WIN 18446

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Strukturformel
Strukturformel von WIN 18446
Allgemeines
Name WIN 18446
Andere Namen
  • N,N′-1,8-Octandiylbis[2,2-dichlor­acetamid]
  • N,N′-Bis[dichloracetyl]-1,8-octan­diamin[1]
  • Fertilysin
Summenformel C12H20Cl4N2O2
Kurzbeschreibung

weißer Feststoff[2]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 1477-57-2
EG-Nummer 216-033-0
ECHA-InfoCard 100.014.576
PubChem 15134
ChemSpider 14405
Wikidata Q27162547
Eigenschaften
Molare Masse 366,11 g·mol−1
Aggregatzustand

fest[2]

Schmelzpunkt

125–127 °C[2]

Löslichkeit

löslich in DMSO (2 g·l−1)[2]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[2]

Achtung

H- und P-Sätze H: 312​‐​332​‐​351
P: 202​‐​261​‐​280​‐​302+352+312​‐​304+340+312​‐​308+313[2]
Toxikologische Daten

16.000 mg·kg−1 (LD50Mausoral)[2]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

WIN 18446 ist eine chemische Verbindung, die bereits in den 1960er-Jahren als Verhütungsmittel für Männer untersucht wurde und dabei viel Potenzial zeigte, aber nie vermarktet wurde. Jahre später wurde die Forschung von WIN 18446 als potenzielles Verhütungsmitteln für Männern wieder aufgegriffen.[3][4]

Pharmakologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

WIN 18446 ist ein Inhibitor der Aldehyddehydrogenase 1a2, die zur Enzymfamilie der Aldehyddehydrogenasen zählt und die Bildung von Retinsäure hemmt.[5] Da Aldehyddehydrogenasen auch am Ethanolstoffwechsel beteiligt sind, hat WIN 18446 Nebenwirkungen wie Disulfiram (Antabuse).[5][6] WIN 18446 kann auch teratogene Wirkungen haben.

Forschung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ursprünglich untersuchte in den 1950er-Jahren ein Team an Forschern WIN 18446 auf seine möglichen amöbiziden Wirkungen. Als dann zufällig anti-spermatogenese Effekte in Tierversuchen beobachtet wurden, fokussierten sich die Forscher auf die mögliche Verwendung von WIN 18446 als Verhütungsmittel.[4] In Studien an männlichen Tieren (Nagetieren, Wölfen, Katzen) erwies sich WIN 18446 als sicheres, wirksames und reversibles orales Kontrazeptivum.[7] Ende der 1950er-Jahre wurden daraufhin im US-amerikanischen Bundesstaat Oregon Studien an Menschen durchgeführt, zuerst an Gefangenen. Bei dieser Studie wurden keine Beschwerden bezüglich des Mittels protokolliert.[4] In einer Studie mit 9 Männern, denen der Stoff 23 Wochen lang zweimal täglich oral verabreicht wurde, sank die Spermienzahl innerhalb von 8 bis 11 Wochen auf 0 bis 4 Millionen Spermien pro Milliliter.[5]

Bei der Anwendung in der Allgemeinbevölkerung traten jedoch schnell Fälle von Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwitzen und Erbrechen auf. Es stellte sich heraus, dass sich der Stoff nicht mit Alkoholkonsum verträgt. Nach dieser Erkenntnis wurde WIN 18446 als Verhütungsmittel für Männer verworfen.[3][4][8]

Erst 2007, rund 50 Jahre später, wurde die Forschung an WIN 18446 durch John Amory, einen Medizinprofessor aus Washington, wieder aufgegriffen. Er erkannte, dass die Unverträglichkeit des Mittels mit Alkohol auf das Enzym Aldehyddehydrogenase 1a2 zurückzuführen ist.[9]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Franka Frei: Überfällig - Warum Verhütung auch Männersache ist. 1. Auflage. Goldmann, 2023, ISBN 978-3-442-31700-4.
  • Ans M. M. van Pelt, Dirk G. de Rooij: Retinoic Acid Is Able to Reinitiate Spermatogenesis in Vitamin A-Deficient Rats and High Replicate Doses Support the Full Development of Spermatogenic Cells. Hrsg.: Endocrinology. 1. Februar 1991, S. 697–704, doi:10.1210/endo-128-2-697, PMID 1989855.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. P. Fahrnlaender: Unterdrückung der Spermatogenese und chronische Toxizität einer neuen Reihe von Bis-[dichloracetyl]-diaminen für den Menschen. In: Heinrich Bertsch et al. (Hrsg.): Chemisches Zentralblatt. 132. Jahrgang, Nr. 45, 1961, Teil E: Biologische Chemie. Physiologie. Medizin, S. 16181–16182, doi:10.1515/9783112571804-011 (bezugnehmend auf Carl G. Heller et al.).
  2. a b c d e f g Datenblatt , bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 31. Dezember 2023 (PDF).
  3. a b Sam Kean: Reinventing the Pill: Male Birth Control. In: Science. Band 338, Nr. 6105, 19. Oktober 2012, S. 318–320, doi:10.1126/science.338.6105.318.
  4. a b c d Franka Frei: Überfällig: Warum Verhütung auch Männersache ist. Goldmann Verlag, 2023, ISBN 978-3-641-29939-2 (google.com [abgerufen am 31. Dezember 2023]).
  5. a b c Craig S. Niederberger: Current Management of Male Infertility, An Issue of Urologic: Current Management of Male Infertility, An Issue of Urologic. Elsevier Health Sciences, 2014, ISBN 978-0-323-26687-1 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. Jisun Paik, Michael Haenisch, Charles H. Muller, Alex S. Goldstein, Samuel Arnold, Nina Isoherranen, Thea Brabb, Piper M. Treuting, John K. Amory: Inhibition of Retinoic Acid Biosynthesis by the Bisdichloroacetyldiamine WIN 18,446 Markedly Suppresses Spermatogenesis and Alters Retinoid Metabolism in Mice. In: Journal of Biological Chemistry. Band 289, Nr. 21, Mai 2014, S. 15104–15117, doi:10.1074/jbc.M113.540211.
  7. Carl G. Heller, Donald J. Moore, C.Alvin Paulsen: Suppression of spermatogenesis and chronic toxicity in men by a new series of bis(dichloroacetyl) diamines. In: Toxicology and Applied Pharmacology. Band 3, Nr. 1, Januar 1961, S. 1–11, doi:10.1016/0041-008X(61)90002-3.
  8. Sven Stockrahm, Melanie Büttner: Pille für den Mann: „Verhütung ist keine Privatsache, sondern zutiefst politisch“. In: Podcast: Ist das normal? Zeit Online, 9. Oktober 2023, abgerufen am 31. Dezember 2023.
  9. John K. Amory, Charles H. Muller, Jakob A. Shimshoni, Nina Isoherranen, Jisun Paik, Jan S. Moreb, David W. Amory, Ryan Evanoff, Alex S. Goldstein, Michael D. Griswold: Suppression of spermatogenesis by bisdichloroacetyldiamines is mediated by inhibition of testicular retinoic acid biosynthesis. In: Journal of Andrology. Band 32, Nr. 1, 2011, S. 111–119, doi:10.2164/jandrol.110.010751, PMID 20705791, PMC 3370679 (freier Volltext).