Kanalschwimmen

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Kanalschwimmen ist eine besondere Art des Langstreckenschwimmens in einer als Kanal bezeichneten Wasserstraße entweder als Durchquerung (Ärmelkanal) oder längs dazu (s. Andere Kanalschwimmen).

Kanalschwimmstrecke zwischen Dover und Cap Griz Nez durch den Ärmelkanal

Ärmelkanalschwimmen

Strecke

In der Regel wird die Strecke von Dover (England) nach Calais bzw. Cap Griz Nez (Frankreich) durchschwommen, mit 32,31 Kilometern der kürzeste Abstand zwischen beiden Küsten. Der tatsächlich zurückgelegte Weg ist oft weitaus länger, da die Schwimmer im Ärmelkanal starken Strömungen ausgesetzt sind, nicht zuletzt ausgelöst durch den Tidenhub. Aufgrund der strengeren Gesetzgebung in Frankreich werden von Calais aus kaum noch Versuche gestartet.

Der Ärmelkanal zählt mit etwa 500 Schiffen pro Tag zu den meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt. Dies ist für die Schwimmer zuweilen nicht ganz unproblematisch. Erschwerend kommt hinzu, dass auch im Sommer die Wassertemperatur kaum über 17 °C ansteigt und dadurch Unterkühlung droht, und Wetter, Wind und Strömung oft unvorhersehbaren Änderungen unterliegen.

Neben der Solostrecke Dover-Calais wird auch die Doppeldistanz Dover-Calais-Dover geschwommen. Auch Dreifach-Durchquerungen hat es mehrfach gegeben. Jährlich versuchen inzwischen über 100 Menschen, den Ärmelkanal schwimmend solo und auf „konventionelle Weise“, d.h. ohne Neoprenanzug und Schwimmhilfe zu durchqueren, hinzu kommen zunehmend Staffeln. Bis Mitte 2011 haben über 1217 Schwimmer insgesamt 1660 Solos geschafft.[1]

Ausrichter

Von 1927 bis 1999 wurden alle offiziellen Querungsversuche von der Channel Swimming Association (CSA) überwacht und von Booten begleitet, um notwendige Rettungsmaßnahmen durchzuführen und Zeiten und Rekorde zu registrieren. Die CSA hat ihren Sitz in Aylesbury (Großbritannien). Im Nov. 1999 wurde die ursprüngliche CSA in die heutige CSA Ltd übergeführt, worauf sich im Jahr 2000 aus ehemaligen Mitgliedern der ursprünglichen CSA die „Channel Swimming and Piloting Federation“ (CS&PF) bildete, so dass seither zwei Organisationen die Kanaldurchquerungen überwachen und zertifizieren. Die CS&PF wurde speziell gegründet, um auch unorthodoxe Kanalquerungen zu begleiten.[2]

Geschichte

Als erster erfolgreicher Ärmelkanalschwimmer gilt der englische Kapitän Matthew Webb, der im August 1875 damals 27-jährig den Kanal von Dover nach Calais durchschwamm. Da er Seegang und Strömung falsch berechnet hatte, legte er weit über 70 Kilometer zurück und benötigte dafür mehr als 21 Stunden. Begleitet wurde er von einem Boot aus Dover, auf dem sich sechs Helfer und vier Journalisten der Illustrated London News befanden. Durch die Berichterstattung dieser Zeitung erlangte er eine gewisse Berühmtheit in der britischen Öffentlichkeit, 1883 kam er bei dem Versuch, die Niagarafälle zu durchschwimmen, ums Leben.

Tatsächlich jedoch war Webb nicht der erste Kanalschwimmer. Bereits 1815 entzog sich der italienische Soldat Napoleons I., Jean Marie Saletti aus Malesco, seiner Gefangennahme durch die Engländer bei der Schlacht bei Waterloo durch einen beherzten Sprung über Bord, kurz bevor das Transportschiff Dover erreichte. Er schwamm die ganze Nacht hindurch in Richtung französische Küste, wo ihn in der Nähe von Boulogne ein Fischerboot aufnahm. Diese Kanaldurchquerung wurde jedoch nie anerkannt, da Saletti formal den Start- und Zielort nicht korrekt eingehalten hatte.

