Leuna-Benzin

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 4. September 2016 um 09:29 Uhr durch ZdBdLaLaLa (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Leuna-Benzin
Andere Namen

„Deutsches Benzin“

Handelsnamen

Leuna

Kurzbeschreibung Ottokraftstoff
Herkunft

synthetisch

Eigenschaften
Aggregatzustand flüssig
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
keine Einstufung verfügbar[1]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Deutsches synthetisches Benzin, auch Leuna-Benzin nach der Entwicklerfirma und größtem Lieferanten, war ab Ende der 1920er Jahre ein Ottokraftstoff in Deutschland, der in Hydrierwerken aus Kohle hergestellt wurde. Die I.G. Farben vertrieben dies von ihnen zuerst in den Leunawerken hergestellte Benzin hauptsächlich über ihre eigene Vertriebsfirma, die Deutsche Gasolin Aktiengesellschaft. Der später auch Deutsches Benzin genannte Ottokraftstoff wurde ab 1936 auch in anderen Herstellverfahren der Kohleverflüssigung und auch von weiteren Unternehmen, die nicht zur I.G. Farben gehörten, in Hydrierwerken hergestellt.

Geschichte

Werbung der Gasolin AG, Berlin für „Deutsches Benzin“ aus den Leuna Werken der I.G. Farben

Royal Dutch und BASF waren je zur Hälfte an der 1921 gegründeten Internationale Bergin Compagnie voor Olie en Kolen Chemie zur internationalen Nutzung der deutschen Patente zur Kohlehydrierung beteiligt. Im Zuge der Vereinbarung von BASF und Standard Oil of New Jersey in den Jahren 1925/1926, in der Produktion von Synthetischem Benzin aus Kohle zusammenzuarbeiten, fiel die Entscheidung, die Hugo Stinnes-Riebeck Oel-AG als Vertriebsorganisation in Deutschland für das Synthetische Benzin zu nutzen und aufzubauen.[2]

Im Deutschen Reich begann 1926 die I.G. Farben (das Folgeunternehmen der BASF) im Ammoniakwerk Merseburg – Leuna Werke mit der industriellen Herstellung von sogenanntem Leuna-Benzin (siehe auch Motalin) aus Braunkohle nach dem Bergius-Pier-Verfahren. Die Produktion von synthetischem Benzin war allerdings extrem aufwändig und im Vergleich zu den Weltmarktpreisen immer zu teuer.

Daher trafen sich bereits im November 1932 die I.G.-Farben-Direktoren Bütefisch und Gattineau mit Hitler, um ihn über die zukünftige Bedeutung synthetischen Benzins aufzuklären. Sie erhielten von Hitler die Zusage, im Falle seiner Regierung die Herstellung von synthetischem Benzin durch Absatz- und Mindestpreisgarantien zu unterstützen.[3] Eine solche Mindestpreisgarantie wurde dann im Feder-Bosch-Abkommen vom 14. Dezember 1933 vertraglich vereinbart.

Die Erdölförderung in Deutschland reichte nur für knapp 30 Prozent des heimischen Bedarfs. Wegen eines hohen Gehalts an Schwer- und Schmierölen war daraus die Entwicklung von Ottokraftstoffen speziell für Flugzeuge kaum möglich. Die Nutzung der bedeutenden Kohlevorkommen über das eigens entwickelte Verfahren der Kohleverflüssigung erhielt daher aus militärstrategischen Gründen vor dem Zweiten Weltkrieg eine große Bedeutung. Der Bau von Hydrierwerken wurde wesentlicher Bestandteil der Autarkiebestrebungen des Vierjahresplans und politisch gegenüber anfänglichen Widerständen der Industrie durchgesetzt und breit öffentlich diskutiert.[4]

Öffentliche Thematisierung

Aufkommen an Mineralöl in den Jahren 1939–1944 (in 1000 t)[5]
Jahr Mineralöl insgesamt
(geschätzt)
davon synthetische
Produktion
in Prozent
1939 8.200 2.200 27
1940 7.600 3.348 44
1941 10.000 4.116 41
1942 9.500 4.920 52
1943 11.300 5.748 51
1944 6.830 3.830 56

Neben Karl Aloys Schenzinger, einem erfolgreichen („Rohstoff-“)Sachbuchautor im Dritten Reich („Anilin. Roman eines Farbstoffes“) war insbesondere der seit 1935 auf Mallorca lebende Bestsellerautor Anton Zischka federführend bei der populärwissenschaftlichen Darstellung der Synthesethematik. Zischkas „Wissenschaft bricht Monopole“ (1936) wurde als Pflichtlektüre in den Realschulen eingeführt, das Buch wurde in 18 Sprachen übersetzt und für die NS-Propaganda genutzt. Wie auch in dem 1939 erschienenen Werk „Ölkrieg“ erklärte der von Fritz Todt geförderte Zischka dabei Kriege und bewaffnete Konflikte als Auseinandersetzung um (ungleich verteiltes) Land und Rohstoffe. Er stellte demgegenüber technische Entwicklungen aus Deutschland wie etwa die Kohleverflüssigung oder die vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte Synthese von Ammoniak nach dem Haber-Bosch-Verfahren als mögliche globale Friedensstifter dar. Darüber hinaus wurde dem „raffenden“ Kapitalismus angloamerikanischer Prägung die „schaffende“ „Volksgemeinschaft“ als größte und wichtigste „Synthese einer neuen Zeit“ gegenübergestellt. Gerade weil sich Zischka krasser chauvinistischer oder rassistischer Äußerungen enthielt, wurde damit auch im Ausland das im Sinne der NS-Vorkriegspropaganda erwünschte friedliche und moderne Bild des „Dritten Reiches“ vermittelt.

