Alfred Schittenhelm

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Alfred Schittenhelm (* 16. Oktober 1874 in Stuttgart; † 27. Dezember 1954 in Rottach-Egern) war ein deutscher Internist und Hochschullehrer.

Leben und Wirken

Alfred Schittenhelm war Sohn des Oberregierungsrates Wilhelm Schittenhelm (1838–1894) und dessen Ehefrau Julie, geborene Hauck. Er besuchte Gymnasien in seiner Heimatstadt sowie Heilbronn und absolvierte nach dem Abitur 1892 ein Medizinstudium an den Universitäten Tübingen, Genf und Breslau. Seit dem Wintersemester 1892/93 war er Mitglied der Studentenverbindung AV Igel Tübingen.[1] In Tübingen schloss er 1898 das Studium mit Staatsexamen ab und wurde dort noch im selben Jahr zum Dr. med. promoviert. Seine Assistenzarztzeit verbrachte er in Folge am Stuttgarter Karl-Olga-Krankenhaus, der Breslauer medizinischen Klinik, am chemischen Institut der Berliner Charité sowie der Göttinger medizinischen Klinik. Er habilitierte sich 1904 für Innere Medizin und war danach an der Charité als Klinikassistent tätig.

Ab 1907 war er außerordentlicher Professor für klinische Propädeutik und Geschichte der Medizin an der Universität Erlangen. 1912 wurde er auf den Lehrstuhl für Innere Medizin an die Albertus-Universität Königsberg berufen, wo er als Direktor die medizinische Klinik leitete. 1915 folgte er einem Ruf an die Universität Kiel, wo er als Ordinarius für Innere Medizin und Klinikdirektor bis 1934 wirkte. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges nahm er als Stabsarzt, Hygieniker und beratender Mediziner beim Deutschen Heer am Kriegsgeschehen teil. Schittenhelm trieb in Kiel den Aufbau einer modernen medizinischen Klinik voran. Nachdem er Berufungen nach Leipzig, Berlin und Wien ausgeschlagen hatte, wechselte er 1934 auf den Lehrstuhl für Innere Medizin an die Universität München und leitete dort die II. medizinische Klinik.

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten trat er im Mai 1933 der NSDAP bei (Mitgliedsnr. 2.732.711) und wurde später auch Mitglied der SS (SS-Nr. 259.429), bei der er im September 1938 den Rang eines SS-Standartenführers erreichte.[2][3] Des Weiteren trat er dem NS-Ärztebund sowie dem NS-Dozentenbund bei und gehörte beim letztgenannten ab 1944 dem Führungskreis an. In der von ihm geführten Klinik ließ er 1934/35 eine Abteilung für „Erbpflege und Erbforschung“ einrichten, die bedeutungslos blieb und nach vier Jahren aufgelöst wurde.[4] In diesem Zusammenhang erhielt er Finanzmittel durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft für die Erstellung eine „Kartei der erbkranken Familien, ferner ein einschlägiges Film- und Bildarchiv“.[5] Er saß dem Wissenschaftlichen Ausschuss der Bioklimatischen Arbeitsgemeinschaft vor und war seit 1912 Mitherausgeber der Münchner Medizinischen Wochenschrift.[2] Kriegsbedingt wurde die Münchner Klinik 1944 nach Rottach verlegt.

Nach Kriegsende wurde er aus dem Hochschulamt entlassen und im Internierungslager Moosburg festgehalten. Nach einem Spruchkammerverfahren wurde er als Mitläufer entnazifiziert und Ende 1947 aus der Internierung entlassen. Infolge seiner Bemühungen erreichte er 1949 seine erneute Ernennung zum Professor. Im folgenden Jahr wurde er emeritiert und lebte danach mit vollen Ruhestandsbezügen in Rottach-Egern.[4] Seit 1925 war er mit Gertrud, geborene Lienau (* 1900), verheiratet. Das Paar bekam drei Kinder.

