Verwaltete Welt

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Der Begriff verwaltete Welt wird auf Theodor W. Adorno zurückgeführt. Er benutzte ihn unter anderem im Untertitel Musik in der verwalteten Welt seines Werks Dissonanzen (Erstausgabe 1956).[1][2] Adorno gebrauchte den Begriff als eine synonyme Bezeichnung für die spätkapitalistische, genauer: nachliberale und nachfaschistische Gesellschaft, in der die „Allherrschaft des Tauschprinzips“ von der „Allherrschaft des Organisationsprinzips“ überlagert werde.[3] Karl Korn hat ihn dann wenige Jahre später für den Buchtitel seiner kritischen Sprachanalysen – Sprache in der verwalteten Welt (Erstausgabe 1959) – aufgegriffen.

Die früheste Erwähnung des Terminus erfolgte in einem Rundfunkgespräch (Die verwaltete Welt oder: Die Krisis des Individuums) von 1950 zwischen Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Eugen Kogon. Gleich im ersten Wortbeitrag spricht Adorno „vom Übergang der ganzen Welt, des ganzen Lebens, [in] ein System der Verwaltung, [in] eine bestimmte Art der Steuerung von oben“.[4] In einem Einleitungsvortrag zum Darmstädter Gespräch 1953 kommt er auf jenes Rundfunkgespräch mit den Worten zurück: „vor einiger Zeit noch haben wir in einem Rundfunkgespräch mit Eugen Kogon den Ausdruck ‚verwaltete Welt‘ geprägt“.[5]

Racket-Theorie als Vorläufer

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Der Begriff Racket entstammt einem theoretischen Kontext, dessen Grundlage die in den 1940er Jahren in der US-amerikanischen Emigration vorgelegten Theorieentwürfe von Friedrich Pollock und Max Horkheimer bildeten. Anknüpfend an Pollocks – bereits in der damaligen Emigrantengruppe des Instituts für Sozialforschung – umstrittene Diagnose des Faschismus als eines autoritären Staatskapitalismus mit dem Merkmal der Kommando-Wirtschaft, in der sich „die Wirtschaftsmagnaten mit den mächtigsten Militärs sowie den Kadern aus Politik und Bürokratie zu einer Clique verbündet, die den Rest der Gesellschaft in Schach hält“,[6] formulierte Horkheimer seine „Soziologie des Rackets“.[7] Racket, ein Begriff aus der organisierten Kriminalität, verstand Horkheimer, Christoph Türcke und Gerhard Bolte zufolge, als „verschworene Clique, welche alle ausschließt, die sich nicht bedingungslos ihrem Willen unterwerfen“ und „der strengen Hierarchie von Führer und Gefolgschaft“ gehorchen.[8] Rackets werden auch als Machtgruppen und Monopole in einer anarchischen Konkurrenz um die Macht verstanden.

Adorno übernahm davon die These, dass die ökonomischen Bewegungsgesetze der „liberalen Episode“ angehörten und durch die Rackets außer Kraft gesetzt wurden. Schließlich zog er daraus die Schlussfolgerung einer Verselbständigung der Verwaltung – „Primat der Administration“, heißt es in der Ästhetischen Theorie[9] – gegenüber Gesellschaft und Ökonomie. Die Perspektive der „Rettung“ des Subjekts, die von den Kritischen Theoretikern immer schon angepeilt wurde, ist grundsätzlich bei beiden dieselbe, weil es für das Subjekt fast keinen Unterschied macht, unter welcher Herrschaftsform es steht. Dennoch stehen die beiden Theorien im Widerspruch zueinander.[10] Adorno unterscheidet in seinen Soziologischen Schriften die „Geschichte von Bandenkämpfen, Gangs und Rackets“ von der „letzten ökonomischen Phase, die Geschichte von Monopolen“.[11]

Inhaltliche Momente

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Auf dem Resonanzboden von Max Webers Bürokratietheorie, die Adorno gleichsam dialektisch wendet, definiert er verwaltete Welt als Zwangsvergesellschaftung und Anonymisierung von Herrschaft, die auf die Liquidierung des Individuums und die Eliminierung des Nichtidentischen abzielt. Durch die ihr eigene Tendenz, alle Spontaneität abzuwürgen, lässt die verwaltete Welt alle „Schlupfwinkel verschwinden“.[12] Durch einen gigantischen kulturindustriellem Apparat, der das subjektive Klassenbewusstsein der Beherrschten beseitigt, ihre Bedürfnisse und Meinungen standardisiert, werden die gleichgeschalteten Individuen widerstandslos in das System integriert. Damit zwingt im gigantischen Prozess der Unterwerfung der Natur eine privilegierte Klasse den übrigen Teil der Gesellschaft zur Verrichtung der notwendigen und jeder nur möglichen zusätzlichen Arbeit. Bei der zunehmenden Konzentration der Wirtschaft in sich absprechende Oligopole und der Ersetzung des selbststeuernden Marktes durch den bürokratischen Staatskapitalismus und der Bedürfnissteuerung (Werbung, Mode, Erzeugung neuer Bedürfnisse), verschmelzen die Interessen der Großkonzerne mit den staatlichen Planungs- und Steuerungsansprüchen zu einer gesellschaftsumspannenden technischen Rationalität, die alle übrigen sozialen Bereiche (Familie, Wissenschaft, Kunst) durchdringt. Damit wird das Programm der Aufklärung obsolet. Es gibt keine Bezugspunkt mehr Wahrheit und Schein zu unterscheiden, das gesellschaftliche Bewusstsein wird eindimensional, die Gesellschaft verschwindet hinter einem „technologischen Schleier“.[13]

  • Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Digitale Bibliothek.
  • Theodor W. Adorno: Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt (Erstausgabe: Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1956). In: Gesammelte Schriften, Bd. 14: Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie. 3. Aufl. 1990, S. 7–167.
  • Theodor W. Adorno: Kultur und Verwaltung. In: Gesammelte Schriften, Bd. 8: Soziologische Schriften 1. 3. Aufl., Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, S. 122–146.
  • Theodor W. Adorno / Max Horkheimer / Eugen Kogon: Die verwaltete Welt oder: Die Krise des Individuums. Aufzeichnung eines Gesprächs im Hessischen Rundfunk am 4. September 1950. Abgedruckt in: Max Horkheimer: Gesammelte Schriften. Band 13: Nachgelassene Schriften 1949-1972. Fischer, Frankfurt am Main 1989, S. 121–142.
  • Karl Korn: Sprache in der verwalteten Welt. Walter-Verlag, Olten und Freiburg 1959.
  • Hans-Ernst Schiller: Erfassen, berechnen, beherrschen. Die verwaltete Welt. In: Ulrich Ruschig, Hans-Ernst Schiller (Hrsg.): Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno. Nomos, Baden-Baden 2014, S. 129–149.
  • Tobias ten Brink: Staatskapitalismus und die Theorie der verwalteten Welt. Friedrich Pollock und die Folgen. In: WestEnd 10. Jg., H. 2/2013, S. 128–136.
  • Christoph Türcke / Gerhard Bolte: Einführung in die Kritische Theorie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994.
  • Rolf Wiggershaus: Theodor W. Adorno. Beck, München 1987.

Einzelnachweise

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  1. Nachweisbar ist er aber bereits 1950 als Thema eines Rundfunkgesprächs zwischen Horkheimer, Adorno und Eugen Kogon (siehe Literatur).
  2. In der digitalen Version von Adornos Gesammelten Schriften findet er sich 114-mal. Die Zählung berücksichtigt die Flexionsendungen des Adjektivs, also: verwaltete, verwalteten, verwalteter.
  3. Rolf Wiggershaus: Theodor W. Adorno. Beck, München 1987, S. 67.
  4. Nachschrift in: Max Horheimer: Gesammelte Schriften, Band 13: Nachgelassene Schriften 1949–1972, Fischer, Frankfurt am Main 1989, S. 121–142, hier S. 123.
  5. Theodor W. Adorno: Individuum und Organisation. Einleitungsvortrag zum Darmstädter Gespräch 1953. In: Ders.: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1971, S. 67–86, hier S. 67.
  6. Christoph Türcke / Gerhard Bolte: Einführung in die Kritische Theorie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994, S. 46.
  7. Max Horkheimer: Zur Soziologie der Klassenverhältnisse. In: ders., Gesammelte Schriften, Band 12: Nachgelassene Schriften 1931-1949. Fischer, Frankfurt am Main 1985, S. 104.
  8. Christoph Türcke /Gerhard Bolte: Einführung in die Kritische Theorie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994, S. 49.
  9. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 7: Ästhetische Theorie. 6. Aufl., Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, S. 372.
  10. Michael Th. Greven: Kritische Theorie und historische Politik. In: Wilfried Röhrich und Carsten Schlüter-Knauer (Hrsg.): Kieler Beiträge zur Politik und Sozialwissenschaft. 1. Auflage. Band 8. Leske + Budrich, Opladen 1994, ISBN 3-8100-1147-9, S. 180 f.
  11. Theodor W. Adorno: Soziologische Schriften I. In: Gesammelte Schriften. 1. Auflage. Band 8. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972, S. 381.
  12. Theodor W. Adorno: Kultur und Verwaltung. In: ders.: Gesammelte Schriften, Band 8: Soziologische Schriften I. 3. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, S. 145.
  13. Dirk Hülst: ‚Nicht bei sich selber zu Hause sein’ Horkheimer und Adorno über Macht und Herrschaft. In: Peter Imbusch (Hrsg.): Macht und Herrschaft. Sozialwissenschaftliche Konzeptionen und Theorien. Opladen 1998, S. 123 ff.