Noch vor Matthew Webb, im Mai 1875, durchschwamm der amerikanische Rettungsschwimmer Paul Boyton den Ärmelkanal. Allerdings trug er bei seiner 23-stündigen Durchquerung einen mit Luft gefüllten Gummianzug und benutzte ein Paddel. Im Jahr 1911 schwamm der Engländer Thomas Burgess in seinem 19. Versuch als erster die doppelte Distanz. Er benötigte für die Strecke Dover-Calais-Dover über 23 Stunden.

Die australische Profischwimmerin Annette Kellerman versuchte um 1915 mehrfach, den Ärmelkanal zu durchschwimmen, stets vergeblich. Trotzdem wurde sie in den Vereinigten Staaten durch Schauschwimmen zu einer Berühmtheit. Die damals noch junge Filmindustrie der USA entdeckte sie als Darstellerin.

Als erste Frau, die eine Kanalquerung schwimmend schaffte, wird die Sportschwimmerin, mehrfache Weltrekordlerin und Olympiasiegerin (Paris 1924) Gertrude Ederle (1906–2003) in den Annalen geführt. Im Jahr 1926 benötigte sie nur 14 Stunden und 31 Minuten, das waren fast zwei Stunden weniger als die bisherige Bestzeit der Männer. Finanziert wurde das Unternehmen von Daily News und Chicago Tribune, die für einen triumphalen Empfang der Schwimmerin in den USA sorgten.

Im Juli 2006 durchschwamm der britische Komiker David Walliams (bekannt aus „Little Britain“) den Ärmelkanal in 10 Stunden und 35 Minuten für die Organisation Sport Relief und sammelte so über eine halbe Million Pfund für ein Waisenhaus in Äthiopien.

Offizielle Rekorde

Offizielle Rekorde, die von der Channel Swimming Association Ltd (CSA) bzw. der Channel Swimming & Piloting Federation (CS&PF) registriert worden sind:

Mit 43 Durchquerungen in den Jahren 1982 bis 2008 wird der Rekord der meisten Durchquerungen von der Britin Alison Streeter gehalten – inklusive einer Nonstop-Dreifach-Kanaldurchquerung im Jahr 1990 in 34 Stunden 40 Minuten. Der Mann mit den meisten Durchquerungen ist der Brite Kevin Murphy, der in den Jahren 1969 bis 2006 den Ärmelkanal 34 mal durchschwommen hat (Michael Read 33 mal).

1978 verbesserte die US-Amerikanerin Penny Lee Dean mit einer sensationellen Zeit von 7 Stunden 40 Minuten den alten Rekord für eine Durchquerung um mehr als eine Stunde.

Erst 16 Jahre später, 1994, gelang es dem US-Amerikaner Chad Hundeby, die Zeit zu unterbieten. Er benötigte 7 Stunden 17 Minuten für die Strecke.

Am 1. August 2005 gelang es Christof Wandratsch, mit 7 Stunden 3 Minuten 52 Sekunden einen neuen Ärmelkanalrekord aufzustellen.

Seit dem 24. August 2007 wird der Rekord vom Bulgaren Petar Stojtschew[3] gehalten, der 06:57.50 benötigte.[4]

Weitere Rekorde

Am 31. August 2011 holte sich der Brite Roger Allsop im Alter von 70 Jahren und 115 Tagen den Rekord als ältester Kanalschwimmer, als er nach 17 Std. 51 Min. die französische Küste erreichte. Seit dem 28. August 2004 hatte George Brunstad diesen Rekord inne, Onkel des Schauspielers Matt Damon.[5]

Am 9. August 2007 wurde die Berlinerin Margit Bohnhoff mit einer Schwimmzeit von 11 Stunden und 40 Minuten beste deutsche Schwimmerin.

