„Karolingische Minuskel“ – Versionsunterschied
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Als '''karolingische Minuskel''', auch '''karlingische Minuskel''' oder '''Carolina''' genannt, wird eine [[Schriftart]] bezeichnet, die Mitte des 8. Jahrhunderts als Regionalschrift im Königskloster [[Abtei Corbie|Corbie]] sowie an weiteren Orten entstanden ist. Die karolingische [[Minuskel]] zeichnet sich durch Klarheit und Einfachheit des Schriftbildes aus. Aus ihr entwickelten sich über die [[gotische Minuskel]] die Kleinbuchstaben der [[deutsche Schrift|deutschen Schriften]] (Druck- und Schreibschriften) und über die [[humanistische Minuskel]] die heutigen Kleinbuchstaben der lateinischen Schrift ([[Antiqua]] und [[lateinische Schreibschrift]]). |
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[[Datei:Bozen Stadtarchiv Fragment Beda Venerabilis 12 jh recto.jpg|miniatur|Spätform der karolingischen Minuskel aus der Mitte des zwölften Jahrhunderts: [[Beda Venerabilis|Bedas]] Kommentar der Proverbien ([[Stadtarchiv Bozen]])]] |
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Die karolingische Minuskel entstand durch eine fortschreitende Kalligraphierung der [[Jüngere römische Kursive|jüngeren römischen Kursive]]. Sie entstand in verschiedenen Zentren des [[Fränkisches Reich|fränkischen Reiches]], darunter Corbie, [[Tours]], [[Luxeuil]] und [[Laon]].<ref>{{Literatur |Autor=Helmut Glück |Titel=Metzler Lexikon Sprache |Verlag=Springer |Ort= |Datum=2016 |ISBN=978-3-476-00088-0 |Seiten=307 |Online=[https://books.google.com/books?id=vnDhDAAAQBAJ&newbks=0&printsec=frontcover&hl=de books.google.com]}}</ref> Das bisher älteste belegte Zeugnis ist eine Handschrift, die um 765 im Skriptorium von [[Abtei Corbie|Corbie]] unter Abt Leutchar entstanden ist und die auf drei Seiten erste Umsetzungsversuche der karolingischen Minuskel aufweist. |
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Durch die unter der Herrschaft Karls des Großen eingeleitete [[Karolingische Renaissance|Neubelebung des antiken Schul- und Bildungswesens]] wurde eine Rückbesinnung auf das buchstabierende Schreiben stark gefördert. |
Durch die unter der Herrschaft Karls des Großen eingeleitete [[Karolingische Renaissance|Neubelebung des antiken Schul- und Bildungswesens]] wurde eine Rückbesinnung auf das buchstabierende Schreiben stark gefördert. Dadurch breiteten sich die karolingischen Minuskeln ab dem 9. Jahrhundert von den Schreibzentren des Karolingerreiches (u. a. [[Tours]], [[Reims]] und [[Aachen]]) sehr schnell aus. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts entwickelte sich in Belgien und Nordfrankreich aus der karolingischen Minuskel die frühgotische Minuskel als neuer Schrifttyp, der sich rasch in ganz Europa verbreitete und die karolingische Minuskel verdrängte. Später entwickelten sich aus den karolingischen Minuskeln die gotische Minuskel und die humanistische Minuskel. Die Beschäftigung mit den Autoren der [[Antike]] führte erst die italienischen Humanisten wieder auf die frühmittelalterlichen, meist karolingischen Handschriften zurück, die oft die ältesten erreichbaren Überlieferungszeugen dieser Texte waren. Die Imitation dieser als Schrift der „Alten“ (miss-)verstandenen karolingischen Minuskel wurde auch für den Buchdruck verwendet ([[Antiqua]]) und blieb bis heute in Gebrauch. Die karolingische Minuskel bildet demnach die Grundlage für unsere heutigen Kleinbuchstaben sowohl der Schreib- als auch der Druckschrift. |
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In karolingischen Handschriften wird eine Schrifthierarchie verwendet, mit der einleitende Seiten gestaltet wurden. Neben einer [[Initiale]] stehen an der Spitze der Hierarchie und damit am Anfang der Seite die Capitalis, bei weiterem Abstufungsbedarf dann Unzialschriften und schließlich noch Halbunzialen, bevor der „Normal“-Text in Minuskel folgt. Viele unaufwendige Handschriften gehen allerdings über eine zweistufige Hierarchie (Capitalis und Minuskel) nicht hinaus. |
