Stuppacher Madonna

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Die Stuppacher Madonna (Matthias Grünewald)
Die Stuppacher Madonna
Matthias Grünewald, 1514-1516
Mischtechnik auf Nadelholz
186 × 150 cm
Bad Mergentheim-Stuppach, Pfarrkirche Mariä Krönung
Vorlage:Infobox Gemälde/Wartung/Museum

Die Stuppacher Madonna ist ein Marienbild von Matthias Grünewald. Es befindet sich in einer dafür erbauten Kapelle an der Pfarrkirche Mariä Krönung in Stuppach, einem Stadtteil von Bad Mergentheim, und zählt neben dem Isenheimer Altar zu Grünewalds Hauptwerken.

Entstehungsgeschichte

Die Entstehungsgeschichte der Stuppacher Madonna kann als geklärt angesehen werden. Aufgrund eines im Jahr 1515 geschlossenen Vertrages im Nachlass von Grünewald und der Beschriftung auf dem Sockel des Rahmens in der Aschaffenburger Stiftskirche St. Peter und Alexander wird angenommen, dass der Aschaffenburger Stiftskanoniker Heinrich Reitzmann das Bild um 1514 beim Künstler in Auftrag gegeben hat. Es entstand also während der Arbeiten am Isenheimer Altar in seiner dortigen Werkstatt. Damit ist auch die Ähnlichkeit mit der Isenheimer Madonna erklärt. Matthias Grünewald gestaltete den Hintergrund mit Bildern, die er täglich sah. Die Kirche wird übereinstimmend als die Fassade des südlichen Querschiffs vom Straßburger Münster angesehen. Die Häusergruppe daneben sei der Antoniterhof in Straßburg (Bernhard Saran). Das Gemälde war als Andachtsbild für die neue Kapelle (heute Maria-Schnee-Kapelle) in der Stiftskirche zu Aschaffenburg bestimmt. Es sollte an der Wand hinter dem Altar angebracht werden. Die Kapelle wurde von Kaspar Schantz und seinem Bruder Georg erbaut. Bei ihrer Einweihung am 21. Oktober 1516 durch Erzbischof Albrecht von Brandenburg war das Bild mit größter Wahrscheinlichkeit bereits an seinem vorgesehenen Platz, da es 1517 als schon vollendet bezeichnet wurde. Es wurde auf Nadelholzbretter von ausgesuchter Qualität gemalt. Im unteren Teil sind diese mit einem sehr feinen Gewebe bezogen. Für die Farbpigmente setzte Grünewald verschiedene Tempera als Bindemittel ein, weshalb man diese Malerei als Mischtechnik bezeichnet.

Der Maria-Schnee-Altar mit der Madonna als Mittelbild

1517 konnte sich der Aschaffenburger Stiftskanoniker Heinrich Reitzmann einen langgehegten Wunsch erfüllen. Er bestellte bei Grünewald ein Bild, das Schneewunder darstellend. Nach der Legende ließ es Maria im Hochsommer schneien, um anzuzeigen, wo und wie die Kirche Santa Maria Maggiore in Rom erbaut werden sollte. Die Stiftung erfolgte aus Reitzmanns übergroßer Marienfrömmigkeit heraus. Wie er in seinem Testament vom 5. August 1517 schrieb, sollte das Bild für 25 Gulden von dem Künstler angefertigt und „zu der bereits vollendeten Tafel (gemeint ist die Stuppacher Madonna) in der genannten neuen Kapelle gehängt werden“. Vermutlich wurde kein geeigneter Platz für das Bild in dem kleinen Raum gefunden. Die einzige adäquate Lösung sah man damals anscheinend darin, das Andachtsbild zu einem Triptychon umzugestalten und das Schneewunderbild als Flügel daran anzusetzen. Wie die meisten der zeitgenössischen Andachtsbilder hatte es wahrscheinlich ein halbrundes Sockelfeld. Das könnte deckungsgleich mit dem noch vorhandenen Kopffeld gewesen sein und war bestimmt genau so sorgfältig und feingliedrig geschnitzt. Wegen der geringen Raumhöhe musste es entfernt werden und wurde durch einen niedrigen friesartigen Balken ersetzt. Der ist erheblich plumper ausgeführt als der obere Fries und somit eindeutig als nachträgliche Hinzufügung zu erkennen. Eine dritte Blattmaske, die ähnlich gearbeitet und gefasst ist wie die beiden oberen, wird im Stiftsschatz aufbewahrt. Sie scheint von dem entfernten Sockelfeld zu stammen.

