Trichlorethen

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Strukturformel
Struktur von Trichlorethen
Allgemeines
Name Trichlorethen
Andere Namen
  • Trichlorethylen (Tri)
  • Ethylentrichlorid
  • Acetylentrichlorid
  • Trilen
  • TCE
  • R-1120
Summenformel C2HCl3
Kurzbeschreibung

farblose Flüssigkeit mit süßlich-etherischem Geruch[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 79-01-6
EG-Nummer 201-167-4
ECHA-InfoCard 100.001.062
PubChem 6575
ChemSpider 13837280
DrugBank DB13323
Wikidata Q407936
Eigenschaften
Molare Masse 131,39 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

1,46 g·cm−3 [1]

Schmelzpunkt

−86 °C[1]

Siedepunkt

87 °C[1]

Dampfdruck

78 hPa (20 °C)[1]

Löslichkeit

schlecht in Wasser (1 g·l−1)[1]

Brechungsindex

1,4782 (20 °C)[2]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP),[3] ggf. erweitert[1]
Gefahrensymbol Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 315​‐​317​‐​319​‐​336​‐​341​‐​350​‐​412
P: 280​‐​302+352​‐​333+313​‐​337+313​‐​304+340​‐​312[1]
Zulassungs­verfahren unter REACH

besonders besorgnis­erregend: krebs­erzeugend (CMR)[4]; zulassungs­pflichtig[5]

MAK

Schweiz: 20 ml·m−3 bzw. 110 mg·m−3[6]

Toxikologische Daten

2402 mg·kg−1 (LD50Mausoral)[7]

Thermodynamische Eigenschaften
ΔHf0

−43,6 kJ/mol[8]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Trichlorethen (Trivialname: Trichlorethylen, Trichlor, Tri) ist eine farblose, klare Flüssigkeit. Sie riecht nach Chloroform und ist unentzündlich. Sie wirkt als starkes Lösungsmittel und wurde deshalb früher in Formen- und Walzenwaschmitteln in der Druckindustrie und in metallverarbeitenden Betrieben als Teilereinigungsmittel eingesetzt.

Trichlorethen löst Polyolefine und chemisch verwandte Kunststoffe an und macht sie weich und undurchsichtig.

Gewinnung und Darstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bis Anfang der 1970er-Jahre wurde Trichlorethen meist in einem Zwei-Schritt-Verfahren aus Ethin hergestellt. Zunächst wird Ethin mit Chlor und einem Eisenchlorid-Katalysator bei 90 °C zu 1,1,2,2-Tetrachlorethan umgesetzt:[9]

Das 1,1,2,2-Tetrachlorethan wurde dann zu Trichlorethen dehydrochloriert. Dies kann entweder mit einer wässrigen Lösung von Calciumhydroxid[10]

oder in der Gasphase durch Erhitzen auf 300–500 °C mit einem Barium- oder Calciumchlorid-Katalysator geschehen:

Heute wird Trichlorethen meist aus Ethen produziert. Dieses wird zuerst mit Hilfe eines Eisenchlorid-Katalysator durch Chlorierung in 1,2-Dichlorethan umgewandelt

und dann bei 400 °C mit zusätzlichem Chlor in Trichlorethen umgewandelt.

Diese Reaktion kann durch eine Vielzahl von Stoffen katalysiert werden. Der am häufigsten verwendete Katalysator ist eine Mischung aus Kaliumchlorid und Aluminiumchlorid. Allerdings können auch verschiedene Formen von porösem Kohlenstoff verwendet werden. Diese Reaktion produziert als Nebenprodukt auch Tetrachlorethen, welches, je nach Menge von zugeführtem Chlor, auch Hauptprodukt werden kann. Typischerweise werden Trichlorethen und Tetrachlorethen gesammelt und dann durch Destillation abgetrennt.[2]

Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aufgrund seiner guten fettlösenden Eigenschaft, der Flüchtigkeit und Nichtbrennbarkeit ist Trichlorethen, neben verwandten Verbindungen wie z. B. Tetrachlorethen, eines der gebräuchlichsten Reinigungs-, Entfettungs- und Extraktionsmittel gewesen. Es fand beispielsweise Verwendung in der Metall- und Glasindustrie, bei der chemischen Reinigung und in der Textilbearbeitung. Noch heute ist es von Bedeutung als Schwerflüssigkeit bei Mineralien und als Zwischenprodukt bei chemischen Synthesen. Außerdem wird es in der Bitumen- und Asphaltindustrie als Lösemittel für Bitumen verwendet.