In karolingischen Handschriften wird eine Schrifthierarchie verwendet, mit der einleitende Seiten gestaltet wurden. Neben einer [[Initiale]] stehen an der Spitze der Hierarchie und damit am Anfang der Seite die Capitalis, bei weiterem Abstufungsbedarf dann Unzialschriften und schließlich noch Halbunzialen, bevor der „Normal“-Text in Minuskel folgt. Viele unaufwendige Handschriften gehen allerdings über eine zweistufige Hierarchie (Capitalis und Minuskel) nicht hinaus. |
Version vom 6. April 2022, 12:23 Uhr
Als karolingische Minuskel, auch karlingische Minuskel oder Carolina genannt, wird eine Schriftart bezeichnet, die Mitte des 8. Jahrhunderts als Regionalschrift im Königskloster Corbie sowie an weiteren Orten entstanden ist. Die karolingische Minuskel zeichnet sich durch Klarheit und Einfachheit des Schriftbildes aus. Aus ihr entwickelten sich über die gotische Minuskel die Kleinbuchstaben der deutschen Schriften (Druck- und Schreibschriften) und über die humanistische Minuskel die heutigen Kleinbuchstaben der lateinischen Schrift (Antiqua und lateinische Schreibschrift).
Entstehung und Verbreitung
Die karolingische Minuskel entstand durch eine fortschreitende Kalligraphierung der jüngeren römischen Kursive. Sie entstand in verschiedenen Zentren des fränkischen Reiches, darunter Corbie, Tours, Luxeuil und Laon.[1] Das bisher älteste belegte Zeugnis ist eine Handschrift, die um 765 im Skriptorium von Corbie unter Abt Leutchar entstanden ist und die auf drei Seiten erste Umsetzungsversuche der karolingischen Minuskel aufweist.
Unter dem Einfluss der Hofschule (Ada-Gruppe) Karls des Großen wurde die neue Schrift allmählich vereinheitlicht. Von der Hofschule breitete sie sich aus, erreichte beispielsweise auch das Kloster Saint-Martin de Tours unter dem Abt Alkuin von York. Sie ersetzte die bis dahin gebräuchliche lateinische Schrift in Großbuchstaben (Majuskel) und die Unziale, eine Schriftart, die durch Abrundung der Buchstaben der römischen Capitalis und der Quadrata entstanden war. Die Gebrauchs- und die Buchschrift folgen fortan einem einheitlichen Muster: Die Minuskelschrift verfügt über Ober- und Unterlängen, die Wörter sind klar voneinander abgesetzt, Zeilenanfänge können mit Schmuck- oder Großbuchstaben hervorgehoben werden, der Fein-Fett-Kontrast der Striche ermöglicht gute Lesbarkeit.[2]
Durch die unter der Herrschaft Karls des Großen eingeleitete Neubelebung des antiken Schul- und Bildungswesens wurde eine Rückbesinnung auf das buchstabierende Schreiben stark gefördert. Dadurch breiteten sich die karolingischen Minuskeln ab dem 9. Jahrhundert von den Schreibzentren des Karolingerreiches (u. a. Tours, Reims und Aachen) sehr schnell aus. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts entwickelte sich in Belgien und Nordfrankreich aus der karolingischen Minuskel die frühgotische Minuskel als neuer Schrifttyp, der sich rasch in ganz Europa verbreitete und die karolingische Minuskel verdrängte. Später entwickelten sich aus den karolingischen Minuskeln die gotische Minuskel und die humanistische Minuskel. Die Beschäftigung mit den Autoren der Antike führte erst die italienischen Humanisten wieder auf die frühmittelalterlichen, meist karolingischen Handschriften zurück, die oft die ältesten erreichbaren Überlieferungszeugen dieser Texte waren. Die Imitation dieser als Schrift der „Alten“ (miss-)verstandenen karolingischen Minuskel wurde auch für den Buchdruck verwendet (Antiqua) und blieb bis heute in Gebrauch. Die karolingische Minuskel bildet demnach die Grundlage für unsere heutigen Kleinbuchstaben sowohl der Schreib- als auch der Druckschrift.