„Schneewunder“, rechter Seitenflügel des „Maria-Schnee-Triptychons“, Tannenholz, Freiburg im Breisgau, Augustinermuseum

Grünewald musste jetzt die Auftragsarbeit von Reitzmann auf dem schmalen Altarflügel unterbringen. Auf dem damit notwendigen, heute verschollenen linken Flügel stellte er vermutlich die drei Stifter von Altar und Kapelle vor einem unbekannten Hintergrund dar. Nach den erforderlichen Umbauten wurde der Rahmen als Retabel auf den Altartisch gestellt. Mit den beiden Flügelbildern entstand so zwischen 1517 und 1519 der Maria-Schnee-Altar. Bestätigt wird dies durch die Beschriftung am Altarsockel und im Segment, wo erstmals der Titularnamen der Kapelle erscheint. Außerdem gibt eine Beschreibung des Altares von 1803 den wichtigen Hinweis, dass das Schneewunderbild tatsächlich als Flügel an dem Mittelbild (damals schon das Dreikönigsbild von Kiening) angebracht war. Das Madonnenbild und der Schneewunderflügel stammten wohl von dem gleichen Meister. Sie wurden aber in einem zeitlichen Abstand von über zwei Jahren und unter verschiedenen Prämissen gemalt. Sie stammten auch aus zwei verschiedenen Stiftungen. Die Verantwortlichen von damals machten sich vermutlich keine großen Gedanken, ob die beiden Bilder bei der zwangsweisen Zusammenfügung zu einem Altarretabel auch in farblicher, künstlerischer, theologischer oder mystischer Form zusammenpassen würden. Sie wollten mit ihrer Entscheidung nur einen Platz für das Schneewunderbild in der Kapelle schaffen. Aufgrund dieser Beschreibung sind alle Überlegungen über eine thematische Zusammengehörigkeit der Stuppacher Madonna und des Schneefestes vom Tisch. In den Tafeln kann keine Gemeinsamkeit gesucht werden, da sie als zusammenhanglose Einzelbilder gemalt wurden. Die Rückseiten der Klappflügel mit der Epiphanie und die später dazugekommenen Standflügel wurden von einem unbekannten Künstler ausgeführt. Die mit Eisenblech gefassten Zapfenlöcher im Originalrahmen bestätigen ebenfalls, dass an dem Rahmen des Mittelbildes Flügelbilder angebracht waren. Die verschiedenen Bildhöhen und -breiten lassen sich zudem problemlos zu dem Altarretabel vereinen, wie es die Rekonstruktionsrechnung auf Grundlage der Rahmenmaße nach H. A. Schmidt beweist. Marienbild: Heute 186x150 cm. Ursprünglich ca. 195x161 cm. mit einer sichtbaren Bildfläche im Rahmen von ca. 191x157 cm. Schneewunder: 176x88,5 cm. Um mit der Werktagsseite der Flügelbilder die Madonna und die breiten Seitenrahmen abdecken zu können, bekamen die Flügel einen 9,5 cm breiten Rahmen. Alle Maße der Rekonstruktion sind Zirkamaße.

