Single veröffentlicht wurde. Es gilt als eines der populärsten Lieder gegen Rechtsextremismus.

Musik

Besetzung

Inhalt

In den Strophen des Liedes wird ein – nicht näher benannter – Rechtsextremist beschimpft (Textauszug: „Du bist wirklich saudumm […] Alles muss man dir erklären, weil du wirklich gar nichts weißt…“), während im Refrain eher scheinbares Mitleid mit ihm zum Ausdruck kommt (Textauszug: „Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe […] Deine Eltern hatten niemals für dich Zeit“). Die Mitleidsbekundungen werden am Ende des Refrains mit dem Ausruf „Arschloch!“ abgeschlossen.

Text und Musik des Liedes stammen aus einer Gemeinschaftsarbeit von Farin Urlaub und Bela B., wobei die Strophen überwiegend von Bela B. stammen, der Refrain jedoch von Farin Urlaub. Die Idee mit dem Ausruf „Arschloch!“ stammt ebenfalls von Bela B. Auf der Aufnahme des Liedes singen die Komponisten jeweils die Textteile des anderen.

Stil

Prägend für das Lied ist ein orientalisch angehauchtes Gitarrenriff. Im Refrain werden dagegen zur textlichen Untermalung Streicher verwendet. Als eine Art einminütiges „Outro“ ist am Ende nur noch eine Akustikgitarre zu hören, zu der die Melodie des Refrains gepfiffen wird. Bei Konzerten wurde dieses „Outro“ von der Band bisher noch nie gespielt.

Bedeutung des Liedes für die Band

„Schrei nach Liebe“ war das erste Lied, das Die Ärzte nach ihrer Auflösung (1988) veröffentlichten. Gleichzeitig war es auch das erste Lied der Gruppe, in dem sie sich öffentlich politisch positionierte. Zwar ist auch vorher weitgehend unstrittig gewesen, dass die Ärzte eher linke Positionen vertreten; dies fand vor ihrer vorläufigen Auflösung 1989 jedoch nicht in ihren Liedern Niederschlag, da sie bewusst auf politische Aussagen verzichteten und den Spaßfaktor ihrer Musik in den Vordergrund stellten. In den Anfangsjahren der Band fanden sich vereinzelt Rechtsradikale unter ihren Fans, jedoch nur weil die Band auf Deutsch sang. Die Ärzte hatten in ihren Anfangsjahren ein (unveröffentlichtes) Lied namens „Eva Braun“ in ihrem Repertoire, dessen ironischen Umgang mit der Hitler-Geliebten die wenigen Rechtsradikalen unter den Fans ignorierten oder nicht begriffen. Gerade um jegliche Missverständnisse ihrer politischen Gesinnung zu vermeiden, schrieben die Ärzte „Schrei nach Liebe“.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (10. September 1993) war die Thematik des Rechtsradikalismus aufgrund gewaltsamer Übergriffe auf Ausländer (so beispielsweise in Rostock, Solingen oder Mölln) aktuell. Um sich vom so genannten Politrock abzugrenzen, wie Herbert Grönemeyer oder Wolfgang Niedecken ihn vertreten, komponierten sie „Schrei nach Liebe“ zwar als ironisches aber auch ernst zu nehmendes Lied.

Nach dem Willen der Schallplattenfirma Metronome sollte „Schrei nach Liebe“ ursprünglich nicht die erste Single nach der Auflösung der Band werden, sondern „Mach die Augen zu“, da jenes Lied kommerziell besser zu vermarkten sei. Die Band drängte jedoch darauf, „Schrei nach Liebe“ als erste Single veröffentlichen zu wollen, da ihr die politische Aussage wichtiger erschien als der kommerzielle Erfolg und einigte sich mit der Plattenfirma darauf, „Mach die Augen zu“ als zweite Single zu veröffentlichen.

Kommerzieller Erfolg

Gerade weil in dem Lied mehrfach „Arschloch!“ gerufen wird, wurde es von zahlreichen Radiosendern nicht gespielt, und die Plattenfirma drängte darauf, schnell die erfolgversprechende Single „Mach die Augen zu“ zu veröffentlichen, obwohl die Band darauf baute, „Schrei nach Liebe“ noch „etwas wirken zu lassen“.

Eine Radioredakteurin beim Hessischen Rundfunk (Lidia Antonini) hatte an dem Lied Gefallen gefunden und verfasste ein Schreiben an andere Redakteure mit der Aufforderung, das Lied im Radio zu spielen, obwohl es aufgrund der „Arschloch!“-Ausrufe unter dem Niveau der Sender lag. Entgegen den Erwartungen der Band und der Plattenfirma erhielt das Lied daraufhin sehr viel Airplay. Für die Ärzte war das Lied bis zum damaligen Zeitpunkt die erfolgreichste Single. Von ihrem Hit „Westerland“ (1988) hatte die Band 40.000 Singles verkaufen können, „Schrei nach Liebe“ verkaufte sich dagegen innerhalb kurzer Zeit 450.000 Mal. Die Single erreichte Platz neun der deutschen Singlecharts.