Am 18. September 2010 durchschwamm der vierfach amputierte Franzose Philippe Croizon den Ärmelkanal in einer Zeit von knapp über 13 Stunden. Croizon hatte seine Arme und Beine 16 Jahre zuvor bei einem Unfall verloren und ist der erste Mensch mit einer solchen Behinderung, dem die Durchquerung des Kanals gelang.[6]

Das Team mit den meisten Kanalüberquerungen ist der Serpentine Swimming Club in London, dem auch Alison Streeter (Queen of the Channel mit 43 Solos) und Kevin Murphy (King of the Channel mit 34 solos) angehörten, an 2. Stelle steht das Internationale Sri Chinmoy Marathon Team mit 46 Solo-Überquerungen, darunter 7 Deutsche (Stand Sept. 2014).[7][8]

Filme

1952 wurde das Leben Annette Kellermanns mit dem Film Million Dollar Mermaid mit Esther Williams in der Hauptrolle gewürdigt.

1953 kam der Spielfilm Dangerous when wet in die amerikanischen Kinos. Esther Williams spielte darin die Tochter einer Farmerin, die den Ärmelkanal durchschwimmen möchte, um ihre Familie vor der Armut zu bewahren.

2004 erlangte Jörg Adolphs Film Kanalschwimmer große Beachtung beim Internationalen Dokumentarfilmfestival in München. Im Herbst desselben Jahres strahlten ZDF und 3sat den Film aus, in dem Adolph die Schwimmer José Mataafá aus Samoa, Bryan Finlay aus Kanada und Christof Wandratsch aus Deutschland bei ihren Versuchen, den Ärmelkanal zu durchqueren, mit der Kamera begleitet. Während Mataafá nach 10 Stunden aufgeben und der 60-jährige Finlay nach über 21 Stunden kurz vor der französischen Küste aus dem Wasser geholt werden muss, gelingt dem mehrfachen Langstrecken-Schwimmweltmeister Wandratsch die Durchquerung des Ärmelkanals in 7 Stunden und 20 Minuten.

2005 verkörperte der schottische Schauspieler Peter Mullan im englischen Spielfilm On a clear Day einen älteren Werftarbeiter aus Glasgow, der nach seiner Entlassung zwecks Sinnsuche den Ärmelkanal durchschwimmt.

Im Film Der seltsame Fall des Benjamin Button aus dem Jahr 2008, durchschwimmt eine 68-jährige den Ärmelkanal, nachdem ihr dies als junge Frau nicht gelungen war.

Der französische Spielfilm Welcome (2009) handelt vom Schicksal eines 17-jährigen irakischen Flüchtlings, dem alle legalen und illegalen Wege von Frankreich nach England versperrt sind. Er beschließt, die Strecke schwimmend zurückzulegen und ertrinkt.

Die Produktionsfirma Zum Goldenen Lamm veröffentlichte 2013 den Spielfilm Die Frau, die sich traut, in dem eine Frau sich gegen eine Behandlung ihrer Krebskrankheit entscheidet, um damit ihren Jugendtraum, einmal den englischen Kanal zu durchschwimmen, wahr werden zu lassen.

Andere Kanalschwimmen

Halle/Saale

Von 2001 bis 2007 veranstaltete der SSC Halle (Sachsen-Anhalt) zweimal im Jahr ein Kanalschwimmen um den Halloren-Pokal auf dem 35 Meter breiten und 4 Meter tiefen Regattakanal der Stadt.[9] Die Wettkampfstrecken waren 500, 1000, 2000, 3000, 5000 und selten geschwommene 10.000 Meter (10 km) lang.

Es fand regelmäßig am 3. Juli-Wochenende und am 1. September-Wochenende (hier nur die 3000 m) im Rahmen des Hallorenpokals statt. (Dazu gehörte noch am 2. Augustsonntag das Hufeisenseeschwimmen.)

Hamm/Westfalen

Der Deutsche Unterwasser-Club (DUC) Hamm führt jährlich ein Kanalschwimmen im Juni oder Juli aus. Die Streckenlänge beträgt 2.000 Meter.

Osnabrück

Auf der Regattastrecke des Osnabrücker Ruder-Vereins (ORV) findet seit 2003 jährlich im Sommer ein Kanalschwimmen auf dem Osnabrücker Stichkanal statt. Die Wettkampfstrecke erstreckt sich von der Schleuse Hollage bis zum Bootshaus des ORV über rund 3.500 Meter.