Von Aschaffenburg nach Stuppach

Die Stuppacher Madonna wurde bereits um 1531 aus dem Rahmen genommen, da der Maria-Schnee-Altar ab diesem Jahr Dreikönigsaltar genannt wurde Das bedeutet, dass die zugeklappten Flügel das Mittelbild ersetzten. Das weitere Schicksal des Bildes liegt im Dunkeln. 1809 wurde es in der Kapelle des ehemaligen Deutschordensschlosses in Mergentheim bei der Auflösung des Ordens entdeckt. 1812 kaufte Balthasar Blumhofer, Pfarrer in der Deutschordenspfarrei Stuppach, das Bild für seine Kirche. Es wurde damals Rubens zugeschrieben. 1854 wurde die Kirche neugotisch umgestaltet. Der in dem neuen Hochaltar integrierte Rahmen für das Bild erwies sich als zu klein. Es musste daher an allen Seiten beschnitten werden. Erst 1881 wurde es bei einer Restaurierung als eine Schöpfung von Grünewald erkannt. Dies erfreute die Stuppacher nicht besonders, da der Name „Rubens“ einen besseren Klang hatte als der nur wenigen Fachleuten geläufige Name „Grünewald“.

Die Handzeichnung von Grünewald „gekrönte Madonna mit geflügeltem Kind“, die als Studie zur Stuppacher Madonna bezeichnet wird, liegt im Kupferstichkabinett in Berlin. In das Bild werden immer noch Visionen der hl. Birgitta von Schweden hinein interpretiert und einzelnen Gegenständen eine Symbolik zugeschrieben, die zwar ikonographisch stimmt, von der Absicht des Malers her aber heutzutage nicht mehr sicher bewiesen werden kann. Die hl. Birgitta von Schweden lebte 1303 bis 1373 und geißelte mit ihren Visionen die Umstände ihrer Zeit. Weitere naturalistische Motive, wie der Regenbogen als Nimbus mit dem Farbspektrum darin, Bienenkörbe und Lilien, sind zudem typische Modeerscheinungen in der Malerei der ausklingenden Gotik (Anton Kehl).

Grundsätzlich wird das Gemälde aus konservatorischen Gründen nicht verliehen. Lediglich während der Restaurierung der Stuppacher Kapelle ließ die Kirchengemeinde das Bild 1998/99 in der Staatsgalerie Stuttgart und im Diözesanmuseum Rottenburg ausstellen. Dies war der einzige Ortswechsel des Bildes seit 1931. Vom 6. September 2011 bis zum 8. Januar 2012 wurde es in der Ausstellung „Himmlischer Glanz. Raffael, Dürer und Grünewald malen die Madonna“ der Vatikanischen Museen und der Gemäldegalerie Alte Meister im Semperbau am Dresdner Zwinger gezeigt. Angesichts des Zustandes dieses Gemäldes (der Präsident des Restauratorenverbandes Volker Schaible spricht von einer „Ruine“) war diese Ausleihe umstritten.[1]

Detail der Tafel „Engelskonzert“ des Isenheimer Altars

Restaurierungen

Das Bild wurde, seit es in Stuppach ist, sechsmal restauriert, zuletzt 1926 bis 1931. Nach der Abnahme der Übermalungen wurde der in fünf Jahrhunderten entstandene desolate Zustand des Bildes offenbar. Das Schadensbild zur Madonna zeigt, dass es damals kaum mehr eine unbeschädigte beziehungsweise unbearbeitete Partie gab. So ist die nicht ursprüngliche Christusfigur in den Wolken entfernt und durch einen Gottvater ersetzt worden, der dem vom Isenheimer Altar nachempfunden wurde.

Das Gemälde ist zwischen 1833 und 1931 insgesamt fünfmal restauriert worden. Vor der letzten Renovierung zwischen 1926 und 1931 in Stuttgart war das Gemälde in sehr schlechtem Zustand. Der Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger schrieb über den damaligen Zustand:

Diesem Bild ist es widerfahren, daß ein Bauernmaler die schadhaften Partien auf seine Weise restaurierte. So hat der üble Pinsel dieses Tünchermeisters den ganzen Himmel überschmiert und den dort in der Gloriole Gottes schwebenden Engelreigen bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Auch das Gesicht der Madonna, wie Kopf und Körperchen des Jesusknaben wurden mit einer dicken Farbenkruste zugedeckt, wie schließlich auch die grobe Form des Regenbogens dem Pfuschwerk dieses Restaurators zugehört. (Fraenger, S. 296)

