Weimarer Klassik
Der Ausdruck Weimarer Klassik bezeichnete im Verständnis des 19. Jahrhunderts die Zeit, in der das "Viergestirn" Wieland, Goethe, Herder und Schiller in Weimar wirkte. Im engeren Sinn wird die Epoche nach Johann Wolfgang von Goethes erster Italienreise 1786 damit bezeichnet. Die Weimarer Klassik dauerte etwa bis zu Schillers Tod 1805. Oft wird mit Weimarer Klassik auch nur die gemeinsame Schaffensperiode der befreundeten Dichter Goethe und Schiller bezeichnet, die von 1794 bis 1805 dauerte.
Definition des Begriffs
Der Begriff wurde erst im Laufe des 19. Jahrhunderts geprägt, keiner der vier Dichter hat sich selbst als Klassiker bezeichnet. Heute gibt es zwei unterschiedliche Definitionen des Begriffs Weimarer Klassik:
Die erste weit gefasste Definition bezieht sich auf die Zeit und den Ort des Wirkens von Wieland, Herder, Goethe und Schiller. Diese vereinfachende Definition suggeriert weitreichende Übereinstimmungen im literarischen Schaffen der Vier, diese Übereinstimmungen bestanden allerdings vor allem zwischen Goethe und Schiller in der Zeit von 1794 bis 1805 (Schillers Tod). Auch existierten nie zeitgleich außergewöhnliche persönliche Beziehung aller Vier zueinander. Somit fasst diese Definition des Begriffs vor allem die vier prominentesten literarischen Persönlichkeiten des damals bestehenden Kulturraums (Weimar und Jena) zusammen, die nicht der frühromantischen Strömung angehörten.
Die zweite wesentlich enger gefasste Definition bezieht sich auf die etwa 11jährige gemeinsame Schaffensperiode von Goethe und Schiller. Mit dieser Beschränkung der Definition auf die intensive persönliche Freundschaft und die „Ästhetische Allianz“ in der Dichtung, ist es möglich den Begriff Weimarer Klassik exakter von den komplexen kulturellen Zusammenhängen in Weimar und Jena um das Jahr 1800 abzugrenzen. Hier ist noch hinzuzufügen, dass Goethe nach dem Tode Schillers (1805) inhaltlich diese Allianz weiterführte. Auch war die Begriffsprägung des 19. Jahrhunderts bezüglich des Ortes vereinfachend, denn Schiller lebte und arbeitete die erste Hälfte der klassischen Epoche in Jena (bis Dezember 1799), so dass ein großer Teil der Kommunikation über Briefe und bei gegenseitigen Besuchen stattfand.
Die Dichterfreundschaft zwischen Goethe und Schiller und deren Werke aus dieser Zeit bilden somit, aus literaturwissenschaftlicher wie auch historischer Sicht, eine wesentlich genauere und besser anwendbare Definition des Begriffs.
Voraussetzungen für die Weimarer Klassik
Als Johann Joachim Winckelmann 1755 seine Gedanken über die „Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“ und 1764/67 seine „Geschichte der Kunst des Altertums“ schrieb, ahnte er nicht, welche Wirkung diese Werke bis ins 19. Jahrhundert hinein auf die vorwiegend römisch orientierte Kunst und Kultur haben sollten. Seine ästhetische Betrachtung der griechischen Kunst (edle Einfalt, stille Größe) war die Grundlage für die Zeit der Klassik. Auch die literarische Klassik, später auch Weimarer Klassik genannt, blieb diesen Grundsätzen treu.
Zeitlicher Ablauf
Ihren Ausgangspunkt nahm sie, als die verwitwete Herzogin Anna Amalie von Sachsen-Weimar-Eisenach zur Erziehung ihrer beiden Söhne 1772 Christoph Martin Wieland nach Weimar berief.