Technische Realisierungen

Ruine einer Anlage in Pölitz bei Stettin (heute Polen) auf dem Gelände der ehemaligen Hydrierwerke Pölitz AG
Leuna-Tanksäule vor den Ruinen der Dresdner Lukaskirche

1936 gelang[6] im Hydrierwerk Scholven der Hibernia AG die Kohleverflüssigung von Steinkohle nach dem Verfahren der I.G. Farben. Im Dezember 1936 gründete die Gelsenkirchener Bergwerks-AG die Gelsenberg Benzin AG, in deren Werk die Kohleverflüssigung ebenfalls für Steinkohle ab 1939 durchgeführt wurde.

Bei Kriegsbeginn 1939 produzierten sieben Hydrierwerke (das größte in Leuna), drei waren kurz vor Produktionsbeginn, zwei im Bau:

Daneben gab es noch Werke in Bari (Albanischer Erdölrückstand), Livorno (Rumänischer Erdölrückstand) sowie Blechhammer in Oberschlesien (I.G.-Farben) für Teeröle und eine Anlage in Auschwitz / Monowitz.

Im Jahre 1943 gab es zwölf produzierende Hydrierwerke. Die Hydrierwerke deckten den größten Teil des Treibstoffbedarfs der Wehrmacht und waren alleinige Quelle des Flugbenzins für die Luftwaffe. Im Frühjahr 1944 war die Zahl der Anlagen auf 15 gestiegen. Wegen der steigenden Zahl von alliierten Luftangriffen auf die ungeschützten Raffinerien und Hydrierwerke wurde ab 1944 durch den Mineralölsicherungsplan versucht, den drohenden Zusammenbruch der Treibstoffversorgung zu verhindern. Dies gelang nicht – im März 1945 betrug die Kapazität der Hydrierwerke nur noch drei Prozent des Höchststandes von 1943.

Fortführung nach dem Krieg

Leuna-Werke, Destillationsanlagen in der Treibstofferzeugung, 1959

In Westdeutschland wurde nach dem Krieg die Kohleverflüssigung wegen der konkurrenzlos niedrigen Erdölpreise nicht fortgeführt. In der DDR wurde sie, obwohl ebenfalls „untragbar unwirtschaftlich“, dagegen erst Anfang der 1970er Jahre endgültig aufgegeben, war aber bis zum Zusammenbruch der DDR Bestandteil der strategischen Planung des Ministerrats. In der Bundesrepublik Deutschland kam es in der Folge der ersten „Ölkrise“ von 1973 im von der Bundesregierung 1974 beschlossenen Programm Energieforschung zur Errichtung von sieben Pilotanlagen zur Kohleveredelung (Vergasung und Verflüssigung), die von 1977 bis 1980 in Betrieb gingen. Die letzte noch betriebene sehr kleine Anlage in Essen mit einer Produktion von ca. 200 kg/Tag wurde 2004 demontiert und für China Shenhua Energy in China wiederaufgebaut.

Literatur

  • Dietrich Eichholtz: Geschichte der Deutschen Kriegswirtschaft, Berlin 1985, Band 2, S. 354.
  • Rainer Karlsch, Raymond G. Stokes: Faktor Öl. Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859–1974. Verlag C. H. Beck, München, 2003, ISBN 3-406-50276-8.
  • Henry Hatt: Deckname Steinbock II, Verlagerung der BASF nach Unterloquitz – BoD Norderstedt 2014, ISBN 978-3-8423-7510-9.

Weblinks

  • Fischer-Tropsch Archive Umfangreiches Archiv zum Fischer-Tropsch Verfahren mit historischen und aktuellen Dokumenten

Einzelnachweise

  1. Dieser Stoff wurde in Bezug auf seine Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  2. Sharing With Standard.
  3. Die Federhalter der BASF. In: Junge Welt, 18. September 2007.
  4. Rezension. Rainer Karlsch, Raymond G. Stokes: „Faktor Öl“. Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859–1974.
  5. Dietrich Eichholtz: Geschichte der Deutschen Kriegswirtschaft. Akademie-Verlag, Berlin 1985, Band 2, S. 354.
  6. Eine Aktie der Ruhrgas von 1933 schreibt: „Errichtung und Betrieb von Anlagen zur Umwandlung fester, schwer verkäuflicher Brennstoffe und anderer Energiearten und Stoffe, insbesondere für Gasfernversorgung und Fernheizung. Gegründet am 11.10.1926; eingetragen am 29.10.1926.“ Es gab also einen langen Vorlauf. Gründung durch rund 92 Prozent der im Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikat vereinigten Zechen.
  7. Teilschuldverschreibung der STW AG von 1941
  8. Teilschuldverschreibung der Hydrierwerke Pölitz von 1940