Die Restaurierung in Stuttgart, die durch den Restaurator Joseph von Tettenborn vorgenommen wurde, ist umfangreich belegt, weil eine Fotodokumentation davon existiert. Die Restaurierung hat viele der vorherigen Schäden an dem Werk korrigiert, war allerdings an einer Stelle nicht sonderlich werkgetreu. Aufgrund einer Vorstudie Grünewalds, die sich heute im Kupferstichkabinett der Staatsgalerie Stuttgart befindet, geht der Kunsthistoriker Ziermann davon aus, dass insbesondere die Gloriole verändert wurde. Diese zeigt in der Vorstudie einen Christus als Weltenherrscher, der in der linken Hand einen kreuzgekrönten Globus und in der rechten ein Zepter trägt. Das Kreuz an der Spitze des Zepters, das die gleiche Form wie das Kreuz an der Gartenpforte hat, weist auf ihn als himmlischen Bräutigam der Jungfrau. Von seinem Thron aus tragen zwei Engel eine Krone, um sie Maria als der Himmelskönigin zu überbringen. Die jetzige Übermalung zeigt dagegen einen Gottvater, der von einer Vielschar von Engeln umgeben ist. In den 1980er Jahren wurde auf dem Tafelbild ohne denkmalpflegerische Beteiligung ein Überzug aufgebracht, der sich konservatorisch nachteilig auf die darunter liegenden Malschichten auswirkte, dem Gemälde einen unnatürlichen Glanz verlieh und Unebenheiten der Malschichten optisch verstärkte. Der Überzug wurde 2012 im Zuge einer umfangreichen konservatorischen Bestandsaufnahme und Restaurierung am Landesamt für Denkmalpflege in Esslingen wieder entfernt.[2]

Bildaufbau

Das Gemälde ist durch eine Diagonale von links unten nach rechts oben in zwei Hälften geteilt. Die rechte Bildseite, auf der sich unter anderem die Kathedrale befindet, wirkt dunkler und schwerer. Sie scheint sich in größerer Nähe zum Betrachter zu befinden. Die linke Seite erscheint durch ihre Farbgebung heller und ätherischer. Eine zweite Sichtdiagonale, die weniger auffällig ist, verläuft von rechts unten nach links oben vom Mantelsaum über die Haare bis zu den Wolken. Optischer Mittelpunkt des Bildes ist Maria mit dem Kinde, die mit ihrem ausgebreiteten Mantel ein Dreieck bildet. Der Baum zu ihrer rechten Seite folgt in leichter Schwingung ihrer Körperkontur. Ihr Kopf befindet sich im Schnittpunkt der beiden Diagonalen. Exakt in der physischen Bildmitte befinden sich die Hände. Vor dem Hintergrund des Mantels bilden sie in diesem Bild den stärksten Hell-Dunkel-Kontrast.

Bildobjekte

Das detailgetreu gemalte Bild zeigt Maria, die auf einem Brunnenrand oder einer Bank sitzt. Sie trägt ihr langes, blondes Haar offen und keine Krone krönt ihr Haupt. Der Kopf ist dem Kind zugewandt, das auf ihrem Schoß steht und dem sie mit der linken Hand eine Feige reicht. Mit der rechten Hand hält sie das Jesuskind, wobei die Finger in unnatürlicher Haltung gespreizt sind. Mit ebenso unnatürlicher Fingergestik greift das Kind in Richtung Feige und weist gleichzeitig mit seinen Fingern auf den dargestellten Baum. Über dem Kopf Marias wölbt sich ein Regenbogen, darunter ein angedeuteter Heiligenschein. Am linken oberen Bildrand öffnet sich der Himmel; Gottvater und Engel sind erkennbar.

