Andreas Rett

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Andreas Rett als Vortragender der Wiener Vorlesungen 1987
Pavillon C Neurologisches Krankenhaus Rosenhügel in Hietzing

Andreas Rett (* 2. Jänner 1924 in Fürth, Bayern; † 25. April 1997 in Wien) war ein österreichischer Neuropädiater, Autor und Erstbeschreiber des Rett-Syndroms.

Wirken

Seine Familie zog aus wirtschaftlichen Gründen 1929 von Fürth nach Innsbruck. Rett war bereits als Schüler seit dem 1. September 1932 Mitglied der Hitlerjugend und später auch HJ-Führer. Sein Vater gründete in Innsbruck ein Reinigungsunternehmen, in dem sein Sohn Andreas sein Nachfolger werden sollte. Dieser entschied sich jedoch für ein Medizinstudium, woraufhin ihn sein Vater enterbte. Rett studierte an der Universität Innsbruck zwei Semester Medizin, bevor er für die nächsten dreieinhalb Jahre in die Kriegsmarine eingezogen wurde. Nachdem er zweimal verwundete wurde, wurde er auf einem Lazarettschiff im Mittelmeer stationiert, auf dem Rett trotz seiner geringen Erfahrung als Arzt und Chirurg eingesetzt wurde.[1][2]

Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Rett an die Universität Innsbruck zurück, wurde jedoch aufgrund seiner NS-Vergangenheit zuerst nicht zum Studium zugelassen. Erst nachdem Rett jegliche Mitgliedschaft in HJ und NSDAP geleugnet hatte, wurde er zum Studium zugelassen. Er beendete 1949 erfolgreich sein Medizinstudium und arbeitete anschließend als Arzt in Innsbruck, Wien und Zürich. In Wien war er als Kinderarzt am Preyerschen Kinderspital unter Konrad Eberle tätig. 1956 gründete Rett eine Abteilung für verhaltensauffällige Kinder im Krankenhaus Lainz.[2]

1963 gründete er mit Fritz Muster, von 1966 bis 1980 Geschäftsführer von Jugend am Werk, in Wien die erste geschützte Werkstätte für nervenkranke Jugendliche.[3]

1966 veröffentlichte er die Erstbeschreibung des Rett-Syndroms, einer Störung des Gehirnstoffwechsels, die X-chromosomal dominant vererbt wird und daher praktisch nur bei Mädchen beobachtet wird und zu einer Verzögerung der motorischen und psychischen Entwicklung führt.[4][5] 1967 habilitierte er sich in der Neuropädiatrie.[2]

Seine medizinische Arbeit für die Menschen mit Behinderung wurde vom Direktor des Altersheimes in Lainz, Otto Zsygmund, gefördert und gegen einige Widerstände im Pavillon XVII des Krankenhauses Lainz begonnen. Sie führte 1975 zur Gründung der Abteilung für entwicklungsgestörte Kinder am Neurologischen Krankenhaus Rosenhügel in Wien.[6][7]

Retts jahrzehntelange Forderung an die Gesellschaft war, dass auch Kinder mit Behinderung Kinder sind, mit allen körperlichen, seelischen und geistigen Ansprüchen.[8]

Rett trat allerdings auch für die sehr umstrittene Sterilisation von Frauen mit „geistiger Behinderung“ ein und praktizierte diese nach eigenen Angaben systematisch jahrelang selbst. In dem Buch „Das hirngeschädigte Kind“ (in der 5. Auflage von 1981) berichtet Rett mit seinem Ko-Autor und Mitarbeiter Horst Seidler, dass sie „Schwangerschaftabbruch bei geistig Behinderten seit nunmehr 20 Jahren“ praktizierten und den Abbruch „prinzipiell stets mit nachfolgender Eileiterunterbindung kombinierten“. Behindertenverbände und Integrationswissenschaftler wie etwa der Innsbrucker Erziehungswissenschaftler Volker Schönwiese[9] sehen in diesen Praktiken „schwerwiegende Eingriffe in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte behinderter Menschen“.[10] Auch publizistisch forderte Rett immer wieder die Zwangssterilisation von Behinderten.[11]