Rhein-Herne-Kanal

Gelsenkirchen

Seit 1981 startet alljährlich im Juni oder Juli in Gelsenkirchen das von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) veranstaltete Kanalschwimmen auf der Trainingsstrecke des dortigen Kanu-Clubs im Rhein-Herne-Kanal. Die Wettkampfstrecken sind je nach Altersklasse zwischen 200 und 1.200 Meter lang.

Hildesheim/Sehnde

Seit 2006 findet alljährlich im Juli das ebenfalls von der DLRG veranstaltete Kanalschwimmen auf dem Hildesheimer Stichkanal statt. Die Wettkampfstrecke beträgt 3.600 Meter (Kurzstrecke) bzw. 13.600 Meter (Langstrecke). Für Kinder gibt es eine Strecke von 1.000 Meter.

Sète (Frankreich)

In Sète am Mittelmeer, Partnergemeinde von Neuburg an der Donau, wird jedes Jahr im Rahmen des St.-Louis-Festes neben anderen Wettkämpfen ein international besetztes Kanalschwimmen gestartet. Austragungsort ist der durch die Altstadt geführte Schiffskanal, der den Bassin du Sète (Hafen) mit dem Mittelmeer verbindet.

Scheerwolde (Niederlande)

Im holländischen Scheerwolde wird im Juni ein internationales Kanalschwimmen ausgetragen. Die Wettkampfstrecke ist 1.250 Meter lang.

München

In München wird seit 2005 wieder jedes Jahr zu Beginn des Oktoberfestes von der DLRG München das Isarschwimmen ausgerichtet. Wegen der Wasserqualität war diese Veranstaltung lange nicht möglich.

Publikationen

  • Wenzel, Philip: Spiroergometrie im Schwimmen: Vergleich der leistungsphysiologischen Parameter und der Ökonomie zwischen Kanalschwimmen und freiem Schwimmen. Dissertation Universität Freiburg (Breisgau) 2003
  • Scharenberg, Swantje: Betrachtung des Kanalschwimmens aus historisch-anthropologischer Perspektive. Kultur Gesellschaft Alltag, Jahrgang 5, Heft 3, Österreich 1997
  • Krauß, Martin: Schwimmen. Geschichte - Kultur – Praxis. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2003
  • Pahncke, Wolfgang: Schwimmen in Vergangenheit und Gegenwart. Historikerkollektiv, DDR 1979
  • Cleveland, Marcia: Dover Solo: Swimming the English Channel. MMJ Press, Canada 1999
  • Jarvis, Margaret A.: Captain Webb and 100 years of Channel Swimming. David & Charles, Newton Abbot, Devon, England 1975
  • Rockett, Sam: It's Cold in the Channel. Hutchinson, London, 1956

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Channel swimming statistics & information abgerufen auf www.dover.uk.com am 9. März 2014
  2. Listen der erfolgreichen Kanaldurchquerungen der „Channel Swimming and Piloting Federation (CS&PF)“
  3. Петър Стойчев. petarstoychev.com, abgerufen am 29. Juli 2010 (russisch/Kyrillisch, Homepage von Peter Stojtschew).
  4. Michael Oram: Bulgarian Petar Stoychev Sets English Channel Record. Sports Publications International, 26. August 2007, abgerufen am 29. Juli 2010 (englisch).
  5. Channel swimming records abgerufen auf www.dover.uk.com am 9. März 2014
  6. Vierfach Amputierter durchschwimmt Ärmelkanal. Die Welt, 19. September 2010
  7. Long Distance Swimmers. In: serpentineswimmingclub.com/long-distance-swimmers. Abgerufen am 2. Mai 2015.
  8. Sri Chinmoy Marathon Team Channel Swimmers List. In: srichinmoyraces.org. Abgerufen am 25. Oktober 2013.
  9. 8. Kanalschwimmen III. Hallorenpokal Freiwasserschwimmen. Sportmarketing Halle Agentur, 3. September 2006, archiviert vom Original am 28. Oktober 2006; abgerufen am 29. Juli 2010.