Rechts von Maria steht ein Baum, dessen Krone durch den oberen Bildrand abgeschnitten ist. Er trägt gleichzeitig Laub, Blüten und Früchte. An der Wurzel des Baumes steht ein Gefäß mit Blumen. Eindeutig zu identifizieren sind Rosen und Madonnenlilien. Im Hintergrund des Baumes ist eine Kathedrale mit weit vorspringenden Strebebögen erkennbar, die vom rechten Bildrand teilweise abgeschnitten ist. Kunsthistoriker haben in der dargestellten Kathedrale sowohl Details des Straßburger Münsters, der Stiftskirche in Aschaffenburg als auch des Mainzer Doms entdeckt.

Links sieht man eine Porzellanschale, in der ein Rosenkranz liegt, und einen Krug. Darüber ist ein Feigenbaum erkennbar, der sich um ein Holzkreuz windet, und dahinter ein Garten mit einem geschlossenen Tor in Kreuzform, Bienenstöcke und darüber eine Landschaft mit einem Dorf – es soll sich um Seligenstadt handeln –, Gebirge sowie in der Ferne einem angedeuteten Meer.

Bildsymbolik

Bildaussage: Maria als Mutter der Kirche

Wie für Gemälde dieser Zeit typisch, besitzen die meisten der auf diesem sorgfältig durchkomponierten Bild dargestellten Objekte eine tiefere Symbolik. Die Allegorese ist hier allerdings sehr vielschichtig, bezieht sich auf viele mystische Symbole wie sie beispielsweise in den Visionen der hl. Birgitta von Schweden genannt werden und in der deutschen Mystik eine Rolle spielen. Das Bild hebt sich damit von zeitgenössischen Madonnendarstellungen ab. Die Symbolik einzelner Gegenstände erschließt sich teilweise nur in Zusammenhang mit der Symbolik anderer auf dem Bild dargestellter Objekte und lässt Spielraum für eine Reihe unterschiedlicher Leseweisen. Die verwendete Bildsprache war zumindest zu einem Teil den theologisch gebildeten Zeitgenossen Grünewalds geläufig. Neben der reinen Darstellung der Madonna mit dem Kinde diente diesen das Bild als Meditationshilfe über Glaubensinhalte.

Kunsthistorisch besteht heute weitgehend Konsens, dass die zahlreichen Details des Bildes darauf hinweisen, dass Grünwalds Gemälde als eine Darstellung Mariens als Mutter der Kirche zu interpretieren ist. Berta Reichenauer hat dazu geschrieben:

Grünewald hatte auf seinem Bild die Kirche und ihre göttliche Sendung darzustellen. So wie der Mensch das Spielzeug Gottes ist, die Schöpfung aus dem göttlichen Spiel hervorgegangen ist, so ist auch die Kirche Spielpartner des Höchsten. Maria ist die Mutter der Kirche, dem Hohenlied zufolge die Braut des Herrn. Ihr Spiel ist bräutliches Spiels, wie es die Mystiker verstanden. (Reichenauer, S. 68)

Das Lächeln Marias und das Spiel des Kindes

Leonardo da Vinci, Felsgrottenmadonna, etwa 1483- 1486, Paris, Louvre

Auf den unvoreingenommenen Betrachter wirkt das leichte Lächeln Marias, das auf zahlreichen mittelalterlichen Madonnendarstellungen zu sehen ist, als das Festhalten des subjektiven Gefühlsausdruckes einer selbstvergessenen Mutter, die mit ihrem Kind spielt. Es erscheint in ähnlicher Weise beispielsweise bei Raffaels „Madonna im Grünen“ oder bei Leonardo da Vincis „Felsgrottenmadonna“. Dieses malerisch so häufig festgehaltene Lächeln, das auf viele heutige Betrachter gelegentlich kitschig wirkt, ist der malerische Ausdruck einer uralten theologischen Überlegung. Schon die Kirchenväter und die Mystiker hatten sich mit Marias Verhältnis zu ihrem Kind auseinandergesetzt und sich mit der Frage beschäftigt, welche Rolle dabei Spielen und Lächeln spielte.

Sieh, unter dem lieben
Weinstock, o Christus,
spielt voller Frieden,
behütet im Garten
die heilige Kirche

heißt es schon bei dem Mönch Notker.