Innerhalb der deutschen Punkszene waren Die Ärzte vor ihrer Wiedervereinigung eher umstritten. Ihnen wurde vor allem die Kommerzialisierung des Punk vorgeworfen. Durch die Veröffentlichung des Anti-Nazi-Songs „Schrei nach Liebe“ gelang es der Band auch hier wieder Boden gutzumachen und das Lied erhielt viel Anerkennung aus der Punkszene.

„Zwischen Störkraft und den Onkelz / den andern“

In einer Zeile des Liedes heißt es: „Zwischen Störkraft und den Onkelz steht ne Kuschelrock-LP“. Diese war als Seitenhieb auf die Bands Störkraft und Böhse Onkelz zu verstehen; während erstere eindeutig dem Rechtsrock zuzuordnen war, waren letztere trotz ihrer Distanzierung eben davon Mitte der achtziger Jahre weiterhin scharfer Kritik ausgesetzt, da ihnen vorgeworfen wurde, noch immer bewusst ein „rechtes“ Publikum anzusprechen.

Farin Urlaub, von dem diese Zeile stammt und der sie auch singt, veränderte bei den Auftritten der Band die Zeile Ende der 1990er Jahre zu „Zwischen Störkraft und den andern steht ne Kuschelrock-LP“. Zu hören ist sie in dieser Version auch auf dem Unplugged-Ärzte-Album Rock’n’Roll Realschule. Diese kleine Veränderung des Textes führte dazu, dass von den Fans der Band Böhse Onkelz angenommen wurde, dass Urlaub die Band nun nicht mehr als Vertreter der rechtsradikalen Musik ansähe, da er sie nicht mehr in einem Atemzug mit der rechtsradikalen Band Störkraft nennt. Farin Urlaub verfolgte jedoch mit dieser Veränderung die Intention, rechtsradikale Bands nicht nur auf Störkraft und die Böhsen Onkelz zu beschränken, sondern eben auch auf „die andern“ auszuweiten:

„Wir haben daraufhin tatsächlich begeisterte E-Mails von Onkelz-Fans gekriegt, mit dem Tenor ‚Endlich habt ihr’s verstanden!‘ Was ich eigentlich meinte, war viel härter: ‚Störkraft und die anderen‘ – das ist für mich noch viel deutlicher, dass die Onkelz ’ne Naziband sind. Wir singen jetzt auch wieder ‚Onkelz‘ für die ganzen Stumpfen. Ich weiche da keinen Deut von ab. Ich mag die nicht, nach wie vor.“

Farin Urlaub

Da die Textänderung teilweise missverstanden wurde, entschloss sich Urlaub, fortan wieder die ursprüngliche Textversion zu singen. Im Zuge dieser Auseinandersetzung veröffentlichten die Onkelz 1996 auf dem Album „E.I.N.S.“ das Lied „Ihr sollt den Tag nicht vor dem Abend loben“, in dem sie bewusst die Ärzte ansprechen: „Schöne Grüße nach Düsseldorf und Berlin [...] Opium fürs Volk, Scheiße für die Massen, ja Ihr habt es geschafft, ich beginne euch zu hassen, wenn ich so etwas sage, ist das nicht gelogen, Ihr sollt den Tag nicht vor dem Abend loben!“. „Opium fürs Volk“ heißt ein 1996 erschienenes Album von Die Toten Hosen, Düsseldorf und Berlin sind die Gründungsorte der beiden Bands.

Veröffentlichungen

„Schrei nach Liebe“ erschien auf folgenden Die-Ärzte-Tonträgern:

Der belgische Mädchenchor Scala & Kolacny Brothers veröffentlichte 2003 eine Chorversion von „Schrei nach Liebe“, die bei den Fans der Ärzte auf wenig Gegenliebe stieß, da die sehr seichte Instrumentierung dem Charakter des Liedes nicht gerecht wurde. Auch Scala & Kolacny Brothers waren von der Kritik der Böhse-Onkelz-Textzeile betroffen. Jedoch beschwerten sich die Fans der Band Böhse Onkelz, da sie die Auffassung vertraten, dass die Band sich vom Rechtsextremismus losgesagt habe. Scala & Kolacny Brothers sangen daraufhin „Zwischen Störkraft und den andern…“, obwohl die Ärzte gerade diese Textzeile wieder revidiert hatten.

Literatur/Quellen

  • Markus Karg: Die Ärzte – Ein überdimensionales Meerschwein frisst die Erde auf. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin, Januar 2001, ISBN 3-89602-369-1