Bevor dann Goethe 1775 mit 26 Jahren - ebenfalls als Prinzenerzieher - nach Weimar gerufen wurde, war er - vor allem durch den Briefroman "Die Leiden des jungen Werthers" - zum Führer des Sturm und Drang geworden. Mit Goethes Übersiedelung nach Weimar wurden seine Werke kontinuierlich reifer im Sinne eines sich inhaltlich und formal der klassischen Antike annähernden ästhetischen Ideals. Diesem Ideal auch räumlich nachstrebend reiste Goethe 1786 nach Italien. Unmittelbar nach seiner Rückkehr im Frühjahr des Jahres 1788 ließ er sich von seinen bisherigen Ämtern befreien und lernte im September Schiller in Rudolstadt kennen. Diese Begegnung war für beide eher ernüchternd: Goethe hielt Schiller für einen Heißsporn des Sturm und Drangs, und Schiller sah Goethes dichterische Herangehensweise in starkem Kontrast zu seiner Eigenen.
1776 zog Goethe auch den von ihm bewunderten Johann Gottfried Herder aus Bückeburg als Generalsuperintendenten nach Weimar - nicht ohne dass ihrer beider Beziehung sich alsbald abkühlte.
Als Schiller und Goethe einander 1794 bei einem Vortrag in Jena näher kamen, sahen die Urteile übereinander schon ein wenig anders aus (vgl. Schillers Essai Über naive und sentimentalische Dichtung von 1795). Ausschlaggebend für diese Erkenntnisse sind zwei Briefe Schillers an Goethe, einer vom 23. August und der andere vom 31. August 1794, mit denen er erfolgreich um seine Freundschaft warb. Schiller und Goethe beeinflussten einander ungemein (vgl. ihre gemeinsam verfassten Xenien von 1796). Eines der wertvollsten Zeugnisse der Weimarer Klassik ist ihr darauf folgender Briefwechsel.
Kennzeichen und Merkmale
Die Französische Revolution mit ihrer Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bildet die Basis für die Weimarer Klassik und hatte einen generellen Einfluss auf den gesamten deutschen Kulturbetrieb, wie z.B. auf das Werk von Ludwig van Beethoven in der zeitgenössischen Musik. Im Zentrum des klassischen Kunstkonzepts steht das Streben nach harmonischem Ausgleich der Gegensätze. In Anlehnung an das antike Kunstideal wird nach Vollkommenheit und der Übereinstimmung von Inhalt und Form gesucht. Wo Goethe in der Natur ein Modell für den universalen Zusammenhang aller Erscheinungen suchte, wurde für Schiller die Geschichte zum wichtigsten Bezugspunkt. Weitere Merkmale sind:
- Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution
- Nicht durch einen gewaltsamen Umsturz (Französische Revolution), sondern durch eine evolutionäre Fortentwicklung (langsame Höherentwicklung) der Gesellschaft gelange man zu dem Ziel des Vernunftstaates.
- Zentralisierung auf Weimar und z.T. Jena
- Stellt der Unruhe der Zeit das Programm der ästhetischen Erziehung gegenüber: Die Menschen sollen durch Kunst und Literatur zu Humanität erzogen und dadurch reif für gesellschaftliche Veränderungen werden.
- Erziehungsideal ist die „schöne Seele“, d.h. der Mensch, dessen Handeln, Pflicht und Neigung in Übereinstimmung sind (Ideal eines ruhigen, abgeklärten, in sich selbst ruhenden Menschen).
- Zeitlosigkeit der Epoche, indem sie Gegenstände zur Betrachtung wählt, die „über allen Einfluss der Zeiten erhaben“ sind, genauer menschlich-ethische Werte
- Streben nach Harmonie in der Gesellschaft statt Egoismus des Sturm und Drangs
- Humanität
- Einsicht, dass persönliches Verderben die gerechte Strafe für begangene sittlich-moralische Verfehlungen ist
Zu den wichtigsten Motiven der Weimarer Klassik gehören unter anderem Menschlichkeit und Toleranz. Die wichtigste Gattung ist das Drama, wobei Lyrik und Epik nebensächlich bleiben. Typisch war eine markante und gediegene Sprache.
Die Weimarer Klassik hat ihren Namen nicht nur durch die Orientierung hin zur Antike erhalten, die mit Wielands denkerischer und stofflicher Antikerezeption stark einsetzte und sich - vor allem bei Goethe - auch in der Form vieler Werke widerspiegelt. Sie galt auch als "klassische" Epoche deutscher Dichtung.
In der Gegenbewegung der Romantik wurde dann der Begriff "Klassik" auf formale Übernahmen eingeengt und als absprechender Kampfbegriff vor allem gegen Schiller gewandt. Von diesem Standpunkt betrachtet bezeichnete der Begriff also nicht eine vorbildliche Epoche, sondern eine Schule, die die griechische Klassik zum Vorbild genommen habe.