Schittenhelm forschte insbesondere zum Stoffwechsel, zur Klinik von Infektionen, zu Blutkrankheiten und zur medizinischen Klimatologie.[6] Laut Eberhard J. Wormer kann Schittenhelm „als einer der letzten universalen dt. Kliniker des 20. Jh. betrachtet werden, dessen Einfluß die klinische und praktische Medizin in Deutschland bis 1950 wesentlich prägte. Er überblickte noch die gesamte Innere Medizin und publizierte innerhalb von 45 Jahren zahlreiche Arbeiten zu fast allen klinisch-internistischen, aber auch experimentellen medizinischen Themengebieten“.[4]

Während die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Schittenhelm noch 1951 die Ehrensenatorwürde verliehen hatte, fasste der Akademische Senat der Universität 2016 den Beschluss, ihm ebendiese Würde postum wieder abzuerkennen. Laut Forschungsarbeiten von Karl-Werner Ratschko und einer Gruppe um Oliver Auge und Norbert Luttenberger aus Kiel und der Medizinhistoriker Hans-Georg Hofer und Ralf Forsbach aus Münster gehörte Schittenhelm „zu den politisch am stärksten belasteten deutschen Internisten überhaupt“. Er habe 1933 die Absetzung des Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), Leopold Lichtwitz, aufgrund von dessen jüdischer Abstammung betrieben und selbst von dessen Rücktritt profitiert, als er – eigentlich erst für 1934 gewählt – bereits 1933 den Vorsitz der DGIM übernahm. Anschließend habe er die DGIM ohne Not zur Selbstgleichschaltung geführt. Schittenhelms Politik innerhalb der DGIM sei antisemitisch und völkisch gewesen, entsprechend habe er als Schwerpunkte der DGIM-Kongresse Rassenhygiene und Erbbiologie gewählt. Schittenhelm habe sich „während der Zeit des Nationalsozialismus als Wissenschaftler, Funktionär und aktives NSDAP- und SS-Mitglied schuldig gemacht“.[7]

Ehrungen und Mitgliedschaften

Schriften (Auswahl)

  • Ein Fall von vollständiger Agenesie des Vorder-, Mittel- und Zwischenhirns. Mitzlaff, Rudolstadt 1898 (Dissertation, Universität Tübingen, 1898).
  • mit Theodor Brugsch: Lehrbuch klinischer Untersuchungsmethoden für Studierende und Ärzte. Urban & Schwarzenberg, Berlin 1908; 5. Auflage 1921: Lehrbuch klinischer Diagnostik und Untersuchungsmethodik; 6. Auflage 1923.
  • mit Theodor Brugsch: Der Nukleinstoffwechsel und seine Störungen. Fischer, Jena 1910.
  • mit Julius Schmid: Die Gicht und ihre Therapie mit besonderer Berücksichtigung der Diätetik. Marhold, Halle 1910.
  • mit Wolfgang Weichardt: Der endemische Kropf. Mit besonderer Berücksichtigung des Vorkommens im Königreich Bayern. Springer, Berlin 1912.
  • Eiweißabbau, Anaphylaxie und innere Sekretion, in: Dt. med. Wschr. 38, 1912, S. 489–94.
  • hrsg. mit Theodor Brugsch: Klinische Laboratoriumstechnik. 4 Bände. 2. Auflage. Urban & Schwarzenberg, Berlin 1923/29.
  • (Hrsg.) Lehrbuch der Röntgendiagnostik. 2 Bände. Springer, Berlin 1924.
  • (Hrsg.) Handbuch der Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe. Haemophilie, Haemoglobinurie, Haematoporphyrie. 2 Bände. Springer, Berlin 1925.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Igelverzeichnis 1871–1983. S. 35.
  2. a b Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. 2. Auflage. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 537.
  3. Auszug aus der Dienstaltersliste der SS
  4. a b c d e f g h i Eberhard J. WormerSchittenhelm, Alfred. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, ISBN 978-3-428-11204-3, S. 15 f. (Digitalisat).
  5. Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. Fischer, Frankfurt am Main 1997, S. 70
  6. Heinz Goerke: Die medizinische Fakultät von 1472 bis zur Gegenwart. In: Laetitia Boehm, Johannes Spörl (Hrsg.): Die Ludwig-Maximilians-Universität in ihren Fakultäten. Duncker & Humblot, Berlin 1972, S. 265.
  7. a b Boris Pawlowski: Akademischer Senat entzieht Alfred Schittenhelm Ehrensenatorenwürde. Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Pressemitteilung vom 12. Mai 2016 beim Informationsdienst Wissenschaft (idw-online.de), abgerufen am 12. Mai 2016.