Die theologische Überzeugung, dass sich im Lächeln die göttliche Weisheit und Gelassenheit manifestiere und dass der leidende Gott auch ein spielender Gott, ein „Deus ludens“, war, spiegelt sich in vielen Gemälden des 15. und 16. Jahrhunderts wider. So spielt bei Raffael das Jesuskind mit dem Kreuz, während bei Grünewald das spielende Kind mit seinen gespreizten Fingern nicht nur nach der Feige greift, sondern mit dieser Geste gleichzeitig auf den neben Maria stehenden Baum verweist, der hier ebenfalls eine mehrschichtige Symbolik besitzt und unter anderem den Kreuzestod andeutet.

Das spielende Kind auf dem Schoß der Mutter steht dabei auf schwerem, kostbar verbrämtem Brokat und über ihm öffnen sich die Wolken, um den Blick auf Gottvater freizugeben. Im Alten Testament ist die Wolke Symbol der Gegenwart Gottes, während sie im Neuen Testament auf seine Vergegenwärtigung hinweist.

Der Baum

Mit dem Zeigefinger der linken Hand weist das Kind in Richtung Baum. Auffällig an diesem ist, dass er gleichzeitig Früchte und Blüten trägt. Wenn dies auch bei manchen tropischen Bäumen vorkommt, ist dies jedoch keine Eigenschaft mitteleuropäischer Baumarten. Das gleichzeitige Fruchten und Blühen ist ebenso wie die an seinen Wurzeln stehenden Madonnenlilien vor allem Symbol der Jungfräulichkeit Mariens. Auch hier hat Grünewald ein nicht sehr häufig verwendetes Symbol benutzt - auf vielen mittelalterlichen Tafelgemälden sind es die tatsächlich gleichzeitig blühenden und fruchtenden Walderdbeeren, die auf diese Eigenschaft Mariens hinweisen. Der Baum deutet hier jedoch gleichzeitig auf den Kreuzestod Christi und ist damit das Symbol der Erlösung.

Ziermann weist jedoch auch darauf hin, dass die Zeigerichtung der Finger auch auf den Halsschmuck Marias deuten: Der zeitgenössische Betrachter las diesen Schmuck als Zeichen der Brautschaft Marias und der jungfräulichen Empfängnis. Im selben Sinne deutete er das Kreuz an der Pforte zum geschlossenen Garten (Ziermann, S. 156).

Die Kathedrale und das Meer

Detail der Stuppacher Madonna: Die als Bildhintergrund gemalte Kathedrale

In der Form der Kathedrale wiederholt sich der pyramidale Aufbau der Marienfigur. Grünewald hat in der Darstellung der Kathedrale Bezüge zu drei Kirchen geschaffen; in den Maßwerk-Fenstern sind zwei achtspeichige Räder stilisiert, die auch im Mainzer Wappen auftauchen – er bezieht sich damit auf den Mainzer Dom. Das Querschiff erinnert an die Fassade des südlichen Querschiffes des Straßburger Münsters, bevor dort die Gerichtslaube entfernt wurde, und der Treppenaufgang ähnelt dem der Stiftskirche St. Peter und Alexander.

Die christliche Literatur nutzt das Bild des Schiffes und der Arche häufig als Sinnbild für die Kirche und verwendet die Formulierung von der Kirche, die einem Schiff gleich durch das „böse Meer der Welt“ fährt. Seit dem Beginn der katholischen Literatur im Altertum gab es ebenso wie in der rabbinischen Literatur Auslegungen des Namens „Maria“, die einen Bezug zum Meer herstellten und die unter anderem dazu führten, dass zahlreiche lateinische und deutsche Marienlieder Maria als „Meerstern“ ansprechen, als Stern, der den Weg in den Hafen des Heils weist. Tatsächlich entdeckt man im fernen Bildhintergrund ein Meer und deutlich sichtbar wölbt sich ein Regenbogen darüber. Der Regenbogen ist schon bei Moses das Zeichen nach der Sintflut des göttlichen Bundes (1. Mos. 9,13), der durch Jesus Christus erneuert wird. Ein mit der christlichen Symbolik vertrauter Zeitgenosse Grünewalds könnte daher in diesem Bild lesen, dass Rettung im Heil nur fände, wer der von Maria gelenkten Kirche angehört – so wie nur diejenigen Rettung vor der Vernichtung durch die Sintflut fanden, die sich auf der Arche befanden. Dazu passt, dass über dem Treppenaufgang eine Marienfigur steht – auch dies ist eine Anspielung auf den Ehrentitel Mariens als „Figura ecclesia“, als „Bild der Kirche“. Für die mittelalterlichen Theologen war Maria allerdings nicht nur „Figura ecclesia“, sondern auch „Sponsa et mater Ecclesia“, Braut und Mutter der Kirche zugleich.