Obwohl Rett sich schon früh mit der nationalsozialistischen Vergangenheit seines Fachs in Publikationen auseinandersetzte, verschwieg er, dass er seit dem 1. September 1942 Mitglied der nationalsozialistischen Partei NSDAP gewesen war, Mitglieds-Nr. 9260108.[12] Retts berufliche Karriere nach 1945 legt auch eine personelle und strukturelle Kontinuität von vormals nationalsozialistischen Wissenschaftlern im Bund Sozialistischer Akademiker (BSA) nahe, Rett war unter anderem 1967 auch Mitglied im „Felix-Mandl-Kreis“. Mit seinem BSA-Kollegen Heinrich Gross publizierte Rett gemeinsam einen wissenschaftlichen Artikel. Die Grundlagen dieses Artikels basierten auf Gehirnpräparaten, die im Rahmen der nationalsozialistischen Kinder-Euthanasie von ermordeten Kindern Am Spiegelgrund entnommen wurden. Die bestehende Sekundärliteratur zu diesem Thema geht davon aus, dass Rett über die Herkunft der verwendeten Präparate Bescheid gewusst habe.[2]

Er bekannte sich zur Mitgliedschaft bei den Freimaurern, wo seine Arbeit, sein Leben und seine ärztliche Haltung mitgeprägt wurden.[13]

Im 13. Wiener Gemeindebezirk wurde 2001, nach anderen Angaben 2002, ein Park als Andreas-Rett-Park benannt. Der 2013 publizierte Forschungsbericht Straßennamen Wiens seit 1860 als „politische Erinnerungsorte“ ging auf die kontroversielle Beurteilung Retts ein.[2]

Seine Tochter Barbara Rett ist Fernsehmoderatorin.

Werke

Anerkennungen

Weblinks

Commons: Andreas Rett – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ronen, Meaney et al: From Eugenic Euthanasia to Habilitation of ‘‘Disabled’’ Children: Andreas Rett’s Contribution, Artikel im Journal of Child Neurology, Volume 24, Number 1, Jänner 2009, PDF
  2. a b c d e Straßennamen Wiens seit 1860 als „Politische Erinnerungsorte“ (PDF; 4,4 MB), S. 227ff, Forschungsprojektendbericht, Wien, Juli 2013
  3. Fritz Muster In: Kinder in unserer Hand - Ein Leben mit Behinderten. S. 141.
  4. Onlineauftritt ORF Kurzbeschreibung des Rett-Syndroms
  5. Film Rett Syndrome Online youtube.com 3:11min
  6. Otto Zsygmund In: Kinder in unserer Hand - Ein Leben mit Behinderten. S. 138.
  7. Neurologisches Zentrum Rosenhügel
  8. Die Geschichte der Kindheit als Kulturgeschichte. Bescheiden durch das Mass des Erreichbaren, S. 30.
  9. Volker Schönwiese: Individualisierende Eugenik. Zur Praxis von Andreas Rett BIZEPS-Broschüre "wertes unwertes Leben", S. 69-79
  10. Benedikt Sauer, Mittagsmagazin-Spezial, RAI-Sender Bozen, 5. April 2012.
  11. siehe Weblinks: Individualisierende Eugenik. Zur Praxis von A. Rett
  12. Mit Faksimile der Aufnahmebestätigung aus dem Dt. Bundesarchiv
  13. /Kinder in unserer Hand - Ein Leben mit Behinderten. S. 140
  14. Wiener Rathauskorrespondenz. 13. Dezember 1958, Blatt 2496.
  15. Die Abkürzung AZ ist obsolet; bitte verwende Vorlage:Arbeiterzeitung.
  16. Wiener Rathauskorrespondenz. 17. Jänner 1959, Blatt 83.
  17. Die Abkürzung AZ ist obsolet; bitte verwende Vorlage:Arbeiterzeitung.