Sicherheitshinweise und gesetzliche Regelungen; Toxizität[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Trichlorethen ist gesundheitsschädlich und stark narkotisierend: Das Einatmen von Luft mit 200 ppm führt zu Müdigkeit. Akute Vergiftungen führen zu Hirnschäden, Erblindung und zur Aufhebung der Geruchs- und Geschmacksempfindung. Trichlorethen wurde von der IARC 2014 als beim Menschen krebserzeugend (carcinogenic to humans, Group 1) eingestuft.[1][11]

Es besteht der Verdacht, dass TCE das Risiko, an Parkinson zu erkranken, erhöht.[12][13]

Im Körper wird es durch Monooxygenasen zu Trichlorethenoxid, Trichloracetaldehyd, Trichlorethanol und Trichloressigsäure umgewandelt. Trichlorethanol wird glukoronidiert und mit dem Urin ausgeschieden, während sich die Trichloressigsäure wegen ihrer starken Bindung an Eiweiße des Blutplasma anreichert und neurotoxisch wirkt.

In der Europäischen Union gilt für Trichlorethen ein Arbeitsplatzgrenzwert von 10 ppm (54,7 mg/m3) für 8-Stunden-TWA und von 30 ppm (164,1 mg/m3) für STEL (15 Min.).[14] In den USA beträgt der Grenzwert 50 ppm. Die VOC-Richtlinie 1999/13/EG[15] und die Richtlinie über Industrieemissionen 2010/75/EU[16] stellen verbindliche Mindestanforderungen für die Emissionen von Trichlorethylen für die Umwelt, einschließlich der Emissionen für die Reinigung von Oberfläche. Aktivitäten mit einem Lösemittelverbrauch unterhalb einer vorgegebenen Schwelle sind durch diese Mindestanforderungen nicht abgedeckt.

Trichlorethen wurde im Juni 2010 aufgrund seiner Einstufung als carcinogen (Carc. 1B) in die Kandidatenliste der besonders besorgniserregenden Stoffe (Substance of very high concern, SVHC) aufgenommen.[4] Danach wurde Trichlorethen im April 2013 in das Verzeichnis der zulassungspflichtigen Stoffe mit dem Ablauftermin für die Verwendung in der EU zum 21. April 2016 aufgenommen.[5][17]

Vom deutschen Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) wurde 2015 ein „risikobasierter Leitwert“ von 20 µg/m³ für die Nierenkrebs erzeugende Wirkung von Trichlorethen abgeleitet[18]. Die Auswertung aller verfügbaren Studien (2011) durch die U.S. EPA[19][20] ergab Trichlorethen-induzierte Tumore in lymphatischem Gewebe (Nicht-Hodgkin-Lymphome (NHL), in Leber und in Nieren des Menschen. Eine quantitative Auswertung der epidemiologischen Schlüsselstudie zu Nierentumoren beim Menschen[21] führte mit einem Physiologisch Basierten Pharmakokinetischen (PBPK-)Extrapolationsmodell zu einem statistischen Krebsrisiko der Allgemeinbevölkerung bei Inhalation auf Lebenszeit (70 Jahre) von (gerundet) 2 µg/m³[19]. Dieser Wert berücksichtigt das kombinierte Krebsrisiko nach detaillierter Auswertung mit dem Faktor 4[19].

Die ausführliche Auswertung der U.S. EPA zeigte neben den kanzerogenen Wirkungen allerdings auch nicht-kanzerogene Schadwirkungen durch Trichlorethen auf Leber, Nieren, Nervensystem und Immunsystem sowie auf Reproduktion und Entwicklung[19][20]. Die quantitative Auswertung von Untersuchungen bei oraler und inhalativer Exposition erbrachte „candidate reference concentrations“ zwischen 1,6 und 3,3 µg/m³[19] zu den unterschiedlichen Endpunkten verringerte Thymusgewichte bei jungen Mäusen (Immuntoxizität), erhöhte Zahl von Missbildungen des Herzens im Fötus von Ratten (Teratogenität) und Nierentoxizität. Als Quintessenz ergibt sich für nicht-kanzerogene Wirkungen von Trichlorethen eine chronische Referenzkonzentration von 2 µg/m³ (Konzentration ohne schädliche Wirkungen bei Exposition auf Lebenszeit)[19][20].

Eine Neubewertung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Toxizität von Trichlorethen im Trinkwasser (2020)[22] verwendete analog zur U.S. EPA PBPK-Modelle für die Auswertung der Studien von Keil et al. (2009)[23] (Maus, Thymus-Gewichte) und Johnson et al. (2003)[24] (Ratte, Herz-Missbildungen der Nachkommen). Zusätzlich werden aus einer weiteren Schlüsselstudie von Peden-Adams et al. (2006)[25] die Wirkungen von Trichlorethen auf das Immunsystem der Nachkommen von Mäusen angeführt (Verringerung plaquebildender Zellen, erhöhte Hypersensitivität). Für die Inhalation von Trichlorethen (Allgemeinbevölkerung) ergibt sich aus einer abgeleiteten tolerablen Dosis von 0,5 µg/(kg KG · d) über eine Pfad-zu-Pfad-Betrachtung unter Annahme einer 50%igen inhalativen Resorption eine tolerable Trichlorethen-Konzentration von 3,5 µg/m³, abgerundet 3 µg/m³.