Ausgewählte Werke aus dieser Epoche
Christoph Martin Wieland
- Alceste, deutsches Singspiel (1773, Uraufführung: Weimar, 25. Mai 1773)
- Die Geschichte der Abderiten, Roman (Leipzig 1774-1780)
- Hann und Gulpenheh, Verserzählung (Weimar 1778)
- Schach Lolo, Verserzählung (Weimar 1778)
- Oberon, Verserzählung (Weimar 1780; gekürzte Fassung: Leipzig 1784)
- Dschinnistan (3 Bände, Winterthur 1786-1789)
- Geheime Geschichte des Philosophen Peregrinus Proteus, Roman (Vorabdruck: Weimar 1788/89; Leipzig 1791)
- Agathodämon, Roman (Leipzig 1796-1797)
- Aristipp und einige seiner Zeitgenossen, Briefroman (4 Bände, Leipzig: Göschen 1800-1802)
Johann Wolfgang (von) Goethe
- Egmont (Trauerspiel, begonnen 1775, im Druck 1788)
- Wilhelm Meisters theatralische Sendung („Urmeister“, Roman, ab 1776, im Druck 1911)
- Stella. Ein Schauspiel für Liebende (1776)
- Iphigenie auf Tauris (Drama, im Druck 1787)
- Torquato Tasso (Drama, ab 1780, im Druck 1790)
- Über den Zwischenkiefer der Menschen und der Tiere (1786)
- Römische Elegien (entstanden 1788–90)
- Venezianische Epigramme (1790)
- Faust. Ein Fragment (1790)
- Beiträge zur Optik (Abhandlungen, 1791/92)
- Der Bürgergeneral (Lustspiel, 1793)
- Reineke Fuchs (Epos in Hexametern, 1794)
- In allen guten Stunden (freimaurerisches Bundeslied, 1775)
- Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795)
- Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) (Text)
- Xenien (Gedichte, zusammen mit Schiller, 1796)
- Faust. Eine Tragödie (entspricht dem ersten Teil des Faust, ab 1797, im Druck unter diesem Titel zuerst 1808 erschienen)
- Novelle, (ab 1797)
- Hermann und Dorothea (Idylle in Hexametern, 1798)
- Die natürliche Tochter (Trauerspiel, 1804)
- Die Wahlverwandtschaften, (Roman, 1809)
Johann Gottfried Herder
- Volkslieder nebst untermischten anderen Stücken (1778/79 Erst in der 2. Auflage 1807 unter dem Titel Stimmen der Völker in Liedern)
- Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (4 Teile 1784/91)
- Briefe zur Beförderung der Humanität; zehn Sammlungen (1791-1797)
- Terpsichore, Lübeck 1795
- Christliche Schriften, Riga 1796-1799, 5 Sammlungen.
- Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft, Leipzig 1799, 2 Teile.
- Kalligone, Leipzig 1800.
Friedrich (von) Schiller
- Don Karlos (1787)
- Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (1792)
- Augustenburger Briefe (1793)
- Über Anmut und Würde (1793)
- Kallias-Briefe (1793)
- Die Horen (1795)
- Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795)
- Über naive und sentimentalische Dichtung (1795)
- Der Taucher (1797)
- Die Kraniche des Ibykus (1797)
- Der Ring des Polykrates (1798)
- Die Bürgschaft (1798)
- Wallenstein-Trilogie (1799)
- Das Lied von der Glocke (1799)
- Maria Stuart (1800)
- Die Jungfrau von Orléans (1801)
- Die Braut von Messina (1803)
- Das Siegesfest (1803)
- Wilhelm Tell (1803/04)
- Die Huldigung der Künste (1804)
- Demetrius (unvollendet [1805])
Literatur
- Pleticha, Heinrich (Hrsg.): Das klassische Weimar - Texte und Zeugnisse, Lizenzausgabe für Komet Verlag, Köln, vom Deutschen Taschenbuch Verlag, 1983, ISBN 3-89836-517-4
Weblinks
- Sonderforschungsbereich 482 - Das Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
- [1] - Homepage der Klassik-Stiftung Weimar (Informationen über die Öffnungszeiten der zugehörigen Einrichtungen etc.)