Kunsthistoriker weisen jedoch auch darauf hin, dass der Regenbogen auch anders gedeutet werden kann. Der Regenbogen taucht auch in den Visionen der hl. Birgitta von Schweden auf. In diesen Visionen spricht Birgitta von der Muttergottes, die wie der Regenbogen über den Wolken stehe und sich wie dieser zu den Erdbewohnern herabneige, den Guten wie den Bösen mit ihrem Gebet berührend.

Die kronenlose Maria und das geschlossene Gartentor

Für die Deutung Marias als Braut der Kirche ist maßgeblich, dass Maria – anders als auf der Vorstudie Grünewalds – auf dem Gemälde keine Krone trägt. Ihr Halsschmuck weist ebenso auf den Status ihrer Bräutlichkeit hin wie der Ring an der linken Hand und ihr offenes Haar. Ihr Kleid gleicht dem einer Königin; ihre Haartracht ist jedoch die eines einfachen Mädchens, so wie sie im Hohen Lied der Bibel erwähnt wird. Auch das verschlossene Gartentor, die Lilien, der Sitzplatz unter dem Baum, der über den Bienenstöcken angedeutete Honig, der Regenbogen und der Feigenbaum, der sich um ein im Garten stehendes Holzkreuz windet, verweisen auf diesen Bibeltext. Der „Hortus conclusus“, den das geschlossene Gartentor andeutet, wird in der Malerei häufig durch die Darstellung von Blumen ergänzt, die zu den marianischen Symbolen zählen. So sind neben den Rosen, den Lilien und der Feige auch Nelke, Weißdorn und Kamille kreisförmig um Maria angeordnet.

Bienenstöcke tauchen allerdings auch in den Visionen der hl. Birgitta von Schweden auf. In dieser Mystik wird Maria einem Bienenkorb gleichgesetzt, in dessen Schoß Gottes Sohn „die hochgelobte Biene“ Einkehr nahm. Ähnlich wie beim Regenbogen ist die Darstellung der Bienenstöcke mehrdeutig.

Eine Kopie der Madonna

Zwischen den Jahren 1943 und 1947 kopierte der bekannte und wegen seiner Kenntnisse in altmeisterlicher Maltechnik geschätzte Maler Christian Schad im Auftrag der Stadt Aschaffenburg Grünewalds Madonna. Die Kopie ist heute als Dauerleihgabe in der Stiftskirche St.Peter und Alexander in Aschaffenburg zu besichtigen.