In karolingischen Handschriften wird eine Schrifthierarchie verwendet, mit der einleitende Seiten gestaltet wurden. Neben einer Initiale stehen an der Spitze der Hierarchie und damit am Anfang der Seite die Capitalis, bei weiterem Abstufungsbedarf dann Unzialschriften und schließlich noch Halbunzialen, bevor der „Normal“-Text in Minuskel folgt. Viele unaufwendige Handschriften gehen allerdings über eine zweistufige Hierarchie (Capitalis und Minuskel) nicht hinaus.
Die rätische Schrift ähnelt der karolingischen Minuskel.
Formentwicklung
Seit Mitte des 8. Jahrhunderts bildeten sich in den stark mit Ligaturen durchsetzten Halbkursiven wieder verstärkt die einzelnen Buchstaben aus. Die karolingische Minuskel ist erstmals um 765 in Corbie nachzuweisen. In der ersten Phase enthielt die karolingische Minuskel gleichwohl noch zahlreiche Ligaturen und extreme regionale Ausformungen. In einer um 820 einsetzenden zweiten Phase wurde die Schriftgestaltung einheitlicher, die Buchstaben wurden schlanker und fast immer rechtsgeneigt geschrieben. Im späten 9. Jahrhundert ist zunehmend eine Erstarrung der Formen zu erkennen, oft auch bereits mit An- und Abstrichen, die Zahl der verwendeten Ligaturen nimmt wieder zu. Im 11. Jahrhundert bildete sich in Süddeutschland der nach seiner Form für das „o“ benannte schrägovale Stil heraus, der für etwa 200 Jahre vorherrschend blieb.
Schriftbeispiel
Verschiedene Arten der karolingischen Minuskel weist eine Handschrift aus dem Besitz König Ludwigs des Deutschen, das sogenannte Muspilli-Manuskript, auf. Unter einem lateinischen Text aus dem Jahre 830 wurde um das Jahr 870 das altbairische Muspilli-Gedicht hinzugefügt. Zu erkennen sind eine kalligraphische karolingische Minuskel (links), eine Capitalis als Auszeichnungsschrift für die Widmungsadresse (rechts) sowie die ungelenke deutsche karolingische Minuskel als Nachtrag aus dem späten neunten Jahrhundert am unteren Rand.
Siehe auch
Literatur
- Wilhelm Wattenbach: Das Schriftwesen im Mittelalter. Hirzel, Leipzig 1871.
- Bernhard Bischoff: Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters Berlin (= Grundlagen der Germanistik 24). Schmidt, Berlin 1979, ISBN 3-503-01282-6.
- Anne Schmidt: Schriftreform – Die karolingische Minuskel. In: Christoph Stiegemann, Matthias Wemhoff (Hrsg.): 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn. Beitrags-Band. von Zabern, Mainz 1999, ISBN 3-8053-2590-8, S. 681–691.
- Tino Licht: Die älteste karolingische Minuskel. In: Mittellateinisches Jahrbuch. Internationale Zeitschrift für Mediävistik und Humanismusforschung 47, Stuttgart 2012, S. 337–346 (Digitalisat).
Weblinks
- Karolingische Minuskel (Carolina) (Wolfgang Beinert: Lexikon der Typographie)
- Beispiel aus einer Handschrift, Nordfrankreich, zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts (Frühkarolingische Minuskel mit Zügen einer Halbunziale)
- Pfeffer Mediæval Eine karolingische Minuskel mit umfangreichem Zeichensatz als Unicode-Schriftart
- Karolingische Minuskel muss bereits vor Karl dem Großen entstanden sein. Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 9. Januar 2013
- Johannes Saltzwedel: Schreibstil: Normlettern auf Pergament, SPIEGEL Geschichte 6/2012 [1]
Einzelnachweise
- ↑ Helmut Glück: Metzler Lexikon Sprache. Springer, 2016, ISBN 978-3-476-00088-0, S. 307 (books.google.com).
- ↑ Udo Kindermann: Die kulturellen Auswirkungen der Einführung der karolingischen Minuskel, in: Erziehungs- und Unterrichtsmethoden im historischen Wandel (= Schriftenreihe zum Bayerischen Schulmuseum Ichenhausen, Bd. 4), Bad Heilbrunn 1986, S. 103–125.