Für Personen am Arbeitsplatz mit Trichlorethen-Exposition benennen die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 910 eine „Akzeptanzkonzentration“ und eine „Toleranzkonzentration“ von jeweils 33 mg/m³ (33.000 µg/m³)[26]. Die nichtkanzerogene Wirkung von Trichlorethen wird nicht berücksichtigt!

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d e f g h i Eintrag zu Trichlorethylen in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 20. Januar 2022. (JavaScript erforderlich)
  2. a b Environmental Health Criteria (EHC) für Trichlorethylen, abgerufen am 19. November 2014.
  3. Eintrag zu Trichloroethylene im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 1. Februar 2016. Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
  4. a b Eintrag in der SVHC-Liste der Europäischen Chemikalienagentur, abgerufen am 14. Juli 2014.
  5. a b Eintrag im Verzeichnis der zulassungspflichtigen Stoffe der Europäischen Chemikalienagentur, abgerufen am 14. Juli 2014.
  6. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva): Grenzwerte – Aktuelle MAK- und BAT-Werte (Suche nach 79-01-6 bzw. Trichlorethen), abgerufen am 2. November 2015.
  7. Eintrag zu Trichloroethylene in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM) (Seite nicht mehr abrufbar)
  8. David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Standard Thermodynamic Properties of Chemical Substances, S. 5-21.
  9. Lawrence Fishbein, Potential Industrial Carcinogens and Mutagens, ISBN 978-0-444-41777-0.
  10. Joachim Buddrus: Grundlagen der Organischen Chemie, Walter de Gruyter Verlag, Berlin, 4. Auflage, 2011, S. 252, ISBN 978-3-11-024894-4.
  11. IARC Monograph 106 - Trichlorethen, 2014
  12. Samuel M. Goldman, Frances M. Weaver, Kevin T. Stroupe, et al: Risk of Parkinson Disease Among Service Members at Marine Corps Base Camp Lejeune. In: JAMA Neurol. 2023, doi:10.1001/jamaneurol.2023.1168.
  13. Dorsey, E.R.; Zafara, M.; SamaLettenberger, S.E.; Pawlik, M.E.; Kinel, D.; Frissen, M.; Schneider, R.B.; Kieburtz, K.; Tanner, C.M.; De Miranda, B.R.; Goldman, S.M.; Bloem, B.R.:: Trichloroethylene: An Invisible Cause of Parkinson’s Disease? In: J. Parkinson’s Disease. Band 13, 2023, S. 203–218.
  14. Richtlinie (EU) 2019/130
  15. eur-lex.europa.eu: VOC-Richtlinie 1999/13/EG (PDF)
  16. eur-lex.europa.eu: Richtlinie über Industrieemissionen 2010/75/EU (PDF)
  17. Verordnung (EU) Nr. 348/2013
  18. Gesundheitliche Bewertung von Trichlorethen in der Innenraumluft. Band 58, S. 762–768, doi:10.1007/s00103-015-2173-y.
  19. a b c d e f ORD US EPA: Integrated Risk Information System. 15. März 2013, abgerufen am 3. April 2024 (englisch).
  20. a b c United States Environmental Protection Agency (U.S. EPA): Toxicological Review of Trichloroethylene (CAS No. 79-01-6) - In Support of Summary Information on the Integrated Risk Information System (IRIS). EPA/635/R-09/011F. 2011, abgerufen am 3. April 2024 (englisch).
  21. Charbotel, B; Fevotte, J; Hours, M; Martin, J-L; Bergeret, A.: Case-control study on renal cell cancer and occupational exposure to trichloroethylene. Part II: Epidemiological aspects. In: Ann Occup Hyg 50: 777-787. 2006, abgerufen am 3. April 2024 (englisch).
  22. World Health Organization (WHO): Trichloroethene in Drinking-water. Background Document for Development of WHO Guidelines for Drinking-water Quality. In: WHO/HEP/ECH/WSH/2020.10. 2020, abgerufen am 3. April 2024 (englisch).
  23. Keil, D.E.; MM Peden-Adams, M.M.; S Wallace, S.; P Ruiz, P.; GS Gilkeson, G.S.: Assessment of Trichloroethylene (TCE) Exposure in Murine Strains Genetically-Prone and Non-Prone to Develop Autoimmune Disease. In: J. Environ. Sci. Health Part A. Band 44, 2009, S. 443–453.
  24. Johnson, P.; Goldberg, S.; Mays, M.; Dawson, B: Threshold of Trichloroethylene Contamination in Maternal Drinking Waters Affecting Fetal Heart Development in the Rat. In: Environ. Health Perspect. Band 111, 2003, S. 289–292.
  25. Peden-Adams, M.M.; Eudaly, J.G.; Heesemann, L.M.; Smythe, J.: Miller, J.; Gilkeson, G.S.; Keil, D.E.: Developmental Immunotoxicity of Trichloroethylene (TCE): Studies in B6C3F1 Mice. In: J. Environ. Sci. Health A Tox. Hazard Subst. Environ. Eng. Band 41, 2006, S. 249–271.
  26. Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS): Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen. In: Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 910. GMBl 2023, 20. April 2023, S. 627.