Literatur

Zur Stuppacher Madonna

  • Bruno Hilsenbeck: Die Stuppacher Madonna des Mathis Gothart Nithart – Matthias Grünewald und ihre Botschaft. Eine Dankesgabe an die Freunde der Stuppacher Madonna. Kapellenpflege Stuppacher Madonna, Stuppach – Bad Mergentheim 1972; 4. Auflage 2004 (Großformat mit Interpretationen und Farbabbildungen, Ganz- und Detailansichten).
  • Brigitte Barz: Die Stuppacher Madonna von Matthias Grünewald. Verlag Urachhaus, Stuttgart 1998, ISBN 3-8251-7193-0.
  • Elsbeth Wiemann: Die Stuppacher Madonna. Grünewald zu Gast. [Anlässlich der Ausstellung "Grünewald zu Gast - die Stuppacher Madonna" in der Staatsgalerie Stuttgart vom 21. November 1998 bis 14. Februar 1999]. Staatsgalerie, Stuttgart 1998.
  • Tilman Daiber: Die „Stuppacher Madonna“ von Matthias Grünewald. Untersuchungen zur Maltechnik. Diplomarbeit Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart 1999.
  • Werner Groß, Wolfgang Urban (Hrsg.): Wunderschön prächtige. Die „Stuppacher Madonna“ zu Gast im Diözesanmuseum Rottenburg. Ein Begleitbuch zur Ausstellung von 19. Februar bis 25. April 1999 Süddeutsche Verlags-Gesellschaft, Ulm 1999, ISBN 3-88294-280-0.
  • Ewald M. Vetter: Die Stuppacher Maria des Matthias Grünewald. In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft. Bd. 54/55, 2000/2001, ISSN 0044-2135, S. 141–175.
  • Andreas Henning, Arnold Nesselrath (Hrsg.): Himmlischer Glanz. Raffael, Dürer und Grünewald malen die Madonna. (Anlässlich der Ausstellung Himmlischer Glanz. Raffael, Dürer und Grünewald Malen die Madonna, vom 6. September 2011 bis 8. Januar 2012 in der Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden). Prestel, München u. a. 2011, ISBN 978-3-7913-5185-8.
  • Andreas Menrad: Grünewalds Ikone im Landesamt für Denkmalpflege. Die Restaurierung der „Stuppacher Madonna“. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Heft 2/2013, S. 62–68 (PDF-Datei; 6,7 MB)
  • Ursula Fuhrer, Annette Kollmann: Die „Stuppacher Madonna“ im Licht der restauratorischen Untersuchungen. Zu Bestand, Schadensbildern, Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Heft 2/2013, S. 69–74 (PDF-Datei; 6,7 MB)

Über den Maler Matthias Grünewald

  • Anton Kehl: „Grünewald“-Forschungen. Kommissionsverlag Ph. C. W. Schmidt, Neustadt an der Aisch 1964 (Zugleich: Erlangen-Nürnberg, Universität, Dissertation, 1964).
  • Berta Reichenauer: Grünewald. Kultur-Verlag, Thaur u. a. 1992, ISBN 3-85395-159-7.
  • Wilhelm Fraenger: Matthias Grünewald. 4. Auflage. Verlag der Kunst, Dresden u. a. 1995, ISBN 3-364-00324-6.
  • Hanns Hubach: Matthias Grünewald: Der Aschaffenburger Maria-Schnee-Altar. Geschichte – Rekonstruktion – Ikonographie. Mit einem Exkurs zur Geschichte der Maria Schnee-Legende, ihrer Verbreitung und Illustrationen. (= Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte. Bd. 77). Selbstverlag der Gesellschaft für Mittelrheinische Kirchengeschichte, Mainz 1996, ISBN 3-929135-09-4 (Zugleich: Heidelberg, Universität, Dissertation, 1994).
  • Horst Ziermann, Erika Beissel: Matthias Grünewald. Prestel, München u. a. 2001, ISBN 3-7913-2432-2.
  • Ludwig A. Mayer: Neue Erkenntnisse zur Entstehung des Maria-Schnee-Altares und gegenteilige Ansichten zu einigen MGN-Dokumenten. In: Aschaffenburger Jahrbuch. Bd. 22, 2002, ISSN 0518-8520, S. 11–38.
Commons: Stuppacher Madonna – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Nachweise

  1. Hanno Rauterberg, Madonna, hilf!, in: Die Zeit Nr. 36 vom 1. September 2011.
  2. Andreas Menard: „Stuppacher Madonna“ von Matthias Grünewald - Untersuchung und Restaurierung am Landesamt für Denkmalpflege in Esslingen. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 41, 2012, S. 175–176.

Koordinaten: 49° 26′ 37,4″ N, 9° 44′ 55,6″ O